Volltext Seite (XML)
14 Buenco. Er wagt'S nicht, er fürch tet für sein Leben, sonst hätt' er gar nicht geschrieben, sonst böt' er Marien seine Hand nicht an. Guilbert. Desto schlimmer; so fin det er hundert, die ihm ihren Arm leihen, hundert, die unserm Bruder tückisch auf dem Wege da« Leben rauben. Ha! Buenco, bist du so jung? Ein Hofmann sollte keine Meuchelmörder im Solde haben? Buenco. Der König ist groß und gut. Guilbert. Auf denn! Durch alle die Mauern, die ihn umschließen, die Wachen, das Ceremoniel und alle das, womit die Hofschranzen ihn von seinem Bolle geschieden haben, dringen Sie durch und retten Sie uns! — Wer kommt? (Clavigo kommt.) Llavigo. Ich muß! muß! Marie (thut einen Schrei und fällt Sophie» in die Arme). Sophie. Grausamer! in welchen Zu stand versetzen Sie uns! (Guilbert und Buenco treten zu ihr.) Llavigo. Ja, sie ist's! Sie ist'S! Und ich bin Llavigo. — Hören Sic mich, Beste, wenn Sie mich nicht an- sehen wollen. Zu der Zeit, da mich Guilbert mit Freundlichkeit in sein Haus aufnahm, da ich ein armer unbedeutender Junge war, da ich in meinem Herzen eine unüberwindliche Leidenschaft für Sic fühlte, war's da Verdienst an mir? Oder war'S nicht vielmehr innere Ueberein- stimmung der Charaktere, geheime Zu neigung des Herzens, daß auch Sie für mich nicht unempfindlich blieben, daß ich nach einer Zeit mir schmeicheln konnte, dieß Herz ganz zu besitzen? Und nun — bin ich nicht eben derselbe? Warum sollt' ich nicht hoffen dürfen? Warum nicht bitten? Wollten Sie einen Freund, einen Geliebten, den Sic nach einer ge fährlichen, unglücklichen Seereise lange für verloren geachtet, nicht wieder an Ihren Busen nehmen, wenn er unver- muthct wiederkäme, und sein gerettetes Leben zu Ihren Füßen legte? und habe ich weniger aus einem stürmischen Meere diese Zeit geschwebt? Sind unsere Lei denschaften, mit denen wir in ewigem Streit leben, nicht schrecklicher, unbe- zwinglicher, als jene Wellen, die den Unglücklichen fern von seinem Vaterlande verschlagen! Marie! Marie! Wie kön nen Sie mich hassen, da ich nie aufge- hört habe Sic zu lieben? Mitten in allem Taumel, durch alle» verführerischen Ge- sang der Eitelkeit und de« Stolzes Hab' ich mich immer jener seligen unbefangenen Tage erinnert, die ich in glücklicher Ein schränkung zu Ihren Füßen zubrachte, da wir eine Reihe von blühenden Aus- sichten vor uns liegen sahen. — Und nun, warum wollten Sic nicht mit mir alles erfüllen, was wir hofften? Wollen Sie das Glück des Lebens nun nicht ausgenießcn, weil ein düsterer Zwischen- raum sich nnsern Hoffnungen cingescho- ben hatte? Nein, meine Liebe, glauben Sie, die besten Freuden der Welt sind nicht ganz rein; die höchste Wonne wird auch durch unsere Leidenschaften, durch das Schicksal unterbrochen. Wollen wir uns beklagen, daß es uns gegangen ist, wie allen andern, und wollen wir »ns strafbar machen, indem wir diese Ge legenheit von uns stoßen, das Bergan- gene herzustellcn, eine zerrüttete Familie wieder aufzurichten, die heldenmüthige That eines edlen Bruders zu belohnen, und unser eigen Glück auf ewig zu be- festigen? — Meine Freunde, um die ich's nicht verdient habe, meine Freunde, die es sein müssen, weil sie Freunde der Tugend sind, zu der ich rückkehre, ver binden Sie Ihr Flehen mit dem wei nigen. Marie! (Er wirft sich nieder.) Marie! Kennst du meine Stimme nicht mehr? Vernimmst du nicht mehr den Ton mei nes Herzens? Marie! Marie! Marie. O Clavigo! Llavigo (springt aus und faßt ihre Hand mit ent,lickten Niiss-n). Sie vergiebt mir! Sie liebt mich! (Umarmt den Guilbert, den Buenco). Sie liebt mich noch! O Marie, mein Herz sagte mir's! Ich hätte mich zu deinen Füßen werfen, stumm meinen Schmerz, meine Reue answeinen wollen: du hättest mich ohne Worte verstanden,