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Erster Akt. Clavigo's Wohnung. (Clavigo. Carlos.) Clavigo (vom Schreibtisch ausstehend). Das Blatt wird eine gute Wirkung thun, eS muß alle Weiber bezaubern. Sag' mir, Carlos, glaubst du nicht, daß meine Wochenschrift jetzt eine der ersten in Europa ist? Carlas. Wir Spanier wenigstens haben keinen neuern Autor, der so viel Stärke des Gedankens, so viel blühende Einbildungskraft mit einem so glänzen den und leichten Styl verbände. Clavigo. Laß mich. Ich muß unter dem Volke noch der Schöpfer des guten Geschmacks werden. Die Menschen sind willig, allerlei Eindrücke anzunehmen; ich habe einen Ruhm, ein Zutrauen un ter meinen Mitbürgern; und, unter uns gesagt, meine Kenntnisse breiten sich täg lich aus; meine Empfindungen erweitern sich, und mein Styl ^bildet sich immer wahrer und stärker. Carlos. Gut, Clavigo! Doch, wenn du mir's nicht übel nehmen willst, so gefiel mir damals deine Schrift weit besser, als du sie noch zu Mariens Füßen schriebst, als noch das liebliche, muntere Geschöpf auf dich Einfluß hatte. Ich weiß nicht, das Ganze hatte ein jugend licheres, blühenderes Ansehn. Clavigo. Es waren gute Zeiten, Carlos, die nun vorbei find. Ich ge stehe dir gern, ich schrieb damals mit offencrm Herzen, und wahr ist's, sie hatte viel Antheil an dem Beifall, den das Publikum mir gleich Anfangs ge währte. Aber in der Länge, Carlos, man wird der Weiber gar bald satt; und warst dn nicht der erste, meinem Ent schluß Beifall zu geben, als ich mir vor nahm, sie zu verlassen? Carlos. Du wär'st versauert. Sie sind gar zu einförmig. Nur, dünkt mich, wär's wieder Zeit, daß du dich nach einem neuen Plan umsähest; es ist doch auch nichts, wenn man so ganz aus'm Sand ist. Clavigo. Mein Plan ist der Hof, und da gilt kein Feiern. Hab' ich's für einen Fremden, der ohne Stand, ohne Namen, ohne Vermögen hierher kam, nicht weit genug gebracht? hier an einem Hofe! unter dem Gedräng von Menschen, wo es so schwer hält, sich bemerken zu machen? Mir ist's so wohl, wenn ich den Weg ansehe, den ich zurückgelegt habe. Geliebt von den Ersten des König reichs! geehrt durch meine Wissenschaften, meinen Rang! Archivarius des Königs! Carlos, das spornt mich alles; ich wäre nichts, wenn ich bliebe was ich bin! Hinauf! Hinauf! Und da kostet'« Mühe und List! Man braucht seinen ganzen Kopf; und die Weiber, die Weiber! Man vertändelt gar zu viel Zeit mit ihnen. Carlos. Narre, das ist deine Schuld. Ich kann nie ohne Weiber leben, und mich hindern sie an gar nichts. Auch sag' ich ihnen nicht so viel schöne Sachen, tröste mich nicht Monate lang an Sen timents und dergleichen; wie ich denn mit honetten Mädchen am ungernsten zu thun habe. Ausgercd't hat man bald mit ihnen; hernach schleppt man sich eine Zeit lang herum, und kaum sind sie ein bißchen warm bei einem, hat sie der Teufel gleich mit Heirathsgcdankcn und Heirathsvorschlägen, die ich fürchte, wie die Pest. Du bist nachdenkend, Clavigo? Clavigo. Ich kann die Erinnerung nicht los werden, daß ich Marien ver lassen - hintergangen habe, nenn's wie du willst. Carlos. Wunderlich! Mich dünkt