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Sächsische Volkszeitung : 29.04.1939
- Erscheinungsdatum
- 1939-04-29
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id494508531-193904292
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id494508531-19390429
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-494508531-19390429
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Sächsische Volkszeitung
-
Jahr
1939
-
Monat
1939-04
- Tag 1939-04-29
-
Monat
1939-04
-
Jahr
1939
- Titel
- Sächsische Volkszeitung : 29.04.1939
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anderen Tonart erneuern. Da aber in diesem Augenblick zwei Wagen der Feuerwehr mit wüstem Sirenengeheul vorüber sausten und der kleine Mann von seinem Platz auf den Arm des Herrn und Helsers die rotblitzenden Gefährt« besser als je zuvor sehe« mochte, blieb er staunend still, und es wäre wohl bald «ii ihm eine Verständigung möglich gewesen, wenn nicht das Auftreten der Mutter alles verdorben und freilich auch das gute Einvernehmen zwischen Polizei und Findling überflüssig gemacht hätte. „Sie haben mein Kind geschlagen." Damit stand eine große, grobe Person plötzlich da. „Geben Sie den Jungen Herl" Eie ritz ihn vom Arm des Herrn. „Frechheit!... So rin Schinderi Mein Slltzer", sie klltzte den Jungen um und um. Aber der „Eiche" macht« diesem Kosenamen wenig Ehre. Ob er trotz der Zärtlichkeit Angst vor der Mutter hatte, ob es ihm erst jetzt wieder zum Bewußtsein kam, wie verlassen und elend er da auf dem Platz gestanden hatte, gleichviel: er schrie auf» neue, schrie noch einmal mit unverminderter Kraft. „Wie kommen Sie dazu, sich an fremden Kindern zu ver greifen I" Nun, wenn diese Stimme der Mutter gehörte, so war da» schreiende Balg freilich rin echter Sohn dieser Frau. Der Herr blieb ganz ruhig. Er schien gute Lust zu haben, dem keifenden Weibsbild den Rücken zu kehren und fortzugehen. Aber da war nun dock der Schutzmann, dem die Frau mit wütendem Eifer zu Leib« ging. „Das dürfen Eie gar nicht zulasteni... Fremde Kinder schlagen!... Wohl weil «r'n P<lz anhat, denkt er, er darf sich an so 'nem armen Kind vergreifen!" Noch versuchte der Schuhmann, mit Freundlichkeiten einzu-' lenken: das Mittel sei doch gar nicht schlecht gewesen, der Junge hab« sich beruhigt.... ,^ven Tod konnte das Kind davontragen I" „Reden Eie keinen Unsinn!" Es wurde dem Beamten nun doch zu dumm. „Wo waren Sie überhaupt? Warum haben Sie auf Ihr Kind nicht aufgepaßt?" Lr zog sein Buch. „Bitte" — jetzt endlich sprach der Beschuldigte und Be schimpfte, der doch als ein wahrer Christophorus mit dem Knaben durch die schreckliche Leere des Platzes geschritten war — „bitte, Herr Wachtmeister, schreiben Sie meinen Namen auf. Dem Kind ist nichts geschehen. Wenn sich aber die Frau be leidigt glaubt, oder vielleicht wegen Körperverletzung klagen will..." „Werden Eie nicht unverschämt", überschrie die Mutter den .«och immer laut brüllenden Jungen. Der Herr gab seinen Namen. Dann beugte er sich noch ein mal zu dem Kleinen...« „Fasten EI« ihn nicht an!" Das Weib riß den Junge» weg. Der aber verstummte plötzlich wieder, sah dem Herrn ins Gesicht und — lachte. Ja, wahrhaftig, er lachte. Der Herr ging davon, an mir vorbei, lachend auch er. Ich hätte ihm gern die Hand gedrückt. Aber vielleicht hätte Ich ihn damit nur ausgestört, aus guten, freundlichen Gedanken. Sooft ich seitdem über den Wilhelmplah gehe, sehe Ich den kleinen Echreiteufel vor mir, der nach dem raschen Prügel- gewitter so sanft auf dem Arm seines menschenfreundlichen Helfers saß, und der in heimlichem Einverständnis mit ihm lachend neben der töricht keifenden Mutter stand. Männer verstehen sich, auch wenn es Prügel gibt. Brautwerbungen Ein Schirm sagt ja! — Durch die Blum« — Dars ich um Feuer bitten? Manchen Männern fällt es so schwer, an ein Mädchen die entscheidende Frage zu stellen, daß sie ihr Leben lang Hagestolze bleiben. In etlichen Gegenden hat man es dem schwerfälligen Manne daher leicht gemacht, seine Werbung anzubringen, und der Korb, den er vielleicht bekommt, ist anmutig verkapselt. Freilich, ein Korb bleibt ein Korb. Wenn ein junger Mann in der Bretagne das Mädchen seiner Wahl fragt, ob er ihren Schirm tragen dürfe, so braucht sie dieses Anerbieten nur anzunehmen und sie ist seine Braut. So einfach kann es zugehcn. Im Verner Oberland sagt man es noch heute viel fach .Hurch die Blume", getreu dem schönen Liede „Schenkt man sich Rosen In Tirol, Weitz man, was das bedeuten soll!" Im Berner Oberland bringt der Liebende seiner Angebeteten einen Straub selbstgepslücktcr Edclweih und gibt ihr damit zu verstehen, datz er sie heiraten möchte, hat er doch sein Leben ge wagt, um die Blüten für sie zu pflücken. Nimmt sie den Strautz an, so gibt sie dem Bewerber damit ihr Jawort. Im Kanton Glarus stellt ein Liebender heimlich einen Blumentopf mit einer einzigen sehr schönen Rose und ein paar Zellen auf das Fensterbrett des Zimmers, in dem die Er korene wohnt. Steht nach mehreren Tagen die Rose noch immer vor dem Fenster, so weiß er, datz das Mädchen nichts von ihm wissen will und seinen Antrag verschmäht. Ist der Blumentops ther von der Dogeiweide sich des Seufzers nicht ge schämt: „Owe, war sint verschwunden alliu miniu jar!" Und Horaz hat wie aus einem tiefen Erschrecken ge sungen: „Ach, sie gleiten dahin, die flüchtigen Jahre..." Aber das kann doch nur eine Stimmung für einen Augenblick sein. Dann aber werden wir uns zusammen reisten und den Weg suchen, der aus der Melancholie der Vergänglichkeit zur Erkenntnis des ewigen Lebens sührt. Weist uns nicht der Frühling, der uns mit seinen Wellen immer wieder erblühender Blütenpracht an die Flüchtigkeit der Zeit mahnt, selbst den Weg dazu? Wer klug ist und die rechten Wege weih, kann mehr mals n einem Jahre den Frühling erleben. Der Lenz steigt a langsam empor aus den Tälern auf die Höhen, etwa n unserer sächsischen Heimat aus der Ebene hin auf ins mittelsächsische Bergland und endlich ins Erz gebirge. Man must nur mit Geduld die Pfade wandeln, die uns der Frühling vorschreibt. Und so kann man auch mehrmals in einem Leben die Jugend und ihr Glück geniesten. Nicht jene „zweite Jugend" meine ich, die mit falschen Haaren und Zähnen, mit Lippenstift und Puderquaste der wirklichen Jugend Konkurrenz zu machen versucht. Sondern die Jugend des Herzens, die noch unter weihem Haar aus lachen den Augen strahlen kann. Wer das Glück hat. Kinder zu haben, wird mit ihnen wieder jung werden und das Leben noch einmal von vorn anfangen. Einen Ab glanz solchen Glückes aber kann jeder erfahren, der mit der Rose aber vom Fenster verschwunden, so kann er sreu- diger Hoffnungen voll zu ihr gehen und alles für die Hochzeit verabreden. In manchen Teilen der Ostmark schiebt der heimlich Liebende seinem Mädchen beim Tanz eine silbern« Münze, in weihes Papier gewickelt und mit bunten Bändern umschnürt, In die Hand, und sie weitz, was sie davon zu halten hat. Hat sie innerhalb drei Tagen die Münze nicht zuriickaegeben. so ist seine Werbung angenommen. Sonst wird die Münze durch einen männlichen Anverwandten des Mädchens dem Freier taktvoll und unauffällig wieder zugestellt. In Ungarn geht die Brautwerbung oft auf die Weise vor sich, datz der Freier Im Hause der Erwählten an die Fenster scheibe klopft und, nachdem er die Mutter begrüßt hat, die Bitt« ausspricht, datz die Tochter ihm ein Streichholz bringen möge. Wenn das Mädchen dann zu ihm hinauskommt und ein Streich holz anzündet, um seine Pfeife oder Zigarette in Brand zu setzen, so bringt sie damit zum Ausdruck«, datz sie noch frei Ist. Ist jedoch das Mädcken schon eines andern Brant, so erwidert die Mutter auf die Bitte des Freiers: „Das Streickkolz ist schon angezündet". Dann mutz der Freier uin eine Hoffnung ärmer wieder nach Hause gehen. In Dalmatien schickt der junge Heiratslustige zwei Freunde zu dem Mädchen, um seine Werbung anzubringen. Sagt das Mädchen ja, so werden Geschenk« ausgetauscht und Einzel heiter« wegen der Hochzeit verabredet. Sollten die Eltern gegen die Heirat sein, so versuchen die beiden Brautwerber, das Mäd chen zu überreden, sich entführen zu lasten. In Samoa überreicht der Bewerber seiner Erwählten einen Korb mit Brotfrllchten und sag» ihr damit, datz er sein Brot mit ihr teilen möchte. In Borneo und Halmahara besteht das Geschenk des Freiers an die Erkorene in Bete'- nüsten. Die Annahme der Gabe Ist gleichbedeutend mit einer Verlobung. Auf manchen der Südsee-Inseln übernimmt das Mädchen die Werbung, indem sie irgendein Lied singt, in dem sie eine Tat des jungen Mannes, den sie gern hat, schildert. Alle jungen Männern hören das Lied, aber nur der eine, der die Tat verübt hat, weitz. datz er gemeint ist. und pllegt sich dem Liebesmerben des Mädchens nicht zu verschließen. In Burma stellt das heiratslustige Mädchen In der Dam^ merung eine brennende Lampe ai« ihr Fenster und kündigt da mit an. daß ihr der Besuch von Bewerbern erwünscht ist. Dann wähl» sie unter den Besuchern ihren künftigen Ehemann. AAeunerrnusik / In Budapest brach vor einigen Tagen in einem Tafö der Zigeunerprimas Ianos Horvath zusammen. Der Arzt konnte nur noch den Tod durch Herzschlag feststellen. Immerhin hatte Horvath das stattliche Alter von 88 Jahren erreicht und war bis zur letzten Sekunde seines Lebens aktiv gewesen. Wenn er in den Pausen Geschichten aus seinem ereignisreichen Leben er zählte, dann bildete sich immer schnell ein großer Kreis von Zu schauern und Zuhörern um ihn, die ihm aufmerksam lauschten. Denn dieser Primas, der schon in allen Hauptstädten der Welt gespielt hatte, hatte viel gesehen und viel erlebt. Er hatte unter anderem auch den Niedergang der Zigeunermusik erlebt, der ihn« die letzten Jahrzehnte seines Lebens besonders verbitterte. Wie kam es zu diesem Niedergang? Wobei wir gleich be tonen «vollen, datz es sich nicht um einen Niedergang der eigcnt- lick-en Zigeunermusik handelt, sondern um einen unbezweifel baren Niedergang ihrer Beliebtheit. In den Jahren vor den« Kriege traf man überall In der Welt Zigeunerkapelle,, an. Und die ungarischen Zigeuner wußten am besten, datz es längst nicht so viele ungarische Zigeunerkapellen gibt, als damals in der Welt vorhanden «varen. Ganz abgesehen davon, datz es natür lich erst- und zweitklassige Kaoellcn solcher Art gab, verlangte man und verlangt inan vom Primas einer erstklassigen Kapelle autzerordentliche Leistungen. Er muß nicht nur gut spielen kön nen, er «nutz auch gut aussehen und sich tadellos benehmen kön nen. Denn es kam vor dem Kriege nicht selten vor, datz sich gekrönte Häupter einen bekannten und populären Zigeuner primas vorstellen ließen und ihn zum Vorspielen einluden. Dem entsprechend groß waren auch die Einnahmen. Es gab in der Familie Horvath, die so manchen bekannten Primas stellte, Männer, die In ihren guten Jahren Hunderttausende verdienten, und das waren gute, vollwertige österreichische Friedenskronen. contra k^ieöel — Was ein Primas sagt WieäeraukstieL eckter Axseunerkunst? Es ist auch eine Legende, datz ein Primas das Geld mit vollen Händen zum Fenster hinauomarf, weil sein Lebenswandel Un summen verschlang. Die meisten sparten und zogen sich im Alter auf ein kleines Landgut im ungarischen Süden zurück. Sie wurden also seßhaft. Die Söhne freilich zogen wieder in die «veite Welt. Sie konnten genau so wenig Noten lesen wie ihr Vater, aber sie hatten sein Temperament und sein untrügliches Gehör geerbt. Und wenn es schon nicht zum Primas reichte, dann wurde man Ztmbalist. Der eben verstorbene Horvath hat oft gesagt, was die Zi geunerkapellen so sehr in den Hintergrund gedrängt yat. Es war der Jazz. Kein Zigeuner kann Jazzmusik machen, und selbst wenn er es könnte, möchte er es nicht, denn er verabscheut sie. Es sind also unversöhnliche Gegensätze. In den teuren und vor nehmen Gaststätten, wo früher der rotbcfrackte Primas seine Fiedel schwang, regiert heule das Saxophon und das Schlagzeug. Ob sich das wieder einmal ändert, kann niemand sagen, wenn gleich Horvath leidenschaftlich davon überzeugt war. Man weiß heute, daß die Zigeunermnsik keineswegs mit der ungarischen Volksmusik gleichzusetzen ist. Für diesen Stand punkt hat sich der berühmte ungarische Musiker Vela Bartolr leidenschaftlich eingesetzt. Aber das gehört eigentlich nicht hier her. Als Unterhaltungsmusik darf man ZIgennermusik immer hin über Jazzmusik stellen, und im europäischen Südosten hat auch der Jazz nicht entfernt so Fuß gefaßt, wie im übrigen Europa. Das ist vielleicht ein Verdienst der Zigeuncrmusik. Wenn man Deutschland ausnimmt, so hat sich der so oft tot gesagte Jazz In der übrigen Welt leider bis heute am Leben erhalten. Und dementsprechend wird auch die Lcidcnszeit der Zigeunerkapellen wohl fürs erste noch anhalten. P. H Werkardeit in cieukeker Dicktun^ Von 8. Droste-IWIsIiokk Die frühmittelalterliche Dichtung umfatzte zunächst das Hel denlied, den höfischen und den Minnesang. Zu Beginn des 13. Jahrhunderts entdeckte Neidhard von Rcuenthal, einer der bedeutendsten Lyriker jener Tage, als erster -en Reiz des bäuer lichen Lebens. Er schilderte es in launigen, oft derben, freilich stets vom Standpunkt des Ritters gesehenen Dichtungen, die man später als „höfische Dorspoesie" bezeichnete. Sein großer Zeitgenosse Walther von der Vogelweide bekämpfte zwar die Art des Reuenthalers, die ihm nicht zusagte: „Die so schnöd und vorlaut schallen, / Zürnend mutz Ich ihrer lachen, / Daß sie selbst sich wohlgefallen / Mit so ungelenken Sachen." Um 1250 aber entstand schon die poetische Erzählung vom „Meier Helin- brecht", Wernhers des Gärtners, die älteste deutsche Dorfge schichte. Sie wurde auf süddeutschem Boden, in Ranshofen in Niederbayern versaßt und berichtete in unmittelbar noch der Wirklichkeit gezeichneter Lebendigkeit von der Arbeit des Bau ern und seinen Sorgen und Freuden mit Feld und Vieh, Saat und Ernte. Jahrhunderte hindurch blieb es dabei. Wenn In den deut schen Dichtungen von Arbeit die Rede war, handelte es sich um die des Bauern. Die Lieder der Meistersinger erzählten ge legentlich von Handwerkersleiß und der Tüchtigkeit ehrsamer Stadtbllrger. Doch als im Rokokozeitalter eine neue Begeiste rung für die uuvcrkünstelte Natur entstand, übertrug inan das Interesse an allein Ursprünglichen gleich wieder auf die Men- sck>en, die Dorf und Feld. Wald und Almen bevölkerten. Sckmfer- spiele, Schäserromane wurden nicht nur in Frankreich, sondern auch in Deutschland große Mode. Man verherrlichte das ländliche Leben und umgab cs mit einem romantisch verspielten Zauber, der ost der nüchternen Wirklichkeit wenig entsprach. Johann Heinrich Botz übersetzte um 1790 nicht nur Vergils Gedicht ,'Ueber den Landbau", sondern brachte auch In seiner Pfarrhaus- Idylle „Luise" reizvolle Schilderungen des geschäftigen Treibens aus einem kleinen deutschen Landgut. Männer «nie Matthias Claudius. Bürger. Johann Peter Nebel schrieben Bguerngeäickte und erwähnten die Landarbeit in ihren Werken. In den Schris- seln Herz der Jugend offen hält, aufrichtig Anteil nimmt an ihrem Erleben und sich selbst niemals alt fühlt . . . Elixier gegen Lebensangst „Tarpe diem! — Mach Deinen Lebenstag frucht bar!" mahnt uns Horaz, der jenem Gefühl des Verrin nens der Lebensjahre so überzeugend Ausdruck gege ben hat. Wer seinen Tag anfüstt mit Arbeit, wer auf ein gesegnetes Schaffen zurüchblicken kann, der wird vom Alpdruck der entschwundenen Jahrzehnte nicht überwältigt werden. Gewist mag er empfinden, wie wenig es ist, was ein einzelner Mensch bei allem Fleiste in einem Leben schaffen kann. Doch wird er seine Leistung sehen als Teil der Leistung seiner Familie, seines Volkes. Dann wird er etwas von dem beglücken den Zeitgefühl des Kindes zurllckgewinnen, das die Furcht gar nicht kennt, von der Zeit überholt zu werden. Und der religiöse Mensch wird seine Augen in stillen Stunden des Feierabends erheben empor über die irdischen Bezirke. Zu dein, in den aste Zeit mündet, bei dem es kein langsames Verweilen und keine rasende Flucht der Zeit'mehr gibt. Gottvertrauen ist das beste Elixier gegen die Angst um die enteilende Zeit. Denn was kann ein noch so grotzer Verlust an Zeit und in der Zeit bedeuten, wenn dem, in dessen Vaterhänden unser Schicksal ruht, eine ganze Ewigkeit zur Ver- fügung steht? ten Schillers und Goethes findet sich rbensnlls manche recht ro mantisch gesehene Lobpreisung der Bauernarbeit. Jedoch beschreibt Goethe in seinen „Wahlverwandtschaften" bereits eingehend die Arbeit des Maurers und erwähnt die „hungernden Strumpfwirker in Apolda": Das Maschinenzeit alter mit seinen sozialen Problemen kündigt sich an. Es raubte auch der Landarbeit die idyllische Verklärung. Pestalozzi schrieb in „Lienhard und Gertrud" vom städtischen Handwerker, der in die ländlick)« Heimat zurückfindct. In Lützeislüh im Emmental verfaßte Jeremias Gotthels seine derb-realistische«« Geschichten, die schonungslose Bilder des harten Vergbauerndaseins zeichnen. In der zweiten Hälfte des IS. Jahrhunderts verdrängt die Maschine immer mehr die Handarbeit, die Industrie das bäuer liche Schassen. Gegenden, in denen Jahrhunderte hindurch nur der Pflug den Boden durchschnitt, werden Industriegebiet. In Schlesien, Im Rheinland und anderswo wandern die Landleute als Arbeiter in die neu entstehenden Fabriken und als Knappen in die Bergwerke. Der gewaltige Umbruch des Lebens spiegelte sich auch in der deutschen Dichtung. Zunächst konnte«« sich die Dichter mit der neuen Wendung der Dinge noch nicht recht ab finden. Man suchte auch das Neue mit dem Schiminer der Ro mantik zu umgeben, Geist gegen Materialismus einzusctzen. Ii« Tiecks Werken, in Immermanns „Epigonen", ii« Gustav Frey tags „Soll und Haben" wird überall deutsches Volk bei der Arbeit geschildert. Aber es Ist noch geruhsame Arbeit ohne Hast und Kampf. Gottfried Kellers Kammacher, Raabes Schuster und Wäscherin im .Hungerpastor" umgibt trotz aller lebensechten Beschreibung der Verhältnisse noch eine gewisse gemütliche Be haglichkeit, während etwa die Werke Peter Roseggers, des Bauernsohnes aus dem steirischen Bergland, bereits von der Tragik jener Bauern erzählen, die sich der neuen Hast des Tages nicht anpasten können und ihren Heimatboden mehr und mehr Fabriken «nd Bergwerken, Maschinen und zugewanderten fremden Arbeitern überlasten müssen. In den letzten Jahrzehnten vor dem Kriege spielte die soziale Dichtung in der deutschen Literatur eine bedeutende Rolle. Man schrieb und las mit Borliebe grell-realistische „soziale Romane", In denen die Schilderung von Handwerker- und Fa- örinarbeit einen breiten Raum einnahm. Theaterstücke, die nur von der Arbeit und ihren Menschen handelten, eroberten die deutschen Bühnen. Ernst von Wildenbruchs Fabrikschauspiel „Die Haubenlerche" ist noch von Idealismus erfüllt. Aber Ger hart Hauptmanns Dramen „Vor Sonnenaufgang" und di« „Weber" erheben bereits erschütternde Anklage gegen die so zialen Mißstände der Zeit. Noch wird die Arbeit nur als Zwang, Last und Plage be trachtet und dementsprechend literarisch verwertet. Häßlich sind die grauen Fabrlkmauern, ein Gesängnis die Arbeitssäle. Nur wenige Dichter haben bereits einen Blick sür den neuen Reiz der blitzenden, sausenden Maschinen und deren Großartigkeit, nur wenige sehen die Schönheit des Schaffens. Die Heimat- und Bauerndichter entdecken diese Schönheit zuerst. Wieder ist «s die Erde, die den Menschen die Augen öffnet: Ludwig Thoma, Frenssen, Hermann Löns und andere schildern nun bäuerliche Arbeit, aber wie ganz anders als di« „Schäferpoeten" der Ro koko- und Wertherzeitl Bald treten Dichter auf, die von der Arbeit an Amboß und Schraubstock, In Hochöfen und Walzwerken erzählen. Richard Dchmcl lauscht dem Lied der Maschinen. „Arbeiterdichter", Man« ner, die selbst aus dem Stand der Handarbeiter hervorglngen, wie Bröger, Bartkel, Engelke, Heinrich Lersch, schreiben Ihre Werke. Heute erscheinen in der deutschen Literatur immer weniger Novellen, Romane, Dichtungen und Schauspiele, die nicht von Menschenschicksal in Verbindung mit irgendeiner Ar beit handeln oder in denen nicht irgendwelche Arbeitsvorgänge beschrieben sind. „Di« Hämmer schwingen! Schlaat zu! Schlagt zu! , Wir schassen, vollbringen, Auch du! Auch dul" svppenberg, „Der Werksoidat".)
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