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UL. Jahrgang Sonntags-Ausgabe der Stockt Leipzig Rr. 4» 1V18 Sonntag, den 27. Januar Bezua-orelo:!!: W »terteilLtznIch M. SV0. für Adholer monalllch M. 1.75: dir- »aserr «»«»Lrtlaen FNIalen in« Hao« gebracht monatlich M. 2^5. »tertel jährlich bnrch die Past innerhalb Deoilchland« Gelamt-Aolgad« »onat Ich Dt. 2LS, vierleljLhrllch M. 6.7L; Moraen-Aatgad« M. Abenb-Botgab« M. 0Lk>, Sonntagl-Aolgabr M. ÜLV «onatltch (autschltetzllch PoftbelteUglb^hr). Haupkschrtftleitor: Dr. Erich Lverth, Leipzig. An,eigenprei,: Unmtgen o. Batzdrda» Nn -mil. Leit bl« Molen«Ireile A> Pf- ».«,«» tz» Vf.: klein« Snjeige» bl« Molenrleeil« Li Pf. --«wer» L Vf.i Seschgfttaagitg«» mit Viodoorlchrittrn im Vrcil« «rhtht. B«Nag«n: Selamtaoflag« M. 7.— da« Taostnü antfchl. VeftgedZhr. <iaH«>»,»«r l» Pl. — Sann- und F«I»ag< >b <pf. g<niIpr«ch.A»schI,I,«^1<«r. 1<«t on» i4«lli. - po!»i««ck»-»i» 1»» Schrlftteitn», on» ViIchösieKek«: ZodanniSgali« Rr. L. Verlag: Dr. Reinhold L Co., Leip^g. Eine zweite Rede Kühlmanns Gnadenerlaß des Kaisers "id. Berlin, 27. Iannar. (Amtlich.) Allerhöchster Gnadenerlaß Die auch im letzten Kriegsjahre von Meinem Heer errungenen Erfolge, heldenhafter Widerstand an der einen, siegreiches Vor dringen an anderen Fronfen, bestimmen Mich, dankbaren Herzens auch an Meinem diesjährigen Geburtstage, soweit nicht einem der hohen Buudesfürflen das Begnadigungsrecht -ufleht, 1. allen Milikärpersonen des aktiven Heeres und der Schuhtruppen sowie den Personen des Heeresgefolges (tz 155 des Mililärstrafgesctzbviyes), 2. allen Personen, die feit Beginn des jetzigen Krieges aus dem aktiven Heere, der aktiven Marine, den Schuhtruppen oder dem Heeresgefolge wegen Dienft- onbrauchbarbeit oder zu KrieqSarbetten oder aus wirtschaft lichen Gründen entlassen worden sind, die gegen sie bls zum heutigen Tag einschließlich von Militär befehlshabern verhängten Disziplinarstrafen und von Militärgerichten rechtskräftig oerbängken Geld- und Frei heitsstrafen aus Gnade zu erlassen, soweit die Strafen noch nicht vollstreckt sind, und sofern die anferlegten oder bereits ge milderten Freiheitsstrafen sechs Monate nicht über steigen. Ausgeschlossen von der Begnadigung sollen jedoch Per sonen sein, 1. die unter Wirkung von Ehrenstrafen stehen, 2. die wegen einer oder mehrerer seit der Verhängung der Strafe begangener Handlungen mit einer Freiheitsstrafe zu seinem Geburtstag von mehr als vierzehn Tagen oder mit Geldstrafe von mehr als 150 Mark oder wiederholt mit Freiheitsstrafe disziplinarisch oder rechtskräftig gerichtlich bestraft worden sind, sofern diese Strafen noch nicht erlassen sind. Personen, gegen die ein gerichtliches oder disziplinäres Verfahren wegen einer feil der Verhängung der Strafe be gangenen Handlung schwebt, sollen nur unter der Be dingung begnadigt sein, daß in diesem Verfahren gegen sie keine militärische Ehrenstrafe verhängt wird. Die Straf vollstreckung ist bis zur Beendigung des schwebenden Ver fahrens auszusehen. Unter diesen Gnadenerlaß sollen ferner nicht fallen alle gerichtlich oder disziplinarisch verhängten Strafen wegen Mißhandlung, Beleidigung oder vorschriftswidriger Behandlung eines Untergebenen. Sind mehrere Einzelstrafen wegen solcher Straftaten neben einer oder mehreren anderen Einzelstrafen in einer unter den Erlaß fallenden Gesamt strafe enthalten, so ermächtige Ich den Gerichlshcrrn, dem die Strafvollstreckung obliegt, die Gesamldaner dieser Einzelstrafen nach -en gesetzlichen Vorschriften über die Bildung von Gesamt strafen in angemessener Weise zu ermäßigen. Ergeben sich durch eine Ausschließung von der Begnadigung in einzelnen Fällen besonder« Härten, so ist Erlaß oder Milderung der Strafe vorzuschlagen. * * * Aus Anlaß des Geburtstages des Kaisers sind Gnadenerlass gleichen Inhalts für die Kaiserliche Marine sowie seitens der Bundesfürsten für die Angehörigen des Königlich Bayerischen, Sächsischen und Würtkembergischen Kontingents ergangen. Die Aussprache über die auswärtige Politik S Berlin, 26. Januar. (Drahkbericht unserer Berliner Schriftkeitung. Der Hauptausschuß des Reichstages setzte heute normttlag die Besprechungen der auswärtigen Politik fort. Abg. Dr. David (Soz.): Die Ergebnisse der Verhandlungen in Brest-Lilowsk und Peters burg sind sehr mager. Auch die Einigung mit dec Ukraine wird unsicher, und ein Teilfrtede mit der Ukraine wäre kein Ersatz für den gesamten Frieden im Osten. Die Hoffnung geben wir nicht auf. Aber, wer würde die Schuld klagen wollen an einem Scheitern? In dieser Frage muß man klar sehen. Trotzki will offenbar einen ehrlichen demokratischen Frieden. Rur mit dieser Parole haben die Bo'schcwiki ihre Macht gewonnen. Angesichts dieser Situation müssen wir dafür sorgen, daß mit dem Selbstbcstimmungsrecht wirkllch Ernst gemacht wird. Die beiden Erklärungen vom 25. und 2b. Dezember stehen tatsächlich in Widerspruch. Hoffnungslos liegt die Sache immerhin nicht, wenn man die letzte Entscheidung einem Volksvotum überlassen will. Ob Referendum oder konstituierte Versammlung, ist bedeutungslos. Das Selbstbcstimmungsrecht der Polen ist unbestreitbar, das Ergebnis müssen wir abioarlen, vermutlich kommen sie zur Selbständigkeit. Die daran oeknüpllen Befürchtungen von Expansionsbestrebungen sind Gespenster. Auch eine Irredcnla läßt sich durch eine vernünftige Polenpolitik be seitigen. Die Litauer haben sich für einen unabhängigen Staat bereits ganz ordnungsmäßig erk äri. Dobel suchen sie, und mit Glück, Anschluß nach dem Westen. Kurland ist dagegen keine wahre Volksvertretung, da die Letten bis her ausgeschlossen sind. Die Grcnzlande zwischen Deutschland und Ruß- land sollen nicht Barrieren sein, sondern Brücken. Aber es gilt schnell zu handeln, sonst laufen wir Gefahren nach allen Seiten. Die Reichs leitung kommt mit Zugeständnissen nach Recht nicht durch, die Mittel linie taugt nichts, wir brauchen klare Entscheidungen. Die Reichs leitung will sich ja zur Wilsonschen Erklärung entgegenkom mend verhallen. Noch aktiver in dieser Hinsicht Graf Lzernin. Die Aeutzerung von der freien Hand nach dem Westen ist jedoch sehr mißverstanden worden. Wir müssen aus dem Schwanken heraus. Die Entscheidung kann nur fallen im Sinne der Resolution vom 19. Juli und der Antwort auf die Papstnoke. Dir Fricdensrcsolukion bringt uns auf eine günstige Platt form. Für uns bedeutet sie keinen Verzicht, wohl aber für die Entente. Niemand kann dann sagen, wir hätten den Krieg verloren, die Welk koalition wäre für olle Zeilen gesprengt, also in Wahrheit ein Sicher- b.'tksfrieden erreich!. lieber Belgien müssen wir eine positive Erklärung abgebsn. Wir denken nicht daran, den Flämen ihr Selbslbestlmmungärecht vorzuenthalkcn, aber die Flämen wünschen unsere Einmischung gar nicht. Abg. Dr. Naumann (Fortschr. Vpl.): Die heutigen Fricdensoerhandlungen sind ganz andere heute alS früher. Die Methode der Arbeit ist geändert und muhte es werden. Die Unterhändler sind gebunden durch Rücksicht auf Vergangenheit und Gegenwart. Aus den zahllosen Eindrücken aller Art wüsten sie Leit gedanken herausarbeiken. Das Sclbstbestimmunasrcchk allein löst sich ab, wie alle Probleme und Menschhritsgedanken. Die Formel ist nur sine Etappe, durch die wir hindurch wüsten. Je realer wir die-Begriffe fasten, desto bester. Heber Trotzki urteilte der Vorredner zu günstig. Er spielt sich als Urdemokrak auf, betätigt aber in Rußland sehr undemo- krat schc Methoden. Der Ernst, mit dem der Begriff des Selbstbestim- mungSrechts zu fassen Ist, liegt an Deutschland. Diese Ueberzeuqung müssen die ZwischcnvSlker gewinnen. Di; Abmachungen wüsten be stimmte Fristen vorsehen, dann haben wir das Recht, das besetzte Ge biet vor bolschewistischer Agitation zu schützen. Was wir in d'eser Hin sicht hdren. ist schlimm, sehr schlimm. Die Gefahr der austro-polnischen Lösung läßt fick beseitigen durch eine gute und weitsehende Polittk. Jede denkbare Losung enthält die Gefahr der Irredenta. Wir brauchen poli tischen Takt in der Behandlung der Polen. Das Ergebnis der Ver- Handlungen in Brest ist unsicher, hauptsächlich wegen drs «irren Zu standes in Rußland. Es fehlt'die d'sxöfisi^msfähige Stells, mit der'halt bare Abmachungen zu schließen sind. D«r Krieg führt leicht eher zur Zersetzung der Staaten als zum Frieden. Das ist eine Sorge, die aus ganz Europa lastet. Subjektiv will Wilson den von ihm vorgeschlagenen Frieden, wenn man ruhig denkt, zweifellos ernstlich. Seine Kundgebung kommt dem Frieden entgegen, sic Hal erhöhtes Gewicht, weil er nicht mehr neutral ist. Sie als bedeutenden 2tkt anzu erkennen, haben Graf Herkling und Graf Czernin nickt unterlassen. Natürlich kann für uns nur die absolute Integrität der deutschen Ge biete d^e Basis der Verhandlungen sein. Deutschland ist aber gleich- zeitig mit daran. Wie England große Teile der Türkei besetzt hat, so haben wir Belgien und Nordfrankreich, das gibt die Möglichkeit eines Ausgleichs. DaS Selbstbestimmungsrecht gilt natür lich auch für Belgien. Die Erklärungen h'nstchtlich Belgiens müssen positiv gefaßt werden. Di? Wünsche für die Flamen können ruhig daneben bestehen. Aber um der F amen willen darf der Krieg nickt weilergehen. DaS Echo der Rede des Reichskanzlers in der deutschen Presse zeigt kein klares Vertrauen zu seinen Ausführungen. Wenn man, wie die Konservativen, alles auf die Karte des Sieges setzt, so hak das ganze Fr'edensgerede keinen Sinn, und die Rcgiecunz muß d:rch eine andere erseht werden. Was heißt: Freie Hand im Westen? Können wir im Osten demokratisch, im Westen aristo- krakisch-mstitärisch sein? So kann man keine Politik führen. Wir freuen uns, daß unser Verhältnis zu Oesterreich-Ungarn der Eckstein unserer Pol tik ist und bleiben soll. Warum ist der Gedankengang für die Alldeutschen unmöglich? Ein weiterer größerer Erfolg zu Lande und zu Wasser ist möglich, aber ist dann die Situation für einen all gemeinen Frieden günstiger? Entweder haben wir dann ein neues mürbes Land, mit dem wir keinen Frieden schließen können, oder der Kr'eg geht weiter ohne Elan, aber zähe und ohne absehbares Ende. Der Redner spricht über ein neues verkeiltes Flugblatt, das zum Sturz der Regierung, zur Zerschmetterung der Vour- gcofie„zur Revolution und zur Errichtung der Republik ausfordert, den Separatfrieden ablehnt und zu Massenfireiken in den nächsten Togen, namentlich in der MunilionSerzeugnng und dem Verkehr rät. Welche Bedeutung dieses Flugblatt hat — wir können es nickt lcicktbin übersehen. Der Redner gibt eine Erklärung im Namen der Hirsch- Dunckerschen Gewerkschaften ab, daß sie ihre Pflicht tun werden für die Verteidigung des Vaterlandes. Am 4. August 1914 erfolgte der Anschluß der deutschen Arbeiterschaft zur Verteidigung des Vaterlandes. Halten wir den Gedankrn In seiner ganzen Größe und Lauterkeit erhalten können, wie viel bester stände cs um unSk Regie rung und Volk sollen unschuldg sein, wenn Störungen eintreten. Staatssekretär von Kühlmann: Meine Herren! Die Debatte der zwei Tage hat uns eine reiche Fülle von Gedanken und Gesichtspunkten zu denjenigen Gegenständen gebracht, die der Herr Reichskanzler in feiner Rede dargeicgl hat, und denjenigen Ausführungen, d°e ich mir gestattet habe Ihnen gestern zu unterbreiten, um dcn Verlauf der in Brcst-Litowsk geführten Verhand lungen darzulsgen. ES ist nickt menschenmöglich, aus eine so große bedeutende Debatte in allen Einzelheiten einzugchen. Ich will mir ge- statten, diescnigsn Punkte einzeln zu besprechen, bei denen mir im Laufe der Debatte eine Besprechung erforderlich erschien. Der Herr Abg. Skresemann hatte in seinen Aus-ihrungen, die sowohl in diesem hoben Hause als auch in der Oeffent'ickkeit zweifellos die Beachtung gefunden haben, dir sie verdienten, daraus hingewiesen — und dieser Hinwe'S ist mir auch in der deutschen Presse so oft begegnet —, daß es wünschens»«»» wäre, bl« deutschen Minister sprächen häufiger kN der Oelfcnkllckkeit, antworteten rascher und, nwnn ich so scmen darf, mtt verkitten Rollen ant dl« Aeuhcrungrn des Auslandes. Ich stimme diesem Wunsche grundsätzlich zu. (Fortsetzung stehe Sette 2» Dem Kaiser! kl. L. Der Kaiser wird heute 59 Jahre alt. In dieser Zeit, da soviel Lärm ist in der Welt, ist um den Kaiser weniger Geräusch, als es in ruhigen Jahren zu sein pflegte. Der Kaiser selber ist ein stiller Mann geworden, der wenig von sich reden macht, der vor der Ueberfülle der Ereignisse bereitwillig zurückgelreken ist und sich auch in diesen letzten Monaten deS Schneegestöbers unentwegter Drahtungen, deren Absender sich selbst und andern auf diese Art elnlge Herzstärkung zu verschaffen fachen, kaum an solchem Aus tausch beteiligt hat. Er hat in diesem ganzen Kriege, der ja manches unterdrückt, doch auf die Rede- und Schreiblust von Millionen Zeitgenossen außerordentlich befruchtend gewirkt hat. kein leeres Wort gesprochen — das dürfen wenige von sich sagen!—wohl aber manches Wort von edlem menschlichen Gehalt. Er hat seinem Volke nicht nur in den Anfangslagen deS Krieges aus dem Herzen gesprochen, sondern auch in einer Reihe von Erlassen, zu Neujahrstagen oder bei anderen Gelegenheiten, ergreifende Töne für die Opfer jeder Art gefunden, die dieses Volk gebracht hat. Im Einklang damit hat der Kaiser in dem soeben abgelaufenen Jahre seines Lebens die innere Erneuerung unseres staatlichen Lebens durch denkwürdige Urkunden nicht allein begleitet, sondern begonnen. Er hat in den Stürmen der Jahre, die gerade den obersten Führer der deutschen Heere hätten verführen können, alles Heil in den allpreußischen Tugenden zu suchen, die Ueber- legenheil besessen, die Geburt eines neuen Preußen als unvermeid lich zu erkennen und zu fördern. DaS alte Preußen gehört, im großen gesehen, heute der Vergangenheit an als eine Form, die zu eng geworden ist für die Kräfte, die sich, auch unter dem Schutze der alten Form, in dem Volkskörper entwickelt haben: es ist .auf gehoben' in jenem Doppelsinn Hegels, in dem daS Wort ein Ver gaben und Bleiben zugleich bezeichnet. Jenes alte Preußen wird nicht zerstört, nicht dem Niedergang überantwortet, wie enge Geister, die Form und Wesen nicht auseinander zu halten ver mögen, prophezeien, es'wird vielmehr zu größerer Kraft.brückt mit einem steuen Geiste. Der Fürst aber, der dse ersten "Skhrifte auf diesem Wege gerade in solcher Zeit voranging, mag weniger freien Köpfen unbegreiflich erscheinen, daS hebt nur seinen Vorrang vor ihnen um so höher. . . . . Für den Kaiser war der Krieg ein großes Erlebnis vor allem in der Richtung, daß er sein Volk in weitestem Umfange und im eigentlichen Grunde kennen lernte, nicht ohne Ueberraschung, mit Innerer Bewegung, von der er öfters dankbar Kunde gegeben hat. Er hat zu seinem Volk ein neues Vertrauen gefaßt und ist zu ihm von sich aus ganz persönlich in ein Verhältnis getreten, wie es zwischen Fürst und Volk immer sein sollte. Dieses Vertrauen Hot er in jenen politischen Botschaften, die die Neuordnung in Preußen herbeisührten, zu Ostern und August vorigen Jahres, betätigt. Und dieses Zutrauen hat wiederum das Vertrauen, das er im Volke be sitzt, unendlich vermehrt. Uebelwollende haben davon geredet, diese Botschaften seien ihm abgezwungen oder abaelistet worden; noch andere haben davon gesprochen, daß die Besorgnis vor :v«end- welchen innerpolitischen Folgeerscheinungen der russischen Revo lution mitgespielt haben könnte. Nun, der Kaiser hat einst einem Besucher in seinem Hauptquartier mit freudiger Miene gesagt: Die Mannschaften, die ihn hier als Leibwache rings umgäben, seien im bürgerlichen Leben sämtlich Sozialdemokraten. Von solchen Eindrücken geht eine gerade Bahn zu der Osterbotschaft. Man braucht keine weitere Erklärung, außer der Erkenntnis der staatlichen Notwendigkeit jener Reform. Wilhelm U. hat seinen Frieden mil der Sozialdemokratie gemocht, die er einst eine vor übergehende Erscheinung nannte. Damals meinte er, sie solle man nur ihm überlassen, er würde ganz allein mil ihr fertig. Seit dem hat er längst erkannt, daß dies nicht möglich war, und heute hat er erkannt, daß eS nicht nötig ist, sondern daß Monarch und Sozialdemokratie sich ganz gut vertragen können. Und sozialdemo kratische Stimmen haben ihm mit ähnlichem Vertrauen geantwortet. Er, an dem heute gewisse Eroberernakuren im eigenen Volk einen Mangel an Eroberersinn beklagen, hat große Eroberungen gemacht im eigenen Volke. Der Mann, der einst, im Frieden, dos seitdem im 2n- und Auslande zu Tode gehetzte Wort von der .gepanzerten Faust' sprach, hat im Kriege moralische Eroberungen gemacht. Diese moralischen Eroberungen eines Fürsten im eigenen Volke wird ja wohl keiner von den vielen, denen heute die gepanzerte Faust das höchste Symbol ihrer kriegsmäßig beeinflußten Welt anschauung lst, zu verhöhnen wagen. Der Kaiser ist eine Friedensnatur. Er hat nicht zufällig Jahr zehnte hindurch den Ruhm erstrebt, als Friedensfürst zu leben und zu sterben; das lag in seiner Natur. Ihm ist der Krieg, den er nicht gewollt Hal, schwer auf die Seele gefallen, daS ist offenes Geheimnis. Als einen .frischfröhlichen Krieg' hat er diesen Kampf ganz gewiß in keinem Augenblick empfunden. Der Mann, der sich mit Freuden den Friedenskaiser nennen hörte, muhte nun einen beispiellosen Krieg erleben, und da eS immer und immer noch nicht gelang, sein Volk auS dieser Verstrickung herauSzuführen, hat et gelitten und leidet noch. Bekannt ist di« besondere Stärke seiner Religiosität, — auch für einen weniger religiösen Menschen ist verständlich, daß ein solcher Mann sein« Verantwortung in Zeiten wie dieser besonders drückend fühlen wird, und daß er vor jedem neuen Entschluß, der abermals Tcur- scnden seines Volkes daS Leben kostet, seine Entscheidung immer von neuem als schwere Last empfindet. Auch diese Züge bringen den Kaiser allen menschlich Denkenden menschlich nahe