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Z- Ein SchictMsroman von Kans Emst Nachdruck verbalen. UrheberrechlSlchutz durch VerlagSanstalt Manz. München. 83. Fortsetzung. „Ich war nur ein wenig draußen in der Luft, Georg, und hab nach den Sternen gesehen." „Sterne?" fragte er mißtrauisch. „So, so, Sterne..." Er tappte mit den Händen nach ihr, und als er ihren Rock erwischte, verkrallte er sich krampfhaft darin. „Hterbletben, hörst du, nicht nach den Eternen^sehen! Eie können uns gestohlen werden, jawohl, die ganze Welt..." Er wurde erst wieder ruhig, als sie ganz bei ihm war und seine Hände hielt Aber er redete noch lange fort, ganz wirres Zeug, und Anna merkte erschreckt, daß er wieder Fieber hatte. Endlich fiel er aber doch zuriick und atmete schwer. Als es am andern Morgen im Stall lebendig wurde, wollten sie schon frühzeitig wetterwandern. Aber der Wirt meinte, sie sollten noch warten: auf eine Schale Kaffee komme es ihm nicht an. Und so saßen sie denn im Garten unter mächtigen Kastantenbäumen, während von allen Richtungen her die Glocken mit schönem Hall zum Kirchgang riefen. Bald brachte die Magd eine grobe Dlechkanne und zwei Tassen. Der Kaffee war gut und dazu gab es gutes Bauern brot und Butter. „Was ist das für ein Fluß?" fragte Anna. Das sei die Donau. Zehn Stunden zu Fuß, dann sei man in Passau. „Wir werden einen Wagen nehmen," sagte Georg und klimperte mit dem Geld in seiner Tasche. „Ich hätte gerne Honig zum Frühstück, ja? Herr Ober, eine Serviette, bittel Wir fitzen wohl auf der Terrasse, Anna, was? Ich spüre es am Wind Gut ist der Wind für meinen Schädel. Ich glaub, da hab ich mir gestern einen Tüchtigen zugelegt. Eine Schachtel Zigaretten, Ober! Haus Neuerburg, bittel" Die Magd lief kichernd ln's Haus und erzählte in der Küche, daß der Musikant spinne. Jawohl, sie behauptete es felsenfest, und als dann Georg beim Weggehen mit der Hand zurllckwinkte, wie ein Landrat etwa, vor dem man «inen Kni; macht, hatte sie überhaupt keinen Zweifel mehr, daß er verrückt sei. Ein Wiedersehen Anna schritt setzt mit Georg durch die Straßen der Stadt. Blicke folgten ihr nach, und sie atmete auf, als sie vor sich ein« schmale Straße sah, durch die sie den Weg nehmen konnte. „Georg, laß mich jetzt die Geige tragen I" Cie hielt kurz und löste den rechten Arm von ihm. „Nein, ich will nicht!" rief Georg und trat einen Schritt zuriick. Aber Anna hatte das Instrument schon ergrisfen, und Georg ließ di« Violine los, denn er wankte, da sein Fuß über den Randstein glitt. Er stürzte hin. In demselben Augenblick näherte sich ein Auto; die Bremsen knirschten, so daß es einen halben Meter vor dem Hingefallenen anhielt. Schneller als der Chauffeur war ein Herr aus dem Wa gen gestiegen. Er beugte sich Uber Georg. „Mein Gott! Das ging auf Leben und TodI" Damit half er dem Blinden auf die Beine. Anna stand wie vom Schreck erstarrt einen Augenblick unbeweglich da: nicht nur die Angst um den Mann, auch das Antlitz, das ihr aus dem Wagen entgegensah, bannte sie auf die Stelle War das nicht Gerda? Und die elegante Dame trat nun auch aus die Gasse heraus. „Anna! Ts ist nicht möglich!" „Doch!" flüsterte Anna, ganz bleich. „Du stehst es: ich und er!" Jetzt warf Gerda einen Blick auf Georg, der noch zit ternd dastand und dem der Chauffeur mit einer Bürste den Staub vom Anzug fegte. „Herr von Schlltthos," stellte Gerda vor. „Anna, meine Freundin, von der ich Ihnen schon oft erzählt habe." Herr v Schlltthos besah sich die beiden. Erstaunen und leichter Spott malte sich auf seinen Zügen. Das sollte die so verherrlichte Anna sein! Komisch. Und wie benahm sich ihr Mann? Er machte eine etwas ungelenke Verbeugung und sagte hüstelnd: „Georg Herold, Kapellmeister Herold." „Sehr erfreut," gab Herr v. Schlltthos zurück. „Ich hoffe, Sie haben keinen Schaden gelitten. Darf ich", er wandte sich an Anna, „Sie und Ihren Gatten zu einem kleinen Frühstück einladen? Man überwindet den Schrecken leichter." „Ja, komm mit, Anna!" bat Gerda. Anna zögerte. Aber sie bemerkte den Wunsch Gerdas, ein paar Worte auszutauschen. Und Herr v Schlltthos wartete nicht lange auf die Ant wort. „Helfen Sie dem Herrn in den Wagen," sagte er zu dem Chauffeur, „und dann Hotel Kalserhos!" Bald saßen der Direktor des Konzerthauses und der blinde Geiger auf der Terrasse des Hotels. „Du mußt mir erzählen, Anna, ich bitte dich!" hatte Gerda gemeint und war mit ihr in den Garten gegangen. Hatte Anna bisher nur wenige Worte gesprochen — jetzt, da sie mit der Freundin allein war, brach die Bitternis des Elends aus ihrem Herzen. Sie weinte nicht, aber ihre Augen waren feucht. „Gerda, das Leben ist schwer!" „Anna, ist das wirklich dein Dasein? So auf der Straße, ohne Heim, ohne sicheres Brot? Weshalb tust du das? Geh doch nach Hause! Maria hat vor zwei Wochen geheiratet." „Ich kann nicht." sagte Anna gequält. „Er will nicht. Und ich kann das begreifen!" «Ja, warum bringst du ihn denn nicht in einer Anstalt unter?" „Gerda, meinst du, ich könnte mich von ihm trennen? Ich muß den Leidensweg zu Ende gehen. Es ist mein Schick sal." Ihre Stimme war ganz leise geworden; ihr Haupt neigte sich. Aber nur ganz kurz. Sie straffte sich schnell wieder auf. „Gerda, bemitleide mich nichtl Neben dem tiefen Leid gibt es ein süßes Glück der Frauenpflicht. Nein, Gerda, was tust du? Ich will das nicht!" Gerda halt« sich an «inen Gartentisch gesetzt und aus ihrem Täschchen ein Scheckheft genommen. „Willst du mir deine Adresse sagen?" bat sie. „Meine Adresse? Ich habe keine oder nur eine: an der Seite Georgs." „Anna, du wirst das nehmen! Du würdest mich beleibi- gen, wenn du es zurückwiesest. Stell dir vor, es sei von Papa, du Treue, du!" * Während dieses Gespräches aß Georg ein klein wenig von dem zerkleinerten Schinken und trank hastig von dem schweren, herben SUdwein. Er war für Augenblicke selig. Herr v Schlltthos wußte so manches aus dem Leben des bekannten Kapellmeisters Herold Und er erzählte davon. „Wiederholen Sie, bitte," unterbrach ihn Georg mehr mals „Ich konnte Sie nicht verstehen, mein Husten ist manchmal schrecklich Entschuldigen Sie!" Nun kamen die beiden Damen heran. Jetzt erst horchte Georg auf die fremde Stimme. Klang sie nicht bekannt? „Wer ist...?" wollte er sagen, doch er unterdrückte die Frage. „Anna, wir müßen gehen. Wir gehören nicht hierher." Seine toten Augen richteten sich Gerda zu. Sein Ausdruck war seit langem wieder klar, ruhig und gefaßt. „Darf ich danken?" fragte er dann. Er streckte seine Hand aus. Und Gerda ergriff sie kurz. Er wollte sich herabneigen, aber dann ließ er die klein« Hand los. „Es wäre... es ist... komm, Anna, führe mich!" Inzwischen hatte Anna sich von Herrn v. Schütthof ver abschiedet. Sie reichte nun Gerda die Hand und wurde von ihr auf die Stirne geküßt. Die beiden schritten die breite Stelntreppe hinunter und verschwanden um die Ecke. Georg schwieg Er trottete teilnahmslos dahin, bis Anna sagte: „Georg, wollen wir uns nicht ei» o»h»s Quartier suchen?" Jetzt blieb er stehen. „Ein gutes Quartier? Womit? Damit nicht! Nein, Anna!" Er hatte also erraten, daß Gerda sich ihrer angenommen hatte. , Im einsamen Fischer Haus Es war der letzte Tag, an dem sie wanderten. Am Abend kamen sie an ein einsames Fischcrhaus am Fuße eines mächtigen Waldberges. Sie waren viele Stun den die Donau abwärts gewandert, ohne auf eine mensch liche Siedlung gestoßen zu sein, sonst hätten sie schon früher Rast gemacht; denn Georg hatte hohes Fieber und konnte sich nur noch mit Mühe weiterschlcppen. Hier saßen sie nun auf der Bank vor dem Haus, das unbewohnt zu sein schien. Denn weit und breit mar kein Mensch zu sehen und die Türe war versperrt. Drüben am anderen User lag ein freundliches Dorf, des sen Kirchturmspitze im Abendschein wie sprühendes Gold funkelte. Der Wind trug fröhliche Stimmen über den brei ten Strom, Musikspiel und Helles Mädchenlachen. Drüben wird wohl ein Fest gefeiert, und der Fischer wird auch dabet fein, dachte sich Anna; er wird vielleicht erst spät in der Nacht Heimkommen und ungehalten sein, daß er zwei Men schen vor seiner Türe findet, die Ihm iremd sind und von denen die Frau ein Lager für den Mann verlangt, der krank ist. Während Anna sich dies alles überlegte, tauchte zwischen den hohen Stämmen ein alter Mann aus, der aus die Hütte zuging und garnicht unfreundlich fragte, ob sie hinüber gerudert fein wollten. „Ich bin nämlich der Fährmann," fetzte er hinzu und warf einen Pack Kräuter unter die Hausbank. „Nein," antwortete Anna. ..Wir möchten gerne hier bleiben. Hatten Sie kein Lager frei für meinen Mann? Er ist so krank." „Krank?" fragte der Mann und betrachtete Georg, der bleich und mit schlotternden Knien aus der Bank saß. „Ja, ja, er hat Fieber, das steht man. und ich werde ihm einen Trunk gegen das Fieber brauen " Der Mann erwies sich viel hilfsbereiter, als Anna er lm ersten Augenblick erwartet batte. (Fortsetzung iülgt > John Wanamaker geht spazieren Neujahr am 18, Januar Nicht überall in England wird das neue Jahr am 1. Januar begonnen. In der Nähe von Jishguard in Westwales liegt eine kleine Ortschaft The Gwaun. Hier lebt eine Hand voll Menschen, die sich mit Händen und Füßen dagegen sträu ben Neujahr am 1. Januar zu feiern. Als nämlich in England im Jahre 1752 der Gregorianische Kalender eingesührt wurde, waren die Einwohner von The Gwaun der Ansicht, sie würden um dreizehn Tage ihres Lebens betrogen. Also beschlossen sie, das neue Jahr immer am 13. Januar zu beginnen, und so haben sie es auch bis heule gehalten. Am 13. Januar liegt alle Arbeit still. Dagegen ziehen die Arbeiter mit einem Sack« auf dem Rüchen von Farm zu Farm, um ihre Neujahrs speichen elnzusammcln. Heute bedeutet das nur noch eine Formalität. Diese Sitte stammte aus der Zeit, als die Löhne in Westivales noch sehr niedrig waren. Eine angenehme Ueberraschung Steuern zahlen ist wohl auf der ganzen Welt eine Pflicht, der man mit recht gemischten Gefühlen nachkommt. Daß es aber auch Orte gibt, wo eine hohe Behörde anläßlich des Weih nachtsfestes Ihre Steuerzahler mit dicken Weihnachtspaketen, Wein und Zigarren beschenkt, ist lecher eine Sitte, die sich noch nicht überall durchgesetzt hat. So aber geschah es in dem kleinen Ort Paralcda de la Mala In Nationalfpanien lPro- vinz Eaceres).. Das Erstaunen der Einwohner dieses Ortes war groß, als die Stadtverwaltung jedem einzelnen von ihnen zu Weihnachten ein umfangreiches Paket übersandte, ent haltend: ein Huhn, X Dutzend Eier, zivet Brote, eine Flasche Wein, Liter Oel, X Pfund Weihnachtsgebäck, eine Schachtel Marzipan, eine Zigarre und schließlich je «in Bich des Gene ralissimus Franco und des Gründer» der Falange, Iosü Anto nio Primo de Rivera. So geschehen im dritten Jahr des spanischen Krieges. Mit den von der roten Propagaicka ver- breiteten Gerüchten, in Rattonalspanien fehle es an Lebens mitteln, kann es wohl nicht so weit her sein. Durch die Straßen von Philadelphia geht ein alter Mann. Die Leute sehen ihm nach und stoßen sich an: „Da geht John Wanamaker." Der bekannte Warenhauskönig und Generalpostmeister deut scher Herkunst macht seinen täglichen Vormittagsspaziergang. Das Ziel ist immer das gleiche: die Ecke von Mantons-Street und der 2t. Straße. An dieser Stelle stand vor 87 Jahren das Nein« weiße Haus mit den grünen Fensterläden, in dem John Wanamaker zur Welt kam. Heute erheben sich an der Stelle vtelstöckige Häuser, aber in John Wanamaker können sie die Er innerung an die Zeit nicht auslöjchen, als er in dem kleinen Garten spielte: ein sommersprossiger, lebhafter Junge, der in der Ziegelei feines Großvaters seine ersten Cents verdiente. Der groß« millionenschwer« Mister John Wanamaker geht träumend durch di« Straßen von Philadelphia. Plötzlich wird er von er von hinten heftig angestoßen, er stolpert und gerät mit den Füßen in einen aufstäubenden Haufen von Kalk und Sand. Er steht vor sich «inen atemlosen Jungen, rothaarig, sommersprossig, mit «in wenig abstehenden Ohr«n, der eine Ent schuldigung stammelt: „vog xour parckon, Siri" Mister Wanamaker, aus feinen Gedanken ausgeschreckt, will ihm begütigend auf di« Schulter klopfen, aber der Jung« ist schon wieder verschwunden. An der Straßenecke tritt jemand aus Mister Wanamaker zu, «in wohl zehnjähriger, rothaariger Junge. Er deutet auf Mister Wanamakrrs Stiesel: „Die müßen aber nötig geputzt werden, Sir". Da» ist richtig, Mister Wanamaker hat noch gar nicht ge- merkt, daß sein« Stiesel über und über bestaubt und schmutzig sind, weil «r bet d«m Zusammenstoß in den staubigen Kalk haufen getreten ist. Der Jung«, der an der Straßenecke sein kleines Gewerbe rmoübt, bürstet und schmiert und poliert emsig, um Mister Wanamaker» Schuh« in Hochglanz strahlen zu laßen. Mister Wanamaker lächelt. Er hat nicht nur längst den rothaarigen, sommersprossigen Jungen wiedererlannt, der ihn in den Kalk haufen schubste, er hat nicht nur in einem Winkel den schlecht versteckten Sack mit Kalk und Mörtel entdeckt, sondern er hat auch schon den Geschöststrick des Schuhputzers ergründet, der darin besteht, Passanten durch einen zufälligen" Zusammenstoß dte Stiefel schmutzig zu machen, um dann Mhn Cents an ihnen zu verdienen. Mister Wanamaker deutet auf den schlecht ver steckten Sack, deutet zurück in die Straße auf den Kalkl-auscn. „Nun?" fragte er. Der Junge wird so rot, daß seine Sommer sproßen fast wie Helle Punkte aus feinem Gesicht stehen. „Mein Busineßtrick", stottert er verwirrt. Mister Wanamaker lacht unbändig. Dann wird er ernst „Wie heißt du?" fragt er. «Eddie Smith", sagt der Jung« voller Angst. „Well, Eddie", sagt Mister Wanamaker und zupft ihn ein wenig an dem roten Schöps, „Du hast gute Ideen, sie müßten nur ein wenig reeller sein. Weißt du nicht, was Wanamaker groß gemacht hat?" ,T>aß er die Leute nicht betrügt!" „Siehst du, Eddie, deswegen ist Wanamaker zu dem ge worden, was er Ist." „Ein bißchen Kalk wird er auch irgendwo haben, Str", meint Eddie. Wieder lacht Mister Wanamaker, und wieder wird er ernst, sogar sehr ernst. „Eddie", sagt er, „versprich mir, daß du ein fairer Busineß« man werden wirst. Wenn du das Versprechen hältst, wirst da ein wohlhabender Mann sein." „Pes, Sir", sagt Eddie und streckt ihm treuherzig Vl4 Hand hin. , > Im Frühjahr 1923 erhält Mister Edward Smith, ber an gesehene Inhaber «ine» kleine» Schuhgeschäjtr» i« Philadelphia