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XII Otto's Brief an den Kanzler. an einen Philosophen von dem Buche, welches ich dem Herrn Kai ser übersendet habe, vertraulicher mit der Bitte, ich möchte bei manchem, was ich darin niedergelegt, an Euch keinen ungünstigen, son dern einen gütigen Ausleger finden. Denn Ihr wißt: alle Gelehr samkeit besteht in zweierlei, in Ausscheidung und Auswahl. Um also mit dem, was für die angehenden Schüler der Philosophie das erste ist, der Grammatik zu beginnen, so ist die es gerade, welche gemäß ihrer Unterweisung auszuwählen lehrt, was für unser Thema paßt, und zu meiden, was unserem Thema hindernd entgegensteht. Zum Beispiel befiehlt sie in einem bestimmten Ge setze die Redeweise nach der Redeweise in ähnlichen Fällen einzu richten , und lehrt durch Beseitigung das zu meiden, was dem nicht entspricht, wie Sprachfehler und ungrammatische Wortverbin dung. Aber auch die Logik, deren Absicht hauptsächlich auf die Lehre von den Scklüssen gerichtet ist, lehrt uns, indem sie das Urtheil klärt und schärft, durch Klärung desselben die zum Schluffe unbrauchbaren Satzverbindungen zu meiden, durch Schärfung dessel ben aber die brauchbaren auszuwählen. Da es nun sechzehn Verbin dungen von Vordersätzen giebt, so findet man in der ersten Figur nach Aristoteles nur vier brauchbare, zwölf unbrauchbare, in der zwei ten ebenfalls vier brauchbare, zwölf unbrauchbare, in der dritten sechs brauchbare, zehn unbrauchbare. Auch der Geometer zeigt, daß eine theilweise falsche Zeichnung zu verwerfen sei, indem er ihre Unmöglichkeit nachweist und lehrt, daß seine Darlegung zu wählen ist, indem er ihre Richtigkeit mit den nöthigen Gründen beweist. So hat auch die Geschichtschreibung manches, was sie durch Aus scheidung meidet, manches, was sie durch Darstellung annimmt; sie meidet nämlich die Lüge, nimmt die Wahrheit an. Daher möge Ew. Gnaden nicht zürnen und, wie ich gesagt habe, nicht ungünstig es vor den kaiserlichen Ohren auslegen, wenn in unserer Geschichte gegen seine Vorgänger oder Ahnen um der Wahrheit willen manches gesagt worden ist; denn es ist besser in die Hände der Menschen zu fallen, als durch das Aufträgen von Schminke