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Oer Zek^varre Valtin und die weiüe 08SNNÄ Von / kutk LckSumsnn Ich ^be nie gewußt, daß unsek Gewerbe ein schwarze» ge« nannt wird, daß wir für die Leut« im Ort ,Me Schwarzen" waren. Kamen wir denn nicht ebenso säuberlich sonntags vom Ruppberge herab unter die Kanzel des Pfarrers, wie die Leute vom Ort aus ihren Hütten und Häusern? Schien uns nicht die Sonne am Morgen oder am Abend in die aufgehobenen An gesichter, wenn wir am Beginn oder Ende des Tages, vom Frühling bis in den Herbst hinein, auf dem Felskopf knieten, alle in einer Neihe, und ein Gebet sprachen, ein Brauch, daran die Mutter festhielt und der erst mit ihrem Tode fast zum Er löschen kam? Aber wir waren doch den Leuten die Schwarzen, das habe ich an einem Sonntag recht erfahren. Wir sünfe gingen mit dem Vater zum Ort. Die Mutter war srvh lahm in den Füßen geworden, sie hat sich diese erfroren in einem schrecklichen Winter bald nach meiner Geburt. So blieb sie im Wald bei dem Meiler sitzen und sang sich ein armes Lied. Wie wir nun in den Ort kamen, der Vater, ich und die Bruder, schrie links von uns in einem Schweinshöschen ein kleines Kind trutziglich und die Mutter drohte ihm laut, weil es nicht folgte, wie sie gewollt. Da verstand ich es also: „Hans, der Köhler, wird dich holen In seinem Sack voll Kohlen, Mit seinen schwarzen Knaben Schleppt er dich in den Graben. Wird dich brennen, wird dich stechen, Wird dir alle Knöchlein brechen." Da schwieg das Kind und folgte sogleich, aber vor uns liefen schreiend noch andere so kleine davon. „Vater", sagte ich, „habt Ihr gehört?", und ich reckte meine zwei Faust«. „Laß nur, Valtin", antwortete mir mein Vater, „wir sind einmal die Schwarzen, und wen sie schwarz sprechen, der wird ninimernichr weiß." „Auch nicht durch Taten, Vater?" fragte Ich voller Grimm. „Weiß nicht, glaub's nicht, kannst er versuchen. Mich sicht es nicht mehr an, die auch nicht!" Uird er ging mit den Brü dern fürbaß. Da blieb ich in Kummer zurück und in einer so bitteren Kränkung, wie ich sie bis zu dieser Stunde meiner Knabenjahre noch niemals gespürt hatte. Ja, es war mir schier schwarz vor den Augen. Und gerade da sah ich es weiß, weiß und furchtlos vor all meiner Finsternis. Denn zwischen zwei großen Sonnenblnmenstiimmcn stand ein ganz kleines Kind in einem linnenen Hemd. Das Hemd war zu lang, darum war es unter den Armen mit einem gelben Bande hochgeschürzt. Mit den zwei kleinen Händen hielt sich das Kind an den Stämmen der Sonnenblumen fest, di« Blumen aber hatten hoch über ihm ihre Angesichter nach der wahren Sonne aufgctan, und durch die Stämme der Sonnenblumen sah das kleine weiße Kind just mich, den zornigen, schwarzen Köhlerssohn, an. „Osanna!" rief eine ängstliche Wciberstimme aus dem Haus hinter den Sonnenblumen, „Osanna!" und „Osanna!" zum drittenmal. Das Kind ließ die Hände von den Vlumenstengcln, und die Häupter der Blumen schlugen darüber hart aneinander. Gehör, sam wandte sich die kleine Gestalt und stieg, wie so junge Kin- der es tun, zwei Schritte für eine Stufe brauchend, die hölzerne Stiege am Hause hinan mitten in den vierten Nus „Osanna!" hinein. Es hielt dabei das Hemd, da» ihm beim Steigen be- schwerlich war, zierlich gerafft, als trage es etwas.in seinem Schoß vor lick her. Da Iah ich eine arok« Säa« an der Holz ¬ treppe lehnen, und nun wutzle uh, es ist des Schreiners yaus, des Schreiners Weib Judith hat gerufen, und des Schreiners kleines Kind hat der grämlichen Stimme gefolgt. Da folgte denn auch ich meinem Vater und meinen Brüdern unter etlichem Laufen und kam mit ihnen zugleich vor der Kirche an, und wir gingen hinein. Hernach in der Kirche predigte unser Earoluspfarrer von den Broten und den Fischen, und wie die Fünslausend satt wurden und doch noch übrig geblieben ist, ganze Körbe voll. Da sah ich von der Empore herab das weiße Kind abermals, auf der Weiberseite sitzend, dicht neben einer blaßen Frau mit einer gewaltigen Haube. Es saß da wie ein Ringeltäubchen im Gänsenest und hielt die Hände ganz geduldig gesaltet. Aber sein Miindlcin dehnte sich weit und weiter unter Gähnen und die Augen fielen ihm von Mal zu Mal immer länger zu, bis sich die Lider gar nicht mehr hoben. Gerade da stimmte da» Volk den Kehrausgesang an, und weil der Schmied Peter Zicklein wie alle Male mit seinem furchtbaren Baß ganz aus der Reihe schrie, erschreckte sich die schlafende Osanna und ihr kurzer Schlummer ging in ein herzliches Weinen über. Da war sie nicht mehr weiß, sondern rot wie eine Päonienknospe. Mich aber stieß mein Bruder Bertram von rechts derb in die Rippen und mein Bruder Heinrich tat es genau so von links, und er raunzte: „Was singst du nicht mit, des Kantors Bakel wird dir'» schon lohnen." Da merkte ich, daß ich die ganze Zeit geschwiegen hatte, ohne cs nur zu wissen, und ich sang doch sonst aus junger Lungcnlrast immerdar mit, ja, allen voran. So hob ich denn „Dein >ViIl6 Es ging schon ans den Herbst zu. Bon den Bäumen fiel zögernd das bunte Laub. Die Vögel breiteten ihre Schwingen gen Süden. Liev sah ihnen nach aus dem fahrenden Zug. Als sic ihre Angen wieder dem Abteil zuwandte, lag noch die Schwermut der Ferne darin. Für kurze Sekunden dämpfte sich die ausgelassene Stimmung der jungen Offiziere, die diesem Biick begegneten, wenn er auch nichts erfaßte Als der Zug hielt und die fröhliche Gesellschaft ausslieg, sagte eine alte Dame zu Liev säst entschuldigend: „Sie sind so froh, es wird ja nun bald Friede". Liev antwortete mit einem höflichen Lächeln, aber zutiefst dachte sie trostlos: Was nützt das mir jetzt noch! Die vergangenen Wochen und Monate zogen an ihrem inneren Gesicht vorbei, wie waren sie schwer von der Starrheit des Schmerzes nnd erfüllt von tiefem Trotz gegen Gatt. Noch im mer stockte sie beim Vaterunser und überging hastig die Bitte: „Dein Wille geschehe". Noch bäumte sich ihr Herz auf gegen die Grausamkeit eines unbegreiflichen Schicksals, und noch lebte da eine törichte, kindische Hoffnung: Es ist alles nicht wahr, er kommt ivicdcr, er lebt. Nun fuhr sie zu den Franken. Aus dem Feld war eine Kiste mit Klemens' Sachen gekommen, lind in dieser Kiste waren zwei Bücher, in die Klemens drei Tage vor seinem Tode eine Widmung für Liev geschrieben hatte. Diese Bücher hatte er in den so nahe bevorstehenden Urlaub mitbringen wallen. Jetzt waren sie zum Vermächtnis geworden, das man keiner fremden Hand mehr anvertrauen konnte. Aus dem Bahnhof empfing sie sein Vater in der alten militärisch gestrafften Haltung. Als er den Hut zag, sah Liev, daß sein Haar an den Schläfen weiß geworden war. Er redete in einem fort, man merkte ihm an, daß er damit den großen Kummer, der bei Lieus Anblick wieder ins Riesenhafte wuchs, verbergen wollte. Wie soll das enden? dachte Liev traurig: wie soll ich be stehen vor seiner Mutter? Aber die Mutter nahm sie ruhig in die Arme, küßte sie und sagte: „Da bist du nun, Kind". Und letzt meine Stimme In den Schall aller andern, aber ich kam zu spät, und sie fügte sich nicht mehr hinein. Da ichwieg ich wieder um und hielt nur meinen Mund recht schön assen, als sänge ich doch. ' Als wir nun wieder helmgekommen waren, wo die Mutter am Weiler saß mit ihren gefalteten Händen und darüber weg Ihre lahmen Füße besah, ging jeder an seine Verrichtung, die mar jetzt, ein Brot in die Milch brocken und nach den Brocken mit dem Holzlössel fischen. Ich aber vergaß zum erstenmal nach dem Kirchgang die Milch und die Brocken Ich setzte mich hin neben die Mutter und besah auch meine Füße, die io hart wie Fclsstilcke waren und doch so schnell, wie die Wiesel es sind, und ich fragte nach einer Weile, ohne von den Füßen auszuschauen, und ich bewegte dazu di« Zehen, um nicht ins Stottern zu kom men: „Mutter, wenn nun eine» klein ist", ich wies mit den Fingern vor mich hin, etwa eine Spanne, so lang wie uns«r Lichterspan im Ring über dem Herde, „was erfreut dann die» Kleine?" Ich verrenkte die Zehen dazu ganz wunderbar, und — wurde mir heiß bis unter die Haare. „So Kleines, Valtin. hat gar große Freude an einem selnesgleickzen", erwiderte mir meine Mutter. „Der Andrea» hat gar so gern nach den Schnecken gegriffen, wie er noch kleir» war, dir selbst haben dte Eichkätzlein große Freude gemacht, immer verlangtest du nach einem von ihnen. Kleines hat Kleines lieb, mit dem Wachsen aber wächst die Begier nach immer größeren Dingen, endlich kann das Größere nicht mehr groß genug sein, und alles läuft in die Irre Denn sich, Valtin, gerade nach dem Allergrößten verlangen sie nie. du wirst schon einmal erfahren, was ich da meine." Meine Mutter faltete di« Hände fester auf ihren Knien und ich sah noch sturer mein« be weglichen Zehen an. Au» dem neuen vornan non Ruth Schaumann ,.D e r schwarte Val- ttn und dte weihe Osanna". der soeben in der G. Trote'schs« Verlagsbuchhandlung. Berlin, «rschienen ist. W8LN6Ü6" Liev sah durch die Flucht der Zimmer, iu denen Klemens gelebt hatte, durch die sie mit ihm gegangen war. In diesem Augen blick schoß es ihr durch den Sinn, eine stürmische Bille an Gott: „Ich will es beten, das Fiat voluntas»tua, wenn ich nur jetzt nicht schwach werde." Sie standen im Salon vor seinem Bild, um das der Flor hing. Die Hand mit der Reitgerte leicht in die Seite gestützt, das junge Gesicht mit den schmalen Falkenangeu in die Ferne gerichtet, bot cs sich den Schallenden. „Ich Kanu cs nicht glauben", sagte Liev leise. Sie sah in seiner Mutter Gesicht. Man sah ihm die vielen heimlichen Tränen nicht an, es war fest und klar. Es sprach ans ihm die Tapferkeit einer Frauen seele. die vor nichts mehr zurübschreckt. Was in Liev noch zagte, wurde zum Nichts und gab den. Neuen Naum in ihr: diesem Starkmut gleichzukommen. Sie hatte keine Tränen mehr. Es war. als schöbe sich ihr eine große Hand entgegen und ziehe sie langsam, aber unentwegt in eine Zone, in der alles Laute leise, alles Harte gemildert wird. Sie kniete mit Gabriele vor der Kiste und nahm behut sam die Bücher heraus. Sie wandle die Blätter, die seine Hände berührt, da sie dem Leben noch gegärten. Sie sah seine klaren Schriftzüge, die ihr Worte der Liebe und Treue ge schrieben hatten. Es gab wohl eine Liebe über den Tod hinaus und eine Treue über das Grab Stand er nnn hinter ihr und sah mit ihr in die Seiten des Buckes? Brauchte sie nur den Kopf'zu wenden und zu sagen: „Siek doch, wie schön"? Mit dem Finger auf einen Satz zu deuten und zu wissen: wir den ken das gleiche? Aber nur ibr Atem ist im Raum, und ihre Angen werden den seinen nie mehr bcgegn n Sie muß es wissen: Hunderte Male wird sie stark sein' und dann wieder zurückgcschleudert werden iu die Verzweiflung. Sie muß den Weg sehen, der den zutiefst Leidenden Vorbehalten ist. den auch der härteste Wille nicht im SInrm berwingen kann, den nur eines meistert: Geduld mit sich selbst, und die Erkenntnis eines Dichters: „Stillhalten, wenn Kümpfen nichts mehr Hilst." „Kaen Lüden nun Plauderei am ^Voekenende Von Uarsbu. „Schau ins Vaud der Pqramiden Flohn die Störche übers Meer. . ." Auch die Schwalben sind schon auf dem Marsch oder rüsten zum Aufbruch. Die Stare sammeln sich . . . Der große Herbstzug der Vögel nach dem Süden, nach den Winterquartieren für die Zeit der Herrschaft von Eis und Schnee in Europa ist wieder im Gange. Wer von uns einen dieser Heereszüge beobachtet, die Jahr für Jahr an denselben Stellen sammeln, in geregelter Weise Uebungen im Massenflug abhalten und schließlich mit bewunderungswürdiger Sicherheit die gleichen Straßen einschlagen, die seit Jahrtausenden die Vögel der gleichen Art wandern — wer fühlte nicht Staunen und etwas wie Demut angesichts dieses Wun- derwerlrs der Natur? Geheimnisvoll am lichten Tag spielt sich dieses Wunder des Vogelzugs alljährlich vor unseren Augen ab. Wir vermögen seine tatsächliche Er scheinung festzustellen, aber es in seinem Wesen zu er klären vermögen wir trotz aller sorgfältigen Beobachtung und Forscherakbeit nur unvollkommen. Eines der großen Wunder, mit denen uns die Natur beglückt, ist der Vogelzug. Ein Rätsel, das wir verstan desmäßig nicht völlig lösen können — und dem wir uns im Innern doch irgendwie schicksalhaft verwandt fühlen. Der innere Kompaß Wer sagt den Vögeln, wohin sie ziehen sollen? Der Laie molnt, es sei eine Kenntnis, die von einer Gene« ration der andern gelehrt werde. Dem widerspricht die 8ieü lenken .. merkwürdige Tatsache, daß bei vielen Arten — z. V. bei den Staren — die Iungvögel getrennt von den alten wandern, früher aufbrechen als jene. Haben ihnen die Alten die Wegbeschreibung so genau vorgepsisfen, daß sie, die zum ersten Male den großen Flug machen, mit Sicherheit die Richtung finden? Auch diese kühne An nahme könnte aber nicht allgemein zutreffen. Der Kuckuck legt bekanntlich seine Eier in fremde Nester: läßt seine Jungen von Vögeln aufziehcn, die von den Sitten der Kuckucksfamilie keine Ahnung haben. Den noch finden sich die flügge gewordenen jungen Kuckucks vögel im Herbste ebenfalls zusammen lind nehmen — getrennt von den Alten — den Weg zu den Winter quartieren des Kuckucks. Es bleibt also nichts übrig als anzunehmen, daß den Zugvögeln ein Nichtungssinn eingeboren ist, der sie mit instinktiver Sicherheit in jene Winterquartiere führt, die ihre Ahnen seit Jahrtausenden aufsuchtcn. Und ist diese Annahme — mit der sich die Wissenschaft nicht ganz leicht abgefunden hat — etwas so einzig Dastehen des? Beweisen nicht auch andere Tiere eine Begabung ähnlicher Art? Katzen, die man mit Eisenbahn oder Auto kilometerweit zu einem neuen Besitzer gebracht hat, finden oft den tageweiten Weg zu ihrer alten Heimat zurück. Forscher haben bei ihrem Vordringen in unbe kanntes Gebiet immer wieder den Richtungssinn der Eingeborenen bewundert, die sie als Träger begleiteten, lind unter uns Zivilisierten haben den besten Richtungs sinn zweifellos die Frauen. Wenn auf dem Spaziergang in einem Waldgebiet der reckte Weg zweifelhaft gewor den ist, wissen Frauen — die meist gegenüber einer Landkarte hilflos sind — sehr ost gefühlsmäßig die rich« tigc Richtung anzugeben. Ein Beweis mehr, daß in der Zivilisckfian die Frau der unverbildeten Natur trotz allem am nächsten steht . . . Rätsel über Rätsel Bei den Zugvögeln scheint diese Ueberlegenßeit der Weibchen hinsichtlich des Richtungssinns freilich nicht vorhanden zu sein. Denn viele Arten wandern in Heer zügen, die streng nach Geschlechtern getrennt sind. So ist es bei den Störchen, bei den Nachtigallen und den Buchfinken. Bei diesen Arten sind die Weibchen die ersten, die den Zug nach Süden antreten — und im Frühjahr sind sie die letzten, die zurückkehren. Wenn also hinsichtlich des Richtungssinns der Unterschied der Geschlechter bei den Zugvögeln nicht der gleiche ist wie bei den Menschen — hinsichtlich der Empfindlichkeit scheint die Parallele doch gegeben zu sein . . . Rätsel über Rätsel! Wir vermögen die Trennung nach Geschlechtern, die bei einigen Arten von Zugvögeln während der großen Reise nach dem Süden stattfindet, ebensowenig zu erklären wie die Trennung nach Jung- und Altvögeln, die andere Arten auf dem Fluge in die Winterquartiere einhalten. Manche Arten, wie Kraniche, Störche, Finken, Schwalben wandern nur am Tage. Andere, wie Reiher, Eulen und Schnepfen ruhen am Tage und fliegen nur bei Nacht. Man mag einwenden, daß bei den Nachtwandercrn die Augen so eingerichtet sind, daß sie im Dunkeln sich besser orientieren können. Denn neben dem Nichtungssinn spielt für die Gestaltung des Fluges im einzelnen doch die Beobachtungsgabe eine große Rolle. Völlig befriedigend freilich ist auch dies» Erklärung nicht. Bewundernswert sind die Flugleistungen, die ein zelne Zugvögel vollbringen. So wandert unser Storch von Deutschland nicht nur bis ins „Land der Pqra- miden", sondern bis in die südafrikanische Steppe. Der