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16 Clavigo. Es ist ein Engel! Es sind vortreffliche Menschen! Carlos. Ihr werdet doch mit der Hochzeit nicht so sehr eilen, daß man sich noch ein Kleid dazu kann sticken lassen? Clavigo. Scherz oder Ernst, bei unserer Hochzeit werden keine gestickten Kleider paradiren. Carlos. Ich glaub's wohl. Clavigo. Das Vergnügen an uns selbst, die freundschaftliche Harmonie sol len der Prunk dieser Feierlichkeit sein. Carlos. Ihr werdet eine stille kleine Hochzeit machen? Clavigo. Wie Menschen, die fühlen, daß ihr Glück ganz in ihnen selbst be ruht. Carlos. In den Umständen ist es recht güt. Clavigo. Umständen! Was meinst du mit den Umständen? Carlos. Wie die Sache nun steht und liegt und sich verhält. Clavigo. Höre, Carlos, ich kann den Ton des Rückhalts au Freunden nicht ausstehen. Ich weiß, du bist nicht für diese Heirath; demnugeachtet, wenn du etwas dagegen zu sagen hast, sagen willst: so sag's gerade zu. Wie steht denn die Sache? Wie verhält sie sich? Carlos. Es kommen einem im Le ben mehr unerwartete wunderbare Dinge vor, und es wäre schlimm, wenn alles im Gleise ginge. Man hätte nichts, sich zu verwundern, nichts die Köpfe zusam men zu stoßen, nichts in Gesellschaft zu verschneiden. Clavigo. Aufsehn wird's machen. Carlos. Des Clavigo Hochzeit! das versteht sich. Wie manches Mädchen in Madrid harrt auf dich, hofft auf dich, und wenn du ihnen nun diesen Streich spielst? Clavigo. Das ist nun nicht anders. Carlos. Sonderbar ist's. Ich habe wenig Männer gekannt, die so großen und allgemeinen Eindruck auf die Weiber machten, als du. Unter allen Ständen giebt s gute Kinder, die sich mit Planen und Aussichten beschäftigen, dich habhaft zu werden. Die eine bringt ihre Schön heit in Anschlag, die ihren Reichthum, ihren Stand, ihren Witz, ihre Verwandte. Was macht man mir nicht um deinet- willen für Complimente! Denn wahrlich, weder meine Stumpfnase, noch mein Krauskopf, noch meine bekannte Verach tung der Weiber kann mir so was zu- ziehcn. Clavigo. Du spottest. Carlos. Wenn ich nicht schon Vor schläge, Anträge in Händen gehabt hätte, geschrieben von eignen kritzlichcu Pfötchen, so unorthographisch, als ein originaler Liebesbrief eines Mädchens nur sein kann. Wie manche hübsche Duenna ist mir bei der Gelegenheit unter die Finger ge kommen! Clavigo. Und du sagtest mir von allem dem nichts? Carlos. Weil ich dich mit leeren Grillen nicht beschäftigen wollte! und niemals rathen konnte, daß du mit einer Einzigen Ernst gemacht hättest. O Cla vigo, ich habe dein Schicksal im Herzen getragen, wie mein eignes! Ich habe keinen Freund als dich; die Menschen sind mir alle unerträglich, und du sängst auch an, mir unerträglich zu werden. Clavigo. Ich bitte dich, sei ruhig. Carlos. Brenn' einem das Haus ab, daran er zehn Jahre gebauet hat, und schick' ihm einen Beichtvater, der ihm die christliche Geduld empfiehlt. — Man soll sich für niemand interessiren, als für sich selbst; die Menschen sind nicht werth — — Clavigo. Kommen Leine feindseligen Grillen wieder? Carlos. Wenn ich aus's neue ganz drein versinke, wer ist schuld dran als du? Ich sagte zu mir: Was soll ihm jetzt die vorthcilhafteste Heirath? ihm, der es für einen gewöhnlichen Menschen weit genug gebracht hätte; aber mit sei nem Geist, mit seinen Gaben ist es un- verantwortlich — ist es unmöglich, daß er bleibt was er ist. — Ich machte meine Projekte. Es giebt so wenig Menschen, die so unternehmend und biegsam, so