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Mülwdch, z«. November i»zr kl! Gegründet 18A6 »ra»«a>qcknM> »-«ßrccktte, Dresdn, Fenilorrckier-ELMmelnummer: »d»«l »UI lür »ackttgewrSch«! »r.I001l «chrttttrttung u. H«u»Ig»1chLlt«IIeNk! Lretde» - il. t, MaNsnftraß« 3«/«» del iigNch »«etmoNger LusteNmig menaINch «.»0 MI. cetnIckiNrßttch 70 Pfg. für r,L,er- lohn!, durch Vostdesua ».«« MI. rlnlchllrbttch o« VIg. Poftaebühr lohne Postsuftcllungsgebahr) bei 7 mal wbchenlllchem verland, lklnjelnummer l» Big., außerhalb «schien« l» Vlg. «njelgenprelle: LI« elnlpalllg« so mm breite Zette bb vlg-, für auswärl» «0 Bill-, die !>« mm breite ReNameiette roo Big , außerhalb «io Pfg. ab». Krilenabichtag It. larii, ilamilienan,eigen und Stellengeiuch« ohne Rabatt sl via» außerhalb »S vi». Ollerlengebühr ro Pfg. Auiwirtige «uiträge gegen Boraulbejahiung. »ruck ». Verlag: Sleplch « Reichardl, Dresden. Vollscheck-KIo. 101« Dresden Rachdruck nur mit deutl-Queltenangabe lDresdn. Rachr.) zultillig. Unverlangte «chrillstücke «erden nicht aulbewahr« Schleicher wünscht Aussprache mit Sitter EnMetdende Biratunsktt am Mittwoch vr»dki»»Ickttttg ooaorar Vvrltovr SvdrUUvUavg Berlin, 29. Nov. Nach den — wie «S in steigendem Maste tn den lebten Tagen und Stunden aussah — schwer zu it verdruckenden und vielfach ziellpS erscheinenden Besprechungen rund um die Regierungskrise spitzt sich die ganze Angelegenheit erneut zu einer dramatischen Wendung zu. Diese Wendung hat ihre Wurzel in den Entschlüssen, die der Neichswehrmlnister v. Schleicher am Dienstagvormittag sastte, als ihm die Abgeordneten Straster und Dr. Frick von den Nationalsozialisten er klärten, sie leien nicht ermächtigt, entscheidende politische Verhandlungen zu fuhren, und dabei durchbllcken ltcsten, das, Hitler selbst unter Umständen sltr Schleicher zu sprechen sein dUrkte. Diele Anregung hat Schleicher im Verfolg seiner ernsten und nachdrücklich betriebenen Bemühungen nm die Herstellung einer N o t g e m e i n s ch a s t sitr diesen Winter ausgegrisfen und bat Hitler wissen lasten, das, er sich mit ihm. ehe die grosten Entscheidungen fallen wiirdcn, noch einmal gern persönlich ausgesprochen hätte. Diese An regung Schleichers wurde dem Führer der Nationalsozia listen durch Mittelsleute mitgetcilt, und in den späteren Abendstunden hat sich dann Hitler entschlossen, der Aussorderung Holge zu leisten. Hitler ist am Dienstagabend 9 Uhr mit dem sahrplanmästigen Schnellzug von MUnchen nach Berlin abgereist und wird 12 Stunden später, am Mittwoch vormit« tag, in Uerlt« erwartet. Bom Bahnhos wird er sich sofort zum Reichs» eh rminifter zu der in Aussicht genommenen Aussprache begebeu. Diel, wenn nicht alles, wird erneut von dieser Be sprechung mit dem Führer der Nationalsozialisten abhängen. Im „Völkischen Beobachter" wird ein Leitartikel verösscntlicht, in dem erneut die bedingungslose Forderung, Hitler müsse Reichskanzler werden, erhoben wirb. Damit wird die nationalsozialistische Forde rung, die fa noch vor wenigen Tagen dem RcichSwehr- mtntster von Hitler persönlich unterbreitet worden ist. aber mals bckrästigt. ES kann kein Zweifel darüber sein, Last dieser letzte Versuch, die Nationalsozialisten zu etucr Stützung oder auch nur zu einer Tolerierung eines Not- kabinettS für den Winter zu bewegen, nicht nur von Hitler auS gesehen, sondern auch für den Neichswehrmlnister v. Schleicher selbst a u st c r o r d e n t l t «H ernst ist, der damit ein grostcö Risiko übernommen hat. ES kann sehr wohl sein, dast der Papcnkrisc bet einem immerhin mög lichen Scheitern der Besprechungen mit Hitler eine Schleicherkrise aus dem Fnste folgt. In dieser Rich tung bewegten sich sedcnfalls in den DienStagabendstundcn fast sämtliche Erwägungen tn politischen Kreisen. Am allgemeinen steht man vor einem Rätsel. Niemals war die Ratlosigkeit all dersenigen, die Licht in die Entwicklung -er letzten Stunden zu bringen versuchten, gröber als heute. Die a m t lichcn Stellen schweigen absolut. Aus der Umgebung des Reichspräsidenten ist nichts in Erfahrung zu bringen. Auch der Reichskanzler von Papen hat keinerlei Aeusterung zu den Vorgängen getan. Da kaum vorstellbar ist, das, Hitler seinen Stand punkt zur Regierungskrise geändert haben könnte, d. h., das, der Führer der Nationalsozialisten unter Umständen in der Lage sei, auf den Kanzlerposlen zu verzichten, lässt sich nicht Parts, 29. Nov. Ministerpräsident Herriot «nd der Lowjetbotschafter in Paris unterzeichneten heute nach mittag den französisch-russischen Nichtangriffspakt. Dabei übermittelte Ministerpräsident Herriot die Grüste des französischen Volkes an die Völker der Sowjet union, mit denen Frankreich immer herzlichere Beziehungen unterhalten wolle. Der soeben unterzeichnete Vertrag werde entsprechend der Art, wie er ausgestaltet werde, seinen Wert erhalten. Man möge nicht an den Bemühungen Frankreichs, ihn wirksam zu gestalten, zweifeln. Sowjetbotschastcr Dowgalewskt erklärte, die Sowietregicrung lege diesem Pakt einen grosten politischen und moralischen Wert bei, der den friedlichen Bestrebungen entspreche, von denen die Völker Frankreich» und der Sowjetunion beseelt seien. Ebenso wie die französische Negierung werde die Sowjetregierung alle ihre Bemühun gen darauf richten, den neuen Vertrag für beide Länder wirksam und nutzbringend zu machen. «tim erkoimiche Abrüitung olM Deutschland Der englische KriegSminifter vor dem Oberhaus London, 2ü. Nov. Am Oberhaus ersuchte Lord Ereil die Negierung um nähere Mitteilungen über ihre Politik in der Abrüstung und in der Mandschureifrage. KrtegS- mtnistcr Lord Hat Isham antwortete, England verfolge tn der Mandschnretfrage die VülkerbnnbSpolittk. Zur Ab- «tstungSfrage sei zu sagen, dast die Regierung im Sinne übersehen, welches eigentlich die Gründe des neuen Schletchcrschcn Versuchs sind und mit welchen Hoff nungen und Aussichten aus Erfolg der ReichSwchrminister ihn unternimmt, zumal kaum eine Wahrscheinlich keit dafür spricht, das, der greise Reichspräsident seinen Entschlust, Hitler nicht zum Reichskanzler eines PräsibialkabiuettS zu ernennen, nun etwa tn letzter Stunde geändert hätte. So ist die Lage in der Nacht zum Mittwoch vollständig ungeklärt, und man könnte eigentlich nur eine Erklärung für alle diese Vorgänge für möglich halte», die darin zu suchen wäre, das, eben der Reichspräsident mit groster Sorgfalt und ohne sich zu irgendeinem Entschlust vorzeitig drängen zu lassen, alle, aber auch alle Möglichkeiten untersucht wissen will. An jedem Falle wird der Miltwochvvrmittag Stunden von groster inncrpolitischer Bedeutung mit sich bringen. Ans Grund dieses Ergebnisses wird dann der Reichspräsident vielleicht morgen, vielleicht aber noch nach einigen Tagen Bedenkzeit seine letzten Entschlüsse fassen. , Der Reichspräsident hat sich in den Nachmit- tagSstunden vom ReichSwchrminister von Schleicher tn Gegenwart des Reichskanzlers von Papcn über besten Bemühungen zur Herbeisührung des sogenannten Waffen stillstandes der Parteien Bericht erstatten lasten. Be schlüsse oder gar Entscheidungen sind in dieser Sitzung beim Reichspräsidenten sticht gefallen. Nie zentrumsiraklion tonstttuteri sich Vradkmvküung uvsoror Vorttuvr Svdrklikokkuag Berlin, 29. Nov. Die neue ZcntrnmSsraktion des Reichstages hielt am DienStagnachmittag ihre erste Sitzung ab, in der der Vorsitzende der ZentrumSpartci, Prälat KaaS, über die politischen Vorgänge der letzten Zett konferierte. Am Anschlust an den Bericht sand eine längere Aussprache statt, an der sich n. a. auch der frühere Reichs kanzler Dr. Brüning beteiligte. Abichliestend wurde eine Entschliestnng angenommen, die die Haltung der Parteiführung einmütig billigt und ihr volles Vertrauen ausspricht. Die Fraktion halte an dem Ziele einer Not- und Arbeitsgemeinschaft zwischen allen in Betracht kommenden Parteien scsi. MtsümMreise und Kabinettsbildung ' Berlin, 29. Nov. Der R c i ch S v e r b a n d d c r deut schen Andustric teilt mit: Am Hinblick ans wiederholte Pressemeldungen, das, die WirtschastSkreisc bei der Kabinetts bildung um ihre Ausfassung befragt wären, oder einen Ein slus, auSzuüben versucht hätten, ist scstzustcllcn, dast weder der Rcichöverband der deutschen Andustric noch die Ver einigung der deutschen Arbeitgeberverbände in dieser Rich tung irgendwie in Anspruch genommen worden sind oder eine Betätigung ausgeübt haben. Unzutreffend ist ins besondere auch die Meldung, dast der Vorsitzende des ReichS- vcrbandeS, Dr. Krupp v o n B o h l e n - H a l b a ch, dabei eine Mittlerrolle zu spielen oder sonst irgendwie in die schwebenden Verhandlungen einzngrciscn versucht hätte. der Methode der quantitativen Abrüstung durch Beschrän kung der RüstuugsauSgabcn arbeite. Ans die Vorwürfe eingehend, dast England die leichten Tanks betbchaltcu wolle, sagte der Minister, die leichten Tanks seien ein Bertetdt- gnnaSmtttel gegen das automatische Gewehr und das Maschinengewehr. Eine Abschaffung der leichten Tanks würde eine RüstungSvermchrung, nicht eine NüstungS- hcrabsctzung bedeuten. Aus die Frage, ob Derrtschland wohl wieder zur Abrüstungskonferenz zurllckkehren werde, ver wies der Minister aus die Bemühungen des Austenministers Simon, der für die Rückkehr Deutschlands zum Konserenz» tisch sehr eisrig gearbeitet habe. Die englische Regierung glaube nicht, dast die Abrüstung wirksam und zusrieden- ftellend durch eine Konferenz hcrbeiaesührt werden könne, aus der Deutschland nicht vertreten sei. Weiterer Sturz -es Pfunbes London, 29. Nov. Der PsundkurS hat im Lause beS TageS einen Tiesstand erreicht, den er noch nie gehabt hat. DaS Psund wurde nur mit 8,147k Dollar notiert; was einem ReichSmarkkurs von 18,22 entspricht. SinowjewS Tod dementiert. Wie Rcntcr aus Moskau meldet, wirb dort die Nachricht vom Tode Sinowjews dementiert. Neurath bei Hindenburg. Der Reichspräsident empfing am Dienstag den aus Gens zurückgckchrten RelchSmintster Freiherr« von Neurath »um Bortrag. Kommt Europa tvioöor hoch? Um eö gleich von vornherein zu sagen: Die Frage wird mit einem zuversichtlichen Ja beantwortet werden. Wenig stens von dem durch seine Untersuchungen über Nustland und über Deutschland In weitesten Kreisen bekannten ame rikanischen Jonrnalistcn H. N. Knickerbocker*!, nach dem er zu diesem Zwecke eine 6599 Kilometer lange Reise kreuz und quer durch den Kontinent gemacht hat. Wir be suchen mit ihm, nachdem er Ende Juni 1992 tn Wien aus gebrochen war, Prag und Budapest, ergründen die Pro bleme des TonauraumcS, lernen das faschistische Italien in Mailand nnb Nom kennen, wenden uns nordwärts, zunächst nach Basel, besteigen mit ihm den „Beobachtungsturm" der Bank für Internationale Zahlungen, bekommen interessante Aufschlüsse über die wirtschaftlichen Aussichten Frankreichs und Englands, nachdem wir unterdessen Berlin, dem Reichskanzler v. Papcn und dem neben Hitler einslnst- reichsten Nationalsozialisten Gregor Straster einen Be such abgcslattct haben. Eine abwechslungsreiche, interessante, ja. recht unterhaltsame Reise, die von den Elendsvierteln Budapests bis zum Luxus des Manfair führt, ein buntes Bild Europas, wie cö sich auS amtlichen Berichten und Zahlen, aus den Ansichten des einfachen Mannes auf der Strastc und aus den Anterviews der führenden Staats männer und Wirtschastösührcr ergibt, die, mannigfaltig im einzelnen, in ihrer Gesamtheit sich schlicstlich doch auf den Generalnenner bringen lassen, dast das Kriscnties in Europa erreicht, vielleicht sogar überwunden ist, und dast es «in Gebot der LebcnSklughcit ist, in frischem Optimis mus wieder ans Werk zu gehen. Eine gesunde Zuversicht empfiehlt der Verfasser namentlich uns Deutschen, die er gelegentlich die „schwärzesten der Pessimisten" nennt, obwohl er gerade ihnen eine Menge tröstender Tat sachen zu sagen sich für berechtigt hält. In diesem Zusammenhang zittert er einen leider nur allzu richtigen Ausspruch dcö bekannten englischen Wirt- schastSstthrerS Sir Josiah Stamp: „ES kommt nicht tu erster Linie aus die Tatsachen an. sondern aus die Ge danken, die sich die Menschen über die Tatsachen der Wirtschaft machen." Nicht die schlechte Lage der Wirtschaft ist tn erster Linie ausschlaggebend für die Verschärfung der Krise, sondern die Panikstimmung, die heute die weiteste« Kreise in ganz Europa erfasst hat, die sich darin änstcrt, dast ans jedes Gerücht hin sofort die kurzfristige» Gelder ans dem davon betroffenen Lande sllichtcn, Wäh rungen in Gefahr und Banken zum Zusammenbruch brin gen. ES ist recht interessant, zu erfahren, wie weitgehend die Wirtschastösührcr der verschiedensten Länder hierin überetnstimmen. Stamp formuliert das folgcndcrmasten: „Was würde es England nützen, zur Goldbasis zurück- zukehren, wenn dann zum Beispiel die Schweiz mit einem mal ans Grund von Berichten über kommunistische Un ruhen in Liverpool erschräke und über Nacht ihr ganzes Gold zurückvcrlangt." Und Franqni, der erste Bankier Belgiens, der in der Baseler Bank für Internationale Zahlungen eine führende Rolle spielt, drückt denselben Ge danken folgendermasten auS: Die Leute hören beispielsweise ein völlig unsinigeS Gerücht, dast der Dollar wackele. So fort wechseln Tausende von Dollarbcsitzern in allen Län dern ihre Dollar in irgendeine andere Valuta um. Sie hören ein neues Gerücht und flüchten wieder In den Dollar. Niemand denkt mehr ans Investieren. Alle sind nur auf eine Sicherheit aus, wie sie in einer Welt, die an der jetzigen Psnchose leidet, niemals erlangt werben kann. Frankreich, die Vereinigten Staaten, die Schweiz und Holland ersticken heute im Gold, weil die ganze Welt diese Länder für sichere Anlagcortc für ihr Geld hält. Aber der Sturm tobt weiter, und morgen können die von der Panik gehetzten Menschen nach Ehilc, nach Paraguai, ober Gott weist wohin laufen. ES ist Tollheit, denn eS liegt dem keine wahre ökonomische Untersuchung des Zustandes der Währung irgendeines Landes zngrundc. Deshalb ist eS so leicht, ein gesundes wie ein nicht gesun des Land zu infizieren. Angesichts dieser nicht zu bestreitenden Tatsachen Ist es allerdings nicht verwunderlich, dast für die Verschärfung der Krise weit mehr Gerüchte, Nervosität und das allge meine Gefühl der Unsicherheit verantwortlich zu machen sind, als die realen Tatsachen. Allerdings haben sich tn vielen Ländern Europas gewlssermasten Gegengifte ent. wickelt. Sie liegen tn der Abkehr von nicht weniger als achtzehn Staaten von der Goldbasis und tn der DevisenzwangSbewtrtschaftung, der ungefähr zwanzig Staaten huldigen. Die dadurch hcrvorgerufenen Ausfuhrbeschränkungen und Einfuhrhinderntffe und das Konttngcutsnstcm, da» seit September 19.91 von fünfundzwanzig Ländern eingcsührt wurde, haben aber ihrerseits wieder -en gegenseitigen Warenaustausch in stärk, ster Weise beschränkt. Dadurch wurde e» namentlich den acht europäischen Schuldnerlänbern unmög- B H. R. Knickerbocker: „Kommt Europa wieder hoch?" Vers' lag Rowohlt, Berlin, Der stmzöfifchnittiiche Berlra, unterzeichnet