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Sächsische Volkszeitung : 27.03.1940
- Erscheinungsdatum
- 1940-03-27
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id494508531-194003275
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id494508531-19400327
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-494508531-19400327
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Sächsische Volkszeitung
-
Jahr
1940
-
Monat
1940-03
- Tag 1940-03-27
-
Monat
1940-03
-
Jahr
1940
- Titel
- Sächsische Volkszeitung : 27.03.1940
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Mittwoch. 27. Miirz 194V TSchsische Volkszeitung Nummer 72, Seite 3 1 Sragen hinter der Mand Hrenn-liclie Antworten für hmnorige (ente War Karl May katholisch? W. D. In D. — „Kannst Du mir sagen, ab der Schrift steller Karl Man katholisch gewesen ist? Nach manchen Stellen in seinen Werken könnte man das annehmen?" — Diese Frage hat schon zu Lebzeiten Karl Mays manche Leser beschäftigt. Tatsache ist. daß May von Hause aus Prote stant war. Doch hat sein tiefer Empfindung fähiges Gemüt „Ergebnissen" eine alle Erfahrungsgrundlage verlassende Spe kulation gelangen kann: Das aus die Erfahrung verzichtende Denken kann hübsche, ja großartige Gedankenhäuser ohne inneren Widerspruch bauen, aber freilich dann Gedankenhäuser ohne wirkliche, objektive Grundlagen. Behauptungen werden auf Behauptungen getürmt. Erdichtungen aus Erdichtungen Namentlich die Mcthaphysik war ein Tummelplatz für solä)e Begriffskunststücke und für die Baumeister von G danken- kartenhäusern. Für die Begrisfsbaukunst einer von aller Er fahrung gelösten Metaphysik ein Beispiel: Definitionen zuliebe ist in der spekulativen Naturphilosophie die Artnu-senheit des Engels metaphysisch uninilteilbar an viele einzelne, iveil die als vollständige Substanz sür sich seiende Form der Engel physisch keinem Stosse mitteilbar ist. Die rein geistigen For men, die ihrer Natur nach keinem Stosse milteilbar sind und innerhalb derselben Art rein zahlenmäßig nicht verviesülligt werden können, also die Engel. sind „demzufolge" zugleich „Einzelwesen" und „Art". Aus Definitionen, deren Richtigkeit nicht nachgepriist wird, noch nachgeprükt werden kannte oder durfte, werden also im vorkantilcken Denk-m logische Folge rungen über Folgerungen gezogen! Die Folgerungen waren schulgemäh logisch gezogen, waren sie aber deshalb schon richtig? — Diese Art des Denkens lehnt Kant grundsätzlich ab; in ihr und in dem mit ihr verbundenen Autoritätsglauben sieht er die Ursache, weshalb das Denken sich sinnlos im Kreise dreht, statt vonvärts zu schreiten. Das gleiche meint Gaelho« „Ich sag' es dir: ein Kerl, der spekuliert, Ist wie ein Tier, auf dürrer Heide Bon einem bösen Geist im Kreis herumgesührt, Und ringsumher liegt schöne grüne Weide." (Fortsetzung folgt.) langte di« „Wissenschaft"; Studieren lieh: Lernen und glauben, nicht selbst denken. — Unzählige dogmatische Wissens systeme traten mit der Zeit zu den bisherigen, als eines der neueren sei noch die Phrenologie genannt. Gewiß, es knisterte seit langem im Gebälk der wissen» schastlichen Dogmatiken oller Art. Andreas Vesalius, Paracel sus, Pare, Ernst Stahl, Albrecht von Haller und Morgagni hatten den medizinischen Dogmatiken heftige Stöße verseht. Achnlich mar es auf vielen anderen Gebieten. Aber noch fehlte die grundsätzliche und endgültige Ueberwindung der alten Denk art auf allen Gebieten durch eine neue. Worin bestand der Fehler des alten Denkens, dieser Fehler, der das menschliche Denken bislang am Wetterkommen gehindert hatte? Bestand er nicht darin, daß das Denken geglaubt hatte, unabhängig von aller Erfahrung zu Ergebnissen zu gelangen? Mit spitz findig gehandhabten Denkrcgeln, mit einer Erkenntnis aus bloßen Begriffen, ohne voraufgehende Kritik des eigenen Ver mögens, ohne Nachprüfung durch die Erfahrung hatte sich die angeblich reine Vernunft angemaßt, im Denken und Erkennen vorwärts zu kommen. Luftschlösser aller möglichen „Wissen schaften". ganz besonders der Metaphysik, ivaren auf diese Weise entstanden. In der — vielleicht viel zuwenig beachteten — Schrift über die „Träume eines Gcistersel)ers, erläutert durch Träume der Metaphysik" (1766) zeigt Kant, an Sweden borgs Visionen und Teistertheortcn anknüpfend, zu welchen die Schönheit des katholischen Gottesdienstes, die Hoheit der Marienoerehrung und die imposante Autorität der Wellkirche tief empfunden. Mit echter dichterischer K-ast hat May diesen Empfindungen an vielen Stellen seiner Werke Ausdruck ge geben. So konnte die Meinung aufkommen, May sei katholisch. In der Tat hat er aber keine Schritte getan, um in die katho lische Religionsgemeinscimsl ausgenommen zu werden. Wohl aber kann man sagen, daß er innerlich dem Wesen des Katho lizismus im Laufe seines Lebens immer näher gekommen ist. Warum „Weißer" Sonntag? F. P. in B. — „Warum wird der Sonntag Qnnsimodogeniti auch .Weißer Sonntag' genannt?" — Dieser Sonntag ist der Oktavlag des Osterfestes Am Tage vor dem Osterfeste, am Karsamstag, wurde in der Urkirche die Taufe der neu in die Kirche Ausgenommencn vollzogen Bei der Taufe legten die neuen Mitglieder der K-rche weiße Gewänder an, die sie dann während der ganzen Osterwoche trugen. Am Samstag vor dem Oktavlag des Festes wurden diese weißen Gewänder abgelegt, so daß die Neuoetausten nunmehr in ge wöhnlicher Kleidung unter den Gläubigen crjckienen. Der eigentliäie Name dieses Sonntags ist also „Dominica in albis depositis": Sonntag der abgelegten weißen Gewänder. Aus die Neugctausten beziehen sich auch in erster Linie die Worte des Introitus, die man sonst wohl als Name dieses Sonntags ver wendet: „Quasi modo gcniti — Wie Neugeborene, doch schon voll Einsicht . . ." In vielen katholischen Gemeinden ist der Weiße Sonntag der Tag der ersten hl. Kommunion der Kinder. Die gefährliche Vorfreude M S. in T. — „Warum sagen viele sie wallen sich nicht vorher freuen, sonst könnte etwas dazwischen kommen? Ich halte das für unklug. Wird eine Freude schließlich verhindert, so hatte man doch die Vorfreude!" — Natürlich ist der Brauch, vor der verfrühten Vo>freude zu warnen, bei vielen Menschen ein Sim'- Aberglaube. Aehnlich der Besorgnis, etwas zu „bcschreicn": Was man vorher allzu viel bespricht, das wird nicht Wirklichkeit. Wenn man naher zusieht, dann entdeckt man aber hinter der aberglaubsschcn - Besorgnis vor der Vorfreude etwas mehr, nämlich ein Stück auf Erfahrung der Generationen beruhender Seelenkunde. Auf jeden Gegenstand vermag der Mensch nur ein bestimmtes Blaß seelischer Energie zu lenken, lind jede Anspannuna seelischer Energie kann nur einen Höhepunkt hoben, der Lösung der Spannung bedeutet. Freut der Mensch sich also vorher allzu sehr auf ein Erlebnis, um dessen Verwirklichung er sich bemüht, dann kann es sein, daß die seelische Energie vor der Feit ver braucht wird, die innere Spannung sich löst Damit läßt dann das Interesse an der Verwirklichung des Zieles nach: die ein setzende Lässigkeit in der Vcrsolgung der urivriinoliären Absicht aber bewirkt den Mißerkolg. So kann in der Tat ein ilebcr- maß an Vorfreude zur seelischen Ursache eines Mißerwlocs werden. Damit soll natürlich nicht aesagt sein daß jed'e Art von Vorfreude schädlich wäre Im Gegenteil: Vorlrende ist an sich nützlich, sie spornt an. Nur soll man sich, wie stets, auch hier vor einem Uebermaß hüten. Marabu. Des Knaben Wunderhorn R. M. in W. — „In welchen Jahren ist die Lie-ersamm- lung von Arnim und Brentano, .Des Knaben Wundcrhorn' ent standen? Enthält die Sammlung nur Volkslieder oder auch eigene Werke der Herausgeber? Was hat der Titel zu bedeu ten?" — Achim von Arnim und Clemens Brentano unternahmen zusammen im Sommer 1802 «ine Rheinsahrt. Diese Tage fröh lichen Naturerlebens und Singens blieben beiden unvergeßlich. Zwei Jahre später, 1804, faßten sie den Plan, als ein Denk mal dieser Reise alte und neue deutsche Volkslieder aus Ein zeldrucken und Liederbüchern, vor allem aber aus dem Munde des Volkes selbst zu sammeln und so den Zeitgenossen zu zei gen. welch eine Kraft in dieser schlichten, naturnahen Kunst lebendig ist. Im Frühjahr 1805 waren die Vorarbeiten abge schlossen. Die Zusammenstellung erfolgte im Sommer des glei chen Jahres Zur Michaelismesse erschien der erste Teil im Buchhandel. Arnim war damals 24, Brentano 20 Jahre alt. Der Titel „Des Knaben Wunderhorn" stmnmt von einer Bal lade. die dem Werk gewissermaßen als Einleitung vorangestellt wurde. Das Gedicht ist von Arnim nach einer altfranzösischen Vorlage geschaffen worden. Es erzählt von einem Wunderhorn aus Elfenbein, das ein Knabe der Kaiserin zum Geschenk macht. Ein Druck mit dem Finger, und das Horn beginnt zu tönen. Das Wunderhorn erschien den beiden Freunden als Sinnbild der tönereichen, wie von selbst erklingenden Volks poesie. — Arnim und Brentano haben einen Teil der Borlagen umgedichtet, auch ein paar eigene Stücke hincingemenat. Das hat aber dem Werke nicht gesckmdet, vielmehr seine Einheit lichkeit und innere Geschlossenheit erhöht. Die nächsten Oster-Termine M. D in L. — „Auf welchen Tag wird Ostern in den nächsten Jahren fallen? Ist ein so früher Termin des Oster festes wie in diesem Jahre häufig?" — Ostern wird während der nächsten Jahre Im April liegen; es fällt 1041 auf den 18., 1942 auf den 5.. 1948 auf den 25. und 1944 mif den 9. April. Der 25 April ist der späteste unter den möglichen Terminen des Ostcrsestcs, während der 28. März der früheste ist. Auf diesen Termin fiel Osten) das letztemal im Jahre 1918; das gleiche wird erst im Jahre 2008 wieder kehren. Die meiste» von uns dürfte» das nicht mehr erleben. Auch der 24. März als Ostertag ist sehr selten. Vor diesem Jahre >var dieser Ostertermin das letztemal im Jahre 1799 da, erst im Jahre 2898 wind er wiederkehren! Da dürfen wir uns also alle mit Recht einbilden, daß wir mit dem Osterfest dieses Jahres etwas Besonderes erlebt haben! Schöpferische Menschen Voraussetzung«", Kräfte und Beweggründe ihre« Schaffen« / Von Prof. Otto Urbach 7. Fortsetzung. Was war tos Neue, Schöpferische in Kants Denken? Wie alle schöpferischen Menschen ist er sich beivußt, — zumal mit seinen drei „Kritiken" — etwas völlig Neues zu geben, „wovon selbst die bloße „Idee" bis dahin „unbekannt mar". Worin besteht seine „Revolution der Denkungsart"? — Nicht in seinem erkcnntnistheoretischen Standpunkte, der mit guten Gründen bestritten werden kann. — Wir können uns nur auf Hauptlinien beschränken. Mit Kant wurde das in ein-' zelnen Ansätzen bereits durch Kopernikus, Kepler, Galilei, Newton u. a. angekündigte neue Denken zum Prinzip alles Forschens und Denkens erhoben. Das vorkantlsche Denken be- ivegte sich fast durchweg in zwei Formen, di« wir als wissen schaftlichen „Dogmatismus" und „Skeptizismus" bezeichnen wollen. Alle Wissenschaften waren dogmatisch, d. h. sie waren in sich mehr oder weniger widerspruchslose Systeme (Gedankengebäude), die das Gedankengut irgendwelcher Bü cher, Meister oder Lehrer mit höchstens geringfügiger Kritik übernahmen. Nicht, daß die Wissensä)aften gewisse Axiome und Grundlehren anerkannten, war das Verhängnisvolle, son dern daß sie kritiklos so ziemlich das ganze überlieferte Ge dankengut als unfehlbare Richtschnur kritiklos beibehiclten. Kri tik im eigentlichen Sinne unbefangener Prüfung wurde nur am jeweiligen „Gegner" geübt. Beispiele: Die protestantische Theo logie schwur auf di« als unfehlbar gedachte Bibel und die Bckenntnisschriften, daneben galten ihr noch die Reformatoren und einige Theolpgen des 16. und 17. Iahrhmcherts als Auto ritäten zweiten Grades. Widersprüche innerhalb des eigenen Systems wurden durch allerlei Gedankenkünste ausgeglichen oder durch das brutale Verbot der Erörterung beseitigt. Nicht viel anders stand es bis zu Kants Denkreform mit der aristo- lelisch-thomistischen Philosophie, mit der Medizin, Rechtsgelchr- samkelt, Naturwissenschaft usw. Es gab zwar Richtungen oder Schulen, die jede ihr eigenes Gcdankengebäude hatten und einander widerlegten, verketzerten und womöglich beschimpften, aber In sich selbst waren auch sie streng dogmatisch. An den jeweils geheiligten Autoritäten durste nicht im geringsten ge rüttelt webden; deren Unfehlbarkeit stand vor aller Erfahrung unerschütterlich fest; wer sie in Zweifel zog, gehört sofort zu den Gegnern. So hatten alle „Wissenschaften" ziemlich das gleiche Gesicht, — es gab überall unglaublich viel zu lesen, abzuschreiben und zu lernen, aber so gut wie nichts selb ständig zu denken. Die Medizin des Mittelalters beispiels weise wurde mit der scholastischen Methode verbunden, ihre Wisscnsgcgenstände wurden auch wohl bis ins einzelne durch dacht. Aber wenn auch Zergliederungen menschlicher Leicl-en an manchen Hochschulen eingeführt waren, so bestimmt doch nicht so sehr die Beobachtung und Erfahrung, sondern haupt sächlich die Ueberlleferung das medizinische Denken. Vom Autoritätsglauben kamen die Mediziner nicht los. und ivenn ausstAhmsiveise ein schöpferischer Geist, wie z. B. Andreas Vesalius oder Paracelsus, mit einer älteren erstarrten Dog matik aufräumten, so wurden solche Reformatoren für die Folgezeit wieder zu Autoritäten, an deren Aussagen fest und unbedingt geglaubt wurde. — Es ivar also der Methodik nach völlig gleich, ob jemand Theologie, Rechtswissensck)aft, Naturwissenschaft, Heilkunde oder Astrologie, Chiromantie fHandlesekunst), Traumdeutung studierte. Noch zu Anfang des 18. Jahrhunderts wurden an den Universitäten Vorlesungen über Schicksalsdeutung aus der menschlichen Hand und zu Anfang des 19. Jahrhunderts noch gelegentlich über Astrologie gehalten. Auch diese höchst fragwürdigen „Wissenscl-aften" waren ja nicht viel anders gebaut als andere „Wissenschaften": Man hatte eine Reihe von „Autoritäten", ei» dogmatisches Schrifttum, dessen wescntlicl)er Teil zu lesen, abzuschreiben und zu lernen war, und ein herkömmliches Denkschema. In der Chiromantie >varen die vier Grundformen der Hand, die Haupt linien, die sieben Berge, die übrigen Figuren, wie Kreuze, Drei- ecke, Strahlenkronen, Sterne nebst Bedeutung genau sestgelegt. Das wurde kritiklos überliefert und geglaubt. Daß z. B. plötz liche Knicke der „Lebcnslinie" auf Unberechenbarkeit und niedere Instinkte deuten sollten, wurde gelehrt und geglaubt, weil es die Autoritäten so lehrten und überlieferten; es nach zuprüfen fiel niemandem ein. Nicht anders war es in der Astro logie. die oft — ja fast immer — auch „Hilfswissenscl)aft" der Medizin war, weil es die Autoritäten lo lehrten. Die Grippe z V. hieß Influenza, d. h. eigentlich „Einfluß", nämlich — böser Gestirne! Im Widdermonat (21. März bis 20. April) wurde der Kopf zur Ader gelassen, im Stiermonat (21. April bis 20. Mai) der Hals. Jeder Körperteil, jedes Organ stand ja In Beziehung zu einem Tierkreiszeichen. Kein Arzt hätte eine Operation an einrm Körperteil oder Organ vorgenommen, mährend der Mond In -esse» Tierkreiszeichen stand. — Mensch liche Organ«, Lebensalter, Tiere, Pflanzen, Edelsteine, Metalle, Jahreszeiten, Elemente, Windrichtungen. Aggregatzustände. Säfte, Temperamente und Farben waren In Beziehung zu den sieben Planeten und den zwölf Tierkreiszeichen gedacht, lo daß beispielsweise eine magische Beziehung vorlag zwischen Waage (Skorpion, Schütze), Herbst, Mannesalter, Erde, Norden, kalt trocken, dicht, schwarze Galle, Melancholie und schwarz. — Keine Nachprüfung, sondern Glauben ver- öas soll üer Mensch nicht trennen!'' Roman von I. Schneider-Foer st l. Verlag Oskar Meister, Werdau i. Sa. — Nachdruck verboten. 11. Fortsetzung. „Jetzt aber zurück!" kommandierte Oehme, der ein Gefühl empfand, als sei ein Gewirr Ketten von ihm abgcfallen. Sie mußten sich an den Händen fassen, um nicht umge- worscn zu werden. Abwärts hatte sie das Wasser mitgerissen. feder Schritt zurück aber war ein Kampf mit der Wucht, die huen der Höllbach entgegenstemmte. Sie krallten sich gegen- eisig die Nägel in die Handflächen, um aneinander Halt zu indcn, stapften einen Meter vorwärts und wurden einen Hal en zurückgedrängt. Das eisige Wasser staute sich vor ihrer Brust, leckte zu ihrem Scheitel hinauf und ergoß sich -wutent brannt Uber ihre Körper hinweg. Einmal strauchelte Schnellt, und wenn Oehme nicht so fest gestanden hätte, wären sie beide zu Fall gekommen. „Weißt du ungefähr, wie weit wir es noch haben?" fragte der Oberleutnant und wußte sich den Freudenschrei Schneitts nicht zu deuten, auch nicht, warum der Freund immer so mit der Hand ins Wasser tappte, wo die Lawinenschnur höhnisch auf und niederschaukelte. Dreimal hatte er sie schon erhascht ge habt, und immer wieder entglitt sie ihm. Beim vierten Male vekam er sie endlich zu fassen, ließ Oehme einen Augenblick los und siel der Länge nach hin. Der Oberleutnant bekam ihn gerade noch am Rockkragen zu fassen, ehe es ihn wieder rlickwärtsschwWmte. „Was ist denn das?" fragte er, die tanzende Schnur jetzt erst erspähend. „Meine Lawtienschnurl" rief Scknettt, nach Luft schnap pend. „Reiß nicht an ihr. Ich habe sie draußen am Trichter rand an meinen Skiern festaemacht, damit sie uns finden, wenn wir ihnen abgehen. — Fünfundzwanzig Meter also noch. Dann haben wirs geschafft! — Das gibt einen Glühwein auf der Hütte!" Aber die Freude mar voreilig, aus den fünfundzwanzig Metern wurden hundert und wieder hundert, denn cs wars sic immer wieder zurück. Mit jedem Schritt, de» sie »rächten, wurde die Gewalt des Wassers anscheinend stärker. Eisbrocken kamen ihnen entgcgengcschmommen und zerschnitten ihre Hande, prallten gegen ihre Schenkel und drohten sic zu Fall zu bringen. Mit jedem Meter, den sie hinter sich brachten, wurden sie schlapper rind kraftloser. Es fehlte nur »och, daß durch irgendeinen Umstand die Trickteröffnuno verschüttet war — dann leb wohl, schöne Welt! — Leb wohl, Batterie! — Ade, mein Regiment!... Sie dachten beide dasselbe, und Oehme. dem die Zähne vor Kälte fortwährend aufeinanderschlngcn, meinte: „Wen wird er sich wohl als meinen Nachfolger wählen, der hohe Herr? — Aber das schwöre ich ihm. daß ich meinen Geist in der Kaserne umgehen lasse. Er soll keine ruhige Stunde vor mir haben! Auch nicht im Schlaf!" Eine Eisscholle, die quer dahertrieb, traf ihn mit solcher Wucht, daß cs ihm die Bcinc wcgzog. „Jetzt wird es aber Zeit!" ächzte Schneltt, der ihn sofort hochgerissen hatte. „Es sicht ganz so aus. als ob wir als Eis heilige einen Standplatz hier bekommen sollen. — Verdammt noch einmal! Gehen wir denn niemand ab? — Sie müssen doch längst darauf gekommen sein, daß wir fehlen!" „Beim Essen vermißt man keinen!" gab Oehme frost zitternd zurück. „Selbst wen» so suchen sie uns jeden ¬ falls ganz wo anders. — Frierst du, Erwin?" „Ich bin ganz warm, Herr Oberleutnant." Oehme verzog das Gesicht, das schon halb erstarrt war. zu einem Lächeln, sah die blaue Färbung von Schneitts Wangen und stemmte sich wieder dem Wasser entgegen. „Wenn wir wirklich noch einmal hcrauskommen, gebe ich meine Versetzung ein," sagte er. „Und du kommst mit, Erwin. Sonst nimmt er dich zum Adjutanten und hunzt dich, wie er mich gchunzt hat. — Du gibst deine Bude auf und ziehst zu mir, wir —" „Ist ja alles Bruch!" siel ihm Schneit« In die Rede. „Unsere ganze Plagerei hier! — Schau doch nur —" Oehmes Augen wurden ganz weit, als er den Schneeschuh gewahrte, der ihnen entgegengeschwommen Kain. Demnach mußte der Trichter in sich zusammengestürzt sein, jede Hoffnung auf Rettung untergrabend... „Wie?" fragte Hauptmann Winbott, der eben aus den Reitstiefeln schlüpfen wollte, als der Fernsprecher schellte. Er stemmte die linke Hand gegen den Schreibtisch und horchte auf die hastende Stimme, die von der Kaserne herübersprach. — „Was? — — Jo, Himmeldonnerwetter! Wer hat denn das gemeldet? — — Die Barberhütte? Wer spricht denn eigentlich?!" „Wachtmeister Escholt. Darf ich Befehl geben, Herr Hauptmann, daß die vierte Batterie ansrückt?" „Ich komme sofort! Alles marschbereit halten. In drei Minuten bin ich am Platz." Als er die Treppe hinunterstürzte, kam ihm seine Frau mit einer Dame entgegen, die er für den Augenblick am liebsten iibcrfehen hätte. Hinter den beiden Damen kletterte ein kleines Persönchen herauf, das ihn an den Beinen ziehen wallte, aber mit einem freundlichen Klapps beiseitcgeschoben wurde. „Ich komme nicht zum Abendessen!" rief er, den letzten Teil der Treppe nehmend. „Es ist wirklich kein Grund, daß Sic weinen," sagt« Elisabeth Winbott. ihren Gast iu das Schlafzimmer geleitend. „Es war sicher nicht Mißachtung, daß mein Mann Sic nicht begrüßt hat. Vielleicht ivciß das Mädchen, warum er so rasch wcgmußte." Das Mädchen wußte nichts. Aber von der Kaserne her wurde ihr zehn Minuten später die Mitteilung gemacht, der Herr Hauptmann lasse bestellen, sie möchte Frau Oberleutnant Oehme schonend vorberciten d-rss ihr Mann vermißt sei. Mit ihm auch Leutnant Schneltt. Man vermute Absturz, da eine Lawine im Gebiet der Barberhütte nicht nlcdergcgangcn wäre. Fortsetzung folg».
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