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STELEN, CIPPEN ODER DENKSTEINE. TITELBLATT. TAFEL XXXV. In den frühesten Zeiten schon war die Sorge um die Hingeschiedenen der Menschen innigste An gelegenheit. Die Ueherreste geliebter Verstorbener wurden verehrt, ihre Ruhestätten ausgezeichnet, und mit Beziehungen auf das Schicksal des Todten geschmückt. Sie waren der Ort, wo die Hinter bliebenen sich ernsten, ahnungsvollen Betrachtungen über ein Jenseits hingaben, in deren Nähe sie gern verweilten, und wo sie oft. selbst ihre Wohnsitze zur steten Verehrung aufschlugen. Unter sol chen Betrachtungen entwickelten sich nach und nach die Religionsansichten und deren verschieden artiger Cullus. Es entstanden dabei die Bedürfnisse eines engeren Zusammenlebens, Grundeigenthum, Bewirthschaftung, Einrichtung bequemer Wohnungen, würdig ausgeschmückt für Götter und Men schen '). Unter allen Völkern war es aber vorzüglich den Griechen vergönnt, auf dem angedeuteten Wege, durch natürliche Anlagen begünstigt, zu jener sinnigen Kunstausbildung zu gelangen, die wir in ihren Monumenten bewundern und jetzt noch als die besten Muster anerkennen müssen. Von den verschiedenen Grabdenkmälern, welche in neuerer Zeit wieder aufgefunden wurden, be trachten wir hier nur eine gewisse Gattung, nämlich die häufig von den Atheniensern aufgestellten Grabübersätze, Epithemen oder Stelen. Sie bestehn gewöhnlich aus einer dünnen aufrecht stehenden Marmorplatte von dem Verhältnifs, Avie die auf unserer Tafel bei 1. dargestellte. Auf der Vorderseite des Schaftes dieser meist konischen Platten befindet sich dann häufig eine Inschrift, wie z. B. bei 4. Oft nur der Name des Verstorbenen, und darunter der letzte Abschiedsgrufs XAIPE (freue dich! lebe wohl!). Auch Rosetten oder eigentlich Schalen findet man auf solchen Steinen in erhabener Arbeit zum Andenken des dargebrachten Opfers. Oefters sind auch Relief-Darstellungen, Abschiedsscenen, Weihungen, Andeutungen aus dem Kreis des Dionysos und der Mysterien, darauf abgebildet. Oben war die Platte stets mit einem leichten Gesims versehen, über welchem sich dann ein geweihter Gie bel oder ein verzierter Aufsatz erhob und das Ganze bekrönte. Die Stele 1. zeigt uns ein ebenso vorzüglich schönes als wohl erhaltenes Beispiel aus der blühend sten Kunstepoche der Bildnerei. Die Darstellung darauf, ein junges Mädchen, welches eine Büchse oder mystische Ciste in der Hand trägt, scheint Portrait-Figur zu sein. Diese Sculptur ist ähnlich flach im Relief gehalten, wie die Panatheneischen Züge am Parthenon, und vielleicht ein Jugendwerk des selben Meisters. — Unter dieser Platte hat vermuthlich einst noch ein Untersatz oder Plinthe gelegen (etwa ö Zoll hoch). Der Aufsatz dieser Stele verräth gleichfalls die Zeit des schönsten Styls, und ist mit der gröfsten Sauberkeit ausgeführt 1 2 ). Seine Verzierung besteht aus zwei Voluten oder Wid derhörnern und einer Palmette (dem Symbol des Friedens und der Vollendung), welche aus einer Lotusblume entspringen. Das Ganze ist Hautrelief, doch an den äufsersten Umrissen kein Grund sichtbar, wie bei den vier folgenden Beispielen. Unter 2. ist der Aufsatz einer Stele vorgestellt, welche unter den Trümmern des Tempels der Themis zu Rhamnus gefunden wurde. Auf der Vorderseite war in einer Vertiefung eine Abschieds scene in R.elief dargestellt (ein Mann, welcher von einer sitzenden Frau Abschied nimmt, indem sich beide die Hände reichen). Die Bekrönung zeigt aus Akanthusblättern entspringende Palmetten oder Blüthenblätter in der Mitte und Sprossen an der Seite. Der Umrifs des Aufsatzes ist nach dem Or nament auf beiden Seiten symmetrisch gebogen. Die Tafel war ohne den Aufsatz etwa 1| Fufs hoch, unten I Fufs 0,4 Zoll, und oben (unterhalb der Krönungsglieder) 11,0 Zoll breit; ihre Rückseite war rauh gelassen, vermuthlich stand sie damit an einer Wand. 1) Nach dieser kurzen Andeutung verweisen wir auf ein ausführliches kostbares Werk: Die Gräber der Hellenen, von O. M. Baron von Stackeiberg. 1837. 2) Eine Zeichnung dieses Aufsatzes haben wir in den in der Vorrede erwähnten klassischen Verzierungen etc., in na türlicher Gröfse, scliattirt gegeben und mit mehreren Prolilen versehen.