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103 Kniee umfaßt. Und Charikleia konnte nichts weiter herausbringen, sie blickte zur Erde und erröthete über ihre eben begangene, außer gewöhnliche That. Theagenes aber fügte noch andere Beschwörungen hinzu und sprach: Rette uns, o Kalasiris, die in der Fremde umher irrenden, vaterlandlosen Schutzslehenden, die alles verlassen haben, um von allein nur einander zu gewinnen; rette uns, die wir in Zu kunft blos ein Spielball des Zufalls sein werden, die eine sittsame Liebe zu ihren Gefangenen machte, die Verbannten aus freier Wahl aber voll guten Muthes, die alle Erwartung ihrer Rettung auf dich gefetzt haben. Seine Worte brachen mir das Herz, ich weinte mehr in meiner Seele als mit den Augen, und nur so viel, daß sie nichts davon merkten, und um mir einige Erleichterung zu verschaffen; dann stand ich auf und sprach ihnen Muth zu. Ich machte ihnen gute Hoff nungen für die Zukunft (denn der Anfang sei mit Gott begonnen) und schloß: Ich werde mich entfernen, um zu verrichten, was noch zu thun ist: wartet hier an dieser Stelle auf mich und gebet sorgfältig Acht, daß Niemand euch sehe. Mit diesen Worten wollte ich forteilen, jedoch Charikleia faßte meinen Mantel und hielt: das ist der Anfang eines Unrechts oder vielmehr eines Verrathes, Vater, sagte sie, wenn du fortgehst und mich dem Theagenes allein überläßest. Bedenkst du nicht, daß ein Liebhaber ein unzuverlässiger Wächter ist, wenn er den geliebten Gegenstand in seiner Gewalt hat, und nicht am wenigsten, wenn Niemand da ist, vor dem er sich zu scheuen braucht; sein Feuer wird noch mehr entflammt, wenn er die Ersehnte ohne Schutz sich Preis gegeben sieht. Deshalb lasse ich dich nicht eher los, als bis mir um der Gegenwart und noch mehr um der Zukunft willen Sicherheit vor Theagenes verbürgt ist, daß er sich mir nicht eher mit Anträgen nahen werde, als bis wir meine Familie und Heimath wieder gewonnen haben, oder, falls dies die Gottheit hindert, daß er mich durchaus nur mit meiner Einwilligung und nicht anders zu seiner Gattin machen werde. Ich bewunderte ihre kluge Aeußerung und entschied, daß es jedenfalls so geschehen müsse. Nachdem ich auf dem Herde des Hauses ein Altarfeuer angezündet und Weihrauch geräuchert hatte, leistete Lheagenes den Eid: er meinte zwar, es geschehe ihm Unrecht, das; man ihm durch die Abnahme des Eides die Gelegenheit, die Zuver-