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Sächsische Volkszeitung
- Erscheinungsdatum
- 1939-04-15
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id494508531-193904158
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id494508531-19390415
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-494508531-19390415
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Sächsische Volkszeitung
-
Jahr
1939
-
Monat
1939-04
- Tag 1939-04-15
-
Monat
1939-04
-
Jahr
1939
- Titel
- Sächsische Volkszeitung
- Autor
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er sein Pferd angebunden hatte. Wie groß war sein Schrecken, als er es nicht mehr an seinem Platze sand. Vielleicht hatte es sich durch Wiehern verraten und — wie er sich im Augenblick klar wurde — ihn dazu! Ehe er jedoch Zeit hatte, iiber die Folgen dieses Zwischenfalls nachzudcnken, fühlte er sich plötzlich von starken Armen umjatzt und überwältigt. Ulrich Vürkle war gelangen. Er wurde In eine Zelle des Gefängnisses Hohenasperg ge worfen und am anderen Morgen vor den Kommandanten ge führt, der ihn wutentbrannt anschnaubte und ihn mit Schimvs und Hohn überschüttete „Weitz Er, ivas das Ihn kostet. Er Deserteur?" brüllte der Alte. „Sein Leben kostet's Ihn. Dann ist'» aus mit den Wcibergeschichtcn." — In einem dumpfen Loch des Asperges schmachtete der Arme lange Wochen. Dann muhte er ein paarmal zum Verhör erlci-einen, und man deutete an, datz nun bald sein Urteil ge sprochen werden würde. „Es steht schlimm um Seine Sache", sagte einer der Gecichtsossizierc zu ihm, die den Aussagen des Beschuldigten wenig Glauben schenkten und die Meinung des Kommandanten teilten. „Zehn Jahre Kerker im Hohenasperg sind Ihm zum mindesten sici>er, wegen schwerer Insubordina tion und soldatischer Pslichtvergesscnhcit, des weiteren Ver dacht auf Fahnenflucht." Abermals verflossen peinvoll« Tage für den Einsamen in dunkler Zelle. Da betrat eines Abends eine vermummte Ge stalt den kahlen, trostlosen Raum. Es war Sabine, di« mit Hilfe des Wärters Zugang zu ihm gefunden hatte. „Kann ich etwas für dich tun?" fragte sie hastig, in Angst und Eile. „Ich will zum Herzog gehen und ihn um Gnade für dich bitten." „Nein, geh lieber zum Prinzen Alexander", erwiderte er nach kurzem Besinnen. „Er wird mir vielleicht helfen " Er griff in sein Wams und zog die Medaille hervor, di« er ihr reichte. „Hier, nimm dies!" bat er sie. „Gib sie dem Prinzen und sage zu ihm: ivenn er die Kehrseite der Medaille sehen wolle, so möge er sich zu mir auf den Asperg bemühen!" Sie zögerte. Da wiederholte er in scharfem, fast befeh lendem Ton: „So und nicht anders sprich zu ihm! Kein Wort niehr oder weniger. Das mutz genügen." Ein Händedruck, und der Gesangene ivar wieder in Nacht und Not allein. — Wie es dem jungen Mädchen gelang, den Prinzen zu er reichen und von ihm empfangen zu werden, ist nicht bekannt. Ihre Schönheit und harte Entschlossenheit vor allem mögen ihr den Weg zum Höchstkommandierenden gebahnt haben. Sie ent ledigte sich ihres Auftrages genau so, wie es ihr von dem Ge- licbtcn anbesohlen worden war. Der Prinz hielt betroffen die Medaille in der Hand. Er bat die Jungfrau um nähere Er klärung, die sie ihm aber nicht geben konnte oder wollte. Nur soviel brachte er heraus, datz es eine Tat der Liebe war. die das junge tapsere Mädchen zu ihm geführt l)atte. Der Prinz, immer geneigt zu raschen Entschlüssen und persönlichem Einschreiten in Fällen, die sein Interesse erivcck- ten, beschloß, unverzüglich den Sachverhalt aufzuklären und aus dem Hohenasperg nach dem Rechten zu sehen. Er begab sich sofort in Begleitung Sabines nach der Festung, hatte eine kurze Unterredung mit dem überraschten Kommandanten, der ihn auf Bclehl zu dem Gefangenen führte. Karl Alexander erinnerte sich sehr wohl an jenes Ereignis auf dem Schlacht feld zu Belgrad. Ein unbehagliches Gefühl der Beschämung stieg in ihm auf, als er seinen Lebensretter von damals in einer so jammervollen und unwürdigen Lage erblickte. „Was .heißt das: ich solle mir die Kehrseite der Medaille ansehen?" fragte er streng und peinlich berührt. Die Antwort des Gefangenen kam ruhig, kühn und hart aus dem Dunkel: „Prinzliche Hoheit, die Lage, in der Sie mich sehen, ist die Kehrseite der Medaille. Ans der einen Seite wird man unter Ihrer Herrschaft für Tapferkeit und Wohlverhalten belohnt, und auf der anderen Seite ahn' Grund und rechtliche Ursach' in Schmach und Schande gebracht, bloher Willkür aus geliefert." „Er ist ein Deserteur und pflichtvergessener Soldat Hoheit", mischte sich der Kommandant erregt ins Gespräch. Karl Alexander wandte sich dem Beamten zu: „Ein Sol dat. der sich so brav und tapfer gehalten hat wie dieser hier, kann niemals fahnenflüchtig und pflichtvergessen werden. Merkt Euch das!" Der hohe Herr nahm dann an Ort und Stelle eine Unter suchung vor und erhielt bald Ausklärung in der Sache. Die Wahrheit lag ja klar zutage; an den Aussagen des Korporals, der sich nur für eine Nacht zu einem Stelldichein hatte ent fernen wollen, war nicht zu zweifeln. „Vierzehn Tage Kerker wegen Eigenmächtigkeit", entschied der Prinz. „Durch die Untersuchungshaft lang verbützt. Im übrigen ernenn« ich Ihn hiermit nutzer der Ordnung zum Hauptmann iiberkompletter Suite, wegen grotzer Verdienste vor dem Feinde. Und gegen den Hauptmann Ulrich Vürkle als Schwiegersohn", ivandte er sich wieder an den Kommandanten, „werdet Ihr wohl nichts einzuwenden haben! Ich erwarte Be richt, wann die Hochzeit stattsindet." — Der Prinz verlieh die Zelle und den Asperg in dem Be- wuhtsein, an dieser Stätte des Unglücks und Jammers einmal Glück und Segen gestiftet zu haben. Ewigkeit der furchtbarste Fluch, der auf ein sterbliches Geschlecht gelegt werden konnte. Deshalb ist das Wan dern der Zigeuner ohne die Freude und den Schwung, der in unserem deutschen Wandern lebendig ist. Diese Irrenden haben die Krast verloren, wieder Wurzel zu fassen und dfe Erfahrung der Wanderschaft fruchtbar werden zu lassen. Aber sind nicht auch unsere Vorfahren, die germa nischen Stämme, gewandert? Erzählt uns nicht die Vor geschichte vom Wandern der nordischen Völker? Diele Völkerwanderungen waren ganz anderer Art als das Wandern jener dem Boden entfremdeten Monschengrup- pen in der Gegenwart. Die germanischen Völker wan derten nicht, weil sie das Gefühl für die Heimat ver loren hatten, sondern weil sie Landnot und Naum- verlust zwangen, nach einer neuen Heimat zu suchen. Nicht, well sie den Zusammenhang mit dem Boden nicht mehr kannten, sondern weil sie neuen Boden für ihre gewachsene Zahl brauchten, zogen die Germanen gen Süden. Und am Ende jeder solchen Wanderung steht die Gründung eines Reiches, das Finden einer neuen Heimat, das den Sinn der ganzen Wanderung erst erfüllt. Die Kraft, das Ziel der Wanderung zu erkennen und zu verwirklichen, sie entscheidet über Wert oder Unwert des Wanderns von Völkern. Bei dem einzelnen aber ist es im Grunde nicht anders. Ein Wandern, das nur eine Flucht ist vor sich selbst, hat keinen Sinn. Es ist eine feinere Art des Selbstmordes; Selbstbetrug um das Dasein durch ewige Unruhe. Edel und fruchtbar aber ist es, durch Wandern sein Leben reicher zu machen, zum Heil für sich und für andere. Erwandertes Glück, erwanderte Weisheit — sie haben schon viele geschmückt und beschenkt. Lkeiiürseke ZekLIcidürLerstreieke LrrLKIt von Otto 8te!nbr!nok Schilda ist ein Ort, so berühmt wie Hornberg Im Schwarz wald. Als die Hornberger einmal olle Welt zum Schlehen einaeladen halten, stellte sich heraus, datz sie das Pulver ver gessen halten. Aehnliche Ergötzlicbkeiten hat cs auch an an deren Orten gegeben, beispielsweise im rheinischen Lunde. Die „gesicherte" Semeindekaffe Napoleons Armee marschierte durch die Rheinland«. In Morshausen auf dem Hunsrück war der Gememdevat seit Stunden mit der hochnotpeinlick)«n Frage besck)äftigt, wohin man die Gemeindekasse in Sicherheit bringen solle. Als nie mand einen Vorschlag mutzte, meldete sich ein Dachdeckergeselle und versicherte treu und bieder: „Ich werde das Geld dahin bringen, wo es kein Franzose holen kann." Der Gemeinderat vertraute dem jungen Dachdecker di« Kasse an. Der tat das Geld in einen Lederbeutel, ging vor das Dorf, kletterte auf die höchste Pappel und hängte in deren Spitze den Beutel auf. Als der Feind abgezogen war und der Krieg zu Ende ging, wurde der Beutel von einem Gemeinderatsmitglied unter Lebensgefahr heruntergeholt. Aber als man Ihn im Gemeinde haus öffnet«, hielten sich alle die Nasen zu. In dem Beutel war ein — Kuhfladen. Der Gemeinderat zerbrach sich lange den Kopf über die Frag«, wie die Kuh wohl auf die Pappel ge langt sei. Ein Weldenbaum wird getränkt. In dem Dorf Wiesbaum stand neben dem Weiher ein alter Weidenbaum. Wenn der Wind heftig ging, krachte es In dem alten Geäst, und das stört« die Wiesbäumer. Die Ge- mcinderäte zerbrachen sich den Kopf, anscheinend erfolglos. Schließlich verfiel einer auf des Rätsels Lösung, er erklärte, wenn er täglich nebcn einem gefüllten Weinfatz schlafen mühte, ohne von dem Inhalt kosten zu dürfen, würde er auch seufzen. Kurzum: der Daum habe Durst und müsse getränkt werden. Das leuchtete allen Gemeinderatsmitgliedern ein. Aber wie sollten sie das Wasser bis zur Spitze des Baumes bekommen? Eine so lange Leiter gab es ja gar nicht! Endlich fanden sie Rat. Ein Wiesbäumer kletterte hoch hinauf, mit der einen Hand hielt er sich am Stamm fest, die andere blieb frei für den Wassereimer. Die anderen kletterten nach, und einer hielt sich immer niit der linken Hand an dem linken Bein des Vordermannes fest. Der letzte stand am Weiher, schönste einen Eimer Wasser und reichte ihn hinauf, so ging der Eimer bis zum obersten Gemeinderatsmitglied. Doch plötzlich wurde die sem die Last der an ihm hängenden Gemcinderatsmitglieder zu schwer. Er rief: „Jungens, haltet euch fest, ich muh mal In die Hände spucken!" Er spuckte in die Hände, und plumps, lag der gesamte Gemeinkerat im Weiher. Der Regenschirm des Monschauers Ein Monschauer ging von Monschau nach Aachen und hatte nach Art der Eifelbauern seinen Regenschirm an einer Schnur — wie ein Gewehr am Riemen — über den Rücken hängen. Als er das ensie Stadttor zu Aachen passieren wollte, kam er nicht durch, weil der lange Schirmstock sich gegen die enge Pforte stemmte. Nach mehrfachen vergeblichen Versuchen erkannt« der Monschauer, dah der Schirmstock zu lang war, ging acht Stunden Weges nach Monschau zurück, schnitt dort ein Stück von dem Gerät ab und trat seinen Weg nach Aachen von neuem an. Die Leuscheider kaufen «in Gewitter In Leuscheid an der Sieg herrschte eine grohe Dürre. Seit Monaten war kein Tropfen Regen mehr gefallen. Da brachte einer das Gerede auf, in Köln könne man Gewitter kaufen. Die Leuscheider schickten ihren Schulzen mit Geld nach der Domstadt, dort ein Gewitter zu holen. Unterwegs kehrte der Schulze In einem Gasthaus ein und erzählte dem Wirt den Gnind seines weiten, beschwerlichen Weges. ..Da braucht Ihr nicht erst bis Köln zu laufen, das könnt Ihr auch bei mir haben", sagte der Wirt. Der Schulze war mit diesem Bescheid zufrieden. Er blieb in dem Gasthaus. Der Wirt brachte ihm eine kleine Schachtel, in die er eine Hummel eingesverrt hatte. Das ganze kostete zehn blanke Taler. „Nun macht, datz Ihr rasch hcimkommt! Hört Ihr nicht, wie es drinnen schon brummt und stürmt? Oefsnct aber die Sckachtel nickt, bis Ihr wieder in Leuscheid seid!" Eilig machte sich der Schulze auf den Rückweg. Unterwegs hätte er aber zu gerne gemuht, wie ein Gewitter in der Nähe aussieht. Er öffnete behutsam die Schachtel. Als die Hummel die Oeffnung bemerkte, kroch sie aus der Schachtel und flog brummend davon. Der Schulze hatte das Tier nicht erkannt. Er meinte aber, es bringe das Ge witter. und flef hinter dem Insekt Ker, laut rufend: „Ueber Leuscheid. flieg iiber Leusck-id. über Leuscheid! Ick habe zehn Taler für dick bezahlt!" Anher Atem kam der Schulze nach Leuscheid zurück, rief den Gemeindcrat zusammen und teilte mit, dos gekaufte Gewitter sei unterwegs. Was zeigen diese Schwänke? Dah sich die Menschen sehr gern narren lassen und das Volk gerade die zum Narren macht, die sich für besonders weise halten. Lin guter Nen8ek / Das Abteil ist unbesetzt bis auf einen eleganten jungen Man» namens Leo Limpcr. Sehr gern hätte dieser junge Mann ein wenig geplaudert. Mit einem netten Reisegefährten, oder noch lieber mit einer hübschen Reisegefährtin. Aber die Aussichten werden von Minute zu Minute geringer, denn der Zug mutz jeden Augenblick abfahren. Schön. Schlafen wir noch ein bißchen, denkt Leo Limpcr und streckt die Glieder anmutig ins Weite. In diesem Augenblick öffnet der Schaffner die Tür. Zwei Koffer werden hereingereicht, eine Reisetasche und mehrere Schirme. Dann steigt eine Dame ein. Obgleich es eine ältere Dame ist. macht sich Leo Limper beim Verstauen des Gepäcks nützlich. Die Unterhaltung mit einer alten Dame, denkt Leo Limper, ist immer noch besser als gar keine Unterhaltung. Außerdem ist Leo Limper ein guter Mensch. Wenigstens gegen solche Leute, die ihm nichts Böses getan haben. Eine Weile kramt die Dame nervös in der Reisetasche, dann fährt sie erblassend herum. „Verzeihung, dieses ist doch der richtige Zug nach Dortmund?" „Ja, geivih", sagt Limper höflich. „Reisen Sie nach Dort mund, wenn ich fragen darf?" Ein mißtrauischer Blick trifft den freundlichen junaen Mann. „Nein", sagt sie dann zögernd. „Ich fahre nach Köln. Zu meiner Schwester. Denken Sie nur..." „Da müssen Sie in Dortmund umsteigen!" „Ich weiß, ich weiß. Mein Nesse hat mir alles ausge schrieben. Aber wo habe ich jetzt nur den Zettel gelassen?" Ein riesiger altmodischer Beutel gibt seine Geheimnisse preis, indes Leo Limper taktvoll aus dem Fenster blickt. End lich ist der Zettel gefunden, und Leo Limper bestätigt der alten Dame gern, daß alles stimmt, was auf dem Zettel steht. „Gott sei Dank!" Mein Nesse ist zwar sehr zuverlässig, aber man kann sich zu leicht irren, nickt wahr? Ick habe erst neulich in der Zeitung gelesen, daß ein Mann sein ganzes Ver mögen eingebüßt hat. nur, weil er irrtümlich in den falschen Zug gestiegen war! Wie war das doch nur...? Die alte Dame scheint angestrengt darüber nachzudenken, wie das nun eigentlich gewesen ist mit dem Mann, der einen Postillione der guten Laune Laßt uns also wandern, meine Freunde, solange unsere Augen noch hell und unsere Beine rüstig sind! Es kommt gar nicht fo sehr darauf an, wie weit unsere Wanderungen sind, ob sie uns mehrmals um das Kap Hoorn führen oder nur bis in die Alpen, ob sie der engeren Heimat gelten oder der nächsten Umgebung unseres Wohnsitzes. Entscheidend ist der Wille, unsere Seele dem Entströmen aller edlen Bilder und guten Gedanken dieser schönen Welt offen zu halten und die so gewonnene Beute nutzbar werden zu lassen. „Mir scheint, datz die Natur die Menschen eher zu Postillionen hat machen wollen denn zu sitzenden Ge lehrten." So hat Friedrich der Große gemeint. Und wenn uns alle unser Beruf mehr oder weniger zwingt, während des Alltags im engen Bezirk zu verharren — warum wollen wir nicht jede sonnige Stunde, die uns an freien Sonntagnachmittagen geschenkt ist, benutzen, um ins Weite vorzudringen? Wer am Sonntag ein „Postillion" auf Schusters Rappen ist, wird die folgen den sechs Wochentage ein Postillion der guten Laune sein, der seinen Mitmenschen das Leben nicht schwerer, sondern, wenn es möglich ist, ein wenig leichter macht. Oft genug hat man ja dieses ganze Leben als eine Wanderschaft bezeichnet. Gewitz ist das richtig. Aber man sott das ohne Traurigkeit denken und sagen. Jede ordentliche Wanderung hat ein Ziel — warum sollte es'mit der Wanderung des Erdenlebens anders fein? Wer an das ewige Ziel der irdischen Wanderung glaubt, wird seinen Weg fröhlich geben. Denn das Ziel erst gibt der Wanderung Sinn. Und noch jeder Wanderer hat sein Ziel erreicht, der drei Dinge sein eigen nannte: Mut zum Vorwärtsschreiten, kraftvolle Tatbereitschast und ein für alles Edle und Schöne offenes Herz. Leben unck Liebe Kleine Randbemerkungen von Artur Brausewetter Sieh dein Leben nicht an als ein Schicksal, das dir zu- erteilt ist, sondern als ein Schicksal, das du zu gestalten hast. Es kommt im Leben weniger auf die Behütung an als auf die Bewahrung. Behüten kann man sich bis zu einem gewissen Grade selber. Bewahren können einen nur höhere Mächte. Mancher geht für den anderen durch das Feuer — so lange cs noch nicht brennt. Die Liebe erträgt asses und überwindet alles — nur nicht den Verrat, G Die Liebe kennt keine Vergehungen und keine Verirrun gen. Sie kennt nicht einmal Geben und Vergeben. Sie liebt — das Ist alles. G Es gibt nur zweierlei: Liebe und Hatz. Alles, was jenseits von beiden steht, ist lau und schal. falschen Zug bestiegen hatte. „Wissen Sie denn auch ganz sicher", fragt sie dann plötzlich, „daß dieser Zug wirklich nach Dortmund fährt? Man fragt besser einmal zu viel als einmal zu wenig, nicht wahr? Es wäre ja auch gar nicht auszudenken, ivenn..." „Beruhigen Sie sich, werte Dame", sagt Leo Limpcr, ner vös werdend. „Der Zug fährt bestimmt nach Dortmund! Ich fahre doch selber über Dortmund." „Ja, gewiß. Aber Sic könnten doch selbst im falsch'» Zug sitzen, nicht wahr?" Leo Limpcr möchte eine gereizte Antwort geben, aber er beherrscht sich, denn er ist, wie gesagt, ein guter Mensch, We nigstens... Siehe oben. „Das ist ausgeschlossen!" lächelt er nachsichtig. „Ich fahre seit Jahren tagtäglich mii der Bahn. Ich bin Rcisevertreter und Sie können sich wohl denken..." „Allerdings. Dann müssen Sir es ja wohl genau wissen. Obgleich gerade, wenn man feiner Sache allzu sicher ist..." Was mache ich nur?, denkt Limper. Ich kann doch, nach dem ich gesagt habe, daß ich über Dortmund fahre, nicht gut auf der nächsten Haltestelle aussteigen und ein anderes Abteil anfsuchen. Ein Glück, daß es nur noch ein paar Haltestellen sind...! Leo Limper blickt unentwegt aus dem Fenster, ob gleich er da draußen sozusagen jeden Baum und jedes Haus kennt. „Meinen Sie, daß ich den Anlchlutzzug noch erreichen werde? Es sind nur zwölf Minuten, und mit meinem Gepäck. — Wo liegt denn eigentlich der Bahnsteig 4?" Limper seufzt unhörbar, aber tief. „Wissen Sie was? Ich werde Ihnen Ihr Gepäck tragen und Sie an den richtigen Zug bringen! Soviel Zeit werde ich gerade hal>cn. . " „Sie sind sehr liebenswürdig, Bielen, vielen Dank!" — Leo Limper steigt aus. Mit zwei Koffern, einer Reise tasche, mehreren Schirmen und einer älteren, vorsichtigen Dame. Auf Bahnsteig 4 steht richtig der Zug nach Köln. Suchend eilt Limpcr, gefolgt von der trippelnden alten Dame, an der Wagenreihe entlang, und entdeckt endlich ein Abteil, in dem nur ein einziger Herr sitzt. Dieser Herr aber ist, — ha! — niemand anderes als Alfred Brinkmann, der unausstehliche, aufgeblasene Vertreter der Konkurrenzfirma Wacker u. Zic- rich! „So bitte!" sagt Leo Limpcr freundlich und hilft der alten Dame beim Einsteigen. „Hier ist Platz genug..." — Im letzten Augenblick erreicht Sinnier seinen Zug. Schwitzend und atemlos sinkt er auf die Sitzbank, aber aus sein Gesicht zaubert eine ungemein erheiternde Vorstellung ein fanstcs Lächeln. Nun wird man sich endlich auch ein wenig unterhalten können! Der dicke gutmütig aussehende Mann ihm gegenüber scheint den gleichen Wunsch zu haben. Vielleicht hat er Sinn für Humor und wird sich iiber die komische Geschichte von der alten Dame und dem Herrn Brinkmann, die Limper zu cr- zählcn beschließt, vor Lachen ausschiittcn ...! „Verzeihuna", leitet Limper die Unterhaltung ein, „darf lch sraacn. ob Sie auch nach Haacn fahren?" „Nee!" grient der Dicke. „Plenn Sie nach §>agen wollen, haben Die Pech gehabt Dann sitzen Sie im falschen Zuge!" Kräftige Männerhände hoben den Ohnmächtigen wieder auf die Bank...
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