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Einleitung. Die Lehre von der regelrechten und zweckmäßigen Verbindung der verschiedenen Bnnmnterialien zu einzelnen Bauteilen und deren Zusannnenfügung zu einem ganzen Gebäude bezeichnet man als Baukonstruktionslehre. Unter Baukonstruktionslehre verstehen wir daher den Inbegriff der Kenntnisse und Erfahrungen, die nötig sind, um aus den Baumaterialien ein Bauwerk herzustelleu, das den Anforderungen au Zweckmäßigkeit, Festigkeit und Dauer entspricht. Die Konstruktion muß dabei den Ansprüchen auf for male Durchbildung des betreffenden Bauteiles iu aus reichender Weise Rechnung tragen, und es soll die Form selbst aus der Konstruktion hervorgehen nnd die Eigentüm lichkeit des verwendeten Materials nie verleugnen; es darf also kein Baumaterial als ein fremdartiges erscheinen, und muß Eisen als Eisen, Holz als Holz, Stein als Stein in die Erscheinung treten. Die Baukonstruktionen haben eine Geschichte, deren Kenntnis dein Architekten notwendig ist; das Feld der Erfahrung, das seit Jahrtausenden bebaut worden ist, liegt ihnen zu Grunde. Das Studium der Architekturgeschichte führt zu der Erkenntnis, daß zu allen Zeiten das gebotene Baumaterial und die Kulturstufe eines Bolkes einen wesentlichen Ein fluß auf die Konstruktionen und auf deren Gesamt erscheinung, die Architektur, geübt hat. Die Architektur ist somit der Spiegel der Zeit, iu der sie entstanden ist, des halb aber auch der ernste Mahnruf an uns Architekten der Neuzeit, unsere Werke in einer Weise anszuführeu, daß sie nicht allein durch ihre Dauerhaftigkeit einer spätem Nach welt erhalten bleiben, sondern daß sie auch durch ihre for male Erscheinung der echte Ausdruck unserer Zeit sind. Nehmen wir aus der Architekturgeschichte die griechische und römische Bauweise heraus, sowie die mittelbar aus diesen herausgebildete mittelalterliche, insbesondere die gotische Bauweise, so finden wir in den Konstruktionen Breymann, Uau-KonstruMonslehre. I. Sechste Auflage. einen wesentlichen Unterschied zwischen der antiken und der gotischen Architektur. In der griechischen Baukunst, in der fast ausschließlich die horizontale Überdeckung zur Ausführung kam, sind Belastung lind Stütze oder Druck und Gegendruck in dem Gegensätze der Horizontalen lind Vertikalen, des Gebälkes und der stützenden Säulen mit der größten Bestimmtheit und Klarheit ausgesprochen und vollständige Harmonie zwischen Konstruktion und formaler Ausbildung erreicht; dagegen tritt iu der römischen Architektur zu der über nommenen griechischen noch ein wesentlicher Konstruktions teil, das Gewölbe, hinzu, das auf die Bildung der Mauern als Widertagsmauern und auf den architektonischen Organismus hätte umgestaltend einwirkeu müssen, was jedoch in dieser Bauperiode nicht geschah. Diese Aufgabe wurde erst iu der mittelalterlichen Epoche richtig erkannt und in der gotischen Periode gelöst. Die Lösung bestand in der Anlage von Mauerpfeilern, Strebepfeilern oder Knoten. Das in der gotischen Bauperiode zur Ausbildung gelangte Princip der Knotenbildung ist es, durch das sich ein rationelles Konstruktionssystem aufstellen läßt. Betrachten wir z. B. die zur Erbauuug eiues Saales notwendigen Konstruktionsteile, so haben wir es mit ! stehenden, stützenden oder umschließenden und mit liegenden, belastenden, den Raum nach oben abschließenden Elementen zu thuu. Welches Material nun auch zur Bildung der Decke gewählt werden mag, man wird nur durch Herstellung eines Gerippes eine verständige Konstruktion erzielen; bei Gewölben durch Gurten, bei Balkendecken durch Unterzüge. Dadurch werden aber einzelne Teile der Mauern stärker belastet, was zur Folge hat, daß diese Mauern nicht von gleicher Stärke anzulegen sind, sondern sie müssen gegliedert werden durch Pfeiler, die den Hauptrippen der Decken entsprechen, und die bei der gewölbten Decke zu Strebepfeilern werden, da sie nicht allein in senkrechter, sondern auch in schräger Richtung zu widerstreben haben.