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119 Vaterland geht so weit, daß ich die Erbfolge meines Geschlechts, den Namen eines Vaters, dies so sehr erwünschte Glück, das mir diese Tochter gewähren sollte, geringschätze und noch bereit bin, sie den Göt tern zu opfern. Ich sehe zwar, daß ihr weint, daß ihr die Regungen der Menschlichkeit fühlt, daß euch der frühzeitige Tod meines Kindes und meine betrogene Hoffnung einer Erbin meines Geschlechtes zum Mitleiden zwingt. Aber ich bin vielleicht sogar wider enern Willen gezwungen, dem Gesetze unserer Väter zu gehorchen und meinen eige nen Vortheilen das Wohl des Vaterlandes vorzuziehen. Ob es der Wille der Götter ist, mir diese Tochter nur zu geben, um sie mir zu gleich wieder zu uehmen, wie es schou bei ihrer Geburt mein Schicksal gewesen ist und jetzt von Neuem werden soll, da ich sie wieder finde, das kann ich nicht sagen und will es euch zu betrachten anheimstellen. Ich weiß nicht, ob sie diejenige, die sie aus ihrem Vaterlande bis an die äußersten Theile der Erde verbannt, nachher durch wunderbare Fügungen mir zurückgebracht haben, jetzt wieder als Schlachtopfer werden vernichten wollen. Verlangt ihr, daß ich sie, die ich als Fein din nicht getödtet, als eine Gefangene nicht verletzt habe, jetzt, da sie als meine Tochter erscheint, aufopfern soll, so will ich mich nicht wider setzen, ich will nicht thun, was vielleicht jedem andern Vater zu ver zeihe» sein würde, mein Leiden soll mich zu keiner Schwachheit zwin gen, ich will nicht zu euch stehn, daß ihr Nachsicht mit mir haben und diescsmal das Gesetz unseres Landes der Natur aufopfern sollt, und dies um so viel mehr, da ihr, eines so traurigen Opfers euch zu über heben, den Göttern auch auf andere Weise dienen könnt. Je mehr Mitleiden ihr für mich bezeigt, je mehr euch mein Unglück, gleichsam als ob es euer eigenes wäre, bekümmert, desto mehr muß auch ich euer Anliegen dem «reinigen vorziehen und meinen Verlust nicht achten, nicht die Thrünen meiner unglücklichen Gemahlin, die ihr erstes, ihr einziges Kind nur bekommt, um es sogleich zu verlieren. Also wenn ihr es für gut findet, hört auf zu weinen und euch selbst vergebens zu quälen. Laßt uns das Opfer anfangen, du aber, meine Tochter (ich nenne dich jetzt das erste- und zugleich das letztemal mit diesem lieb reichen Namen), o vergebens schönes Kind, das vergebens seine Eltern wieder findet und in seinem Vaterlande weit grausameres Unglück er fährt, als unter Fremden, dem die Fremde sein Leben erhalten und