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ME " 45 keine Gattin. Obgleich viele, denen es nicht an Verstand fehlt, sich auch daraus nichts machen, indem sie wohl wissen, das; ihre Frauen dabei keinen Schaden leiden und sie selbst viel Vortheil und Vergnü gen davon haben. Alle diese schönen Reden beschloß endlich die Alte mit einigen Drohungen. Diese leutseligen Frauen, sagte sie, die so zärtlich lieben, sind erbarmungslos und wüthend in ihrem Zorne, wenn ihre Liebe verachtet wird, und wissen sich an ihren Verächtern zu rächen, als an groben Beleidigern, die mit Recht gestraft werden. Meine Gebieterin aber, bedenke dies, ist eine Perserin von dem Geblüte der Könige, wie dn selbst sie angeredet hast, und besitzt alles Vermögen und alle Gewalt, den zu belohnen, der sie liebt, und den zu züchtigen, der sie verachtet. Du aber bist ein Fremdling, ohne Freund, ohne Beistand. Schone daher sowohl dich selbst, als auch sie. Sie ist es wohl werth, da sie so heiß nach deiner Liebe sich sehnt, die sie so sehr verdient. Hüte dich vor dem Zorn einer Verliebten, hüte dich vor der Strafe deiner ungerechten Verachtung. Manche habe ich schon gekannt, die sie zu spät bereut haben. Ich habe mehr Erfahrung von Liebes sachen, als du. Diese grauen Haare, die du siehst, haben schon man chem Streite dieser Art beigewohnt. Aber einen so harten, so unem pfindlichen Menschen habe ich noch nie kennen gelernt. Hierauf sich an Charikleia wendend (denn die Noth hatte sie ge zwungen, alles dies in Charikleia's Gegenwart zu sprechen), sagte sie zu ihr: Ermahne du auch, meine Tochter, diesen, ich weiß nicht, wie ich ihn nennen soll, — deinen Bruder: auch dir wird die Sache zum Vortheil gereichen. Du wirst von Arsace deswegen nichts weniger geliebt, aber mehr noch geehrt werden. Sie wird dich mit Reichthü- mern überhäufen, sie wird dir zu einer herrlichen Heirath verhelfen. Dies sind Dinge, nach denen auch Glückliche streben, geschweige denn dürftige Fremdlinge, die ihr Glück suchen. 12. Charikleia sah hier die Alte feurig an und sagte zu ihr: Es wäre in der That schön und zu wünschen gewesen, unsere beste Arsace wäre von dieser Liebe frei ge blieben, oder könnte wenigstens sie mäßigen. Da sie aber eine mensch liche Schwachheit erfährt und, wie du sagst, der Leidenschaft unterliegt, so wollt' ich selbst wohl dem Theagenes rathen, ihr Verlangen zu be friedigen, wenn er dabei vor der Gefahr völlig gesichert wäre, sich und Arsace in ein unerwartetes Unglück zu stürzen, wenn die Sache künftig I I