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Berliner Merlei Laute MalchenS Kapotthut — „'n Frosche« bittel" — Am Aler startet „Taxi" — Vom Speise-EiS zum Kartoffel« pusfer — Artisten i« der Bahn — Toni van Eycks Wieder, ausstteg — Gitta Alpar sagt a«S Schade, das, wir vor ein paar Jahren, als Tante Malchen in Ostpreussen gestorben war, ihre Kapotthtttchen alle in den Müllkasten geworfen haben. Heute sind sie nämlich aus einmal wieder letzter Schrei. Biclleicht wird sogar -7- Gott behüte — die Wespentaille wieder Mode; dann könnte ich ein Brautkleid aus eigener Ehe verschenken, das heute unsere schlanksten Mädel nicht ankrtegen; übrigens schon deshalb nicht, weil sie so furchtbar lachen müssen, wenn sie das Kleid sehen, was, in aller geziemenden Ehrfurcht sei cs gesagt, auch im Rosenhag des Berliner Tiergartens geschieht, wenn man dort die marmorne Schnttrgestalt der verstorbenen Ziaiscrtn sicht. Aber Laclren hin, Lachen her: was befohlen wird, wird gemacht. Drücken die Putzgeschäfte das Kapvtthütchcn, bitte, mit Bandschlcife umS Gesicht, durch, so leistet keine Frau Widerstand, sondern beeilt sich, bas; sie den Anschluß nicht versäumt. Natürlich braucht cS nicht ein Tantcnhut zu sein. Mehr so ein btstchen Schäscrhütchen ans galanter Zeit. ,Hhrcn Liebsten zu er. warten", sitzt PhylltS wieder dann im Garten —, Ver zeihung: ich meine, steht sie an der Ecke Uhlandstraste im brandenden Gewühl und freut sich, das, sic schon so weit ist, das Wanacnrund durch die Bandschlcife zu entstellen, wäh rend so viele andere Damen noch nicht das Allerletzte haben. Ein paar Kapotthtttchen bin ich in Berltn-W. schon be gegnet: die Trägerinnen platzten fast vor Stolz. Ich be haupte aber, dah diesmal vielleicht „die Provinz" nicht mit geht (vielleicht!) und dann ist die großstädtische Wieder belebung deö alcen KopsmöbclS umsonst gewesen. Wir sind gar nicht so erfinderisch, wie wir denken: mir leben von Wiederholungen in der Mode und Im Ver gnügen. Als wir ganz sung waren, gab eS noch nicht an jeder Ecke eine Tanzdiele, sondern nur wenige Lokale, in denen „geschwooft" wurde, ein- oder zweimal in der Woche, brausten in Halcnsce oder anderswo. Da ging man also in Zivil bin, tanzte mit irgendeiner Trante, dann brach die Musik nach einer Weile mitten im Tanze unvermittelt ab, bi« Paar« blieben erstarrt stehen, und der dLi.lt« cks ckanss, ein Angestellter des Wirtes, ging reihum und bekam von sedcm Herrn zehn Pfennig. Davon ist mir folgende Geschichte in Erinnerung. Nach einem langen Wirbelwalzer noch im Galopp, die Musik hört auf, der Tanzmctster sammelt ein. Er steht gerade vor einem jungen Herrn. „'n Jroschen, bitte!" „Ich habe nicht getanzt." „Aber Sie schwitzen ja!" „Ich schwitze immer. „Sie Schwein!" Und damit zieht der Tanzmetster weiter, denn er hat keine Zeit, sich in lange Zeugenvernehmungen einzulassen. Also, das war damals der übliche Groschentanz. Und siehe da: er lebt wieder aus! Die Leute, die noch vor wenigen Jahren ihrer Tischdame oder Etntänzertn, abgesehen von dem Wein und den Zigaretten, die das aus Prozente und Verdienst angewiesene Mädchen konsumierte, zum Schluß verstohlen einen Zehnmarkschein in die Hand drückten, gibt eö in Berlin nicht mehr. Das tun auch die fremden Hotel gäste nicht mehr, die unbeweibt zu geschäftlichen Kon ferenzen nach der Hauptstadt kommen und sich abends ent spannen wollen. Am wenigsten wird in Berlin-O. das Geld so vertan, aber tanzen will man auch in Arbeiter, vierteln, selbst wenn man dazu keine Krcuiidtn hat oder sie verhindert oder durchgcbrannt ist. Und so ersteht denn der Groschentanz von neuem. Der Besitzer der „Bajadere", einer Tanzdiele im Westen, hat vor acht Tagen dicht am Alexanderplatz, in der Neuen Königstrabc.daS „Taxi" aus gemacht, in dem nach den Reklamenotizen der Berliner Zeitungen, die alles Berlinerische als phänomenal der Provinz verzapfen, angeblich fünfzig Tanzmädchen für die Taxe von je einem Groschen dem p. t. Publikum zur Ver fügung stehen. In Wahrheit waren es schon am Er öffnungstage nur drcisttg, und jetzt, eine Woche später, sind es noch vierzehn, fast alle sozusagen in Uniform, nämlich in genau dem gleichen billigen Tanzkletdchcn mit Puff ärmeln, lachsfarben oder blastgrlln. Stimmung, Stimmung! Ein Königreich für Stimmung! Die Stubenmaler haben das Nötige dafür getan, schon im Hausflur —der Garderobe — locken Strichzeichnungen mit Versen an der Wand, etwa: „Hier geben Sie die Mäntel ab — Er kokettiert schon nicht -n knapp." ES ist herbstlich, noch nicht winterlich; die nasse Ueber- gangSzett. Da habe« es alle Gaststätten schwer, da jeder BuMg, S. November 1SZ2 «Dresdner Nachricht««- — Bilder vorn Tage Berlin zur Zeit des Verkehrsstreiks Nr. rrz race« Ke« Volk »ne» Streikposten vor den geschloffenen Gittern eines Das Fehlen der Straßenbahnen und Autobusse hatte Untergrundbahnhofes Has Gesicht des Potsdamer Platzes völlig verändert Nur Autodroschkcn und Privatautos verkehrten in großer Zahl a v ri>o»o Die neue Straße des Imperiums in Rom, die kürzlich durch Mussolini eingeweiht wurde, ist jetzt dem Verkehr übergeben worden z. t>. i-kolo Dorfbürgermeister begrüßen den Röntg Anläßlich der Gedenkfeier für den rumänischen Rönig Alexander besuchten Röntg Laeol und _ „ „ Rronprin; Michael di« Grabstätte Alexanders Aur Begrüßung de» Rönigs und des Rronprinzrn waren die Bürgermeister der umliegenden Dörfer in ihrer malerischen Landestracht erschienen KevVolkrime» roooo Elefantenzähne Aller Vierteljahre findet in einem Rauf Haus auf den Docks von London «ine Llfenbekn« Versteigerung statt, zu der Räufer aus allen Ländern der Welt kommen. Unser Bild zeigt sortierte Elefantenzähne, ein ungeheurer Schatz, wenn man bedenkt, daß pro Tonne I50S0 bis 200SS Mark bezahlt werden mann es sich dreimal überlegt, ehe er das schützende Heim verläßt. Am schwersten haben es in dieser Zeit die Eis dielen, die im Sommer in jedem leeren Laden empor wuchern und von den Konditoreien als giftiger Fliegenpilz deö Gewerbes bezeichnet werben. Wer kauft heute für einen Groschen Eis? Kein Mensch! Einige Eisdielen haben die seit etwa zwei Jahren übliche Novcmberumstellung schon vorgenommen. ES gibt nicht mehr kaltes Eis, sondern warme Kartoffelpuffer; manchmal stinkt das nicht immer sorgfältig gereinigte Fett drei Häuser weit. Aber schau'nS, geh'nS, man will doch was verdienen! Wer nicht anders etwas verdiene» kann, der hausiert als Artist in der Stadtbahn oder Untergrundbahn. Mitten in der festgeketlten Menge. Mit den Muökclmenschen, die Bizeps und entb .» Rücken arbeiten ließen, ist es schon nichts mehr, dafür füllt kein Sechser ab. Aber plötzlich ent faltet einer einen nnbcspanntcn Regenschirm, ein Draht gerippe, und daran turnt ein winziges Stvsfäfschen un klettert automatisch. Ober cs macht einer allerhand Zauber kunststücke, greift Zweimarkstücke aus der Lust vder zieht sie den Nachbarn aus der Nase, macht vcrblttfseudc KartcntrickS oder auch nur — Musik. Unermüdlich, ohne jede Rücksicht auf Geldgeschenke oder auch nur Teilnahme der Umstehen den, mit genau der gleichen Selbstverständlichkeit, mit der 1« London arme Maler den ganzen Tag lang auf den Bürger steig oder eine unbefahrene Uferstraße ihre bunten Bilder htnzaubern, handwerksmäßig, mit kleinem Repertoire, Immer dieselben. „Was sind Sie von Beruf?" frage ich einen jungen Mann, der in der Stadtbahn auf einer mächtigen Mund harmonika akkordgeschivellt das Jnterger vttae bläst, und er antwortet: „Arbeitsloser." Ich hatte ihm zwei Groschen un eins Zigarre gegeben, aber das Gespräch war beendet; es ist merkwürdig, das, diese Leute fast nie sagen wollen, ivaS st« gewesen sind oder wofür sie sich vorbereitet haben. Eine ist Gott sei Dank aus dieser TrübniS des Nicht« arbeitens, die sie bis zur Einlieferung in die Nervenheil anstalt verfolgte, heraus: Toni van Eyck. Auf einer Nach« mlttagSgescNschaft im vorigen Jahre stellte sic mir jhren Mann vor mck> antwortet« auf di« höfliche Frage nach seinem Berus mit zuckenden Mundwinkeln, er fei Graphologe. So, als wenn sie sagen wollte: Ich bin Maler, und er hat auch nischt. ES gibt Graphologen, Handschrlftkundige, die sich als Sachverständige vor Gericht ihr Brot verdienen andere, die große Firmen bei Anstellungen beraten, weshalb ja so vielfach statt des Durchschlags iu Maschinenschrift eine „eigenhändige"