Volltext Seite (XML)
Die Kunst und die Sitte». Die klassische und die religiöse Richtung. 5 abgesehen, daß sie in akademische Gemessenheit zurückfielen — in der all gemeinen Entartung unter. Ganz ähnlich verhielt es sich mit der religiösen Malerei, die natürlich auch unter der Regentschaft und Ludwig XV. mit dem Schmuck der Kirchen noch vollauf beschäftigt war. In ihr waren auch die Obengenannten thätig welche sonst mit Vorliebe klassische Stoffe behandelten; wie umgekehrt die jenigen, deren Hauptfach sie war (wie Restout, Pierre und Deshahs) mit gleicher Leichtigkeit zu mythologischen und allegorischen Motiven griffen. Denn Auffassung und Darstellung waren ja überall dieselben. Die Madonnen, Engel und Heiligen wurden ebenso wie die alten Helden in's Französische übersetzt und zwar in den gefälligen Typus des 18. Jahrhunderts. An die . Stelle ausdrucksvoller Empfindung trat auch hier die theatraliche, elegante Bewegung und zu entblößten Brüsten, schlank sich ausschwingenden Beinen, flatternden Genien, wallenden Gewändern und schwunghaften — wenn auch sinnlosen — Gebcrden fand sich hier gleichfalls ausreichende Gelegenheit. Nicht wenige dieser Bilder sind in drei Stockwerke eingetheilt: in dem unteren Einige aus der niederen, irgendwie duldenden oder gepeinigten Masse; im mittleren schon ein höheres Geschlecht von heiligen oder sonst bevorzugten Menschen mit aristokratischen Manieren und mehr buhlerischem als frommem Blick zum oberen Stockwerk gewendet, zum geöffneten Himmel, aus dem die liebenswürdigsten Erzengel und Madonnen, gleichsam die Blüthe des himmlischen Hofstaates, sich mit süßer Gewährung herabneigen. Das Ganze fast ein Bild der damaligen Abstufung der Stände und ihres Verhältnisses zum königlichen Hofe. Ueberhaupt war die liebste Vorstellung des Zeitalters der offene Himmel, bevölkert von leuchtenden, einerlei ob christlichen oder heidnischen Göttern, die nur das ideale Bild der feinen „Gesellschaft" waren: befreit von der Last der irdischen Mängel wie der irdischen Kleider und dem Zwange der Etikette, ganz Schönheit, Lächeln, Liebe und Genuß. Daher ganz begreiflich, daß Antoine Coypel, einer der Maler aus der ersten Hälfte des Jahr hunderts, an denen sich die Nachfolger bildeten, die Hofdamen als Göttinnen in die Versammlung des Olymps aufnahm, als er diesen, das Hauptgemälde zu einem Bildercyklns aus der Aeneide, für den Herzog von Orleans im Palais Royal darzustellcn hatte. Da es aber doch auch in dem mittleren, bürgerlichen Stande nicht an reizenden Geschöpfen fehlte, so ist es ebenso bezeichnend, daß der Sohn des Vorigen, Nikolas Coypel, diese zu Ehren brachte, indem er sie ihrer entstellenden Hülle entkleidete und in Nymphen