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Vie 8trake Nm Sonntag bekam Frau Harris die Nachricht, ihr Sohn James würde möglicherweise aus dem Gefängnis entlassen werden. Das Urteil damals lautete: fünfzehn Jahre. Vier Jahre hatte er davon verbüßt. Die Begnadigung wäre wohl vor allem die Frucht seines vorbildlichen Verhaltens. Frau Harris weinte und lachte in einem. In der Nacht sand sie keinen Schlaf. Noch im Morgengrauen spann sie rosige Zukunststräume für den Sohn. Dieser Raubüberfall mit tödlichem Ausgang war ein Ver zweiflungsakt gewesen, eine furchtbare Verirrung, für die Frau Harris in diesen langen Jahren mitgebüßt hatte. Ihr schloh weißes Gesicht, ihr greises Haar legten Zeugnis dafür ab. Jetzt war »in warmer Schimmer in ihren Zügen und blieb tagelang darin. Am Donnerstag aber kam Joan zu Frau Harris. Sie hatte wilde Augen. Ihr Mund zuckte unablässig. Sie hatte soeben von dieser unerwarteten Wendung gehört. Sie sprach mit James' Mutter bis in die Nacht hinein. Und als sie ging, blieb Frau Harris lange bewegungslos auf dem alten, geblümten Sofa liegen. Dies war ein Leid jenseits aller Tränen. So kam der Besuchstag. Frau Harris raffte sich auf. Pünktlich um zwölf stand sie vor dem dreifachen Portal. Jedes einzelne Tor konnte erst geöffnet werden, wenn die andern beiden geschlossen waren. Sie ging die gewohnten Gänge zwischen den Zellenblöcken bis zu dem Trakt, In dem James untergebracht war. Hinter dem engmaschigen Gitter wartete er schon mit freudiger Un geduld. Sie sah sofort, daß alles noch schwerer sein würde, als sie's befürchtet hatte. Und zum erstenmal seit langem bemerkte sie wieder seine quergestreifte Montur. „Wo bleibt Joan?" fragte er alsbald. Dabet versuchte er zerstreut mit dem kleinen Finger durch eine Masche zu bohren. St» schwieg noch. Er aber sprudelte: „Du scheinst dich gar nicht zu freuen, Mutter. Aber du hast recht. Es ist noch nicht gewiß. Es kann auch gut noch zwei, drei Jahre länger dauern. Möglicherweise wird nie etwas daraus. Es ist alles eine Raum frage. Auburn, Clinton, Michigan City, alles überfüllt Wenn sie so viel Gefängnisse bauen könnten, wie sie brauchen, dann hätten wohl die wenigsten Aussicht auf Entlassung. Was sagt denn Joan dazu? Das hat sie sich nicht träumen lassen, wie? Möglich, daß wir alle zusammen den Weihnachtstruthahn essen." „Das wäre sein", sagte die Mutter langsam und strich wie liebkosend über einige der harten Maschen. Dann aber, ein wenig schneller: „Ich muh dir etwas sagen, mein James Durch diese plötzliche Aussicht ist Joan ganz verstört." „Wird sie etwa nicht kommen?" „Nein, James, diesmal nicht." „Was heißt das? Ist ihr der freudige Schrecken so in die Glieder gefahren?" Die Mutter hielt die Augen gesenkt. „Sie hatte sich schon mit dem Gedanken abgefunden, daß du —" Sie konnte den Satz nicht beenden. James lachkehäßlich. daß ich immer hicrbleiben würde? Hinter der gußeisernen Tür? In meiner kleinen süßen Zelle? Das ist ja genug für mich. Vier Fuß breit — sechs Fuß lang. Was will man mehr vom Leben? Und Joan hat sich abge sunden! Sich mal an." „Vielleicht hat sie zu dir nicht mehr dasselbe Verhältnis?" sagte die Mutter tonlos. Er aber fuhr sie mit heißer Stimme an: „Wag sprichst du da?! Jeden zweiten Freitag im Monat ist sie HIergcwesen. Immer die weite Bahnfahrt! Neulich hatte sie ihre kleine Schwester bet sich, Katherine, ein entzückendes Kind. Da sagte ich: Wenn ich einmal freikommen sollte, werden wir beide so ein Kind Wie sie mich da angesehen hat! Den Blick vergeß ich nie." „Und doch glaube ich", sagte die Mutter, „daß sie sür dich nur Mitleid fühlt. Was würdest du tun, wenn sie sich in letzter Zeit einem andern zugewandt hätte?" Sein Gesicht wurde dunkelrot vor Zorn. „Ich habe dieses irrsinnige Verbrechen Joans wegen auf mich genommen. Keiner hat es durch mich erfahren, daß Ich ihre Unterschlagung decken wollte. Ist sie nicht heute noch Kassiererin? Wem verdankt sie ihre Rettung, wenn nicht mir?" Und mit einer mürben Stimme fügte er hinzu: „Und auch ich hätte gerettet werden können, wenn nicht Lamb. dieser falsche Freund, gegen mich ausgesagt hätte. Wer Von /^rnolä Kr!exser zwang ihn dazu? Niemand! Aus Feigheit hat er mich «ns Unglück gebracht. Wenn ich dem Halunken noch einmal be gegnen sollte —I" „Mein Kind", sagte Frau Harris, „ein Unglück wäre es für dich gewesen, wenn du nicht hättest büßen dürfen." „Za, aber jetzt will ich raus!" erwiderte er leidenschaftlich. „Und ich werde mir Joan holen!" Eine Woche später um dieselbe Stunde kam die Mutter wieder zu ihm. „Ioan hat noch nicht an mich geschrieben", sagte er unruhig. „Gib Ioan auf, mein armer James! Ich muß es dir heute sagen: Sie hat sich wirklich einem andern Manne zugewendet. Schon vor einiger Zeit. Sie will ihn heiraten. Sie ahnte nicht, daß du heraus " „Das ist nicht wahr", unterbrach er drohend. Er hörte nicht mehr, was sie sonst noch sprach. Sie weinte vor sich hin, und sie schwiegen für den Nest der Sprechzeit. Das nächste Mal war ein Beamter dabei. Hatte sich James' Betragen verschlechtert? Lange hatte er den Vorzug genossen, unbewachte Gespräche führen zu dürfen. „Ich hab' es dir nicht so Ins Gesicht sagen mögen, James! Joan ist bereits verheiratet! Auch ich habe es erst jetzt er fahren." Da ächzte er heraus: „Lange schon?" Sie nickte unendlich langsam. „Alles Theater und Possenwerk? Sie hat es mir unter schlagen? Aus Mitleid, wie? Sie ist groß im Unterschlagen. Wahrhaftig!" Wie ein schwefliger Blitz durchfuhr es ihn, und er brach bei diesem Gedanken in ein Gelächter von Wut und Ohnmacht aus: „Dann ist die Kathrine vielleicht gar nicht ihre Schwester, sondern ihr — Kind?" Frau Harris schwieg. Er aber schlug mit den Fäusten gegen das Gitter. „O diese geliebte Ioan. Ist sie nicht großartig? Und ihr Töchterchen gleicht ihr! Welch eine Verstellung! Sie wird es treiben wie die Mutter." Meinend schlug er den Kopf an die Maschen. Dann führte man ihn weg. Und wieder war ein Freitag. Die Augen des Gefangenen leuchteten fiebrig. „Mutter, in der nächsten Woche entscheidet die Entlassungskommission über mich. Der Warden hat gesagt, es sei mehr als wahrscheinlich, daß ich ranskomme. Bete für mich. Mutter. Und ich sage dir, ich hole mir Joan dennoch. Sie liebt nur mich. Ich weiß cs. Das andere war eine Ver irrung. Es geschah in der ersten Vcrnvcislunq. Sie hatte nicht die Kraft, sich zu lösen. Paß aus, Mutter, wir essen doch noch den Truthahn zu Weihnachten." „James, du hast Fieber." „Die Nacht war so lang." — „Du hast nicht geschlafen?" „Ich hörte immerzu den Ventilator singen, Mutter." „James, komm einmal dicht heran, so, noch dichter. Und nun sei tapfer. Du mußt dir Joan aus dem Kops schlagen. Sonst geht es nicht gut aus." „Ich werde ihr nichts tun. Mutter " „James, reich mir deine Finger. Hier sind meine Finger spitzen. Fühlst du mich?" „Ich fühle dich, Mutter." „So will ich dir das Letzte sagen. Du darfst aber nicht so zittern. Joans Mann heißt Lamb." Totenstille. Dann ein kleines, leises Brüllen. Und wieder Stille. James will etwas sagen. Seine Lippen haben sich ver färbt. Die Augen brechen fast vor Haß. Dann werden sie selt sam eng. „Um Gottes willen. James." Er taumelt davon. Die Wache muß ihn stützen. Frau Harris hat verstanden, was in seinen Augen kochte. Sie weiß, es gibt nur eine Hoffnung, das Entsetzliche zu ver hüten. — In der St.-Patricks-Kathedale liegt eine Beterin auf den Altarstufen. Eine Mutter betet zur Mutter Gottes — betet zur Gnadenreichen, ihr Sohn möge keine Gnade finden vor feinen Richtern, und in der Haft bleiben im Gefängnis, aus Laß er nicht Schaden nähme an Leib und Leben. So kommt der Dienstag, an dem cs sich entscheidet. Der Name James Harris ist nicht unter den Ausgerufenen! Anderthalb Jahre später durste er die Zelle verlassen. Er blieb mit seiner Mutter zusammen. Joan wurde nicht mehr zwischen ihnen erwähnt. Loi n6li8 in Mten Von Lknrlotte Ersinn Es war ein schöner At.'nd mit Gold in den Wölkchen und einer purpurnen Fahne im Westen. Der Dust der Felder stieg würzig wie Weihrauch, und die Vögelein waren beim Ave singen. So schön war die Welt, um dem Wind auf den linken Flügel zu küssen! Cornelis hätte jauchzen können. Gleich hinter den dreizehn Birkenstämmchen lehnte sein Haus, klein und weißgekalkt und unter einem Strohdach ver borgen, und um dieses Haus zog sich ein Gärtchen, und hinter dem Gärtchen wuchsen die Felder. Das alles war sein Eigen tum, und hatte sein Vater ihm hinterlassen. Es war zwar kein reicher, geschweige denn gar ein stolzer Besitz, aber es war doch fruchtbarer Boden und vom Herrgott gesegnet, und Cor nelis hätte mit keinem getauscht, denn er war drin verwurzelt wie just eben die Birken. Zwar hatte er rüstig schassen müssen und den jungen Rücken ost kräftig krümmen, denn macherlei Not war ins Land gefahren in den letzten drei Jahren und hatte den Vater ins Grab geworfen und unter dem Vieh manch Unheil gestiftet, doch nun begann seine Erde zu blühen und wahrhaftig zu schwelgen, und wenn keine bösen Wetter kämen, durste er sich seiner Ernte schon freuen und — das tat er von Herzen! Er betete, wie seine Väter gebetet, und sang, wie seine Mutter gesungen, allabendlich, wenn der Friede gekommen. Doch sonst blieb er wortarm und dürr aus der Zunge und hielt sich zurück von den anderen Leuten, und sein Hof lag so einsam, als sei er vergessen. „Heute wird sie vorüberkomme» . . ." Cornelis wog einen süßen Gedanken, Seit ihm sein schönes Ländchen in die Finger reiste, schickte er heimlich sein Herze spazieren — ein grundebrlich Herzet Dem' nun war »0 Zeit. Nun durste er 's wagen. Docy ganz leicht war es nicht, die Rechte zu finden, denn Cornelis hegte besondere Wünsche auf sternblaue Augen und Grübchen beim Lachen — (wie er es irgendwo mal ge sehen) —, auch sollte sie nußbraune Zöpfe haben und nicht zu schlank und zerbrechlich sein, doch auch wiederum nicht wie ein Nierschrot gewachsen — kurz, Cornelis hätte sie malen können, wie er sie dachte, die er sich suchte, und überall hielt er dis Augen weit offen und spähte nach allen Seiten weit aus, doch noch nirgends war ihm sein Bild begegnet. „Wieviel leichter ist's, eine Kuh zu kaufen, als sich das richtige Weib zu erstehen!" seufzte er heimlich, und recht mochte er haben. Nun hatte Cornelis ein Mädchen gesehen, das den Milch karren rührig vorüberrollte allabendlich, um dieselbe Stunde, und zwar auf dem Weg hinter dem Gärtchen. Er war der kürzeste Weg zum Städtchen, doch eben nur schmal und schwer zu befahren. Cornelis kannte das Mädchen nur flüchtig, doch er wußte, daß sie Brigitta hieß und drüben beim Bauern Zoom tüchtig wirke und eine Verwandte der Bäuerin war. Zwar lachte Brigitta ohne die Grübchen und batte Ko rinthenaugen im Kops« und ein schimmerndes Weizenblond um Den Scheitel, aber Cornelis sah sie doch gerne. Bei der Kir mes wollte er sie dann Litten, die schönsten Walzer mit ihm zu tanzen, und er würde ihr Aachener Printen kaufen und sie vom Süßesten naschen lassen, solange sie wollte. Und wenn'sie im Karussellschlitten sausten, würde er ihr zwei Küsse schenken, wie Zuckermandeln vom Himmel gefallen — schön würde das werden! Und Weihnachten hielten sie dann Verlobung, und di« Hochzeit könnte zu Pfingsten steige», und wer weid Limnal eine 8eklsnge sein Plauderei sm ^Vockenenäe Von Usrsbu. Die Frauen hören es nicht gern, wenn zornmütige Männer sie mit Schlangen vergleichen. Was mich be trifft, ich würde so etwas nie sagen, denn ich habe nichts gegen die Schlangen. Und ich begreife auch nicht, was die Frauen dagegen haben. Denn die Schlangen haben mindestens eine Eigenschaft, die von Frauen stets ge schäht war: sie sind schlank. Gar manche Frau könnte in diesem Sinne die Bezeichnung „Schlange" als Kompli ment empfinden und dem zürnenden Gatten auf diese Anrede erwidern: „Alter Schmeichler!" Gewiß sind die Giftzähne der Schlangen nicht sehr sympathisch. Aber die Neißzühne und Krallen der Löiven und Bären sind auch nicht sympathisch. Dennoch denken wir an Löwen und Bären keineswegs mit dem Ekel und der Verach tung, die wir den Schlangen zuwenden. Uebrigens gibt es auch Schlangen, die keine Giftzähne haben: gerade die größten Strien gehören dazu. Auf Handtaschen und Schuhen finden wir die Haut der Schlangen plötzlich nicht mehr ekelhaft. Auch das deutsche Märchen kennt den allgemeinen Abscheu vor der Schlange nicht, den viele von uns sich ancrzogen haben. Da taucht ab und zu ein Schlängleln mit einem goldenen Krönlein auf, das sich als guter und hilfsbereiter Geist erweist. Ein Wunsch in den Hundstagen. Ich jedenfalls habe mir schon manchesmal ge wünscht, ich könnte eine Schlange sein. Wenigstens aus Zeit . . . Jetzt z. B. in den Hundsiagen, da die Hitze doch manchmal recht heftig drückt (wenn nicht gerade wieder einmal Gewittergüsse die Landschaft überschwem men), stelle ich es mir als recht vorteilhaft vor. sich in eine Schlange verwandeln zu können. Man würde sich dann in die Sonne legen, behaglich zu einen« Ning rol len und sich die ganze Freundlichkeit des himmlischen Gestirns zukommen lassen. Stundenlang könnte «narr das aushalten. Der Mensch darf so etwas nicht wagen, sonst erwirbt er eine«« granatigen Sonnenbrand, der ihm auf Wochen hinaus das Leben verschönt. Aber habe«« Sie schon einmal gehört, daß eine Schlange Sonnen brand bekommen hätte? Wenn man dann aber trotzdem genug hätte von der Wärme des freundlichen Tagesgestirns, dann würde man sich zwischen Steine und Blattpflanzen zurück ziehen, wo es angenehm kühl ist. Und wenn es regnen sollte — Schlangenhaut ist besser als der beste Regen- mantel. Man würde vom Sommer viel mehr haben, wenn man so viel näher der Erde märe, zwischen all den blühenden Pflanzen und dem frischen Grün, mit den« sie sich geschmückt hat. Eine Schlange müßte man sein, dann hätte man mehr von den Hundstagen! Beneidenswerter Schlangenmagen. Bedenken Sie, welche Vorteile man allein beim Essen hätte, das an heißen Tagen doch wirklich nicht zu den Annehmlichkeiten des Daseins gehört! Wie schwer fällt einem bei großer Hitze das Kauen, besonders wenn es sich um trockene Speisen handelt und kein helfender Trunk in der Nähe ist! Die Schlange denkt gar nicht daran, zu kauen, sie schlingt nur, schlingt mit Energie und Behagen. Sie hat offenbar auch kein Bier nötig, «im ihrer« Durst zu löschen, sie ist viel glücklicher konstru iert als einer der aufrechtschreitenden Söhne der Mut ter Erde. . . Und wenn die Kochkunst der Hausfrau einmal ver sagt — das kann der besten Köchin passieren und ist keine Schande — dann wünscht inan sich mit Recht einen Schlnngenrnagen, um das mißglückte Gericht mit An stand, aber auch ohne Schade«« sich einverleiben zu kön nen. Mit einem Schlage wäre man dann von allen Sor gen des Kochtopfes befreit — was könnte einem in die ser Beziehung noch passieren, wenn man als Schlange ohnehin Tag für Tag „Schlangenfraß" gewohnt wäre? Uebrigens gelten Schlangen als gefräßig. Von ihnen wird behauptet, daß sie ganz gewaltige Quanti täten auf einmal zu sich nehmen können. Welch ein Glück, solch eine schlangenhafte Kapazität des Magens zu besitzen, wenn wir einmal an eine besonders wohl-