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Ne. 8VS Mittwoch, den 2. Oktober Verlag: Dr. Reinhold L Co., Leipzig HauptschrifUelter: Dr. Everth, Leipzig 1V18 Prinz Max von Baden Reichskanzler Der deutsche Heeresbericht I (Amtlich). Grobes Hauptquartier, 2. Oktober. Westlicher Kriegsschauplatz In Flandern, beiderseits von Lambrai und in der Champagne wehrten wir heftige Angriffe des Feindes ab. An ruhigen Frontabschnitten bei St. Quentin, nordwestlich vcn Reims und westlich derArgonnen nahmen wir Teile vorspringender Linien in rückwärtige Stellungen zurück. Heeresgruppe Kronprinz Rupprecht Rördlich von Staden machten wir bei Abwehr feindlicher Angriffe etwa 100 Gefangene. Zu beiden Seiten der von Tpern auf Roeselare und Men in führenden Strotzen griff der Feind mehrfach vergeblich an. In Ledeghem fotzte er Fuß. Im Gegenstoß nahmen wir den Osttell des Ortes wieder. Nördlich von Men in zeichnete sich das sächsische Referoe- Grcnadier-Regiment 100 unter Führung des Oberstleutnants von Aegidi ganz besonders aus. Auch das Infanterie-Regiment 132 unter Führung des Majors Panse hat hier bei den letzten Kämpfen Besonderes geleistet. Feindliche Teilangriffe südlich von La Bassee wurden abgewiesen. Der 5. Tag der Schlacht um Lambrai endete wiederum mit einem vollen Mißerfolg für den Gegner. Rördlich von 1 Sancourt schlugen schlesische und kurhessische Regimenter achtmalige Anstürme des Feindes ab. Weiter südlich drang der Feind vorübergehend über Abaucourt, Bantigny und südlich von Blöcourk auf Luvilters vor. Unser Gegenangriff, bei dem sich das Reseroe-Infaukerie- Regiment 55 wiederum besonders auSzeichuete, warf den Feind über Abaucourt und Banttguy hiaaus zurück und befreite die tapferen württembergische» Verteidiger von BlLeourt ans der Umklammerung durch de» Gegner. Bel und südlich von Lambrai brachten Regimenter der be währten 3. Marlne-Iafanterle-Divio» sowie schleswig-hol steinische, brandenburgische und bayerische Regimenter den feindliche» Ansturm zum Scheitern. Rumilly blieb i» Feindeshand. Heeresgruppe Boehn. Zwischen Le Lotetet und der Oise verlief unsere Front seit vorletzter Rächt östlich von St. Quentin vorbei nach Berthenicourt an der Oise. Gegen die Abschnitte von Estrses—Ioncourt—Lesdi« entwickelten sich im Laufe des Tages heftige feindliche Angriffe. Beiderseits Sequehart drang der Feind ein. Gegenangriff ostpreuhischer und posenscher Bataillone unter persönlicher Führung des Divisionskommandeurs Generals von der Lhevalle.ie warf ihn wieder zurück. St. Quentin, in dem gestern nur noch Erkundungsadteilungen stauden, wurde vom Feinde beseht. Heeresgruppe Deutscher Kronprinz. Dorpostengefechte zwischen Ailelte und Aisne. Nordwestlich von Reims nahmen wir unsere Truppen von der Des le m rückwärtige Stellungen zurück. Der Feind folgt mit schwachen Abteilungen und stand am Abend in Linie Dantelay —DillerS Franqueux. In der Champagne nahm der Franzose leine örtliche» Angriffe wieder auf. Sie richteten sich am Vormittag gegen die Front St. Atarie ü Py bis Monthois und im Laufe des Tazes gegen unsere Linien zwischen Somme- Py und Au re. Seine Angriffe sind gescheitert. Oertliche Einbrochsfle'len wurden meist durch Gegenstöße wieder ge säubert. Neben den schon seit Beginn der Schlacht in Front stehenden preußischen und bayerischen Divisionen zeichnete sich gestern das Infanterie-Regiment Nr. 406 besonders au». Die in vorletzter Nacht beiderseits der Aisne neu be zogene Stellung verläuft oonMonthois über Lhallerange, den Wald von Autry nördlich von Binarville vorbei und quer durch den Argonner Wald nach Aprömont. Bortruppen wiesen vor dieser Front mehrfache feindliche Angriffe ab. Heeresgruppe Gallwlh. In örtlichen Angriffsunternchmungen warfen wir den Amerikaner aus dem Ogons-Walde und den anschließenden Linien zurück. Wir schosse» gestern 27 feindliche Flugzeuge und drei Fesselballone ab. Hauptmann von Schleich errang feinen 35., Dizefeldwebel Mai seinen 30. Loftsieg. Der Erste Generatquartiermesper, Lu den do ess. (W.T.-B.) „Mnstehe für Pflichterfüllung bis zum Aeußerflen!" Das hat einst ein deutscher Offizier dem Kaiser aus dem fernen Ktautschou gedrahtet, als schon der Tod an die Tore feiner Festung pochte. Auch vor der Festung Deutschland steht -er Tod. Acht Mal schon ist der Ausfall geglückt, -er grinsende Schnitter zurück« getrieben. Letzt wird zum neunten Male Sturm geblasen. Al in die letzten Ecken und Winkel des Reichs dringt -er Ruf zur neuen Offensive -es Geldes, zum neuen Wettkampf der silbernen Kugeln, wie eitler Aeindesdünkel sich einst ausgedrückt hat. Spannung hält die Welt gefangen. Wird -le Geschichte «inst den Enkeln wieder erzählen: ^. ... und alle, alle kamen! ?" Sie dürfen nichts anderes hören und werden nichts andere- hören, unsere Enlel, wenn jeder für uns einfleht für Pflichterfüllung bis -um Aeuß ersten. Darum zeichne! Der achte Kanzler G Berlim 2. Oktober. (Drahtberlcht unserer Ber liner Schriftleitung.) Die Situation vom Mittag ist diese: Prinz Max von Baden hat die Kanzlerschaft endgültig übernommen. Er wird der achte Kanzler des Deutschen Reiches. Das Kabinett, an dessen Spitze er treten wird, wird kein Koalitionsministerium sein- Die konservative AeichS- tagssraktion hat sich zwar heute bereiterklärt, vermutlich aus ähnlichen Erwägungen heraus wie die westfälischen National liberalen, unter Aufopferung früherer Auffassungen an der Re gierung leilzunehmen, mit der Tendenz auf einen ehrenvollen Frie den. Aber von Leulen, die wir für unterrichtet hallen müssen, hören wir, daß Prinz Mar selber im großen die Mitwirkung der Konservativen nicht wünsche, vermutlich aus Erwägungen außen politischer Natur. Dagegen sähe er die Teilnahme der National liberalen gern, die ja auch wohl schwerlich zu entbehren sein wer den, wenn man die neue Regierung nicht jedem Zufall preisgeben will. Eine Regierung, die sich ausschließlich auf die Mehr heitsparteien stütze, würde unter 397 Abgeordneten etwa über 222 verfügen. Man muh zugeben, eine Mehrheit, die durch jede Grippeepidemie schon katastrophal erschüttert werden kann, ist nicht tragfähig. Die Natlonalliberalen selbst sind nach wie vor zum Eintritt in das Kabinett bereit, haben sich aber schon um deswillen noch nicht endgültig entscheiden können, weil im Reichstag das Programm der neuen Regierung jo noch gar nicht oorliegt. WaS vorhanden ist, ist ein Entwurf der Mehrheits parteien, wohlverstanden, ein Entwurf, zu dem auch der neue Kanzler erst noch sozusagen meritorisch Stellung zu nehmen hat. Vom Prinzen Max aber erzählt man sich, daß auch er selber ein Rcgieris.gSprogramm mitgebracht hat. Di; Parlamentär! sierung wird übrigens enger sein als onsängilch angenommen worden war. ES werden nur drei SlaatSsekretariate fürs erste parlamentarisch besetzt werden. Um nun einen Ausgleich zu schassen, soll eine Reihe von Ressorts par lamentarische Unterstaatssekretäre erhallen. Auf Preußen wird sich die Parlamentarisicrung im Augenblick nicht erstrecken, wenn gleich es auch do, wie schon mitgeleilt, zu einigen Personaloer- ändcrungen kommen dürfte. In parlamentarischen, wie in Regierungskreisen nimmt man an, daß die K a b i n e t t S b ll d u n g bis heute abend obgeschlosten kein wird. Es ist in der Tat Zeit, daß das Deutsche Reich in diesen t Tagen heranreifender schwerster Entscheidungen nicht mehr länger führerlos ist. Berlin, 2. Oktober. (Eigener D r a h k be r ich t) Wie aus den Konferenzen der Mc.-rheitsparteien verlautet, ist anzu- »ehmen, daß bald »ach der parlamentarischen Neubil dung der Regierung Veränderungen in einer Reihe diplo matischer Vertretungen des Reiches erfolgen werden. Line Anzahl Gesandlenposten dürfte ihren Inhaber wechseln. Berlin, 2. Oktober. (Drahkbrrichl.) Die Ralionolbberalen hielten gestern eine längere Sitzung non interner Art ob. Bisber sind die M e h r h c ! ts p a n t c l e n nocb nicht an die Natlonalliberalen mit der Austorderung herangelrelen. sich an der Bildung des Kabi netts zu betciligen. Die Konservativen auf dem Boden des Kaisererlasses Berlin, 2. Oktober- (Drahtberlcht) Die deutsch-konser vative Fraktion deS Reichstages hat in ihrer heutigen Sitzung folgenden Beschütz gefaßt: Die konservative Fraktion war und ist entschloßen, sich auf den Boden deS kaiserlichen Er- la ses vom 30. September d. I. zu stellen und sich auch unter Opfer der Ucberzeugung an einer Regierung zu beteiligen, die sich zur Aufgabe macht, alle Kräfte des Volkes in geschloffener Ein heitsfront für die ehrenvolle Beendigung des Krieges einzusehen. China erwägr Maßnahmen gegen Deutsche Haag, 2. Oktober. (T i g. D r a h l b c r i ch t.) .Daily Telegraph' meldet aus Par s: Der neue Präsident von China hak einem Korr«7 spondenten de» Pariscr .Temps" m tgetcilt, datz er hoffe, den Norden und Süden miteinander zu versöhnen und den Friedenszustand im Lande wiederherzustcllen. Die Regierung erwäge Maßnahmen gegen die Deutschen in China. CH na werde seine Pflicht als Verbündeter w iterhin beobachten. Cr sei davon überzeugt, daß der Sieg der Verbündeten bcvorskehe. Stockholm, 2. Oktober. (E i g. Drahtbericht.) Gegenüber den Ententeversuchen, China in den Krieg gegen die Eowjetkruppen zu stürzen, nahm die Moskauer chinesische Kolonie folgende Resolution an: Die Moskauer chinesische Kolonie, welch« 10 WO von Arbeitern und Kaufleuten umfaßt, protestiert energifch gegen die chinesische Einmischung in d'c lnnerrussischen Angelegenheiten. Die Kolonie ist überzeugt, das die kommunistische Sowjet.egierung die einzige RegierungSsorm ist, welche aus dem Volk gebildet ist und für das Volk lebt. — - Zur Lage l)r. ck Der 30. September 1918 gehört der deutschen Ge- chichje an. Der Kaiser, dem hierfür der Dank des Bockes gc- )ührt, hat selbst den Anstoß gegcoen, daß die Teilnahme des Volkes an der Selbstbestimmung seiner Geschicke auf eine breitere Gru.rd- age gestellt werden solle, als es bisher der Fall war. ES wäre unnütz und der Stunde nickt würdig, darüber zu streiten, ob dies Nie „Einführung des parlamentarischen Svstems' bedeutet. Man -üte sich vor diesem Schlagwort. Schon bei einer früheren Gc- egenheit glaubten wir darauf Hinweisen zu lollen, daß von der „Einführung' eines solchen Systems überhaupt nicht die Rede sein kann. Artikel der Reichsverfassung, die dies positiv aussprüchrn, sind nickt notwendig. Wenn die Entwicklung es ver langt, daß gewisse Bestimmungen der Reichsverfassung fallen/ nämlich die vielbesprochenen Artikel 9 Satz 2 und Artikel 21 Satz 2, s» besagt dies nur, daß gewisse Hinderungen aus dem Wege geräumt werden müssen, die einer Annäherung zwischen Regierung! und Volksvertretung im Wege stehen. Das sind kleinere operative Eingriffe, die insbesondere an den Rechten des Kaisers keinen Deut ändern- Wir verstehen unter .parlamentarischem System" Oie Anerkennung der Tatsache, daß eS in Deutschland zukünftig nicht mehr zulässig sein soll, die Führer der Nation lediglich in der Beamtenhierarchie zu suchen. Dieser KreiS ist eben zu eng. Diej >eschämende Tatsache, daß in Zeiten, wie der jetzigen, keine Männer vorhanden find, nach denen daS gesamte Volk ruft, son dern daß gegen jeden einzelnen, der eiwa in Frage käme, Ein- wände erhoben werden können und müssen, und daß eS sich! chließlich nur darum handeln wird, gegen wen die geringsten Linwände zu erheben sind — diese Tatsache darf nicht wiedcr- rehren. Wir hoffen, daß nunmehr wirklich freie Bahn für jeden Tüchtigen geschaffen ist, und daß in Zukunft aus der Tiefe Les Volkslebens geschöpft werden kann, wenn es sich darum handelt, /Männer" zu finden. Das deutsche Volk ist nicht ärmer an solchen Männern als andere Völker. Insofern betrachten wir den 30. September als einen geschichtlichen Tag. Wie schnell sich die Dinge entwickeln werden, ist im Augen-. blick nicht zu übersehen. Vielleicht sind die Würfel schon ge fallen wenn — was an dieser Stelle schon öfters gesagt werden mußte — diese Zeilen gelesen werden. ES sei aber mit aller Be stimmtheit das eine ausgesprochen: wenn man etwa meinen wollte, daß es die Not an den Grenzen und die mi 1 itärische Lage sei, die zur Verabschiedung des Kanzlers und zu der neuen inneren Grundlage geführt habe, so wäre dies ein Irrtum. Diejenigen, die solchen Glauben nähren, begehen ein Unrecht am Vaterlands. Sie arbeiten dem Ziele, das deutsche Volk zur inneren Geschlossenheit zurückzuführen, gerade entgegen. Wir vertrauen fest auf das Standhalten unserer herrlichen Heere an der Westfront- Auf Ge ländegewinn oder Geländeverlust kommt es nicht an. Wir Kämpfen in Feindesland, und den heiligen Boden des Vaterlandes soll und wird der Feind nicht betreten, soweit dies nicht im Süden unserer Westfront bereits seit Jahren der Fall ist- Diejenigen un serer Volksgenossen, die schon lange einer maßvollen Betrachtung der Kriegslage und der Krlegsziele zugeneigt waren, werden zeigen, daß sie unbeugsam sind, wenn eS sich um den Bestand und die Ehre des Reiches handelt. .Das Reich muß uns doch bleiben," soll in dieser schweren Zeit unser Wahlspruch sein. Nicht in Worten, sondern durch Taten zeigt sich die wahre Kraft. Oben wurde von zwei Artikeln der Reichsverfassung ge sprochen, die der weiteren Entwicklung der Dinge, wie sic jetzt angebahnt ist, im Wege stehen. ES handelt sich darum, diejenigen Abgeordneten, die etwa in die Regierung eintrelen sollen, dem Reichstage zu erhalten. Denn darüber muß man sich klar sein: ohne stetigen Zusammenhang dieser Männer mit ihren politischen Freunden hätte die ganze Neubildung keinen Zweck. Daher muß zunächst die Bestimmung fallen, daß derjenige Abgeordnete, der durch Eintritt in die Regierung ein besoldetes StaakSamt an- »immt, sofort Sitz und Stimme im Reichstage verliert und diese Stellung nur durch eine Neuwahl wiedererlangen kann. Dies ist zwar seinerzeit eine alte liberale Forderung gewesen, insofern man von der Volksvertretung die Gefahr einer Art von .Be stechung" durch die Regierung fernhalten wollte. DaS sind ver gangene Zeiten. Niemand denkt mehr daran, daß ein Volksver treter auf die bezeichnete Meise Schaden an seiner Seele nehmen könnte. Natürlich erfordern operativ: Eingriffe, wie die Be seitigung des Artikels 21 Abs. 2, immerhin einige Zeit. Die Maschine der Gesetzgebung arbeitet nicht so schnell. Aber für daS erste würde eS ja genügen, wenn die neuen Männer zunächst nur kommissarisch mit ihrem Amte betraut würden. Alles in allem ist Artikel 21 Absatz 2 ein Strohhalm, über den man nickt zu stolpern braucht. Ernster ist Artikel 9, Absatz 2, wonach niemand gleichzeitig Mitglied des BundeSrats und des Reichstags sein kann (sogen. Inkompatibilität). Während Artikel 21, Absatz 2 nur ein vorüber gehendes Hindernis schafft, geht Artikel 9, Satz 2 von einer dauernden Unvereinbarkeit der Mitgliedschaft im BundeSrat mit der im Reichstage aus Zwei Welten, die durch einen unüberstelg- baren Zaun voneinander getrennt sind. Er soll jetzt fallen. Es wird nicht ausbleiben, daß. sich Im Bundesräte die schärfsten Wider stände dagegen zeigen. Mir würdigen und ehren diese Wider stände. do sie im Grund: auf den Aufbau des Reiches als eines Bundesstaates zunickgehen. Aber eS muß jetzt auch vom Bundes rat ein Opfer erwartet werden, und wir können die Hoffnung nicht aufgeben, daß er sich nicht dem Vorwürfe aussctzen wolle, eine große Zeit habe ein kleines Geschlecht gefunden. Schlimm stenfalls ließe sich aber auch hier ein „AuSweg" finden. Wir zögern nicht, dies auSzusprechcn, auch auf die Gefahr hin, daß man dies als einen .taktischen" Fehler bezeichnen könnte. Di« Inkompatibilität ließe sich zunächst etwa auf die stimmführcnde» Mitglieder des Bundesrats beschränken. Weiter könnte man a» - eine 'Beseitigung des Artikels 9, Sah 2 nor für die Kriegszeit- denken, Und, wenn es ganz hart ans hart ginge, braucht« «f