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Der Neue Tempel in Leipzig. Entworfen und ausgeführt von Otto i m o n s o h ii. Architekt in St. Petersburg. TAFEL 95-1058. Langjährige Wünsche und daraus erwachsende Verhandlungen hatten endlich im Jahre 1853 die israeli tische Religionsgemeinde zu dem Beschlüsse geführt, ein Gotteshaus in solchen Dimensionen zu erbauen, dafs es Raum genug böte für die Andächtigen der Gemeinde selbst, zugleich auch für die zu den Messen aus allen Gegenden zusammenströmenden Glaubensbrüder. Zu diesem projektirten Bauwerke wurden Pläne von verschiedenen Architekten, worunter auch der Verfasser, vorgelegt, und der Vorstand übergab dieselben zwei unpartheiischen Männern zur Begutachtung, dem gelehrten, namentlich um seine For schungen über die altsächsische Kunst hochverdienten, greisen Dr. jur. Puttrich in Leipzig, und meinem hochgeschätzten Kollegen und nachmaligen Freunde, dem Bauinspektor Karl Kanitz ebendaselbst. Beide ausführliche Begutachtungen hatten sich in so unzweideutiger Art über das in gegenwärtigem Werke behandelte Projekt ausgesprochen, dafs der Vorstand im September 1853 dem Verfasser den förm lichen Auftrag zur Anfertigung der Baupläne ertheilte, woran sich Ende Mai des folgenden Jahres der ähnliche, für die vollständige Uebernahme und Leitung des Baues anschlofs. Leider schränkten die Umstände die Fantasie des Künstlers in enge Grenzen ein. — Die zum Baue verfügbare Summe war eine ziemlich geringe, und es ist anerkennend zu erwähnen, dafs die Gemeinde dieselbe nachträglich noch derart erhöhete, dafs der ursprüngliche Plan unverkümmert zur Ausführung gebracht werden konnte. Aber auch die Bauzeit war sehr beschränkt — das Gebäude mufste Anfangs September 1855 dem Gottesdienste übergeben werden können, und doch hatten Hemmnisse aller Art die Grundsteinlegung erst am 7. September 1854 ermöglichen lassen! Dafs aber ein so gänzlich un günstiger, dem Künstler, welcher gern sein Werk dem Auge unverkümmert zur Schau stellt, unwill kommener Bauplatz gewählt worden war, dafür giebt es in der That nur die einzige Entschuldigung, dafs dermalen in Leipzig wirklicher Mangel an geeigneten Baustellen war. Vielleicht darf man annehmen, dafs unter so schwierigen Verhältnissen dem strebsamen Künstler ein um so gewisserer Erfolg in Aussicht stände, denn er mufs hier, wo er den ungünstigen beinträch- tigenden Umständen entgegenzutreten hat, seine schwierige Aufgabe mit um so gröfserer Wärme erfassen, will er siegreich hervorgehen, er mufs auch bei der Ausführung, bei der Leitung des Bauwesens, die Zügel fest in die Hand nehmen und darf sie nimmer lose hangen lassen. Nun erfuhr schon während seiner Erbauung, vorzüglich aber nach seiner Vollendung, das Gebäude einen so ungetheilten, allgemeinen Beifall, an dessen Spitze ich die huldvolle Beurtheilung Seitens Sr. Ma jestät des Königs von Sachsen, Johann, stellen zu dürfen mich glücklich preise, dafs ich Muth fafste, dasselbe zum Gegenstände vorliegenden Werkes zu machen. Wenn das Bauwerk selbst eines den Künstler ehrenden Interesses würdig ist, dann darf die Ver breitung desselbe durch den Druck als eine gerechtfertigte betrachtet werden. Es könnte hierdurch be wirkt werden, dafs Mancher, der des Gebäudes ansichtig zu werden nicht Gelegenheit hat, ein ähnliches Interesse daran fände, und Denen, welche sich daran erfreut haben, werden diese Blätter ein willkom menes Gedächtnifs bieten. Möchte ich mich in diesen Voraussetzungen nicht getäuscht haben, möchten meine bescheidenen Hoffnungen auch nur annähernd in Erfüllung gehen, — dann wird, auch fern vom Vaterlande, die Freude am Erfolge meiner in Leipzig geäufserten künstlerischen Bestrebungen mir eine dauernde sein! St. Petersburg 1857. Oer Verfasser. XVII.