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35 durch sie in Bestürzung zu gerathen, antwortete er und sagte: Ich komme, liebster Geist. Offenbar wandelst du noch auf der Erde, du kannst es nicht über dich gewinnen, diesen Körper, aus dem du mit Gewalt vertrieben wurdest, zu verlassen, vielleicht wirst du auch aus dem Reiche der Schatten ausgeschlossen, weil du unbeerdigt bist. Als Knemon unterdessen mit angezündeten Fackeln herantrat, wurde wieder um derselbe Laut vernommen, und man hörte den Namen Theagenes. Da rief Knemon: O ihr Götter, ist das nicht Charikleia's Stimme? Ich glaube, sie lebt, Theagenes. Vom äußersten Ende, wo ich weiß, daß ich sie ließ, trifft die Stimme mein Ohr. Wirst du nicht aufhören, mich so oft zu täuschen? fragte Theagenes. Gewiß täusche ich dich und werde selbst meinerseits getäuscht, eutgegucte Knemon, wenn wir fin den, daß diese, die hier liegt, Charikleia ist. So sprechend drehte er die da Liegende auf das Gesicht um und schrie, als er sie sah: Was ist das, ihr wunderthätigen Götter? es ist Thisbe's Gesicht. Er trat zurück und stand, von Zittern erfaßt, sprachlos da. 6. Hiedurch bekam Theagcnes wieder Lebensmuth und wandte sich einer freudigen Hoffnung zu : er rief den ohnmächtigen Knemon beim Namen und bat flehend, daß er ihn eiligst zu Charikleia führen möge. Nach kurzer Zeit kam Knemon zu sich und betrachtete die Todte noch einmal. Es war in der That Thisbe. Auch erkannte er ein nahe dabei liegendes Schwert an dem Griffe, welches Thyamis aus Haß und Verwirrung bei dem Morde in der Wunde zurückgclassen hatte: des gleichen nahm er ein Schreibtäfelchen, das aus ihrem Busen hervor stach, auf und versuchte etwas von dem Inhalte zu lesen. Doch Thea genes ließ es nicht zu; er drang mit Bitten auf ihn ein und sagte: Zuerst laß uns die Theuerste holen, falls nicht auch jetzt eine göttliche Macht ihren Spott mit uns treibt, dies werden wir ebenso gut nachher erfahren können. Knemon gehorchte; sie nahmen das Schreibtäfelchen und das Schwert auf und eilten zu Charikleia. Diese kroch mit Hän den und Füßen zu dem Schimmer des Lichtes heran, lief auf Theageues los und hing an seinem Halse. „Habe ich dich, mein Theagenes?" „Lebst du mir, meine Charikleia?" sagten sie oft zu einander; endlich sanken sie auf den Boden nieder und hielten sich sprachlos, als wären sie eins geworden, in den Armen. Wenig fehlte, so wären sie gestor ben. Auf diese Weise schlägt häufig die überschwengliche Freude in