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Sächsische Volkszeitung : 27.07.1939
- Erscheinungsdatum
- 1939-07-27
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id494508531-193907272
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id494508531-19390727
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-494508531-19390727
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Sächsische Volkszeitung
-
Jahr
1939
-
Monat
1939-07
- Tag 1939-07-27
-
Monat
1939-07
-
Jahr
1939
- Titel
- Sächsische Volkszeitung : 27.07.1939
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Im Hintergrund — der anonyme Schuft! » Veei klassische Airiminal-vanreir um anonyme Briefe / Von Horrst w. Aarsten «Lopyrigth by p. A. Schmidt G. m. b. H. Nachdruck, auch auszugsweise, verboten >lIlIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIII!IIII!IIIIIIII!IIII!IIIII,IIII,,IIIIlIIIIIIIIII!IIliIIIIIIIIIIIIIllIIIIlIIiIIIIIIIIiIIIIIIiIlIIIIIIIIIIIIIlIIlIIIIIlIIIIIIIIIlIIIIllII»IlIIlIIlllIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIiIIIlIIIIIIIlllllliIIIiIlIIIIII!NIIIIIIIÜIIst (Schlutz.) III. Sensation um jeden jpreis Lin Aaxitel „Anonymität" au» dem Alltag Line ganze Stadt unter» Albdruck Dieser Fall wird den Erinnerungen eines der bekanntesten Kriminalisten der deutschen Borkriegszeit nacherzählt. Und so wenig alltäglich er auch wirken mag — er hat sich in der Praxis öfter in ähnlicher Abwandlung ereignet, als der Laie überhaupt zu ahnen vermag. Vor einer Reihe von Jahren herrschte in O., einer kleinen aber sehr betriebsamen Stadt Süddeutschlands, ungeheure Auf regung, da eine grötzere Anzahl der in dieser Stadt durch Ver mögen und Stellung ausgezeichneten Persönlichkeiten von einer Flut von anonymen Briefen überschwemmt wurde. Die tollsten Sachen wurden behauptet —: die Frau des Bürgermeisters habe ein intimes Verhältnis, — der Sozius eines grotzen Fabrikanten habe die Geschäftsbücher zu seinem Vorteil gefälscht und seinen Kompagnon schwer betrogen, — die mit einem Offizier verlobte Tochter des Amtsrichters habe vorher bereits eine Liebschaft mit ihrem Klavierlehrer und von diesem ein Kind gehabt — und dergl. schamlose Verdächtigungen mehr. Es handelte sich durchweg um absolut unwahre und erlogene Behauptungen — aber sie zeugten von einer ganz intimen Vertrautheit mit den gesellschaftlichen Verhältnissen der Stadt, und es konnte kein Zweifel bestehen, daß »ur ein Mitglied dieser Kreise der Urhe ber der Briefe sein konnte. Allo gegen allo! Wie nun den Anonymus heraussinden? Alle in Mitleiden schaft gezogenen Personen waren durch die anonymen Angriffe untereinander verhetzt, keiner traute dem andern, jeder ver mutete in seinem Leidensgenosscn den anonymen Briesschreiber. Das Unwesen dauerte Woche um Woche an. Schliesslich begnügte sich der Anonymus nicht einmal mehr mit Briefen, sondern schrieb seine Schamlosigkeiten auf offenen Postkarten. Diese wurden naturgemäh von Angestellten und Dienstboten gelesen und iveitergetratscht, so dass der Skandal immer grötzer wurde. Natürlich fanden sich genügend Leute, die den Behauptungen Glauben schenkten. Hinzu kam eine offenkundige Schaden freude, das; man endlich mal dem einen oder anderen in der Stadt etwas am Zeuge flicken konnte ... Lin Sta-tobovhaupt in Noto« Dem Bürgermeister, der gleichzeitig Polizeiches war, war dieser öffentliche Skandal begreiflicherweise besonders fatal, zu dem der Anonymus ihn heftig hincinverwickclle. So zog er die fünf Polizeibeamten, über die er verfügte, ins Vertrauen und beauftragte sie mit Ermittlungen und Übwbachtungen. Ohne Er gebnis. Die Sache wurde noch schlimmer, denn die von den Beamten verdächtigten Personen fühlten sich schwer beleidigt und rasten nicht schlecht über die Unfähigkeit und Taktlosigkeit des Stadialerhauptes. Der Bürgermeister mutzte sich schliesslich keinen Rat mehr. In seiner Not sandte er an das Polizeipräsidium von Berlin einen ausführliche« Bericht, dem eine grötzere Anzahl anonymer Schreiten beigefügt war, und bat um Entsendung eines beson ders geschickten Kriminalkommissars, der die Aufklärung über nehmen möge. Auf dieses Schreiben traf weder eine Antwort noch der erbetene Kriminalkommissar aus Berlin ein. Dafür» tauchte ein jüngerer» eleganter Herr auf der im ersten Gasthaus abstieg und bald Anschluss an die gute Gesellschaft fand. Er kam regelinätzig zum Dämmcrschoppen In den Raihauskeller und atz mittags im Hotel am gieichen Tisch mit den Iuggesellcn der Stadt. Er erzählte, datz er Kauf mann sei und Verbindungen mit einigen Fabriken der Textil- branche suche, da er In seiner Vaterstadt demnächst ein eigenes grotzes Geschäft eröffnen wolle. Die Siadt O. sei ihm wegen ihrer Spinnereien und Webereien besonders empfohlen worden, und er habe die Absicht, eventuell von hier die benötigten Waren für sein Geschäft zu beziehen. Herr Josua Müller — so nannte sich der Herr — wurde von den Fabrikanten der Stadt, die ein gutes Geschäft witterten, sehr freundlich ausgenommen. Man lud ihn alsbald in die Fami- tien ein. Herr Josua Müller hatte es mit seinen Abschlüssen aber gar nicht so eilig. Drängte man ihn, so erklärte er, datz er sich als solider Geschäftsmann erst genau orientieren müsse, überdies fühle er sich in O. sehr behaglich und sei gut aufge hoben. Es konnte gar nicht ausbleiben, datz Herr Müller auch in den Stadtskandal, der ja das Tagesgespräch bildete, «ingeweiht wurde. Er hörte mit bcareiflich"in Interesse zu. ohne aber auf dringliche Neugier zu zeigen. So vergingen ein paar iveitere Wochen. — Lin verblüffcn-eir Besuch Da Netz sich eines Vormittags Herr Josua Müller im Amts zimmer beim Bürgermeister melden. Dieser wartete noch immer auf eine Antwort aus Berlin und hatte bereits ein erneutes Gesuch nach dort gesandt — aber der ersehnte Kriminalkom missar lieh sich immer noch nicht sehen. Der Bürgermeister war verwundert, als Hcrr Müller zu ihm ins Zimmer trat. „Welchem Umstand verdanke ich die Ehre Ihres Besuches? Hoffentlich wollen Sie uns nicht schon verlassen — oder sind Ihre Geschäfte bereits zu Ende?" „Doch. Herr Bürgermeister — mein Geschäft hier ist zu Ende, und ich denke bereits heute abend abzureisen. Vorher aber gestatten Sie, datz ich mich endlich mit meinem richtigen Nan.en vorstolle: ich bin nicht der Kaufmann Josua Müller, son dern — der Kriminalkommissar v. T. aus Berlin! Hier meine Legitimation. — Sie sehen, Herr Bürgermeister, meine Be- Hörde war nicht so ungefällig, wie Sie dachten, und hat Ihren Wunsch umgehend erfüllt ..." Der Bürgermeister hatte mit nicht Ubermätzig geistreichem Gesicht dieser Eröffnung gelauscht. Dann gewann er mühsam seine Fassung wieder, meinte aber höchst unmutig: „Ich verstehe das Verfahren Ihrer Behörde einfach nicht! Warum hat man mich von Ihrer Sendung nicht vorher unterricht tet? Ich hätte Ihnen doch mit manchem Wink und Ratschlag nützlich sein können!" . .Gerade das wollte ich vermelden. Nur wenn mein In kognito absolut bewahrt blieb, versprach mein Auftrag Erfolg." „Na, das scheint aber nicht der Fall zu sein, da Sie heut abend offenbar unverrichteter Sache wieder abreisen wollen. Oder haben Sie etwa den Täter entdeckt?" „Den Täter» nicht — aber» die Täterin!" Es handelt sich nämlich, wie ich unzweifelhaft festgestellt habe, um eine Dame —, und zwar ist die Frau des Fabrikanten H. die Briefschreiberin!" Gelinde Tobsucht des Bürgermeisters. „Das ist ein starkes Stück! Wägen Sie Ihre Worte, Herr Kommissar! Frau H. ist eine der ersten Damen unserer Stadt, die einen tadellosen Ruf gcnictzt. Uebrigens ist sie selbst von der Flut der anonymen Briefe auch nicht verschont geblieben und hat mir mit grötzter Entrüstung ebenfalls eine Anzahl von Schreiben zu meinen Aktcn gegeben." „Herr Bürgermeister, ich bin meiner Sache absolut sicher — und werde auch Sie in ein paar Minuten überzeugen. Hier mein Beweismaierial!" Der Kommissar entnahm seiner Aktenmappe ein dünnes Paket, löste die Umhüllung und präsentierte dem Bürgermeister ein paar Bogen Löschpapier, die, wie die Tintenabdrücke be wiesen. schon längere Zeit Im Gebrauch gewesen waren. Danach griff er einen über der Waschtoilette befindlichen Spiegel und hielt den Bogen so gegen das Glas, datz die abgedruckte Schrift nunmehr richtig lesbar wurde. Ein Sckrei des Bürgermeisters: „Um Gottes willen — das ist ja die gleiche Schrift wie die der anonymen Briefe! Woher haben Sic die Blätter?" Die Aufklärung „Sehr einfach: ich habe sie selbst vom Schreibtisch der Frau H. genommen. Als ich den Auftrag übernahm, da war ich mir wohl be wusst, datz ich nur auf Erfolg rechnen konnte, wenn ick imstande war, meine Nachforschungen ganz im stillen anzustellen. Des halb trat ich hier unter falschem Namen auf und bitte jetzt um Entschuldigung, datz ich Sie und die anderen Herren getäuscht habe. Da sich hier am Ort hauptsächlich Textilindustrie befindet, wählte ich die Ralle eines Kaufmanns, die ich, wie ich hoffe, nicht schlecht spielte. Vor meiner Abreise hatte ich die anonymen Briese, die Sie als Probe eingeschickt halten, unserem Schriftsachverständigen beim Berliner Polizeipräsidium zur genauen Prüfung vorgelegt. Dieser sagte mir, datz die Briefe trotz der grotzen und kräftigen, offenbar verstellten Schrift von einer Dame herrührten. und zwar von einer sehr nervösen, wahrscheinlich hochgradig hyste rischen Frau! Mit dieser Auskunft reiste ich ab. Wenn dann hier das Thema der anonymen Briese erörtert wurde, so mar ich ein eifriger Zuhörer. Die besonders betonte Nervosität der Frau H. schien mir wichtig, und die Tatsache, datz sie selbst zu den Opfern der Bricfseuche zählte, konnte mich nicht beirren — denn für den Fall, datz sie wirklich die Täterin war, lag es nahe, datz sie so auf jeden Fall den Verdacht von sich ablenken wollte." Line entschei-en-e Lntbeckun- Mit dem Gatten hatte ich schon Bekanntschaft gemacht, in dem ich ihn unter dem Vorwand geschäftlicher Besprechungen in seinem Privatkontor ausgesucht hatte. Nun lag mir vor allem daran, die Gattin kcnneuzulerncn. Ich ging also zu einer Zeit, in der ich wusste, datz der Fabrikant abwesend war, in feine Privatwohnung und verlangte ihn zu sprechen. Als ich oen Bescheid seiner Abwesenheit erhielt, bat ich. mich der gnädigen Frau zu melden. Ich wurde in einen zierlichen Salon geführt und wartete. Zufällig siel mein Blick auf einen in der Nälx des Fensters stehenden Damenschreibtisch, auf dem eine Schreibmappe lag. Bald darauf erschien die Dame, die mich liebenswürdig und etwas neugierig hcgrützte. Nach ein paar Warten täuschte ich ein plötzliches Unwohlsein vor und bat um ein Glas Master. Frau H. eilte selbst hinaus, um es zu Hosen, und ich stürzte zu dem Schreibtisch und entnahm der Mappe die vor Ihnen liegen den Löschblätter. Kaum hatte ich mich wieder gesetzt, als Frau H. mit dem Glas Wasser erschien. Ich erholte mich nun rasch, stammelte einige Entschuldigungen und emvsahl mich. In mei nem Hotelzimmer nahm ich dann die Probe vor dem Spiegel vor. Nacktem ich mich van dem Wert meines Fundes über zeugte, bin ich zu Ihnen gekommen. Herr Bürgermeister." „Unglaublich! Aber etwas verstehe ich nicht! Wie kommt eine Dame der ersten G.'sellschast, die reich und sorglos lebt und die beste Erziehung genossen hat, zu einer solchen Verirrung?" „Vie Erklärung mutz -er Psychiater geben!" Aber aus meiner Erfahrung heraus kann ich Ihnen smzen, datz es Menschen mit krankhafter Veranlaaung gibt, die sich um jeden Preis wichtig machen müssen. Sie siiblen sich unbefriedigt, langweilen sich — kurz, sie brauchen um jeden Preis Sensatio nen! Fehlt es daran, wie hier in der kleinen Stadt, sa schaffen sie sich solche selbst. Frau H. ist kinderlos und ihr Gatte ein nüchterner Ges^'U'<-w"nn >»— seiner krankhaft temperamentvollen Frau wenig Anregung bietet. Sie hat sich einfach gelangweilt — und so kam die in ihrer nervösen Natur liegende krankhafte Lust zum Ausbruch, andere Mensclren zu be unruhigen. selbst Schicksal zu spielen. Vielleicht ist sie auch noch erblich belastet. Näheres über ihre Zurechnungsfähigkeit werden wohl im Gerichtsverfahren die ärztlichen Sachverständi gen feststellen." Der Kriminalkommissar verlies; die Stadt, die er von dem Albdruck der anonymen Briefe befreit hatte. Frau H. wurde später, obwohl nach dem ärztlichen Gutachten Zweifel an ihrer restlosen Zurechnungsfähigkeit bestanden, zu einer Gefängnis« strafe von mehreren Monalen verurteilt Die Schlacht bei Bouvines (12W Vsn Kvsfesssv Otto Urbach Das aewaltige Reich Karls des Grotzen war seit dem Ver trage zu Verdun (843) in eine wcstfränkische (französische) und eine ostfränkische (deutsche) Reichshälfte geteilt. Das Ostfrän - bische Reich war seit dem Zerfall des Reichs Lothars, das bei iveitem grötzere; es umfasste zur Zeit der sächsischen, salischen und staufischen Könige und Kaiser nutzer der .Herrschaft in Ita lien etwa das Gebiet zwischen der Rhone. Aisne, Schelde und der Oder, March, Leitha. Viel kleiner war das Wcstfrän kische Reich: Avignon, Le Puy, Macon, Laugrcs, St. Quen tin und Brügge waren seine am weitesten nach Osten vorge schobenen Orte. Ein grotzer Teil des Westsrankenreiches stand zudem unter englischer Herrschaft: Heinrich II. von England (1154—1189) besas; halb Frankreich. Richard Löwenherz (1189 bis 1199) war Herr grotzer Gebiete im Südwesten und Westen Frankreichs. Marseille aber und Arles. Valence. Lyon, und selbstverständlich auch Vesancan, Toni, Verdun, Namur und Antiverpen gehörten zum Heiligen Römischen Reiche dcutsckier Nation. Aller Glanz politischer Machtcntfaltung fiel von den Sachsen Heinrich I. und Otto dem Grotzen bis zum Tode des Hohcnstaufers Heinrich VI., also von 919 bis 1197. fast aus schliesslich auf das Ostreich. Angesichts der blendenden Macht fülle eines Heinrich I.. Otto I.. Heinrich IIl„ Friedrich I.. in denen der Glanz des Reiches die ganze Welt überstrahlte, ver schwanden die französischen Könige wie in einem Halbschatten. Das Ostreich war seit Otto dem Grotzen dauernd Träger des Kaisertums. Dieses Kaisertum lebte vom Bewusstsein der Berufung und Sendung des Mächtigsten zum Schutze der gesam ten Christenheit. Jedoch, auch Im Westreick)« regten sich schöpferische Kräfte. Don den Waffentaten der französischen Ritter ballten die Pyre- näenhalbinscl, England, Syrien und das Heilige Land wieder: Die Kreuzzüge wurden in der Hauptsache von ihnen ausgesührt. Die Namen eines Gottfried von Bouillon. Robert von der Nor mandie, Raimund von Toulouse trugen Frankreichs Ruhm in alle Länder. Westfränkische Kultur breitete sich im Mittelmeer raum aus. In den feinen höfischen Sitten, der Troubadourpoefie, ganz besonders auch In der (gotisckzcn) Baukunst und der Ge- lehrfamkeit gingen die Deutschen bei den Westfranken in die Schule: Wurde doch sogar die „deutsckie" Buchstabenschrift, die gotische Fraktur, von den Franzosen übernommen. Das Papst tum mit seiner Idee von der Freiheit der Kirche und der Herr schaft der Kirche über die Welt ferner das Mönchtum mit seiner Askese, war weithin von französiscknnn Geist ersüllt: Eine Reih« der Päpste im Zeitalter des Kampfes zwischen Kirche und Reich, matzgebende Kirchenfiirsten und ritterliche Heerführer der Päpste waren Franzosen So hatten auch die Wettsranken den Glauben an ihre Berufung zur geistigen, womöglich politischen Führung im Abendlande. Eine tiefe Eifersucht, oder wie es in einer alten Chronik heisst, ein „gjeichsam natürlicher Neid', trennte die Ost- und Westfranken, die Deutschen und Franzosen. Der Augenblick war vorauszusehen, wo der völkische und staatliche Gegensatz zum Austrag hommen mutzte. Er trat ein, als das altfränkische Uebergewicht nach dem unerwarteten Tode Kaiser Heinrichs VI. (1197) Ins Wanken kam. Das Reich war ja trotz seiner gewalti gen Grösse kein einheitliches Gebilde, sondern ein Lcbensstaar, in welchem die Zentralgewalt durch unzählige eeutsck-e Gebiets herrn und Italienische Stadtregierungrn eingeengt war. Ihm fehlte die Geschlossenheit des Nationalstaates. Der alte Gegen satz zwischen den Staufern und den Welsen brach wieder auf: Die Stauferpartei erhob Philip non Schwaben, die Welsen partei Otto von Braunschweig zum König und Kaiser. Zwar wurde Philipp inmitten der Wirren ermordet, aber leine An hänger beeilten sich, den jungen Staufer Friedrich als Gegen« König auszurufen. Drei politische Persönlichkeiten übersahen die Lage: Papst Innozenz (1198-1216). König Philipp von Frankreich (1189 bis 1223) und König Johann von England, mit dem Beinamen ..ohne Land" (1 IW—1216). Kaiser Otto IV. aus dem Welfengeschlechte, Sohn Heinrichs des Löwen, mar ein Nesse von Richard Löwen herz. Mit England und dessen König Iokann war er durch starke Bande des Blutes und gemeinsamer Belange verbunden: Johann mit Papst Innozenz III. zerfallen und in Fehde mit dem König von Frankreich, plante einen Nachekrieg gegen Frankreich. Der Papst andrerseits lpen den Augenblick für gekommen, lm Verein mit Frankreich dein bm m Italien lästig gewordenen Kaiser Otto IV. den Todesstotz zu versetzen und damit das Kaifertum an sich zu schwächen. Wie oft hallen stch die rbmisch- dentschen Kaiser Papst und Kirche in ihre Dienste zu zwängen gesucht: Heinrich I V. hatte Pavst Gregor den VII. 1684 -- sieben Jahre nach dem Canossa-Gano' - :n der Enaelsburg belagert; Heinrich V. 1111 den Papst Paschali; II. gefangen genommen. Der Bannfluch, einst eine furchtbare Wolfe, hatte längst viel von seiner Wirkung eingebiisst. Um Kailer Otto lV. aus dem Wcl- fengeschlecht zu stürzen, stellte fick Innozenz III. auf die Seite des jungen Gegcnkaisers Friedrich ll. Der König von Frank reich war mit ihnen verbündet. Otto IV. und Friedrich II. kämpften für ihre .iacne Kai- serwiirde. Ob sie sich dessen voll bewusst waren, datz in der grotzen Welipolitik ganz andre Dinge aus dem Spiele standen? In Bouvines bei Lille, unweit der damaligen Reichs irenze, wo nm 2 7. Juli 1214 Otto IV. und Johann gegen Philipp van Frankreich kämpften, wurden weltgeschichtliche Gegensätze ausgetragen. Hier standen nicht nur Welsen und Staufer, sondern Frankreich und England, Westfrankreich und Ostsrankreich, Kai sertum und Papsttum einander gegenüber. Datz die kluge sran- zösische Politik cs fertig brachte, die Stauferpartei vor ihren Wagen zu spannen, entschied die Schlacht: Nur ein Teil des Reiches hielt im entscheidenden Augenblick noch zu Kaiser Otto IV. Deutscher Bruderzwist diente den Zielen fremdvölki- scher Politik. Die Schlacht bei Bouvines war eine der letzten Ritter schlachten: Mann gegen Mann stan'deii sich Kaiser Otto und König Philipp gegenüber im Kampfe. Ottos Niederlage war vollständig: dcr Fahnenwagen und der Reichsadler fielen in die Hände die Feinde. Der Tag von Bouvines besiegelte die erste entscheidende Niederlage eines deutschen Heeres. Die eng lische Herrschaft auf sranzösisckrem Gebiete war erschüttert; in England selbst mutzte der König durch die Magna ckarta Volk' und Adel gegenüber auf grotzc Rechte verzichten. Philipp II. konnte sich den Titel eines „Augustus" zulegen und dcrdurch dem Kaiser glelchstcllen: Frankreichs Aufstieg als Gros; m acht begann und im Gleichschritt mit dieser Entwick lung die Seibstzersetzung und innere Zerfall des ersten Kaiser reiches. Die letzte Glanzentsaltung unter Friedrich II. trug be reits alle Keime des Untergangs in sich. Es war nicht nur ein Akt staatsmännischer Klugheit, sondern zugleich eine Geste der Uebcrlegenheit, datz Philipp II. Augustus den erbeuteten Reichs adler als „Geschenk" an Kaiser Friedrich II. sandte! „Von dieler Zeit an", heisst es in einer Chronik „war es aus mit dem Rubin dcr Deutschen bet den Welschen". Fortan drang Frank reich planmätzig an seiner Ostgrenze vor: Von Bouvines 1214 bis Napoleons Machthöhe 1812 führt eine gerade Linie. Frankreich, dessen leidenschaftliches National gefühl bei Bouvines erwackt war, suchte seine Grenze gegen das Reich von der Rhone, Aisne und Schelde bis zum Rhein zu verschieben.
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