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105 lung einzufinden; das Volk erschien sogleich und man benutzte in der Nacht das Theater als Lokal zur Berathung. Charikles in einem schwarzen Gewände, Antlitz und Kopf mit Asche bestreut, stimmte die Menge blos durch sein Aussehen zum Mitleiden: er trat in die Mitte und sprach: Im Hinblick ans das Uebermaß meines Unglücks, Männer von Delphi, glaubt ihr vielleicht, daß ich mit der Absicht, mich selbst anzu klagen , in eure Mitte gekommen sei und diese Versammlung berufen habe. So verhält es sich aber nicht. Zwar ist, was ich jetzt leide, weit ärger, als der Tod, ich bin verlassen, von dem Zorn der Götter heimgesucht, und mir bleibt nichts, als ein meiner liebsten Genossen beraubtes Haus. Gleichwohl aber beredet mich die eitle Hoffnung, diese Betrügerin aller Menschen, indem sie mir die Auffindung meiner Tochter als möglich vorstellt, noch auszuhalten, und mehr noch die Stadt, die ich an denen, die sie beschimpften, gerächt zu sehen hoffe, es müßten euch denn etwa die thessalischen Knaben auch euern freien Sinn und die Empfindlichkeit für das Vaterland und die vaterländischen Götter mitgeranbt haben. Denn das ist das Schwerste von allein, daß ein paar tanzende Knaben, die zum Gepränge einer Prozession dienen sollten, die erste Stadt in Hellas mit Füßen getreten und den Tempel des pythischen Gottes seines kostbarsten Kleinods, des Liebsten, was ich besaß, meiner Charikleia, beraubt haben. O über den nicht zu besänftigenden Zorn der Götter! meiner ersten leiblichen Tochter löschten sie, wie ihr wißt, das Lebenslicht zugleich mit den Fackeln der Brautnacht aus; durch den heftigen Schmerz hierüber nahmen sie mir auch ihre Mutter; mich vertrieben sie aus dem Vaterlands. Doch alles war erträglich, nachdem ich Charikleia gefunden hatte; Charikleia war mein Leben, meine Hoffnung, die Stütze meines Geschlechts; Charikleia war mein einziger Trost und so zu sagen mein Anker. Auch diese entriß mir und raffte davon der Sturm, der nun einmal mein Theil ist, nicht schlechtweg und wie es sich so traf, sondern in einer Stunde, wo er blos mit mir seinen rohen Spott zu treiben pflegt, bei nahe aus dem Brautgemache selbst, da bereits euch allen die Vermäh. lung angekündigt war. 20. Während er dies noch sprach und sich ganz von der Wehklage fortreißen ließ, suchte ihn der Stratege Hegesias zu beruhigen und auf