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1011 hatten, denselben zu verheimlichen. Solche Monstrositäten muthet H. Mommsen seinen Lesern zu, zu glauben, und dars dabei auf die unbedingte Zustimmung seiner Be wunderer zählen. Denn wenn Paris die Gespräche des LabienuS erzeugt hat, war um sollte nicht auch anderswo so besonnenen und gemäßigten Freunden des Fortschritts, welche die Resultate der Gesetzlosigkeit gerne acceptiren, die sie früher belämpiten, eine Schriststellerei plausibel gemacht werden, welche mit möglichster Sicherstellung der eigenen Person de» Ausschreitungen des Despotismus in der geistreichsten Form entgegentritt? Sie sind ja ebenfalls „zu dem eben so verständigen, wie bequemen Schluß gelangt, daß unter den obwaltenden Berhältnissen eS noch der einzige noch mögliche Schatten von Freiheit sei, freiwillig zu weichen und das zu wollen, was man müsse" M. S. 216 a. a. O. Und da die neue Borussia nicht nur das alte Sparta rspräscntirt, soirdern die verstockte römische Aristokratie das treueste Eben bild des märkischen Junkerthums ist, so gehört dieser Rückschluß von der Gegenwart auf die literarischen Zustände Roms im Jahr 765 zu den genialste» Lustsprüngen der neuern Historiographie. Denjenigen indessen, welche noch nicht aus dieser Höhe der Betrachtung stehen, darf dennoch die Frage nicht verübelt werden, durch welchen Gedankcnproceß diese kühne Combination hervorgebracht worden ist? Dafür gibt cs zwei Wege. Einmal wird mit Allem, was bisher überliesert worden ist, tsdul» rasa gemacht, und eins natürlich nicht mehr vorhandene Urquelle fingirt, der man alles Mögliche in die Schuhe schieben kann, ein Urcodex, Per der PolybiuS, in dem so viel wie nichts über diese Begebenheit enthalten ist. Sodann werden mit gewandter Dialektik eine Menge Schwierigkeiten erzeugt, welche nur ei» vous «I macdina, d. h. eine Alles erklärende Conjectur zu lösen im Stande ist. Damit nun aber dafür der nöthige Spielraum bleibt, so muß auch das Ansehen des Po lybiuS so herabgedrückt werden, daß er etwaigen Willkürlichkeiten nicht hemmend in den Weg tritt. Daher wird folgender Schluß gemacht; da auch die Angaben des PolybiuS mit den Annalisten so nahe zusammen stimmen, daß er sie eher den von ihm benutzten Chroniken, als einer ganz unabhängigen Quelle, etwa der Ueber- lieferung des Scipionischen HaufeS, entnommen zu haben scheint, „so gehen alle unsere Berichte aus eine älteste in immer weiter fortschreitender Trübung wieber- gegebene Annalistencrzählung zurück." Also über alle frühere Angaben von dem Leben Scipio'S hat PolybiuS aus den zuverlässigsten Quellen geschöpft. Polyb. X, 3, I; aber über den Proceß hat er dies nicht der Mühe werth geachtet, wahr scheinlich, weil ihm der Gegenstand nicht wichtig genug erschien, die Ehre und den guten Namen des hochverehrten Mannes vor der Nachwelt sicher zu stellen. Im Gcgentheil, selbst aus der sehr fragmentarischen Erzählung des PolybiuS über den Proceß ersehen wir, daß er das Benehmen Scipio'S durchaus gebilligt und gerecht fertigt hat, doch wohl nicht ohne genaue Kenntniß des Sachverhalts. Pol. XXIV, 9 d. Aber die eigentliche Begründung der Skepsis soll in einer sehr weitläufigen Unter suchung über die Rechtsfrage enthalten sein, die neben viel Bekanntem auch viel JrrthümlichcS enthält, und eine höchst verworrene Ansicht von dem Wesen der rö mischen Magistratur und ihrem Verhältniß zum Senat an den Tag gibt. Daß überhaupt in einem republikanischen Staate kein Beamter ohne die Verpflichtung, Rechenschaft zu geben, gedacht werden kann, versteht sich von selbst. Polyb. VI, 15, 10. Diesem steht gegenüber die Würde und die Vollmacht der Consuln, die