Volltext Seite (XML)
975 will ich nun nicht rechtfertigen, was geschehen ist — so verrückt bin ich nicht — aber ich will die Schuld des Staats von der der einzelnen Bürger trennen — denn es gibt keine Bürgerschaft, die nicht auch zu weilen ruchlose Bürger und immer eine unerfahrene Menge hat. Ich habe gehört, daß auch bei euch einmal Leute gewesen, welche sich mit Volksschmeichelei abgaben, und daß sich einmal die gemeine Bürger schaft von euch losgesagt, und daß das gemeine Wesen nicht in eurer Gewalt gewesen sei. Wenn dies in einer so wohlgesitteten Bürger schaft geschehen konnte, kann sich einer wundern, daß bei uns einige ge wesen sind, welche, nach der Freundschaft des Königs trachtend, unsere Bürgerschaft durch ihre Rathschläge mißleiteten? Sie haben aber doch nichts weiter vermocht, als daß wir in unserem Diensteifer nachließen. Ich will nicht übergehen, was in diesem Kriege die allerärgste Beschul digung ist, die unserem Staate ist gemacht worden; wir haben zu glei cher Zeit Gesandte an euch und an den Perseus geschickt; diesen un glücklichen Gedanken hat der wahnsinnige Redner, wie wir nachher gehört, zu einem ganz thörichten gemacht, der bekanntermaßen so ge redet hat, als wenn der römische Gesandte Casus Popillius redete, den ihr geschickt habt, um die Könige Ptolemäus und Antiochus vom Kriege abzuhalten. Aber mag dies nun Uebermuth oder Dummheit heißen, sie mar es ebenso gut bei Perseus, wie bei euch. Die Staaten haben ihre Sitten, wie einzelne Menschen. Auch von den Völkern sind einige jähzornig, andere kühn, andere furchtsam, andere sind geneigter zu Wein und Liebesgenuß. Es ist die Sage, das Volk der Athener sei rasch und über seine Kräfte kühn zu wagen; die Lakedämonier seien Zauderer und beginnen kaum das, wo sie sich sicher fühlen; ich möchte nicht läugnen, daß auch die ganze Gegend von Asien eine eitle Ge- müthsart erzeuge, und daß die Sprache unserer Leute anmaßender sei, weil wir glauben, unter den benachbarten Staaten hervorzuragen, und auch das nicht sowohl durch unsere eigene Kraft, als durch eure Ehrenbezeugungen und Erklärungen. Allerdings wurde für den Au genblick jene Gesandtschaft genug gezüchtigt, da sie mit einer so trauri gen Antwort von euch entlassen wurde. Wenn damals noch nicht ge nug Schande erlitten worden ist, so wäre wenigstens diese so klägliche und demüthige Gesandtschaft auch für eine anmaßendere, als jene war, eine hinlängliche Sühne. Uebermuth, besonders in Worten, hassen