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20 zu regieren, zu erhalten, sich keinen Bor- wurs zu machen braucht, geringe Ver hältnisse vernachlässiget, Kleinigkeiten dem Wohl des Ganzen aufgeopfert zu haben. Thut das der Schöpfer in seiner Natur, der König in seinem Staate, warum soll ten wir's nicht thun, um ihnen ähnlich zu werden? Clavigo. Carlos, ich bin ein kleiner Mensch. Carlos. Wir sind nicht klein, wenn Umstände uns zn schaffen machen, nur wenn sie uns überwältigen. Noch einen Athemzug und du bist wieder bei dir selber. Wirf die Reste einer erbärmlichen Leidenschaft von dir, die dich in jetzigen Tagen eben so wenig kleiden, als das graue Jäckchen und die bescheidene Miene, mit denen du nach Madrid kamst. Was das arme Mädchen für dich gethan hat, hast du ihr lange gelohnt; und daß du ihr die erste freundliche Aufnahme schul dig bist — Oh! eine andere hätte um das Vergnügen deines Umgangs eben so viel und mehr gethan, ohne solche Prä tensionen zu machen — und wird dir cinfallen, deinem Schulmeister die Hälfte deines Vermögens zu geben, weil er dich vor dreißig Jahren das Abc gelehrt hat? Nun, Clavigo? Clavigo. Das ist all gut; im Gan zen magst du Recht haben, es mag also sein; nur wie helfen wir uns ans der Verwirrung, in der wir stecken? Da gieb Rath, da schaff' Hilfe, und dann rede. Carlos. Gut! Du willst also? Clavigo. Mach' mich können, so will ich. Ich habe kein Nachdenken; hab's für mich. Carlos. Also denn. Zuerst gehst du, den Herrn an einen dritten Ort zu be scheiden, und alsdann forderst du mit der Klinge die Erklärung zurück, die du ge zwungen und unbesonnen ausgestellt hast. Clavigo. Ich habe sie schon, er zer riß und gab mir sie. Carlos. Trefflich! Trefflich! Schon den Schritt gethan — und du hast mich so lange reden lassen? - Also kürzer! Du schreibst chm ganz gelassen: „Du fändest nicht für gut, seine Schwester zu heirathen; die Ursache könnte er erfahren, wenn er sich heute Nacht, von einem Freunde begleitet und mit beliebigen Waffen versehen, da oder dort einfindcn wolle." Und somit signirt. — Komm, Clavigo, schreib' das. Ich bin dein Sk- cundant und — es müßte mit dem Teu fel zugehen — Clavigo (geht nach dem Tische). Carlos. Höre! Ein Wort! Wen» ich's so recht bedenke, ist das ein einfäl- tiger Vorschlag. Wer sind wir, um uns gegen einen aufgebrachte» Abenteurer zu wagen? Und die Ausführung des Men schen, sein Stand verdient nicht, daß wir ihn für unsers Gleichen achten. Also hör' mich! Wenn ich ihn nun peinlich anklage, daß er heimlich nach Madrid gekommen, sich bei dir unter einem fal schen Namen mit einem Helfershelfer an- melden lassen, dich erst mit freundlichen Worten vertraulich gemacht, dann dich unvermuthct überfallen, eine Erklärung dir abgenöthigt und sie auszustreuen weg gegangen ist — Das bricht ihm den Hals: er soll erfahren, was das heißt, einen Spanier mitten in der bürgerlichen Ruhe zu befehden. Clavigo. Du hast Recht. Carlos. Wenn wir nun aber nn- terdessen, bis der Prozeß cingeleitet ist, bis dahin uns der Herr noch allerlei Streiche machen könnte, das Gewisse spielten, und ihn kurz und gut beim Kopfe nähmen? Clavigo. Ich verstehe, und kenne dich, daß du Mann bist cs auszusühren. Carlos. Nun auch! wenn ich, der ich schon fünfundzwanzig Jahre mitlaufe, und dabei war, da dem Ersten unter den Menschen die Angsttropfen auf dem Ge sichte standen, wenn ich so ein Possenspiel nicht entwickeln wollte. Und somit läßt du mir freie Hand; du brauchst nichts zu thun, nichts zu schreiben. Wer den Bruder cinstecken läßt, gicbt pantomimisch zu verstehen, daß er die Schwester nicht mag.