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55 Heiligthum der anderen Götter und die Werkstatt weiser Männer sei. Eine blos mit heiligen Dingen und Weihen beschäftigte Stadt schien mir für einen Priester wie ich ein passender Aufenthalt, und ich machte mich dahin aus: ich fuhr über den krissäischen Meerbusen, landete in Kirrha und eilte ans dem Schiffe zur Stadt hinauf. Als ich mich ihr näherte, traf mich in Wahrheit der Odem der Gottheit, und die Stadt schien mir sowohl sonst der Aufenthaltsort besserer Wesen zu sein, als auch nicht am wenigsten durch die Natur der Umgebung. Denn in der That schwebt der Parnaß wie eine Feste und eine von der Natur ge schaffene Burg über ihr und schließt mit seinen vorspringenden Seiten die Stadt gleichsam in seinen Schooß ein. Du schilderst vortrefflich, sagte Knemon, und wie einer, der in Wahrheit den Anhauch der Pythia empfunden hat. So beschrieb mir auch mein Vater die Lage von Delphi, als ihn die Stadt der Athe ner als heiligen Gesandten dahin abordnete. Ein Athener also bist du, mein Sohn? fragte der Alte. Ja, erwiderte Knemon. Wie heißest du? „Knemon." Welch ein Schicksal hast du gehabt? „Ein ander Mal sollst du es hören. Jetzt fahre in deiner Erzählung fort." Ich will es thun, entgegnete der Alte. Ich ging also zur Stadt hinauf: ihre Rennbahnen, ihre Märkte, ihre Quellen, so wie die Ka- stalia selbst, mit deren Wasser ich mich besprengte, erregten meine Be wunderung. Ich eilte zum Tempel, da auch das Gerede der Menge meine Schritte beschleunigte, die sagten, es sei die Zeit, wo die Pythia sich rege. Als ich beim Hereintreten mich niederwarf, und bei mir betete, sprach die Pythia Folgendes: Von dem Gestade des Nil, de? ährenbekränzten Gewässers. Fliehst du mit eilendem Schritt von des Geschickes Gewalt. Dulde getrost! Egyptens dunkel gefurchtes Gefilde Werd' ich alsbald dir verleihn; jetzo verbleib' ich dir hold. 27. Wie sie diese prophetischen Worte geäußert hatte, warf ich mich mit dem Gesicht auf den Altar nieder, und flehte den Gott an, mir in allen Dingen gnädig zu sein; der große Haufe der Umstehenden rühmte den Gott wegen dieser mir beim ersten Erscheinen gegebenen Prophe zeiung, mich priesen sie glücklich und erwiesen mir von da ab alle möglichen Aufmerksamkeiten, indem sie sagten, mit einem gewissen Ly-