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89 mir den heutigen Tag: du wirst es ein ander Mal hören, wenn du es nicht vorher erkennst, da du doch ein Seher sein willst. Ich stand so gleich auf und ging hinaus, um dem Mädchen Zeit zu lassen, ihre Verschämtheit etwas zu beruhigen. Charikles kam mir entgegen und fragte , was ich ihm mitzutheilcu hätte. Alles steht gut, entgegnete ich; morgen wird sie die Krankheit, die sie belästigt, los sein und eine andere dir erwünschte bekommen. Nichts hindert dich auch einen der Aerzte hinzuzuziehn. Mit diesen Worten eilte ich fort, um den wei teren Fragen des Charikles auszuweichen. Nach wenigen Schritten vom Hause sehe ich den Theagenes in der Nähe des Tempels und sei ner Ringmauer sich umhertreiben und in einem Selbstgespräche begrif fen, als ob es ihm schon genügte, blos die Wohnung der Charikleia zu betrachten. Ich bog aus und ging vorbei, wie wenn ich ihn nicht gesehen hätte. Er rief mir aber zu: Sei mir gegrüßt, Kalasiris! höre mich an, ich wartete auf dich. Ich drehte mich schnell um und sagte: Ei sieh da, der schöne Theagenes; ich bemerkte dich nicht. Ach was, schön, versetzte er, wenn ich der Charikleia nicht gefalle. Ich stellte mich ganz erzürnt und fuhr ihn an: Wirst du nicht aufhören, mich und meine Kunst zu schmähen, von der sie bereits gefangen und gezwungen ist, dich zu lieben? sie betete, dich wie ein höheres Wesen nur zu sehen. Was sagst du, Vater? versetzte er. Charikleia wünscht mich zu sehn? weshalb führst du mich nicht sofort zu ihr? und sogleich lief er vor. Ich faßte ihn am Mantel und sagte: Bleibe stehen, Freund, wenn du auch schnell im Laufe bist; die Sache ist nicht nur so zu nehmen und nicht so leicht käuflich, daß man bloß die Hand aus zustrecken braucht, sie bedarf vieler Ueberlegung, um gehörig vollendet, vieler Vorkehrungen, um sicher in's Werk gesetzt zu werden. Weißt du nicht, daß der Vater des Mädchens der vornehmste Mann in Delphi ist? Sind dir die Gesetze unbekannt, die auf solche Vergehen den Tod setzen? Ich mache mir nichts daraus, selbst zu sterben, wenn ich nur Charikleia bekomme, entgegnete er; gleichwohl wollen wir, wenn du meinst, zu dem Vater gehen und um ihre Hand bitten. Denn wir werden doch nicht dem Charikles zum Schwiegersohn zu unwürdig sein. Wir werden nicht reüssiren, war meine Antwort; nicht weil man an dir etwas ausstellen kann, sondern weil Charikles das Mädchen schon längst dem Sohne seiner. Schwester zugesagt hat. Es wird ihm schlimm