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Dienstag, 10. Mai 1SS8 Sächsische Dvlkszeilung Nummer 1VS, Seite S —M W«rs ärztliche Grinst zu leisten vermag Der VerkehV»unfall «. Vererbungefvagen vsv -em Forum -es Lhirurgeukougresse» Unlängst tagten ln Berlin die deutschen Chirurgen. Man bekam dabei interessante Berichte tiber die jüngsten Forschungs- ergebnisse und die Erfahrungen in der täglichen Praxis zu Ho ren. Hauptthema mar diesmal der Verkehrs uns all. Wie Prof. Kirschner-Heidelberg dabei ausführte, ergibt sich im all gemeinen bei Berkehrsunfällen, bah der Rumps weniger gefährdet ist als Kopf und Gliedmaßen, jedenfalls zeigen das die Zahlen derer, die Überhaupt noch in die Klinik eingeliefert werden. Sofern sie das Unglück selbst überhaupt überleben, hat meist auch die Wirbelsäule die schwere Belastung eines Sturzes aus dem Wagen oder des Anpralls ausgehalten. Ueberhaupt nimmt die Gefahr für den Verletzten von der Minute des Unfalls an mit jeder Stunde ab, und nach 24 Stunden kann man meist sagen, datz das Schlimmste überstanden ist. Dennoch darf die Notwendigkeit raschesten Handelns nicht dazu führen, datz der Polizeibeamte oder Sanitäter — der Arzt ist meist doch nicht gleich am Platze — den Verletzten einfach in die nächste Privatpraxis oder auch In irgendeine kleine Klinik schafft, nur well sie nah ist. Denn es kommt darauf an, datz die versorgende Anstalt wirklich auch Uber alle notwendigen Einrichtungen, namentlich über ausreichende Röntgenanlagen verfügt Nur etwa 10 Prozent aller Verkehrsunfälle führen zu ernsteren Rumpfverlehungen. Dabei sind, entgegen landläu- iger Annahme die des Brustkorbes meist harmlos. Rip- »enbrüche, namentlich wenn sie bei gestürzten Motorrad- ahrern auf der einen Sette serienweise auftreten, können zwar sie Atmung beeinslussen und auch zu inneren Zerreißungen Uhren. Gefahr für das Leben besteht aber hauptsächlich dann, wenn zu mehrfachem Rippenbruch schwere innere Blutun gen in den Brnstraum kommen, vor allem, weil der Chirurg hier vielfach machtlos ist: Eine Operation kann, weil die Ver hältnisse von außen nicht überschaubar sind, die Lage leicht verschlimmern, möglicherweise kommt sie aber auch zu spät. Ein ständig laufender Abfluß für das Blut ist noch der beste Ausweg. Hat der Chirurg eine solche „Dränage" geschaffen, kann er vor allem an dem Blutabfluß ein Merkmal für die inneren Vorgänge gewinnen. — Vauchverletzungen sind noch seltener, aber Immer gefährlich — ebenso wie im Kriege die Bauchschüsse stets gefährlich waren. Auch hier besteht die Gefahr innerer Verblutung, daneben aber auch die eines Darmbruchcs, wobei der Darm inhalt in die Bauchhöhle gelangen kann. Schmer ist die Dia gnose. Meist aber wird die notwendige Zeit ohnehin dafür benötigt, den Schock des Patienten, in dem er doch nicht operiert werden kann, zu beseitigen. Nierenverletzungen da gegen bedeuten meist keine Lebensgefahr. Gegenüber den selteneren Schäden am Rumpf sind die Verletzungen des Armes und Beines um so häufiger, dafür aber auch ungefährlicher. Meist handelt es sich nicht um Verrenkungen, sondern Brüche des Unterarms oder Un terschenkels, sehr oft sogar nur um Fleischwunden. 98 Pro zent aller seiner Fälle der letzten Jahre konnte Kirschner in Heidelberg ohne Operation behandeln. Zwei Drittel der Arm- und ein Drittel der Beinverletzungen machten nicht einmal einen Krankenhausaufenthalt nötig. In einer Sitzung des Chirurgenkongresses referierte Pro fessor Gebhardt über seine neuen Methoden zu schweren Gelenk- und Muskelschäden, wie sie nach Verletzungen oder auch nach der epidemischen Kin derlähmung zu beobachten sind. Die von ihm ausgearbettete Methode besteht darin, datz die Kraft, die noch den gut erhal tenen Muskeln innewohnt, auf die geschädigten Muskelpar- ticn übergeleitet wird. Aus Seide werden Zügel gebildet, die die gesunde Muskulatur an Stellen, wo sich geschädigte oder geschwundene Muskeltelle befinden, hinüber lenken. Eindrucksvoll war die Vorführung von zwei an den Spätfolgen der Kinderlähmung leidenden kleinen Patienten. Zehn Jahre lang konnten sich jene nur mit Hilfe komplizierter Mieder schwer sortbewegen. Durch die Gebhardtsche Opera tion Kat man die noch vorhandene Muskelkraft voll aus- gennM die Kinder können wieder gehen. Bei anderen Pa tienten wieder ist es mit Hilfe der Seldenzügel gelungen, eine vollkommene Beweglichkeit der Gliedmaßen herzustellen. Ein anderes wichtiges Gebiet der Chirurgie ist die Behandlung der Wirbelsäulenbrüche. Der Chirurg als Erbforscher wird äußerst vorsichtig zu Werke gehen, denn ebenso wie es seine Aufgabe ist, erb- krankes Erbgut auszumerzen, muß er nach Möglichkeit das Tüchtige bewahren. Erleichtert wird die Entscheidung da durch, daß die krankhaften angeborenen Erscheinungen meist nicht allein zu finden sind. So treten z. B. Spaltbildungen an der Lippe oder am Gaumen, die an sich typische Entwicklungshemmungen darstellen, nicht selten zusammen mit Spaltbildungen auch an der Wirbel säule auf oder zusammen mit Brustbeinschäden. Die Fort schritte der Chirurgie haben dazu geführt, daß es heute leicht möglich ist, die so entstellenden Lippenspalten, mit denen manche Kinder zur Welt kommen, völlig zu beseitigen, so daß von diesem ererbten Leiden später kaum noch etwas zu sehen ist. Soll man nun einem Menschen das Glück der Nach kommenschaft rauben, eine vielleicht recht begabte Familie ausrotten, nur weil die Gefahr besteht, daß auch die Kinder wieder mit Hasenscharten zur Welt kommen? Gewiß nicht. Der Chirurg hat also auch die Frage der Schwere eines vorhandenen Erbleidens zu entscheiden. Darii- „Ob Könige Sorgen haben? Komische Frage!" werden manche sagen, die noch in der Meinung befangen sind, daß ein König sich nur zu nehmen braucht, was er nötig hat. Aber seitdem di« Zeiten vorbei sind, in denen ein König nicht nur sagen konnte „Der Staat bin ich", sondern auch „Der Staat gehört mir", und seitdem Staatsvermögen und Privatvermögen des Monarchen säuberlich geschieden sind, muß der König wirtschaften wie ein Privatmann. Und wirtschaften bringt eben Sorgen mit sich. Daß das verflossene Zeitalter, in dem das Mein und Dein des Staates und des Herrschers nicht so genau getrennt waren, auch für die Könige durchaus nicht ein eitel goldenes war, beweist die ruinöse Schuldenwirtschaft des französischen Sonnenkönigs und seiner Nachfolger. Ein ansehnlicher Schul denmacher war auch Georg IV. von England, der Oheim der großen Königin Viktoria. Er war ein so unsicherer Kantonist, daß seine Gläubiger, um sich vor Schaden zu bewahren, sein Leben in Höhe seiner Schulden versicherten. Sie folgte» damit übrigens älteren Beispielen. Denn ebenso waren schon oie Gläubiger des britiscl-en Premierministers Pitt verfahren. Um die Lebensversicherung eines Herzogs von Sachsen-Altenburg entspann sich übrigens ein Riesenprozeß, der den endgültigen Anstoß zur Begründung einer selbständigen, vom damaligen englischen Monopol unabhängigen deutschen Lebensversicherung gab. Deutschlands heute durch Milliardenzisfern gekennzeichnete Lebensversicherung wäre ohne diesen Prozeß wahrscheinlich erst sehr viel später entstanden. Seit den Tagen der Königin Viktoria ist die Wirtschafts führung der englischen Königssamilie eine vorbildliche für jeden guten, verantwortungsbewußten englischen Hausvater. Die außerordentlichen Repräsentationslasten, die aus den Mit gliedern eines regierenden Hauses liegen, verzehren die für diese Zwecke von Staats wegen zur Verfügung gestellten Gelder, und für einen Monarchen ist cs deshalb eine große Sorge, ein ausreichendes Privatvermögen zu bilden und für die Familie zu erhalten. Es wird ja nicht allzuhäufig Vorkommen, daß ein König in die Westentasche greift, um ein paar Nickel für seine Zigar ren oder für eine Briefmarke herauszuholen. Das besorgt für ihn sein Schatullverwalter. Einer Ausgabe aber muß sich der König selbst unterziehen, niemand kann sie ihm abnchmen, und das ist die finanzielle Borsorge sür seine Familie. In England geht der König als „erster Gentleman des Reichs" seinen Untertanen gerade in diesem Punkt tradi tionsgemäß mit seinem Beispiel voran: jeder englische König schließt eine Lebensversicherung zugunsten der Königin und seiner Kinder ab. So erhielten die Erben Edwards Vll. beim Tode des Königs im Jahre 1910 von der Lebensversicherungs gesellschaft 900 000 Pfund (18 Millionen Mark) ausgczahlt. Daß auch viele andere Monarchen der Neuzeit treu- sorgende Familienväter waren, die sich um die wirt schaftliche Zukunft der Ihren Gedanken machten, wurde in der Oesfentlichkeit bekannt, ost leider erst bei tragischen Ge ber können natürlich die Meinungen auseinander gehen. Wo es sich nur um eine einfache Hasenscharte handelt, wird man die Frage der Schwere sicher verneinen. Aber sowohl Uebermuth, Leipzig, wie auch v. Verschuer wiesen daraus hin, daß es bodcnkiich ist, wenn die Lippenspalte bis durch den Gaumen sich fortjetzt, vor allem aber wenn sie mit anderen körperlichen und geistigen Defekten zusammcntrisst. Nicht immer ist es leicht, auch aus dem Erbbilo der Familie zu einem gültigen Schluß zu kommen. Die angeborene „Hüstverrenkung" tritt »ach der Statistik in einen. Fünftel der Fälle familien mäßig auf. Werden die Angehörigen eines solchen Kranken nicht nur äußerlich untersucht, sondern geröntgt, so zeigt sich, daß auch bei vielen, die keine Hiiftbeschwerden haben, doch die Pfanne, in der das Schenkelende sich bewegt, stark abgeslacht ist, daß also auch diese Angehörigen streng genommen „Merk malsträger" sind. Wie aber Professor Kreuz (Berlin) an einer ganzen Reihe namentlich von Embryo-Untersuchungen darstellte, muß das kein Beweis sür die Ererbtheit des Leidens sein. Er machte anschaulich, wie durch die Umwelt des Mutterleibes leicht eine mechanische Wackstumshemmung ver ursacht werden kann, die schon vor der Geburt zu einer Ab flachung der Hüftpfanne führt. Andererseits konnte er von einem Säugling berichten, der mit „angeborener Hüftver renkung" zur Welt gekommen war, und bei dem er Spreizlage der Beine verordnete: nach wenigen Monaten hatte sich in dieser Lage die Hüftpfanne „nachgebildet". Wo das möglich sei, könne man doch nicht von einem Erbleiden sprechen. legenheiten. König Alexander l. von Jugoslawen, der in Mar seille vor einigen Jahren einem ruchlosen Attentat zum Opfer siel, besaß eine hohe Lebensversicherung. Nack der Ermordung des letzten Zaren Nikolaus ll. wurden 19 Millionen Franks Lebensversicherung ausgczahlt. Dcr im Jahre 1900 ermordete König Humbert von Italien hatte sein Leben mit 25 Millionen Franks versichert. Ebensolche Vorsorge Hatto der 1885 ver storbene König Alfons Xll. von Spanien durch Abschluß einer Versickerung aus eine halbe Million Franks getrolsen, übrigen» eine Snmme, die in damaliger Zeit als ungeheuer koch ange sehen wurde. Mit welch geringen Summen in früherer Zeit gerechnet wurde, beweist eine auf das Leben Napoleons abgeschlossene Versicherung aus dem Jahre 1818; sie lautete auf tOl. Pfund Sterling. Gering war auch die Lebensversicherung, sie Papst Pius X besaß: sie belief sich aus nur 80 ONO Lire. In Bulgarien hat fick, der Brauch eingebürgert, daß der Thronfolger bei seiner Geburt ein Sparkassenbuch und eine .'ebe» sv rsichcrung als Geschenk erhält, die bei Erreichung der Großjährigkeit fällig wird. So besitzt der gegenwärtige Thronfolger Prinz Ssineon eine Lebensversicherung in Höhe von 25 000 Mark, die ihm im Jahre 1956 ausgezahlt werden wird Der regierende König Boris kam im Jahre 1915 au! Grund seiner Lebens versicherung in den Besitz von 85 000 Mark. Das beispielhafte Vorangehen der Staatsoberhäupter hat, zumal in England, weiten Kreisen ersi die Augen sür die ungeheure Wichtigkeit einer versicherunasmäßigen Vorsorge für die Familie und das eigene Alter geöttnet Aber auch in den Vereinigten Staaten setzten sich die jeweiligen Präsiden ten durch ihr eigenes Beispiel traditionsgemäß liir diese Zu kunstsvorsorge aus eigener Kraft ein Präsident Eoolidg« erklärte, als man ihn danach fragte: „Es gibt keine Art des Schutzes, die besser wäre." Und Präsident Roosevelt stellt bei seinen weitreichenden Wirtschaslsplänen den ethischen Gehalt der Lebensversicherungsidee als wichtigen moralischen Faktor stark in den Vordergrund und meint, sie sei die Basis der Erziehung zu Fleiß und Sparsamkeit. Haben Könige Sorgen? Ja. sie haben sie. Sie haben soaar noch eine Sorge mehr al» der „gewöhnliche Sterbliche" Denn die Versicherungsgcsell- schasten sind oft gar nicht sehr entzückt, wenn sie einen leib haftigen König ausnehmen sollen. Einen schlickten Bürger nehmen sie viel lieber und — billiger nns. (gerade Edivgrd Vll. machte seiner Lebensversicherungsgesellschast viel Kopsschmer zen Es märe der Gesellschaft lieber gewesen, eines der Renn pferde Edwards gegen Hals- und Beinbruch zu versichern. Al» aber gar König Milan Obrenowittck von Serbien in den wirr sten Zeiten inner- und außenpolitischer Balkankonfliktc den Antrag auf Abschluß einer Lebensversicherung stellte, wurde er glattweg abgclehnt. Aber merkwürdigerweise starb gerade dieser König, für den die Versicherungsgesellschaft die Prämien gelder ihrer Versicherungsgemeinschaft nicht nut haften lassen wollte, im Jahre 1901 in Wien als abgedankter Herrscher eines natürlichen Todes. Gekrönte Häupter versichern ihr Leben Eine Beschädigung der Wirbelsäule macht nicht nur die Auf- rechterhatiung des Körpers unmöglich, sondern sie führt auch durch die Verwundung des Rückcnmarkstranges, der in den Wlrbelgehäusen enthalten ist, zu völliger Lähmung der Glied maßen und der Funktionen der Baucheingeweide. Der Wie ner Unfallschirurg Professor Böhler hat sich seit Jahren be müht, eine Methode zu finden, die es möglich macht, diesen bedauernswerten Geschöpfen zu helfen und sie vor langem Siechtum zu bewahren. Unter dem Röntgenschirm versucht Böhler die gebrochene Wirbelsäule wieder zur normalen Hal tung aufzurichten. Ist die Wlrbclachse im Röntgenbild wieder normal, so erhält der Kranke einen Gipsverband um die be schädigte Stelle und alle Gefahr ist behoben. In vielen Fäl len hat er die Feststellung gemacht, daß schon kurze Zeit nach der Anlage des Gipsverbandes die Lahmungserscheinungen mit ihren Begleitfolqen zurückgehen. Deren vollständiges Verschwinden wurde dann im Laufe der weiteren Behandlung erzielt. Selbstverständlich kann ein solcher Erfolg nur dann erzielt werden, wenn der Rückenmarkstrang nur zusammen gedrückt Und nicht, wie es bei solchen Verletzungen häufig der Fall ist, durch Bruchstücke durchtrennt wird. Besonderes Interesse fanden die Erörterungen über die Frage der Vererblichkeit körperlicher Mißbildungen. Hier muß sich die Untersuchung auf die ganze Familie er strecken. Es gibt Menschen, die einfach dazu geschaffen sind, sich bei jeder passenden Gelegenheit einen Arm oder ein Dein, mindestens einen Finger zu brechen. Kleinkinder, die schon vor dem Schuleintritt x-mal „in Gips" gelegen haben, sind dem Erbarzt keine Unbekannten. Sie leiden an „Knochen brüchigkeit". Aber der Nachweis gleicher Erbeigenschaften in der Familie ist oft nicht so einfach. Da kann es sein, daß die übrigen Angehörigen nur sehr lange dünne Finger haben oder nur gewisse, durchaus nicht „krankhafte" Erscheinungen der Wirbelsäule. Manchmal finden sich in der nächsten Ver wandtschaft nur ein paar sogenannte „Blaue Skleren". Das sind Menschen mit eigenartigen „Schönheitsfehlern" an den Augen. Der Augenarzt würde nie von sich aus aus den Verdacht einer Erbkrankheit kommen. Der Chirurg aber muß wissen, daß sich diese Augenerscheinuna sehr gerne mit Knochenbrüchigkeit „vergesellschaftet". Wo er sie in der Familie eines zum Knochenbruch neigenden Patienten findet, wird er auf erbliche Knochenbrüchigkeit schließen können. Es gibt selbstverständlich auch Neigung zum Knochenbruch, die z. B. durch Ernährungsstörungen hervorgerufen sein kann. Es tst also notwendig, genau da» Erscheinungsbild der Ge- samtfamili« zu prüfen. Führer rrnö Drree bei -er Fahrt -rrreh Florenz (Presse-Hoffmann, Zander-M.)