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Qan^med — Qersekiekte eines tiirten Von /^rnolä kirlexser Marfa lockert« da« recht« Kni« am untern Sattelhorn und Uetz di, Rsitgert« gegen Ihr Pferd tätscheln. Vielleicht meint« dt, LteLkofung nicht so sehr di» hellgraue walachische Stute, di« ein wenig unzufrieden mit laschen Fesseln etnhertrottet«. Neben der Reit»rtn schlitt Mihail, der junge Biisfelhirt, sckweigsam wie immer, di, schmalen Lippen fest zusammengelegt, den Blick hochmlltlg zu Boden geschlagen. Er verriet kein« Freude, kein Mißvergnügen darllber. daß sich ihm Marfa hier vorm Dors angeschlossen hatte. „Wohjn gehst du, Mihail?" fragt« sie wieder. Er blieb stehen. Er blickt« sich und zog den Niemen seiner Sandal« f«sf. „Du mutzt neue Opintschen haben", sagte sie, „deine sind ja schon zerrissen." Er schritt wieder aus, schneller als zuvor. Sie blieb ihm zur Seite. Sein Gesicht war vom brandigen Sonnenlicht tief eingedunkelt. Aber dort — an der Stirn untsrm Rand d«r Mütze — war die Haut dort nicht blutig abgerissen? „Er hat dich wieder geschlagen!" Mihail zog di« Mütze rasch in die Stirn. Marfa dachte ergrimmt an Alecsandri, den Vater Mihails. Warum wurhs dieser Mensch an seinem Sohn zum Unmenschen? „Du weißt, Mihail, du kannst auch zu uns kommen. Du wärst meinem Vater recht." Seine Schritte wurden lang und heftig. Die Stute schlug «inet, unwirschen Trab an. „Mihail", sagt« die Reiterin, „was willst du in der Stadt? Wenn du dort ankommst, sind dein« Opintschen nur noch Fetzen. Man wird über dich lachen." Mihail witMke unruhig gegen den Himmel. Jetzt sah auch Marfa das nwtallen» Insekt. Es flog langsamer als sonst, sank, sank tiefer. Auch die Tiere spähten hoch. Was war mit dem Flugzeug? Es rumorte besessen und wackelte mit den Flügeln. Mihail gab einen leisen, fast gur. renden Laut von sich. Der HUtehund sah nicht, daß etliche Tiere ins Treiben kamen. Er hielt den Kopf steif in die Höhe. Das Flugzeug war ganz abgesunksn. Es fuchtelt« schon jenseits der Grupp«. Die Räder glänzten. Jetzt macht« es eine Kohre. Mihail stand wie zum Sprunge geduckt. Marfa dachte un bestimmt, st« müsse ihn festhalten. Das Flugzeug kreiste zurück. Es war keine tausend Schritt vor ihnen. Es klebte förmlich am höckrigen Bodeii. Da kam wieder dieser freudig gurrende Laut aus Mihails Kehle. Plötzlich begann er zu lausen. Wie ein Irrer jagte er über das Feld gerade auf den Riesenvogel zu. Der rüttelte und lärmte und schüttelte schwerfällig die Flügel. Marfa stand wie festgedonnert mit abgewürgtem Schrei. Die Stute bockte. Das Flugzeug war nur noch baumhoch über der Erde, Mihail mit wilden Armen darunter. Marfa glaubte durchs Getöse des wir belnden Propellers sein Jauchzen zu hören. Kannte er keine Angst? Wollte er zermalmt werden? Sie warf sich beide Hände vor die Augen. Jetzt gelang ihr der Schrei. Schon war sie bei ihr->m Pferd, saß auf wie ein Mann, galoppierte. Ihr Schädel war voller Gebraust. Sie sah fremde Menschen, einen Offizier, eine Dame, mehrere Flieger, die alle durchetnanderredetcn. Und dort — ja dort lag Mihail neben seiner Zottenmütze. Zwei hatten sich über ihn gebeugt „Er lebt!" — „Vielleicht nur eine Quetschung." — „Das hätte Vollbruch geben können." — „Wie kam das nur Kapitän?" — „Ein Glück noch, daß wir bei Gegenwind ..." — „Ein tollkühner Bursche!" — „Wir müssen einen Arzt haben, sofort!" „Ich hole einen Arzt!" schrie da Marfa. „Ja, es ist gut", sagte der Offizier mit den blitzenden Orden. „Könnten was machen aus dem. Der Junge hat Austrieb. Sehe ihn schon als Jagdflieger." „Dauert's lange?" fragte der Pilot das Mädchen. „Keine Stunde." Sie galoppierte davon. Keine Stunde? Nein, das war eine Lüge. Sehr weit hatte sie es bis znni nächsten Arzt. — Das braune Land hastete an ihr vorüber. Verzweifelt spähte sie nach dem Kirchturm von Turtucaia aus. Einem Bauern be gegnete sie. Durch eine gedörrte Flußrinne sprengte sie jetzt. Die Eisen der Stute rührten Geröll aus. Die Sonne wurde schwer und sank, fürs Auge unmerklich, für die Haut aber fplirbar. Eine schlimme Ahnung wuchs in Marfas Brust, und das Pferd schnaubte. Schon feuchtet« es durch das wildlederne Bein futter. Die Ahnung wuchs, wuchs ihr zur Kehle hinauf. „Nein!" ries sie und riß plötzlich das Pferd bernm. Nach einer Weile holte sie den Banern ein, den sie vorhin getroffen. Sie galoppierte an ihm vorbei, daß ihm Steinbrösel gegen die Beine hagelten. Als sie wieder bei der Herde anlangte, war das Flugzeug schon übers Rollen hinaus. Da half kein Schreien und kein Winken mehr. Der Platz, wo Mihail gelegen, war leer. In dem strohbedachten Schober fand Marfa die Opintschen, die sie Mihail geschenkt hatte. Da hockte sie nieder. Schlver saß sie da, die Füße gekreuzt, müde und bekümmert, nicht ander« als ein Brezelweibchen in Turtucaia. Si« sah, daß st» ihn endlich getroffen hatte. „Hier bist du «in Hirt, dort aber in Turtucaia bist du nur ein Tölpel." Mihail blieb im Dorf. Es war alles wie vorher. Er duldete weiter, was ihm auferlegt wurde. Als Mihail zum erstenmal eines Flugzeuges ansichtig wprde, da war es ihm, als höbe sich sein Herz mit ihm, als ryeit« sich seine Seele. Er stand auf Zehenspitzen, schaute und schauderte. Fortan versuchte er, das seltsame Himmelsgesährt nachzu formen, in Holz zu banne». Auch kam es manchmal über ihn, vorm Winde zu kaufen, dis Arms ausgespannt, und wenn der Crivat wehte, der die warme Luft russischer Steppen herllbcr- fsthrte, so gelang ihm der Wahn, sein Körper werde einen Hauch lang getragen. Er kam gar auf den Einfall, vom Wetterdach d«s Feldschuppens oder von einem Baum auf einen Haufen weichen Krautes herabzuspringen mit schwingenden Arme», und einmal zerbrach er sich fast die Knie. Mihail zog mit seiner Bllfselherde aus, so weit, daß er vom Hang die Hütten des Dorfe» nur noch wie graue Blatt läuse am grünen Grunde kleben sah. Am zweiten Tage kam Marfa herausgeritten. Das Gesicht unter dem krausen Strohhut war blütenweiß. „Ich habe noch einmal mit meln,m Vater gesprochen. Du kannst wirklich zu ihm. Du bekämst guten Lohn." Mihail blies auf seinem Horn aus Virkenrohr. Und er lächelte leise, als er di« Musik von seinem Munde «ahm. Marfa sprach auf ihn ein. Mihail blinzelte in die Landschaft. Milchblau zogen die Gebirgszüg, am Vlickrand. DI,'nahen Hänge waren von der Farbe schimmelnder Kastanien- Plötzlich späht, «r zum Himmel. Da schwebt, der Flieger mit dunklem Ton. Saugenden Blicks stand Mihail. Seine Hände warfen das Flötenhorn zu Boden. Marfas Augen nahmen mit Herzklopfen wahr, wie er mit zurllckgeworfenem Kopfe da stand, dl« geschwungenen Brauen fast bis an die Zotten der Lammfellmiihs hochaezogen. Am Tag« danach war Marfa wieder bei ihm. „Kommst du am Sonntag vor den Kretscham? Ich bin auch da. Wir wollen dis Kora tanzen, ja?" „Ich kann nicht." „Du kannst sie gut tanzsn, die Kora. Und das letztemal hast du nur zugesehen." „Ich mag nicht tanzen." Aber in den Schultern war es wie «kn lackt«» Wieasn. Oer neue LekikkHnnge / Als ich noch den kleinen Rahschoner fuhr — so erzählte der Bestmann — bekamen wir in Stettin einen neuen Jungen an Bord, einen ebenso gutmütigen wie schiverfäiligen Pom mern. Friedrich hieß er. Die Frau unseres Schiffers mochte ihn gern leiden, denn er konnte gewandt Kartoffeln schälen, aber nach Ansicht ihres Mannes hatte jeder Schiffsjunge, und noch dazu ein gelb haariger Pommer, dumm und unbeholfen zu fein. Bis um Skagcn ging alles klar. Dann aber lief die Nord see gegen unseren Schoner und brachte ihn ins Schlingern und Stampfen Unser »euer Junge glaubte, vor Uebelkeit sterben zu müssen. Er jammerte und stöhnte erbarmenswert, und wenn der Schoner einen Satz machte, klammerte er sich wie irr an das Kojenbrett. Nur nach Hause wollte er noch, oder in einen stillen Wald. Selbst die Mitlclchen unserer Schisferssrau halfen dieses Mal nicht. Gegen Abend kam eine steife Brise auf. Das Rahsegel mußte geborgen werden. Der Schiffer stand am Ruder, tram pelte mit den Füßen und fluchte, wie Kapitäne immer fluchen, wenn sie ein Segel wegnehmen müssen. Ich auf der Rahe merkte bald, daß mir der zweite Mann fehlte, den» die Böen rissen mir den flatternden Lappen immer wieder aus den Fingern. Der Schiffer sah das. und er sah auch, daß ich mehrere Riale nach ihm blinzelte. Endlich, meine Arbeit dauerte ihm doch wohl zu lauge, ließ er sich von seiner Frau ablösen. Ich atmete aus aber der Schiffer rannte am Mast vorbei und hinein ins Mannschafts roof. „Badding —!" ries die Frau hinter ihm her. und noch ein mal. wie in banger Ahnung „Vater!" Aber Vadding war sehr in Fahrt. Nach wenigen Augen blicken kam er an Deck zurück, den Jungen vor sich her jagend. Bis in die Nähe der spritzerumfegtcn, steucrbordschen Verschan zung stieß er ihn, dorthin, wo die Wanten in den Fockmast sührcn. „Euter auf!" brüllte er. Doch Friedrich umklammerte test die Taue und starrte völlig hilflos in die Takelage, die über ihm wilde Kreise beschrieb. Um keinen Preis schien er in die pfeifende Hölle zu wollen. Da packle dtr Schiffer einen Tampen. Der Junge aber, plötzlich völlig verändert, riß fast gleichzeitig VON Paul )scob-l^an§enkec:Ic einen schweren, eisernen Kofseenagel aus der Nagelbank am Want, und breitbeinig stemmte er sich gegen die Bersci>anzung. „Schlagen lasse ich mich nicht!" ries er trotzig. Und wie er so zu den Worten den Kopf in den Nacken wais, blickte er kurz noch der Schifsersfrau, die aufrecht im heulenden Wind, um dampft von den prasselnden Spritzern, in die Speichen des Ru ders griff. Bon Seekrankheit und Heimweh war dem Jungen nichts mehr anzumerken. Der Schiffer stutzte, zog den Kopf -wischen die Schultern, und, im Gesicht blaurot vor Wut, ging er schwer und wuchtig aus den widerspenstigen Jungen los. in der Hand das geschmei dige Tauende. Unwillkürlich dachte ich an meine eigene Schiffs- jungcnzcit. „Padding —!" ries da die Frau wieder vom Ruder her. Ein einziges Mal nur. und ganz laut. Es klang aber ganz anders wie vorhin. Der Schiffer blieb sofort stehen besann sich, knurrte und brummle noch etwas, ließ das Tauende los. ging dann langsam nach achtern und nahm wieder das Ruder, während der Junge nur nach der Frau sah. die trotz des heilig stampfenden Schiffes ruhig und sicher die schwere Kapve der Kajüte öffnete, um nach unten zn gehen, denn es war inzwischen höchste Zeit geworden, das Abendessen klar zu machen. Polternd siel der Kosfeenagel an Deck. — Erneut griff ich in das knallende Segel. Ganz leicht ging plötzlich die Arbeit, denn der nene Junge stand da neben mir und riß an den Zeisingen, als ob er etwas nachzuholen hätte. Bis auf die äußerste Rahennock jumpte er. wo ja auch beim Segelbergen sein Posten war. Später, beim Abendbrot, futterte er für drei. Oben an Deck aber steckte der Schiffer den Kofseenagel wieder in die Naiclbank und legte säuberlich das Tauende herum, mit dem er den Jungen eigentlich verprügeln wollte. Dann ging er in die Kajistc. Als er eintrat, griff der neue Iunac die breite Hand kei nes Schiffers und bat um Verzeihung. Der Schiffer strich ihm über den breiten pommerschen Dickschädel, durch das strohgelbe Haar, schnell, wchl damit es keiner in der Kajüte sehen sollte. Seine Frau merkte es aber dock, und mit einem feinen Läckzeln stetste sie das Essen auf den Tisch. Kleine und ZroLe /^usreiüer plaudere! sm ^Voclienende Von Usrsku. Ich wohne auf dein Dorfe. Zwar statin inan mir eicht nachweisen, daß meine Wohnung zu einer Groß- tadt gehört — aber dennoch! Die Menschen der Bor- tadt, zu denen ich zähle, bilden eine kleine Gemeinde, ür sich. Die Mehrzahl von ihnen kommt nicht allzu zäufig in die Innenstadt. Die liegt für sie so fern — ganz als märe es ein anderer Ort. Auch äußerlich unterscheidet sich die Vorstadt sehr von den steinernen Mauern der eigentlichen Großstadt: Hier herrscht die offene Bauweise, die Häuser sind niedrig, überall gibt es Gärten, die von Grün Uberquellon, in jeder Straße tehen Bäume . . . Auch mit ihrem Sinnen und Sorgen ind die meisten Menschen unserer Vorstadt ganz in hrem engeren Lebenskreise befangen. So meine ich es, wenn ich sage: Ich wohne auf dem Dorfe. Hier hat das Leben nicht den hastigen Pulsschlag, der die Großstadt so anziehend und so abstoßend macht. Die Zeit steht nicht so hoch im Preise. Man genießt die Früchte des Jahrhunderts der Technik, aber man bedient sich ihrer mit Zurückhaltung. Man telefoniert — wenn es sich nicht gerade um ein Gespräch mit einer befreundeten Familie in der Umgebung handelt. Dann geht man lieber hin. Man fährt Straßenbahn — aber am liebsten Kurzfahrschein. Und wenn man seinen Mit menschen etwas mittellen will, dann entschließt man sich nicht gleich zu einem Plakat oder Inserat — da gibt es noch andere Wege . . . Grüner Wellensittich entflogen Da gibt es mitten in unterem Vorort einen schö nen weiten Platz, über den wohl jeder der Umwohnen den mindestens einmal am Tage läuft. Sträucher und Bäume stehen da. Im April blüht hier herr.lich die Forsgthia, im Mai der Flieder. Und die alte Kastanie, die unmittelbar an der Straßenbahnhaltestelle empor ragt, ist nicht nur ein schöner Baum — sie ist auch eine vorzügliche Plakatsäule für jedermann. Man heftet einen Zettel mit einer Reißzwecke an den Baum — schon kann es jeder lesen, der hier auf die Elektrische wartet oder den seine Besorgungen hier vorüberführen. Schön sieht das nicht gerade aus, aber offenbar emp findet man es als praktisch. Auf einem solchen Zettel las ich dieser Tage, nicht ohne Rührung: „Grüner Wellensittich entflogen! Hört auf den Namen Lore Spricht: Bin die gute Lore, Die ganz gute Mutti, Ich darf nicht beiß-beiß machen, Bin das gute Schwänzet. Gegen Belohnung abzugeben bei . . ." Arme Lore! Deine gute Mutti wird Dich kaum wiedergesehen haben. Für einen Wellensittich ist unser rauhes Klima mit seinen vielfältigen Gefahren wenig geeignet. Was mag Lore veranlaßt haben, ihren guten Futterplatz, an dem ihr doch gewiß jede Liebe erwiesen wurde, zu verlassen? Man weiß es nicht, man kann es nur vermuten. Vielleicht könnte Lore die Frage nicht einmal selbst beantworten, wenn ihr Sprachver- möge» auch weit größer wäre als jenes rührende Minia turplakat es angibt. Raffkes unglückliche Liebe „Ein edler Mensch in seinem dunklen Drange ist sich des rechten Weges wohl bewußt." Aber der In stinkt des Tieres, den doch manche für viel sicherer halten als Verstand und Gefühl des Menschen, führt oft in Elend und Untergang. Die grüne Lore mag die Sehnsucht nach der großen Weite verspürt haben, eine Ahnung der fernen Tropenwälder, in denen einst ihre Ahnen hausten. Das Ende aber wird eine jener allzu kalten Iuninächte gewesen sein, die wir nach den war men Tagen am Anfang des Monats in reicher Fülle erlebt haben. Da war die Sache mit meinem Freund Raffke schon anders. Raffke war keineswegs ein Kriegsgewinn ler, Raffke war unser Dackel, den mein Bruder wäh ren der bösen Jahre der Inflation ins Haus gebracht hatte. Wer wird einen jungen Dackel wieder hinaus werfen, wenn auch im übrigen der Stil des Haushalts auf schmaler Taille gehalten werden muß? Wir nann ten die süße Bestie Raffke, um ihn so aus der Straße rufen und damii gleichzeitig alle ärgern zu können, die sich von einem solchen Zuruf betroffen fühlen würden. Raffke also mußte, was sich gehörte. Er hielt auf pünktliche Mahlzeiten und gute Haltung vor der Oes«