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601 vorhanden waren. Vieles verübten sie mit Tücke und Schlauheit, das Meiste auf dem Wege der Gewalt. Die Gewalt blieb verborgen, weil vor dem Geheul und dem Lärm der Becken und Schellentrommeln kein Laut der Klagenden während der Schändung und der Mordthaten gehört werden konnte. 9. Dieses gräßliche Verderben drang von Etrurien nach Rom wie eine ansteckende Krankheit. Zuerst verbarg es die Größe der Stadt, welche geräumiger und für solche Verderbnisse geeigneter war; endlich kam die Anzeige davon auf folgende Weise an den Konsul Po- stumius. Publius Aebutius, dessen Vater mit einem Staatsroß ge dient hatte, war als unmündiges Kind zurückgelasscn, und nachdem seine Vormünder gestorben waren, unter der Vormundschaft seiner Mutter Duronia und seines Stiefvaters Titus Sempronius RutiliuS erzogen worden. Die Mutter war ihrem Manne ganz ergeben, und der Stiefvater, weil er die Vormundschaft so geführt hatte, daß er nicht Rechenschaft ablegen konnte, wollte entweder seinen Mündel aus dem Wege geschafft oder durch irgend ein Band ganz von sich abhängig wissen. Der einzige Weg des Verderbens waren die Bacchanalien. Die Mutter spricht mit dem jungen Menschen: sie habe, während er krank gewesen, ein Gelübde gethan, daß sobald er gesund geworden wäre, sie ihn in die bacchischenGeheimnisse wolle einweihen lassen. Da ihr Wunsch durch die göttliche Gnade in Erfüllung gegangen sei, so wolle sie sich ihres Gelübdes entledigen. Dazu sei eine zehntägige Enthaltsamkeit nöthig; am zehnten Tage werde sie ihn, wenn er ge gessen und sich rein gewaschen habe, in das Heiligthum führen. Eine bekannte Buhlerin, eine Freigelassene, Hispala Fecenia, welche eigent lich zu gut für das Gewerbe war, an welches sie als Magd sich ge wöhnt hatte, pflegte, auch nachdem sie freigelassen war, durch dieselbe Lebensart ihren Unterhalt zu gewinnen. Diese hatte, abgesehen von der Nachbarschaft, Umgang mit Aebutius, der aber weder für das Ver mögen , noch für den guten Ruf des jungen Mannes verderblich war. Denn sie selbst hatte ihn ausgesucht und ihm Liebe angetragen, und da ihn seine Eltern sehr kurz hielten, so wurde er durch die Freigebigkeit seiner Buhlerin unterhalten. Ja durch seinen Umgang war sie so ge fesselt und ging so weit, daß sie nach dem Tode ihres Schirmherrn, weil sie in keinem rechtlichen Verbände mehr stand, sich einen Vormund