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Lin Meiknsektsbriek Mein lieber Junge! Zum erstenmal In Deinem Leben wirst Du den Hl. Abend nicht im Elternhause sein, sondern fern der Heimat dies herr lichste und tiefste aller Jamiltenfest« verleben müssen. Das wird uns dreien schwer auf der Seele liegen und noch schwerer drücken, wenn gar aus der Nachbarwohnung jubelnde Kinder stimmen an unsere Ohren klingen. An Deine und an unsere Ohren Wessen Herz da tiefer ergriffen werden wird. Dein eigenes oder die Herzen Deiner Eltern, will ich hier unerör tert lassen. Wohl aber will ich versuchen, Dir ein klein wenig da« Herz zu weiten, dass es trotz Deiner Einsamkeit in der Fremde doch voll und glücklich durchschlägt, ivenn Du Dein kleines Ehristbäumchen anzilndest und leise vor Dich hin als Trostlied auch das schönste aller Weihnachtslieder singst: „Stille Nacht, heilige Nacht", das wir drei immer bewegt und andachts vast unter dem brennenden Ehristbaum sangen. Das Schicksal will es so. dah die Jugend aus dem Eltern hause fortstreben muh und die Eltern allein Zurückbleiben. Gewiss halten Briefe — und Du schreibst ost und gern — die Verbindung aufrecht, aber das geschriebene Wort ist doch im mer nur ein Notbehelf. Viel wichtiger sind all die Gedanken, di« zwischen den Zeilen stehen, die Entfernungen überbrücken und doch eine Zwiesprache möglich machen, als wenn wir uns gegenllbersähen. Sicherlich redet hier das gemeinsame Blui eine geheimnisvolle Sprach«. Aber unser« tiefe Sinnes- und Herzensgemelnschast hat doch noch andere Ouestgründe, die wir wohl kennen, aber aus innerer Scheu nicht gern laut nennen. Nicht selten haben wir sa glücklichen Herzens festge- flellt, dah Du sust zu glelcher Zeit die gleichen Gedanken ge dacht hast wie wir und auch umgekehrt wir die gleichen wie Du. Auch Deine Entschlüsse und Entscheidungen für Deinen Lebens weg, bie Du uns getreulich mitteilst, haben wir beide Eltern zu Haus« meist zu gleicher Zeit erörtert, wo Du Dich Hunderte von Kilometern entfernt, mit ihnen trugst und sie in Dir reifen liehest. Wir, Dein« Eltern, können Dich setzt zur ersten Weihnacht in der Fremde nur so anreden, wie wir eg zu Hause tun: Mein lieber Junge! Die Tief« und Bedeutung dieses Wortes sostst Du heut« spüren, und wir wollen Dich auch hineinsehen lassen in Dein Werden, aus dessen innerer und äusserer Ent wicklung Du auch die tiefen Bande erkennen magst, die uns geheimnisvoll umschlichen und unsere drei Herzen so oft einen Schlag schlagen lassen. Noch ehe Deine Augen das Licht der Gottessonne sahen, haben wir mit Dir stille und laute Zwiesprache gehalten, wobei Deine Mutter für Dich sprach. Und wir haben mit aller Liebe und allem Ernst uns gegenseitig verpflichtet, Dich als Gottes geschenk zu betrachten, dieses Geschenk sorgsam zu hüten und zu pflegen, um Deinem und unserem Schöpfer auch Rechen- schäft ruhigen Gewissens darüber ableqen zu können, wie wir das kostbarste Gesä)enk des Himmels gehalten und verwaltet haben. Deshalb nahm die ganze Weihnachtszeit in unserem Er ziehungsplan dl« erste und wichtigste Seite ein. Wir muhten schon aus unserer eigenen Erfahrung, dah dieses Fest der Liebe nicht nur die Herzen am weitesten öffnet, sondern die Erinne rung daran auch das kostbarste und tiefste Erbe ist, das Eltern ihren Kindern mit auf die Ledensreise geben können. Wir selbst fühlten den Mangel oder den Reichtum des eigenen Weik- nachtserlebens tief und nachhaltig und muhten auch, dah all überall Kinder und Eltern diese Zeit, wenn auch räumlich ge trennt Innerlich zusammen verleben und manch ein Kind, das die Fremde mit ihren Reizen verschlungen und dem Eltern bause entfremdet zu haben schien, zur Weihnacht wieder ins Vaterhaus zurückkehrte. Darum haben wir Dir die Weihnacht so herzlich und tief innerlich nahezubringen versucht, wie es in unseren Kräften stand. Als Du noch klein warst, schmückten wir Dir sorgfältig einen grohen Ehristbaum und gaben wohl acht darauf, dah es eine besonders schöne Tanne war, so dah Du als ersten Ein druck den Begriff des Schönen und Edlen haben muhtest. Das haben wir Jahr für Jahr so gehalten und sehen Deine stau nenden Kinderaugen von dem Fussboden bis zur Decke gleiten, um dieses Wunder nimmermüde anzusclxiuen, das plötzlich In der Stube stand und strahlend vom Fuhboden bis zur Decke reichte. Deine Mutter vor allem horchte sorgfältig Dein kleines Herz ab erfuhr so Deine geheimsten Wünsche und Sehnsüchte und konnte sie immer so vollkommen erfüllen, dah Du vor Glück ganz stumm wurdest und nur Deine Kinderärmchcn um ihre» <rals schlauast Als Du schon das Geheimnis de> Weihnacht kindcrtüm- lich begreifen kanntest fingen wir die Weihnachtszeit am ersten Advent an wo Tannenkranz und das Adventslichtlein Dich die kommende grohe Freude zum Christfest ahnen liehen. Willig und kinderselio bist Du stets mitgcgangen. Und Du wirst Dich heute am Hl Abend wohl mit tiefer, innerer Bewegung daran erinnern wie haffnungsfroh Du Deine Schuhe zu St. Nikolaus am Abend vors Fenster stelltest, morgens zum Fenster stürmtest und sudelnd die geheimnisvoll gefüllten Schuhe her- einholtcst Wie Du dann später Deinen Adventskalender sorgsam betreutest und die Tage zähltest, wo das letzte Blätt chen umaeschlagen wurde Weiht Du noch, wie Du Dir nie dieses Weihnachtsgliick von Deinen Spielkameraden trüben liehest und fortan das Spiel mit jcdem miedest, der es Dir antasten wollte« Heut» wo Du erwachsen bist und treue Arbeit Deinen Blick geweitet. Deinen Verstand geschärft hat, wirst Du wohl erkennen wie sorgfältig Deine Eltern Deinen Lebensweg be wachten, Deine Innere und äuhere Bildung pflegten, Deinen Charakter entwickeln halfen und Dein ganzes Sein für das Gute und Edle aufschlossen, so dah Du zuerst aus Instinkt und jetzt aus Ueberzeugung alles Hässliche und Gemeine weit von Dir weist. Denke zurück lieber Junge, an die Zeit, wo der Ehristbaum immer gross und mächtig war, solange Du klein warst und erst später kleiner wurde, als Du grösser und reifer wurdest Denke zurück an die Ehrtstgeschenke, die Dir Deine Kindheit erhielten. Geist. Seele und Charakter langsam fort- bildeten und Dich so das tiefe Glück der hl Weihnacht immer intensiver empfinden liehen. Das alles wallen wir Dir in die Seele zurückrufen, dah Du in Deiner Einsamkeit Dich nicht verlassen fühlst, sonder» trotz der Einsamkeit Dein Herz glück lich und selig schlägt. Deine Gedanken mit uns und bei uns sind und Du so auch diese Weihnacht trotz der grossen räum lichen Entfernung in unserer Mitte feierst Uns Deinen Eltern, geht es ja genau so wie Dir. Und wir meinen wohl, dass uns das Alleinsein an diesem Tage noch schwerer triff» als Dich. Denn Du bist unser Mittelpunkt und sollst unser Alter mit oem Glanze Deiner Jugend aus, so dass wir sogar körperlich schmerzhaft das Alleinsein fühlen. Deine Jugend Dein hochstrebender Sinn bringen Dich doch leichter über die Stunden hinweg, als es bei uns Alten möglich ist; denn wir stehen im Abend unseres Lebens, Du aber hast noch nicht die Mittagshöhe erklommen. Aber Du sollst wissen, dass wir nicht trostlos dasitzen und in den Lichtschein unseres kleinen Christbäumchens starren, worunter die bunte Welt fehlt, die unser einziges gutes Kind so unaussprechlich glücklich gemacht hat. Wir fassen uns still an die Hände und sehen — die Erinnerung wird im Atter immer klarer und schärfer — die Jahre und Dich mit ihnen Im Elternhaus« unter dem Ehristbaum emporwachsen. Deine Männerhand fühlen wir heute körperlich In unseren Händen, und es ist die warme dankbare Kinderhand von einst. Und da» Kind auch, da» trotz den Jahren und der geistigen Tnt- Wicklung unser ganze« Kind geblieben ist, wie es immer war. Jahr um Jahr blättern wir um wie die Seiten eines köst lichen Buches, die wir immer wieder lesen, von denen wir uns nicht trennen können, obwohl wir sie längst auswendig wissen. Echte und tiefe Bescheidenheit wollten wir Dir anerzichen. Denn es gibt nichts Hässlicheres als ein ausgebranntes Herz, dem nicht einmal grosse Ding« mehr Freude machen, klein« aber achtlos beiseite schiebt. Auch an den kleinsten Dingen sollte "Deine Seele hängen. An dem Geringsten solltest Du sudelnde Freude empfinden lernen. Und das ist mit Gottes Hilfe ge lungen Du warst als Kind äusserst bescheiden und konntest Uber die geringste Kleinigkeit genau so jubeln oder voll tiefsten Glückes ganz still fein wie Uber grössere und wertvollere Gal»en. Und so ist es geblieben bis heute, und wir wissen, dass Du niemals blasiert oder snobistisch werden wirst, sondern stets echte Demut und Bescheidenheit aus Deinen Augen leuchten werden. Still und behutsam sind wir mit Dir gegangen, ohne Deine Seele zu erschrecken oder sie zu belasten. Und so bist Du em porgewachsen, hast Dich zu einem Mann« entwickelt, dass wir zu anderen davon nicht sprechen mögen und nur uns tief innerlich an Dir und über Dich freuen und unserem Herrgott für die Gnaden danken. Wir haben nie so offen mit Dir gesprochen, liebes Kind, weil wir Dich nicht beschämen wollten und uns auch die Scheu den Mund verschloss. Aber weil Du so allein heute in Deinem Stübchen sitzen musst, müssen wir es Dir einmal wenigstens schreiben, damit auch Deine Seele das hochgestimmte Bewusst- Der Abeno lmtte sein dunkles Tuch über die Erde gelegt und leise fiel der Schnee von dem oerkmngenen Himmel nieder. Der Fährmann machte den Kahn am Ufer fest, dann schritt er seiner Hütte zu. Der Boden >var weich und leuchtete weit bis zum Wald, der wie ein Zaun in der Ferne stand, als ivollte er die Hütte und das Land herum vor Sturm und Ungemach be hüten. — Drüben, jenseits »es Flusses, lag das Dorf. Aus vie len Fenstern schien ein Licht herüber, denn es mar Weihnacht, und die Menschen sahen in den Stuben und horchten in die Stille, ob sie die Glocken bald hörten in der heiligen Nacht. Als der Fährmann in die Stul»e trat, k-atte die Frau die Suppe schon auf den Tisch gestellt. Sie assen langsam und sckiveiqend. Daun setzte sich die Frau auf sie Ofenbank und nahm das Strickzeug vor. Hin und wieder sah sie zu ihrem Mann, der am Tisch geblieben war und in der Zeitung las. Sie wusste, dass seine Gedanken den gleichen Weg gingen, wie die Ihren, und dass er es ihr verbergen wollte. Zehn Jahre war Christoph fort. Nach einem Streit mit dem Vater war er aus dem Hause gegangen, weit, in eine Stadt, imo war nicht mehr wtedergekommen. Allmählich hatten die beiden Alten vermieden, den Namen des Sohnes zu nennen, aber einer ahnte vom anderen, dass er viel um ihn sann. Da klang die Kirchturmglocke durch die grosse Stille. Die Frau liess die Nadeln ruhen und faltete stumm die Hände. Der Mann hatte den Kopf von der Zeitung gehoben, dann stand er auf, gina zum Fenster und blickte lange auf den fallenden Schnee. Als er sich unnvandte, sah er, dass seine Frau weinte, da ging er zu ihr und setzte sich neben sie. So blieben sie stumm bei einander, bis der letzte Glockenton In der Stille versank. Ihre Nlicke schauten wett In e>n langes Leben, und es war, als hör ten sie. wie die Zeit ging, leise, von der Unendlichkeit in die Ewigkeit. Aber dann tönte das Eisen durch die Russe, das drüben am anderen Ufer an einem Pfahl hing und den Fährmann rief. Die beiden erwachten aus ihrem Sinnen und erschraken über den Klang, der durch die Nacht kam. Nie hatte ein Fahrgast in so später Stunde den Alten verlangt. Noch einmal tönte der Ruf. Da stand der Fähnnann auf, nahen die Laterne von der Wand und ging hinaus. sein erhält. Deinen Eltern das hohe Glück gebracht zu haben, das sie von Dir und Deiner Entwicklung e,hofften. Du weisst wohl, dass die Weihnacht für uns nie ein« kauf« männtsche Angelegenheit war, wie wjr überhaupt Deine Er« ziehung nicht kaufmännisch gewertet haben und auch von DiK nichts erwarten, wag sich mit Zahlen kaufmännisch ausdrücke« lässt. Uns kam es darauf an, einen ganzen Menschen zu «v»i ziehen In Treue zu Gott, zu seiner Religion und zu seinem, Vaterlande. Wir können nach ehrlicher Prüfung wohl sagens dass wir hierbei nichts versäumt und alles getan haben. oaH aber das Ergebnis auch In menschlich möglicher Weise den Er wartungen entspricht. So hast auch Du bisher nie kalt gerech net und wirst auch nie rechnen. Kalte Zahlen verwirren un sere Seele nicht, sondern Ihr Dreiklang schlägt warm und vo> und wird erst recht klingen, ivenn wir beiden Alten den letzte« Abschied genommen haben. Noch schlagen unsere Herzen ihren warnten, vollen Schlatz- wir hören Deins an unseren schlagen und wissen, dass auch DW Dich heute In unseren Armen fühlst und unsere Herzen aitz Deinem schlagen hörst. So überbrücken wir die Hundert« vo* Kilometern, die zwischen uns liegen. Und wenn Du zur glei chen Zeit wir wir zur Ehrlstmett« nwnderst, wird in Deinen^ Herzen genau so froh und glücklich das „Ehre sei Gott in dev Höhe" aufklingen wie in den Herzen Deiner Eltern. Deine Mutter hat Dir zum ersten Adventstaa den stille* Frieden des Elternhauses in Dein Zimmer tragen lassen. Datl hat Deine Seele mit grossem, andächtigem Glück gefiillt. Dein« Mutter baut Dir den Weihnachtstisch mit dem reichen Herze« der mütterlichen Liebe auf, wie nur «in« Mutter es vermag Ich stehe treulich neben ihr, reich« Dir herzhaft die Hand un» wünsche Dir den Gottesfrieden der heiligen Christnacht. Dein getreuer Vater. Die Frau verharrte ans ihrem Platz und lauschte auf dl« Geräusche von draussen. Die Schritte konnte sie nicht verneh men, aber sie hörte, wie die Kette vom Kahn gelöst wurde und ihr Mann über den Fluss rief. — Nach einer Weile kam de« Fährnmnn wieder, doch hinter ihm trat noch eine Gestalt in« Zimmer. Die Frau blickte in das Gesicht und sie erkannte e^ aber sie blieb wie gebannt an ihrem Platz Da lies der Man« auf sie zu und neigt« sich tief über ihre Hände herab. Wie ktt Traum flüsterten ihr« Lippen: „Christoph " und sie tastete über sein Gesicht, das nass >var vom Schnee. Erst allmählich konnte sie fragen, aber es ivar zu viel, was sie auf einmal hören wollte. In ihrem Herzen ivar ein« so übermächtige Freude, dass sie ihren Kopf an seinen An« lehnte und leise weinte. Doch dann blickte sie sich nach den« Bater um. aber der war nicht da. Sie horchten bang, als müssten sie irgendwo seine Schritte vernehmen, doch es blieb still. Da kam eine Traurigkeit in Christoph auf. Der Bat« hatte ihm also nicht verziehen, er war aus der Stube gegairge« und hatte sie Tür« geschlossen. Die Mutter erkannte sein«« Kummer und wollte ihn trösten, aber sie selbst empfand schmer zend die Leer«, die nun um sie war. Eine seltsame Angst ivar i» ihr, als sie zur Tür ging und sie öffnete. Sic sah nur die Nacht und den Schnee. Aber dann erblickt« sie die Gestalt ihres Man nes. wie er. vom Walde her, langsam näher kam. Er trug etwa« in der Hand. Erst als er in das Licht der Stube trat, erkannte sie, dass es ein Tannenbaum war. Da schlang sie ihre Arme um seine Schultern. Wortlos befestigte der Bater den kleinen Baum auf d«M Tisch und die Mutter suchte die verborgene Kiste hervor, in bat seit langen Jahren die Lichter, di« gläsernen Kugeln und dtt Silberfäden lagen Als der Baum geschmückt war und die Lichter durch btt grünen Zweige schienen, war es ganz still in der Stube. Et« feiner Duft stieg auf und in den Zweigen knisterte es leise. — Ein grosser Friede war unter den drei Menschen und ihre He» zen waren froh. Vie Mederkekr kine