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90 bekommen, meinte Theagenes, wer es auch ist. Kein Anderer wird, so lange ich lebe, Charikleia in das Brautgemach führen. So träge wird diese Hand und dieses mein Schwert nicht sein. Schweige, ver- setzte ich; derartiger Dinge wird es nicht bedürfen: gehorche mir nur und handle, wie ich dir angebe. Jetzt entferne dich und nimm dich in Acht, immerfort dich in meiner Nähe bemerken zu lassen, suche mich un gestört und allein anzutreffen. Niedergeschlagen ging er fort. 7. Als Charikles am folgenden Tage mich traf, lief er, wie er mich sah, auf mich zu und rief, indem er mir mehrmals den Kopf küßte, in einem Athem: Das ist noch Weisheit, das ist noch Freundschaft; ein großes Werk hast du vollendet; die schwer zu fangende ist gefangen und die unbezwingbare ist besiegt! Charikleia liebt. Bei diesen Worten warf ich mich in die Brust, runzelte die Stirn und sagte ein- herstolzirend: Es war offenkundig, daß sie nicht einmal meinem ersten Angriffe widerstehen würde, obgleich ich noch nichts Größeres gegen sie in Bewegung gebracht habe. Doch woher erkanntet ihr, Charikles, daß sie liebt? Wir gehorchten dir, entgegnete er. Ich ließ, wie du selbst riethest, berühmte Aerzte kommen, um ihren Zustand zu unter suchen, und bot ihnen mein ganzes Vermögen zur Belohnung an, wenn sie ihr etwas helfen könnten. Sobald sie eintraten, fragten sie, was ihr fehle; sie drehte sich weg und gab ihnen nicht die mindeste Ant wort, sondern rief unaufhörlich den Vers Homers aus: „Tapferster aller Achäer, Sohn des Peleus, Achilles." Der gelehrte Akestinos (du kennst ja wohl den Mann) faßte wider ihren Willen an ihre Hand und schien aus dem Pulsschlage die Krankheit und die Bewegungen des Herzens untersuchen zu wollen. Nach ziemlich langen Prüfungen und Betrachtungen oben und unten sagte er: Du hast uns umsonst hierher gerufen; die Kunst des Arztes wird bei dieser auf keinen Fall etwas ausrichten. Auf meinen Ausruf: O ihr Götter! was meinst du da mit? ist meine liebe Tochter verloren und ohne Hoffnung? entgegnete er: Nur stille, höre mich an. Hierauf führte er mich von dem Mäd chen und den Andern auf die Seite und sagte: Unsere Kunst verspricht die Leiden des Körpers zu heilen, die der Seele nicht principaliter, sondern nur dann, wann sie durch die Störung des Körpers mitleidet Ein von ich heile, fingirter Raine«