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sischer Kaufmann, welcher vorgab, Geschäfte in Bayonne zu haben, in der That aber von meiner Familie beauftragt war, mich zu beobachten und über meine Sicherheit zu wachen, hatte mich um einen Platz in meinem Wagen gebeten. Den 18. Mai 1764, um elf Uhr Vormittags, langte ich in Madrid an. Man hatte mich schon seit einigen Tagen erwartet; ich fand meine Schwestern von ihren Freunden umgeben, die, als sie von meinem Entschluß gehört, den lebhaftesten Wunsch hegten, mich kennen zn lernen. Kaum sind die ersten Thränen getrocknet, als ich zu meinen Schwe stern sagte: Nehmt mir's nicht übel, daß ich die ersten Augenblicke dazu verwende, den genauesten Bericht über eure traurige Lage zu erhalten; um euch mit Erfolg dienen zu können, muß ich von allem getreulich un terrichtet sein. Nachdem mir dann das Einzelnste nütgetheilt war, sagte ich zu meiner jünger» Schwester: Sei ruhig, mein Kind; ich sehe mit Vergnügen, daß du den Menschen nicht mehr liebst; mein Vorhaben wird dadurch erleichtert; ich fahre morgen nach Aranjuez, unsrem Gesandten anfzuwarten, dessen Rath meine Schritte leiten muß, wenn ich sicher an's Ziel kommen will. Hierauf ließ ich einen Rock aus meinem Koffer nehmen, und mich eiligst ankleidend, bat ich mir die Wohnung Don Josephs Clavijo, Custos' der Kronarchive, zu bezeichnen, und eile dahin. Er war ausgegangen, man sagte mir aber, wo ich ihn treffen könnte, und in dem Salon einer Dame, wo er sich befand, sage ich ihm, ohne mich zu erkennen zu geben, daß ich so eben mit Aufträgen aus Frankreich angelangt sei, und ihn um die Erlaubniß bitte, mich mit ihm so bald als möglich darüber zu unterhalten. Er beschick mich auf den nächsten Morgen um nenn Uhr zur Chokoladc, welche Einladung ich für mich und meinen Begleiter, den französischen Kaufmann, annahm. In dieser Weise erzählt Beaumarchais seinen Besuch bei Clavijo, sein Gespräch mit ihm und was alles daraus erfolgte, und fügt Abschrif ten von Briefen und Aktenstücken hinzu. Durch sein energisches Auftreten verschaffte er sich trotz aller Einschüchterungen, Jntriguen und Abmahnun gen die Genugthnung, daß Clavijo vom Könige seines Amtes entsetzt wurde und alle Franzosen in Madrid seiner Schwester die Beweise ihrer früheren Freundschaft erneuerten. Nach einjähriger Abwesenheit kehrte er nach Frankreich zurück, voll Rühmens der Großmuth, Theilnahme und glänzenden Gerechtigkeit, die er in Spanien gefunden. Im Sommer 1774 wurde Goethe in Frankfurt mit diesem Clavijo- Memoire bekannt. Wie er das zündende Schriftstück in einem Zirkel von Freunden und Freundinnen vorgelesen, wie Anna Sibylla Münch, deren