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DORISCHE ORDNUNG, VOM TEMPEL AUF DER INSEL ÄGINA '). TAFEL XXIII. Oieser in jeder Hinsicht höchst interessante Tempel wurde wahrscheinlich bald nach dem Siege über die Perser, um Olympiade 75., erbaut; er war dem Zeus Panhellenios *) geheiligt, und stand auf einer Anhöhe, welche einen Theil der Insel beherrscht. Aus der Untersuchung der Ueberreste dieses Tempels 3 ) geht hervor, dafs er zu der Gattung Pe- ripteros gehört hat; mit sechs Säulen unter jedem Giebel und mit zwölf Säulen an jeder langen Seite, die Ecksäulen mitgerechnet. Die Cella war durch zwei Reihen von je fünf Säulen, der Länge nach, in drei Schiffe gctheilt, deren Mittleres vermuthlich ohne Decke war, wie beim grofsen Tempel in Pästum und andern von der Gattung des Ilypätbros. Aul'ser dieser Einrichtung der Cella hat der Grundrifs viel Aehnlichkeit mit dem vom Tempel der Nemesis auf unserer Tafel XVI. Beide Portiken des Tempels auf Aegina hatten nur die verhält- nifsmäfsig geringe Tiefe, wie diejenige an dem Opistodom des Tempels der Nemesis. Der Architrav der Cella konnte daher, von keiner der Anten aus, mit dem des Pteroma’s in Ver bindung stehen, obgleich beide in gleicher Höhe liegen 4 ). Die Achsen der Säulen des Pteroma’s stehen nicht senkrecht, sondern um etwa des untern Säu lendurchmessers gegen die Cellenwand hinein geneigt 5 ). Die Säulenstämme haben eine Schwellung (Enfasis), welche ^ des untern Säulendurchmessers beträgt 6 ). Das schöne Verhältnifs der Säulen, so wie auch die gediegene Form des Capitäls, zeigen uns hier das früheste Beispiel von der hohen Ausbildung des dorischen Baustyls noch etwas vor dem perikleischen Zeitalter. Dies ist nicht in gleichem Grade bei dem eben so alten Tempel in Pästum 7 ) der Fall, und bei dem wahrscheinlich noch altern Tempel zu Korinth *), wo die Säulen sehr stäm mig sind, und die Profile an den Capitälen mit stark gebauchten Wülsten scharfwinklich und weit ausladen, während unser Muster an diesen Theilen ein sanft ansteigendes kräftiges — sich gleichsam 1) Antiquilies of Junta, pubüshed by tfie Society of Dileltanti. Ferner: Expedition scientißque de Moree, ordonne par le Gouvernement frangais. 2) Nach Pausanias I. 2. c. 30. Dagegen verinuthcte der Herr Baron von Stackelherg nach einer Stelle im Herodot, III. 59., dafs derselbe der Minerva geheiligt gewesen sei. 3) Aus der Lage der Stücke schliefst man, dafs er durch ein Erdbeben zusammengestürzt worden sei. 4) Merkwürdigerweise liegen die äufsern und innern Architravc bei den beiden Tempeln, welche Ictinus erbaute, nicht gleich hoch. Beim Parthenon liegt der Architrav der Cella höher als der des Pteroma’s; beim Tempel zu Bassä (unsere Tafel II.) findet aber der entgegengesetzte Fall statt. 5) Eine ähnliche Neigung haben auch die Säulen am Thcscion und am Parthenon. Bei den Säulen jonischer und ko rinthischer Ordnung, welche von geringerer Verjüngung und schlankerer Gestalt als die dorischen sind, ist, wie Vitruv be richtet, die nach innen geneigte Stellung noch gewöhnlicher. Der Tempel zu Tivoli, siehe unsere Tafel XXVII., giebt ein treffliches Beispiel hierzu, denn das Gebäude gewinnt dadurch nicht allein an pyramidalem Ansehen, sondern auch an Sta bilität. 6) Eine ähnliche Schwellung findet sich an den Säulen des grofsen und kleinen Tempels zu Pästum, und etwas gerin ger auch am Theseion und Parthenon; sie ist immer wesentlich für die Schönheit, weil dadurch sowohl der ästhetische Sinn, als das statische Gefühl angenehm befriedigt wird. Mager erscheinen dagegen alle Säulen mit blos geradlinigter Ver jüngung. 7) Siehe Normand, PI. VII. 8) Siehe Normand, PI. VIII. III. 2