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Freitag. 18. Dezember 1938 Sächsische Volkszeitung Nummer 294. Seite 6 keeir WMlkin Micksalsroman von Kans Ernst: UrheberrechtSIchub durch VerlagSanstalt Manz, München. ö. Fortsetzung. Endlich setzten sich Maria und der Student wieder an den Tisch. Und nun lauerte Pauli, was Maria weiter tun wiirde. Schließlich wurde es ihm zu dumm. „Mit mir willst vielleicht nicht tanzen?" Der Ton mißfiel Maria. „Wenn du es so sagst, dann gewiß nicht!" Und jetzt faßte sich Wiesbrock den Mut, und er forderte Maria noch einmal zum Tanze auf, und das wiederholte sich dann zum dritten Male. Da ertrug es Pauli nicht mehr. „Mit dem da tanzst du fein nimmer!" Er schrie fast. „Eeh, Paul," stammelte Maria erschrocken, „schrei doch nicht so laut!" „Reden tu ich schon grad, wie ich will," sagte Pauli, nicht weniger schreiend. Jetzt mischte sich auch Anna ein: „Paul, wenn du dich unanständig aufsiihrst, dann wäre es besser gewesen, du wärst gar nicht gekommen!" Auch Michael Wiesbrock wandte sich an den Erbosten. „Herr Stadler," meinte er ruhig, „es besteht doch wirk lich kein Grund, daß Sie so lärmen." „Mit Ihnen hab ich Überhaupt nicht zu reden, verstehen Sie," war Paulis gereizte Antwort. „Merken Sie denn nicht in Ihrer E'studiertheit, daß Sie unter uns ganz über flüssig sind?" Diese Bemerkung konnte Maria nicht mehr ertragen. „Paul," sagte sie, nun auch erregt, „die zwei hier sind im Recht. Wenn du dich nicht anders aufführen kannst, dann ist es besser, du gehst!" Jetzt machte Pauli große Augen. Dann schlug er auf den Tisch. „Ich geh schon! Ich komm auch nimmer! Ich hab schon gemerkt, daß ich da nicht her pass'! Kellnerin, zahlen!" Und damit erhob er sich. Ohne zu grüßen, entfernte er sich. Als es schon dunkelte, machten sich die drei auf den Heim weg; Michael Wiesbrock hatte Maria seinen Arm geboten. Vor dem Hause des Prosesiors verabschiedete sich Anna. Wiesbrock begleitete Maria nach Hause. Als sie einander die Hand gaben, stand plötzlich der Pauli vor ihnen. „So!" sagte er mit heiserem Atem. „Jetzt hab ich euch zwei! Jetzt kenn ich dich erst richtig! Mich stehst nimmer!" Und damit schoß er davon. Als Paulis Wut den nächsten Tag verraucht war, da setzte er sich hin und schrieb an Maria. Er suchte sein Verhalten zu erklären: daß ihn nur sein» Liebe zu dieser Grobheit getrieben habe. Daß er es aber nur gut gemeint hätte. Aber auch nur ein Wörtlein der Entschuldigung miteinsließen zu lasten, dazu war der Stern wirt Pauli zu stolz. Und so erhielt er denn auch keine Antwort. Pauli wartete zwei Wochen. Jeden Tag hatte der Postbote den Kopf geschüttelt. „Nein, Herr Stadler, nichts für Sie!" Und nun war es dem Pauli klar: Die Geschichte war aus. Und schuld war sie, die Maria! Nachdruck verboten. Von einem Film und wahrer Liebe Gerda empsand Langweil». Lesen mochte sie nicht; der Tag war trüb und schwer mütig. Regensträhne strickten ihr Netz über die Stadt. Also Kino! dachte Gerda. Und da sie Begleitung wünschte, ging sie in die Küche hinaus. „Sind Sie fertig, Anna?" „Gerade bin ich soweit, Fräulein Gerda." „Dann werden Eie mich begleiten, ins Kino. Das Wet ter ist schlecht. Wir gehen nur um die Ecke. Was gegeben wird, ist mir gleichgültig." Anna hatte sich schnell ausgehbereit gemacht. An der Kaste nahm Gerda zwei erste Plätze und ein paar Tafeln Schokolade. Der Saal war ziemlich leer. Gerade huschten die letzten Bilder der Wochenschau über die Leinwand. Dann setzte für den Hauptfilm die Glas orgel ein. Die Fülle dieser Töne stimmten Anna wie in der Kirche. Die Akkorde schwollen an, sangen das große Lied schicksal haften Geschehens, brachen in Klagelaute über und endeten schließlich mit einem Hymnus. Anna hatte sich vorgebeugt. Den Kopf in die Hände ge stützt, saß sie da. „Fangen Sie doch nicht zu heulen an," bemerkte Gerda, „trösten Sie sich doch an etwa» Schokolade. Da, nehmen Sie, Anna!" Aber da teilte sich schon der Vorhang, und der Haupt film setzte ein. Der Held des Film», »in Sänger, stand am Flügel. Und die Tochter des Hauses begleitete ihn, die Tasten leicht an schlagend. Dann war das Lied von der Lieb und Treu» zu Ende, es gab Beifall, der Sänger begleitete die Dame in den Wintergarten und küßte den dargebotenen Mund« „Blöd! Süßlich!" bemerkte Gerda. Anna überhörte diese Bemerkung. Das Lied, in Ton und Wort, hatte sie ergriffen. „Du kannst mir untreu werden — ich bin dein! Mag untergehen die Erden — ich kann nicht anders seini Ich hab mich dir gegeben — ich kenne keine Reu'! Dein Leben ist mein Leben! Mein Kerzensschkag die Treu'!" Und der Sänger im Film sang in einem Konzert, und als er das Haus verlieb, wurde er mit Blumen überschüttet. Und er reichte einer seiner Verehrerinnen den Arm und geleitete sie durch den Stadtpark. Und als sie die Arme um seinen Hals legte, da beugte er sich zum Kuß. „Er wird es auf ein Dutzend Haremsfrauen bringen," spottete Gerda. Aber der Film stellt, nach diesen einleitenden Szenen nun die Gestalt der Heldin heraus: keine Dame des Salons, keine höhere Tochter, sondern ein einfaches bürgerliches Mädel mit einem herben, stolzen Herzen, das sich dem Sän ger in Liebe zuwandte. „An der wird »r in Langeweile enden!" bemerkte Gerda. Der Streifen rollte weiter: beiderseitige Liebe, gemein sames Glück am Bettchen de» Kindes; der Sänger auf der Höhe seines Ruhmes, der au» der Welt der Kunst nach sei ne» Erfolgen zu Hause bet seiner Frau immer wieder in di, Süße der Ehegemeinsamleit zurllcksindet. Der Aönig der Radfahrer Kürzlich hatte ein KOjähriger dänischer Radfahrer in der Hauptstadt ein eigenartiges Erlebnis. Er war auf einem Drei rade unterwegs und machte bei einem Fußgängerübcrgang in der Nähe des Bahnhofs halt. Dort stand eine ältere Dame, die es bei dem starben Verkehr nicht wagte, den Fahrdamm zu über- gueren. Da immer wieder neue Radfahrer die Fahrbahn kreuz ten, blieben mehrere Versuche, die Bahn zu überschreiten, ver geblich. Kurz entschlossen sprang der ebenso alte wie galante Herr vom Rade und führte die Dame über die Fahrbahn. Zeuge dirses Vorganges aber rvar der — König gewesen, der sich aus dem Morgcnritt befand Der alte Herr war nicht wenig er staunt, als er von einem Schutzmann angesprochen wurde, der ihm allerdings kein Protokoll „verschreiben" wollte, sondern ihn ausforderte, zum König zu kommen. Der reichte ihm die Hand, gab ihm ein Zwclkroncnstilck und sagte nur: „Das war brav gemacht, ich wünschte nur, daß ander« ebenso rüchsichtsvoll wären ivie Sic." Im Zeitalter des Automaten Es läßt sich nicht bestreiten, daß wir Im Zeitalter des Automaten leben. Zigaretten, Blumen, Schokolade, Briefmar ken Lebensmittel — alles kann man durch den Automaten be ziehen. Neuerdings aber auch gebratene Fischschnitzel — wenn auch noch nicht bei uns, so doch in England. In Witl>ernsee in Vorkshire ist nämlich ein Automat aufgestellt worden, der gegen Einwurf einer Münze warme Fischschnitzel liefert. Dieser prak tische Automat soll nach dem Willen seines Herstellers dazu bei tragen. das Fischessen in England populärer zu machen. Er wähnt sei noch, daß die Schnitzel durch einen elektrischen Heiz apparat warmgchalten werden Aerzte kreuzen um den teuchtturm Schwere See verhindert Hilf« für den kranken Wärter. Plymouth, 1«. Dezember. Seit sechs Tagen ist an der felsigen Küste Devonshires ein Kamps gegen die stürmische See im Gange, besten Ausgang von der gesamten englischen Oeffentltchkeit mit Spannung verfplgt wird. Dor sechs Tagen nämlich erkrankte Plötzlich der Wärter des berühmten Leuchtturms von Eddystone, Will Iordain, so schwer, datz seine beiden Kameraden durch Funkspruch ärzt liche Hilfe erbitten mutzten. Bisher aber ist es infolge der un gewöhnlich schweren See und des Sturmes noch nicht gelungen, diesen Wunsch zu erfüllen. Am zweiten Tage verschlechterte sich der Zustand Iordain» so sehr, datz fast den ganzen Tag über Aerzte in kleinen Booten in der Nähe des auf einem einsamen Felsenriss gelegenen Leuchtturms kreuzten, um den Kameraden des Kranken mit Hilfe von Flaggensignalen die notwendigsten Matznahmen anzuzelgen. Inzwischen waren auch die Lebens mittel im Leuchtturm knapp geworden, bis es am Mittwoch abend zwei Mann der Besatzung eines Bootes gelang, an einem vom Turm herabgeworfenen Tauende hochzuklettern. Sie führ- Wieder mußte Gerda etwas sagen: „Jetzt wiro st» ihm bald die Filzpantofsel bringen!" Aber Anna ließ sich durch diese Zwischenbemerkung nicht stören. Sie wußte, jetzt mußte etwas kommen, was die Liebe der Frau erst auf die Probe stellte. Und nun zeigte sich als Großaufnahme das Bild einer berauschenden Frau, die den Sänger nach einem Konzert in ihr glänzendes Haus einlud. Hier fließt der Sekt, und, nachdem sich die Gesellschaft aus dem Hause der reichen Witwe entfernt hat, liegt der Sänger vor der Dame auf den Knien. Zu Hause wartet die Frau lange, lange am Bett de» fiebernden Kindes. Bis er endlich durch di« Türe herein torkelt. E>f lügt natürlich, stammelt etwas von neuen En« gagementsabschlllssen und wird grob, wie er di« ernsten Augen der Frau traurig auf sich gerichtet sieht. „Theater!" flüsterte Gerda, „nichts als Theater! Bei einem Künstler so etwas tragisch nehmen: zu dumm!" Aber Anna dachte anders. Sie verstand es, daß der Künstler sich seine» Ruhme« erfreute, daß er die Huldigung entgegennahm. Daß er aber... Daß er aber, wie der Film seine Bilder abrollte, sein Eheglück im Stiche ließ, mit nach dem schönen Süden zog, in Stunden der Leidenschaft seiner Kunst vergaß, berauscht von Stnnenlust, und jein Gewißen mit dem erhobenen Glas betäubte, dieser irre Weg, der in Gerda» Zügen einen Zug des Spottes auslöste... erschütterte Anna. Sie litt. Und dieser Schmerz nahm zu. Der Sänger, mit dem Madame in ihrem Salon prunkte, hatte im Spiel den letzten Heller verloren. In einer Hafen kneipe goß er ein Glas nach dem anderen mit dem Fusel schnaps hinunter, schlief auf einer Bank in der kalten Nacht ein, und am Morgen ist seine Stimme dahin. Madame entläßt ihn kühl. „Kommen Sie, Anna," sagt« jetzt Gerda. „Mir wird das zu viel! Der Dummkopf sollte sich jetzt erschießen, aber ich wette: er läuft zu seiner Frau zurück, und diese dumme Gans wird ihn noch aufnehmen wie den verlorenen Sohn und ihm ein Kalb schlachten." Aber Anna saß wie gebannt. Sie flüsterte nur: „Ich muß bleiben. Mir ist, als wüßte ich, wie es weiter geht, mir ist, als hätte ich dies schon selbst erlebt!" Gelangweilt sah Gerda nach der Leinwand, auf der der Sänger über das Gebirge der Heimat zustrebte. Wie er bettelte, von Hunden angekläfft, wie er es versuchte, wieder einen klaren Ton aus seiner Kehle zu zwingen, wie er in die Luft greift vor Verzweiflung, uud diesen Schmerz nun ebenso mit zusammengebetteltem Alkohol betäubt, wie vor her die Rufe seines Gewissens. „Anna," fragte Gerda, „ist die Schokolade nicht gut?" Aber sie erhielt keine Antwort. Der Sänger war zu Hause angekommen. Fiebergeschllt« telt, herabgekommen, zermürbt, zu Tode müd. Und die Frau spricht kein Wort de» Vorwurf«. Sie sieht einen Unglücklichen vor sich, besten Leid da» ihre ist; der nichts von ihr verlangen kann, und dem sie so viele« schuldet: ihre Treue! Die Treue, die nicht rechtet, die nicht wägt, die stumm ist in ihrer Größe... die eben nur als ein kleine» Wörtlein dasteht: „Treu'"! Der Sänger stirbt. Um seinen Mund legt der Tod mit seiner Versöhnung ein stilles Lächeln. Und aus den starren Augen der Frau schreit der Schmerz, und langsam bringen Tränen die Erleichterung. „Anna, gehen wir doch schon endlich!" sagte Gerda. Anna jchüttelte nur stumm den Kopf Und nun setzte die Orgel wieder ein. Erst leichte, schmei chelnde Töne. Auf dem Bilde ist es Frühling. Di« Frau steht am Grabe. Der junge Mann ist des Toten Kind und das ihre. Und die Frau neigt ihr Haupt auf den schwarzen Stein. Und die Orgel klingt wieder in einen Hymnus au». Jetzt flammten die Lichter auf. Gerda hatte sich schon erhoben. Anna saß noch einen Augenblick. lFortletzima kolgN ten in wasserdichten Rucksäcken Lebensmittel und die notwen digen Medikamente mit sich. Darauf sollte der Versuch unter nommen werden, den Kranken in das Boot herunterzulasten. Als alle Vorbereitungen dafür getroffen waren, brach aber Iordain bewußtlos zusammen. Kurze Zelt später kamen jo wuchtige Brecher, daß das von dem Leuchtturm ausgeworsene Tau zerriß und das Boot beinahe unterging. Es wurde von dem Leuchtturm weit abgetrieben. Trotzdem hat man die Versuche, mit dem Leuchtturm in Verbindung zu kommen, nicht aufgegeben. Aber die Rettung wird nicht leicht sein, den» Iordain ist ein Hüne von Gestalt und wiegt über 2 Zentner. Der „Schäferkopf" von Magdeburg Zum Runstdiebstahl im Magdeburger vom Mit Bestürzung vernimmt der Kunstfreund von einem Dieb stahl im Magdeburger Dom, dem eine der schönsten Plastiken des 13. Jahrhunderts der alten Metropole an der Elbe zum Opfer fiel. Bei einer Führung stellte man in diesen Tagen plötzlich das Fehlen de» „Schäferkopfes" fest, der vor wenigen Jahren zwischen Umgang und nördlichem Querschiff, durch starke Bronzeklammern gesichert, angebracht worden war. Der Wert diese» autzerordentlich beseelten und feinen Kop fes ist um so Häher, al» er den letzten bedeutenden Rest einer großartigen Schäfevgruppe darstellt, die für eine in Aussicht ge nommene große Komposition der Verkündigung an die Hirten geschaffen war. Don der Westfront der Reimser Kathedrale ist uns fa eine derartige Komposition bekannt. Bei der wilhelmi nischen Restauration sind die beiden erhaltenen Schäferfiguren, die stark von der Witterung mitgenommen waren, entfernt wor den, und erst Geheimrat Paul Ionas Meter hat 1V24 diesen Kopf, mit anderen weniger bedeutenden Resten der Gruppe, im Bauschutt wiedergefunden. „Der Bildhauer des ungewöhnlich edel und geistvoll gebildeten Kopfes hat mit der älteren Magde burger Plastik keinen. Zusammenhang und dürfte ebenfalls in Bamberg geschult sein, ohne datz hier allerdina» unmittelbar vergleichbare Dinge nachzuivetfen wären", so urteilt der Betreue» von Naumburg und feine Kenner Magdeburgs, Hermann Giesau. Neben diesem aus den Jahre« 1240 bis 124K stammenden Schä ferkopf meist er dann auf «in anderes Werk von der Hand de« gleichen Meisters, die Tragefigur eine» Architekten am südwest lichen Vierungspfeiler de« Magdeburger Dom» mit der Unter schrift „Bonensa.. .".die „als Konsolfigur ein Meisterwerk ersten Ranges" darstellt. Name und Lebenswerk dieses Meisters, der diese lebensgrotzen Plastiken schuf, sind in den Zeiten verweht; aber trotz des wenigen, was wir bisher von ihm kenn«», zeigt sich, datz „er neben den größten Bildhauern seiner Zett mst hohen Ehren bestehen kann." Hubert Butterwegge. Leineweber bat bas Vertrauen der Lbemnitzer auf seiner Seite