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2 Bei Entwerfung des Planes war bis auf nachbenannte, von der Gemeinde aufgestellten Bedingungen dem Architekten vollständige Freiheit gelassen; sie mögen schon hier aufgezeichnet werden, da sie ledig liehen Einflufs auf die Eintheilung und Benutzung des gegebenen Grundstückes, auf die eigenthümliche Ausbildung der Grundfigur bilden mufsten. Der Tempel sollte möglichst Raum für 2000 Personen gewähren, und mindestens 1200 Sitzplätze enthalten, von denen eine beliebige Anzahl auf Emporen zu vertheilen war. Das Allerheiligste mufste, einem altherkömmlichen Gebrauche gemäfs (der auch in allen jüdischen Gotteshäusern strenge innegehalten ist), nach Osten zu, eine Kanzel so angelegt werden, dafs von überall der Prediger gesehen und voll kommen verstanden werde, ein Sängerchor für 40 und mehr Sänger, und Raum bietend für eine etwa in späterer Zeit noch anzubringende Orgel. — In unmittelbarem Zusammenhänge mit dem Gotteshause mufste ein heizbarer Saal stehen, zur Abhaltung der von nur geringer Menschenzahl besuchten winter lichen Betstunden, welcher, wofern nicht anderweite Räumlichkeiten zu beschaffen waren, zugleich zur Unterrichtung der Kinder in der Religion und zu Gemeindeversammlungen dienlich sein konnte. Ein Zimmer für den Prediger und eine vollständige Dienstwohnung für den ersten Küster kommen noch hinzu. Aborte sind eine sich aus dem Umstande ergebende Nothwendigkeit, dafs zu gewissen Zeiten der Gottesdienst von sehr langer Dauer, und Viele demselben von Anfang bis zu Ende beiwohnen. Neben der Erfüllung dieser Erfordernisse mufste der Architekt noch besonders darauf bedacht sein, die durch die Lage des Gebäudes, durch die Herrschaft der darauf drückenden nachbarlichen Bau lichkeiten gebotenen Mifsstände auf ein Minimum herabzusetzen, da sie doch nicht ganz zu beseitigen waren. TAFEL 97. Der Tempel liegt (s. Situationsplan in lithograph. Druck) an der spitzwinkligen Ecke der zwei schräg auf einanderstofsenden Centralstrafsenarme und •#'. Rechts auf Strafse .7 die Centralhalle «, links der Handwerk’sche Gebäudecomplex b, der einen Front des Tempels gegenüber auf Strafse •/!' das schöne, von schon erwähntem Architekten Kanitz im englisch - gothischen Style erbaute Knauth’sche Wohngebäude c. Zwei Fronten des Tempels liegen der offenen Strafse zugekehrt, die dritte fällt mit der gemeinschaftlich nachbarlichen ee, Grenze zusammen, und die vierte endlich, die Hinterfront, wird von dem dicht am Grundstücke hinströmenden Mühlgraben d begrenzt. Beim ersten Blicke erschrickt das Auge vor einer solchen unregelmäfsigen verzwickten Grundform, sehen wir zu, auf welche Weise ein regelmässig gestaltetes Gebäude darauf zu konstruiren war. Wie schon erwähnt, mufs das Allerheiligste (Altar) nach Osten hingekehrt liegen. Zufälliger- und glücklicherweise stimmt die west-östliche Richtung, bis auf die Differenz von circa | Grad, genau mit derjenigen Achse zusammen, welche gefunden wird, wenn man den spitzen Winkel der Strafsenecke y in zwei gleiche Theile theilt. An diese Achse war nun die ganze übrige Konstruktion gebunden, das Allerheiligste mufste auf y, das Hauptportal, welches unter anderen Umständen hier auf seinem schönsten Platze gestanden hätte, anders placirt werden. Setzt man den Zirkel im Scheitel y ein, schlägt damit einen Kreis von der Länge y—x, und zieht von dem gefundenen Schnittpunkte » aus eine Rechtwinklige auf y—w und verlängert noch die auf yx rechtwinklig stehende Nachbar-Giebelmauer, so schneiden sich die beiden Rechtwinkligen in u (auf der Achse belegen), und man erhält das Viereck des Hauptgebäudes so wie den inneren Tempelraum, wenn man sich von ersterem nur die beiden Eckstücke s und t, die Treppenhäuser, hinwegdenkt. Selbstverständlich konnte der Haupteingang, die Halle, nicht anders als auf dem noch verbliebenen Theile des Grundstücks angebracht werden; und zwar war hierzu die einzige Stelle zwischen z und w, und diese leider nur 2| Elle lang. Dieses Maafs zu vergröfsern mufste ein Verfahren angewendet werden, bei welchem die Hauptfigur, die als feststehend bereits betrachtet wurde, durchaus keine Verkümmerung erlitt. Die Fronten yx und yz waren vermöge der Konstruktion von gleicher Länge, eine Verkürzung der letzteren um 1| Elle konnte in Natur nicht bemerkt, und die dadurch entstehenden Differenzen, in Bezug zu Front yx, auf geschickte Weise ausgeglichen werden. Das Trep- penthürmchen, der Eckbau t wurde mehr nach y hingeschoben, bis zwischen der Ecke desselben und dem Punkte w ein Raum von 4| Elle verblieb. Durch das Zurückschieben, abwärts von der Strafsen flucht, des ganzen Anbaues, welcher den, nach Hinstellung des Hauptgebäudes auf das Grundstück, ver bliebenen Theil bedeckt, und welcher das Hauptportal, die Vorhalle, das Predigerzimmer, den Winterbetsaal, die Küsterwohnung u. a. R. in sich schliefst, verblieb dem Hauptgebäude, als solchem, seine Ueberlegen-