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115 8. Sie nahmen die Beiden fest und führten sie vor den Befehls haber, mit dem eifrigen Bestreben, die schönste Beute zuerst vor ihn zu bringen. Es sollte aber auch die einzige sein: denn trotzdem, daß sie die Insel von dem einen Ende bis zum andern durchstreiften und die ganze mit Bewaffneten wie mit einem Netze umgaben, konnte Keiner sonst irgend etwas antreffen. Bei dem früheren Kampfe war die andere Insel durch Feuer verheert, von der Höhle, die allein übrig blieb, wußten sie nichts. So wurde also das Paar vor den Anführer gebracht: dieser war Mitranes, dem Oroondates, der Satrap des großen Königs in Egypten, das Kommando der Garnison übertragen hatte, und der, wie erzählt wurde, von Naufikles durch große Sum men bewogen, nach der Insel gekommen war, um die Thisbe aufzu- snchen. Wie man nun die herbeigeführten Gefangenen, die oftmals die rettenden Götter anriefen, zu Gesicht bekam, hatte Naufikles einen förderlichen, kaufmännischen Einfall: er sprang vor und rief laut: das ist Thisbe, die mir die schändlichen Hirten raubten, die habe ich durch dich, Mitranes, und die Götter wieder. Er faßte Charikleia bei der Hand und gab übergroße Freude zu erkennen. In einem leisen Helle nisch, damit die Anwesenden nichts merkten, ermunterte er Charikleia, sich selbst für Thisbe auszugeben, wenn sie gerettet werden wolle. Und die List gelang. Charikleia, welche die hellenische Sprache ver stand und vermuthete, der Mann werde etwas Nützliches ausrichten, unterstützte ihn in seiner Absicht und nannte sich ans die Frage des Mitranes, wie sie heiße, Thisbe. Da lief Naufikles auf den Mitra nes zu, küßte ihm mehrmals den Kopf und machte den Barbaren durch die Bewunderung seines Glückes aufgeblasen, daß er, dem das Meiste sonst im Kriege gelänge, auch die gegenwärtige Unternehmung so erwünscht ausgesührt habe. Durch diese Lobeserhebungen aufgebläht und durch den Namen zu der falschen Meinung verleitet, daß die Sache sich wirklich so verhalte, gerieth er zwar durch die Schönheit des Mädchens in Staunen (denn sie schimmerte auch aus dem einfachen Kleide hervor, wie der Glanz des Mondes durch eine Wolke), gleich wohl aber, weil die scharfsinnige Täuschung seinen seichten Verstand in Beschlag genommen hatte und ihm die Zeit zur Reue abgeschnitten war, sagte er: diese nimm du und führe sie als die deinige davon (und mit diesen Worten übergab er sie ihm, doch sah er sie unablässig an