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Unstillbare Religiosität Vas geistliche Lied in den Russischen Orthodoxie Während seiner sibirischen Sträflingszeit erinnerte sich Dostojewski plötzlich mit aller Deutlichkeit eines Vorfalles aus den frühesten Kindertagen. Der Knabe hatte sich vom elterlichen Gute entfernt und war in den Wald geraten. Da glaubte er eine gellende Stimme zu hören: Der Wolf kommt! In seiner Todesangst floh er und suchte Schutz bei dem leib eigenen Bauer Marei, der unweit des Waldes an einem Ab hang pflügte. Das zitternde Kind klammerte sich an seinen Bauernkittel und keuchte atemlos: Der Wolf kommt! Marei hielt den Pflug an und murmelte in seinen Bart: Was für'n Wolf soll denn kommen? Christus ist mit dir, ich werde dich schon nicht vom Wolf fressen lassen. Er sagte das lächelnd — es war ein ganz besonderes, mütterlich zärtliches Lächeln. Dann erhob er langsam seine dick,en, erdbeschmutzten Finger und be kreuzte die bebenden Lippen des Kindes. „Gott allein weih", so beschließt der Dichter seine Erinnerung, „mit welchem liefen, heiligen menschlichen Gefühl die Seele eines rohen, tierisch unwissenden russischen Muschiks erfüllt sein kann." Es war nur ein Erlebnis von geringem Ausmaß, aber über den Wirklichkeitswert hinaus kommt ihm eine tiefe Symbol hastigkeit zu Es ist wie eine Deutung der menschlichen und künstlerischen Persönlichkeit Dostojewskis. Wenn dieser Genius, in dessen Seele alle Engel des Lichtes und der Finsternis streiten, dem Wolfe, „dem klugen und furchtbaren Geiste des Nichtseins" zu erliegen droht, dann klammert er sich, wie er als Kind getan, an den Bauer Marei, an das russische Volk und dessen Rechtgläublgkeit. Denn dieses sind die „Drei Wal fische", auf deren Rücken das heilige Rußland seinem Glauben zufolge ruhte: Zarvatcrtum, Rechtgläubigkeit und Volkstum. Es sind nach der Lehre aller Slavophilen ewige Wahrheiten, höchste Werte, denen im Westen nichts gleich kommt. Sie verbürgen den messianischen Glauben, daß Rußland der Welt ein „Neues Wort" zu sagen habe. Die stolze Zuver sicht auf die Ueberlegenheit Rußlands und der russischen Kirche spiegelt sich schon in einem uralten geistlichen Liede wieder, einem Zwiegespräch zwischen dem biblischen „Zaren" David und 40 russischen Zaren: Und es verbeugten sich zur Erde alle vierzig Zaren: „Gott wird dich segnen, unser Glanz, du weiser Zar. Sag uns, wir bitten dich, noch dieses eine: Von allen Erden welche Erde war zuerst?" Und also sprach zu ihnen David Icvsöjevicz: „Hört, Brüder, hört, ihr vierzig Zaren! Das heilige Rußland ist die Mutter aller Lande. Und warum ist die Mutter aller Lande Rußland? Im Schmuck der Kirchen Gottes strahlend steht es da!" sZiticrt nach Althaus, „Altrussische Kirchenlieder", Jena, Diederichs.) Noch nicht vierzig Jahre nach dem Tode Dostojewskis stürzte Rußland in den Abgrund des Bolschewismus, In das vollendete Chaos. Die Autokratie zerschellte, und mit ihr der prächtige Bau der Orthodoxie. Die traditionellen Gewalten wurden in dem furchtbaren Malstrom zu Atomen zerrieben, und wie sich auch immer die Zukunft Rußlands gestalten mag, der Geist und die Form, in denen die alten Kräfte wirksam waren, werden kaum wieder erstehen. Es ist nicht möglich, die psychologische und methaphysische Art der russischen Kirchenkunst zu begreifen, mag sie nun als Architektur, als Ikone oder als geistliches Lied austreten, wenn man nicht den Geist und die historische Entwicklung der Ortho doxie zugrunde legt. Westeuropa empfing das Christentum durch die Vermittlung Roms. Die römische Kirche hat eine Hochflut unvergleichlich wertvoller Impulse in die abend ländische Welt getragen. Rußland hingegen empfing sein Christentum aus der trüben und versiegenden Quelle Byzanz. Der verknöcherte und vergreiste byzantinische Geist mit feinem mechanischen Formalismus und seiner starren Passivität hat die Völker des Ostens entscheidend be einflußt. Die östliche Kirche erwies sich denn auch den Staatsgewalten gegenüber wett widerstandsloser, so daß die Zaren, ursprünglich ihre Beschützer, seit Peter dem Großen ihre Herren wurden. Die Verguickung von Kirchentum und Staats interessen nahm seitdem Formen an. daß ein Kenner der Ver hältnisse wie Masaryk in seinen religions-philosophischen Stu dien Uber Rußland geradezu von einer Verstaatlichung der Kirche redet. Politisch betrachtet bedeutete die Orthodoxie nichts anderes als Zarenautokratle und Feudalismus, also den ewigen Stillstand des Bestehenden. Der religiöse Charakter der grie chischen Kirche offenbart sich in passiver Beschaulichkeit, in Mystik und ekstatischer Verzückung, zuweilen als stumpfer Fatalismus. Besonders eigenartig und den Westeuropäern unverständlich er- schSint die moralische Grundhaltung der Orthodoxie. Für sie ist das Wohlergehen der Völker durchaus nebensächlich. Nicht feiten predigen orthodoxe Religionsphilosophen, daß die Liebe zur Menschheit durch und durch unchristlich ist. daß sie die Ge fahr der Vergötterung in sich berge. Alles in allem, die Gesamt heit der Anlagen und Kräfte, die in diesem begabten Volke schlummern, ist von der russischen Orthodoxie nicht erfaßt wor den. Es besteht vielmehr ein Kontrast zwischen der russischen Orthodoxie und der Volßsvhysiognomie, so daß Rosanow in feiner Studie über die russische Kirche feststellen kann, daß der russische Glaube inhaltreicher sei, als die Kirchenform besagt. An keiner Stelle stoßen wir in den russischen Kirchenliedern auf Belege, daß das Wort Gottes als „frohe Botschaft" emp- unden wird. Der Lobgcsang von Bethlehem findet kaum Wi- »erhall, und auch des tätigen Erdenwallcns Christi wird nur elten Erwähnung getan. Wenn aber die biblische Erzählung ich dem Leiden und Tode des Herrn nähert, dann, sagt Rosa now, „horcht Rußland auf". Sein eigenes leidvolles Schicksal erfährt von hier aus eine Art religiöser Begründung und Weihe. „Es gtbt^ — so heißt es in den „Brüdern Kara- masoff" — in unserem Volke einen stummen und geduldigen Gram, aber lautlos fließt er über in sich selbst und nährt sich an dem Bewußtsein seiner U n st i l l b a r k e i t". Cha rakteristisch für diese melancholische Gemiitsrlchtung sind alle Marieniieder, denn sie kennen die Gottesmutter nur als Mutter der sieben Schmerzen. Dein Jesulein, dein lieber Sohn, er wird ans Kreuz geschlagen. Die Händchen klein, die Füßchen klein, sie werden ihm durchbohret. Es werden auf die Erde fall'n viel Steine wie ein Regen, Und all die kleinen Engelein, sie werden sich verstecken wohl hinter deinem Sessel. Und du, o liebes Mütterlein, du wirst das alles hören und kommst mit bittern Tränen her, mit Tränen in den Aeugelein, vor Schmerzen und vor Kummer. O, weine nicht, mein Mütterlein, ich will die heil'ge Seele dein . aus deinem Körper nehmen. Dann leg ich deinen Leib ins Grab wohl zu den toten Heiligen. und malen will ich dein Gesicht und will's auf die Altäre stellen. Die innere Verwandtschaft mit den altrussischen Ikonen drängt sich hier auf. Die holden Freuden der Mutterschaft Mariä, wie sie von den westlichen Malern immer wieder auf die Leinwand gezaubert wurden, sind dem russischen Künstler unzugänglich. Man vergleiche einmal die Madonnen von Wla dimir und Czenstochau mit Stephan Lochners „Maria in der Rosenlaube" im Kölner Museum, oder mit Grünewalds Maria vom Isenheimer Altar, oder von Memlinqs thronender Ma donna, und man wird der Kluft inne, die sich hier austut. Wäh rend bei den Künstlern der lateinischen Kirche die ganze Fülle des Lebens und der Natur in die religiöse Stimmung einmiindet, erscheint die Ikone von aller Wirklichkeit abgelöst, naturlos, lediglich auf übersinnliche Eingebung gestellt. Nur dort, wo der geistliche Gelang den Charakter des Volksliedes annimmt, dringt schüchtern ein sinnenfälliges Element ein. Bei aller Naivität der Darstellung entsteht dann nicht selten ein Kunstwerk voll inniger Stimmung und volkstümlicher Bildhaftigkeit: Die heilige Jungfrau ging herum und ging umher und suchte: die Fußspur Gottes suchte sie. Da kamen zwei Juden gelaufen, zwei Juden kamen daher. „Ihr Juden, ihr Juden, verfluchte Juden, Ihr habt meinen Sohn ans Kreuz geschlagen!" „Nicht wir, nicht wir, o Jungfrau Maria! Das haben getan die Väter von uns. Die haben ihn gekreuzigt. Geh heim, o heilige Jungfrau Maria, zum Berge Zion gehe du. dort stehn beisammen drei Bäume. Ein roter Vogelbeerbaum, ein weißer, weißer Birkenbaum und eine schwarze Zypresse. Es brennen Kerzen über Christi Grab, und leuchten die Hellen Lamven. Doch über deinem Grabe blüht ein grüner Zweig blüht über deinem Grab, darauf drei Vöglein sitzen. Sie singen, sie singen ein trauriges Lied, ein trauriges Lied von Trennung." In dem Maße, wie die kirchliche Kunst Rußlands und die russische Religiosität überhaupt der sinnlichen Schöpfung aus weichen, öffnen sie ihre Organe der M y st i k und dem Myste - rtum. Nichts scheint dieser Frömmigkeit gemäßer als die apokalyptische Vision, um deren Tiefe und Vieldeutigkeit die Gedanken und Emvfindungen des gläubigen russischen Menschen mit Vorliebe Kreisen. Die Prophetien von jenem neuen und letzten Reiche, in dem „weder Trauer noch Tränen" sein werden, erfüllen die Herzen mit Zuversicht und Tröstung, und die Bitte Der FUHrer beim Richtfest in Berchtesgaden In Berchtesgaden wurde, wie berichtet, das Richtfest des Dienst gebäudes für Zwecke der Reichskanzlei begangen, das sich dort im Bau befindet. — Der Führer sim Vordergrund rechts) nahm selbst an den Feierlichkeiten teil. (Heinrich Hossmann, M.) des Vaterunsers, „zu uns komme dein Reich", erfährt eine saft gegenständliche Deutung. Denk an uns, o Herr der Zeiten, Wenn dein ew'ges Reich beginnt, so sagt das schlichte russische Lied. Es ist das gleiche inbrünstige Hoffen, dem Mereschkowski einmal diese Worte lieh: „Wir sind wie Gräser auf dem äußersten Rande eines steilen Abhanges auf einer Höhe, wo nichts mehr wächst. Wir stehen «»beschützt vor allen Stürmen, fast wurzellos. Dafür stehen ivir frühmor gens. wenn die Wipfel der Elchen noch dunkel sind, schon Im Licht; mir sehen das. was noch niemand sieht, mir sind die ersten, die die Sonne des großen Tages sehen. — Wir sind die ersten, die zu ihm sagen: Wahrlich. Herr, komme bald!" Die Aachener HeMgtnnrsfahrt Die nach einem alten Turnus alle sieben Jahre stattsin- dende große Aachener Heiligtumsfahrt in der Miinstcrklrche Karls des Großen ist in diesem Jahre ivieder fällig. Die Feier wird eingclcitet am 23. Juni, d. Vorabend des Todesgedächtnis tages Johannes des Täufers. Am Spätnachmittag werden die kostbaren Tücher an den Turmgalerien der Miinstcrkirche ausge hängt, auf denen die großen Heiligtümer bei der öffentlichen Zcigung liegen. In den Tagen vom 10. bis 25. Juli vollzieht sich in den Morgenstunden von 10 bis 12 llhr die feierliche Zeigung der großen Heiligtümer von der Turmgalerie aus. Vorher, morgens um 9 Uhr, werden im Dom die Kranken mit dem Lendentuch des Heilandes berührt. Vom 10. bis 24. Juli ziehen von 1 Uhr an die Prozessionen durch den Dom an den großen und kleiien Heiligtümern vorbei. Am 25. Juli wird eine feierliche Religuienprozession wie in früheren Jahren die Heiligtumsfahrt beschließen. Zur selben Zeit wird auch das Eifeler Wallfahrtsstädtchcn Cornelimllnstcr seine Heiligtums fahrt abhalten. TheatevpVrls« dürfen nicht erhöht «»erden Da Theaterkarten als Gegenstände des täglichen Bedarfs gelten, ist eine Erhöhung der Eintrittspreise für Theater, Kinos usw. auf Grund der Verordnung vom 26. November 1936 nicht gestattet. Sind inzwischen Erhöhungen vorgenommen worden, so müssen sie rückgängig gemacht werden. Der Reichs kommissar für die Preisgestaltung hält es jedoch für statthaft, für einzelne Festvorstellungen oder für Gastspiele, die mit be sonders großen Kosten verbunden sind, die Preise zu erhöhen, wenn dies bereits vor der Verordnung üblich war und wenn sich vor diesem Zeitpunkt seit längerer Zeit Grundsätze für die Preisgestaltung für solche Vorstellungen herausgebiidet haben. wenn nran der Bruder Rasputin» ist Irgend ein Teufel mußte den Vagabunden geritten haben, als er einem Schlafgenossen in einer Herberge in Warschau in einem Anfall von Mitteilsamkeit erzählte, daß er einen alten Paß aus den Namen Paul Rasputin habe. Der andere war gleichfalls ein russischer Flüchtling. Er schaute lachend zu dem anderen herüber und meinte: „Genau wie der Mönch — wie Rasputin von Rußland heißt du also, Brüderchen?" Der Vagabund gestand, daß er ein Stiefbruder des berüch tigten Mönches sei. Er wollte sich wohl ein wenig rühmen mit diesem Tatbestand. Jedoch hatte seine Ruhmsucht eine höchst unerwartete und unangenehme Folge für ihn. Da die Mehrzahl der Russen auf dem Standpunkt steht, daß der Mönch Rasputin schuld war an dem Zusammenbruch Ruß lands, hielt man es in der Herberge von Warschau für an gebracht, sich wenigstens an seinem Stiefbruder zu rächen. Man verprügelte ihn so furchtbar, daß er bald in einem Ho spital in Warschau lag. Aber seine Papiere stimmen. Er ist wirklich der Stiefbruder des großen Rasputin. Pari», 21. Ian. König Carol hat, den Blättern zufolge, dem Thronfolger Michael, der am Mittwoch 16 Jahre alt wurde, dle Erlaubnis gegeben, sich zum Mechaniker auszubilden. Der Kronprinz wird in den nächsten Tagen in die Bukarester Zweig stelle der Ford-Werke als einfacher Mechanikerlehrling eintreten und drei Wochen lang dort arbeiten. Eisfahrt über die Ostsee Unter den Schncestürmen hat bekanntlich auch die Schiff fahrt schwer zu leiden. Der Dampfer „Nürnberg" lies nach einer Sturmsahrt über die Ostsee völlig vereist in den Stettiner Hafen ein. (Weltbild, M.)