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den Frieden dieses Landstriches störten. Dabei tritt die Bedeutung guter Verkehrslinien für den Krieg wieder einmal deutlich zutage. Eine Eisenbahn und eine Strasse gehen etwa m der Mitte des „Enten- schnabels" nach Memel hinauf, während eine ganze Reihe guter Strassen von diesen Hauptadern nach der Grenze Hinsichten, die natürlich überall mit Feld» wachen besetzt sind Zeigt sich irgendwo eine über legene feindliche Abteilung, so können die Grenz wachen in kürzester Zeit von den Stützpunkten her ver- stärtt werden, wobei Eisenbahn. Autos und Äkagen ausgiebig zu Hilfe genommen werben. Die Haupt sache ist freilich auch hier die moraliiche Kraft, die hinter allen Bewegungen sitzt und in erster Linie natürlich von dem Führer ausgehcn mutz. Der Kom mandeur dieses oberen Abschnittes ist in Friedens zeiten Landwirt. Seine drei Güter sind von den Russen aus «plündert und verbrannt worden, wäh rend er hier seinen Mann stellt. Ein paar kleine Züge, die ich im Fluge auffing, scheinen mir so charakteristisch für den soldatischen Geist auch bei unfern Landwehr- und Reserveoffizieren, dass ich sie kurz wiedergeben will. Das meiste und beste mutz leider, solange der Krieg währt, verschwiegen werben. Herr v. L., der auch einen Sohn im Felde hat, war anfangs bei den fast täglichen Gefechten stets in der Feuerlinie selbst mit einem Gewehr bewaffnet. Während des Kampfes sprach er mit feiner kräftigen ruhigen Stimme immer zu den Leuten: „Noch nicht schi ssen — Menich, lass'» doch erst -rankommen. — Nimm Druckpunkt. — Hast auch das Bister nicht verkantet?" Kriecht hinter der Schützenlinie ent lang. um eine andere Gruppe zu beobachten und sich mit ihr zu unterhalten, vis auch hier die Leute ruhig zielen, wie sie es auf dem Schiessstand gelernt haben. Eines Sonntags kommt während des Gottesdienstes die Meldung, datz die Russen in K. eindringen. Im Laufschritt geht es aus der Kirche: auf Autos und Wagen hinaus nach dem benachbarten Dorf. Die Autos setzen ihre Leute ab, rasen zurück, um neue Wagen- insassen aufzunehmen; und so ein zweites uns drittes Mal, bis genügend Kräfte in dem Dorfe sind, v L. ist mit einem Dutzend zur PosthaUerei vorgeorungen. Sie wollen am linken Giebel vorgehen, betommen starkes Feuer und springen hinter die Autzenwand. Da das Feuer nicht nachlässt, schieden sie sich hinter den rechten Giebel. Aber auch hier ist bas imper tinente: „tzt. sst" der Kugeln das gleiche, so datz ein dicker Unteroffizier die denkwürdigen Worie ausrust: „Donne. wettcr, hier ist man ja seines Lebens nicht sicher! Ich geh' bauchwarts," und sich ins Gras wirft. Es zeigte sich nun bald, datz die Russen aus den Bäumen der umliegenden Gärten schossen, von wo sie nun bald heruntergcknallt wurden. Die anderen hatten sich inzwischen in den gegen überliegenden Wald geflüchtet, und nachdem ein Maschinengewehr die Linien ein paarmal entlang gestrichen war, hörte das feindliche Feuer auf Die Unsern hatten drei Tote und vier schwer verwundete, während die Russen 15 Tote auf dem Platze liegen. Es mutzte nun festgestellt werden, ob der Wald vom Feinde geräumt sei, und der Kom mandant gibt den Beseht: „Freiwillige vor!" Es war ern scharfes Gefecht gewesen, die Leute lind meist Familienvater, die Schwerverwundeten sind eben fortgebracht. Zwei Mann treten vor. v. L.: „Die beiden Leute schlietzen sich mir an." Nimmt seine Flinte unter den Arm und geht los. Sofort springt die halbe Mannschaft vor und will mit. Seitdem gab es nie mehr eine Verlegen heit um Freiwillige, auch unter den schwierigsten Umstanden. Soweit . die Zeit es er laubte, wurde exerziert und Scheibe geschossen, wobei Gewinne ausgesetzt wurden. Bei alledem befestigte sich in den Leuten das Gefühl, datz ern Gefecht nichr eine Sache der Aufregung, sondern ganz etnsach der ruhigen und gewissenhaften Ausführung des in Friedenszelten Gelernten ist; so datz sie im Feuer sich bald jo ruhig und sachlich unterhielten, wie sie es von ihren Führern gewöhnt waren. Da sich nun häufig Tiere den Truppenteilen anschlietzen, so besatz die eine Kompanie einen schönen Kriegskater, der sich immer del den Mannschaften aufhielt und an Gefechtstagen mit htnaus'og. Wie ich schon sagte, versuchten die Russen wieder holt, die Gilge von Süden her zu überschreiten, als sie im Besitz des Hinterlandes waren. Die Besatzung des „Enten,chnabels" lietz aber nicht mit sich späten und fuhr höchst ergrimmt über den Franzosenoamm in die Höhe, sobald oer Feino sich sehen lietz. Ein mal hatten die Ruffen sich einen Uebergang bei einem Dorfe ausgesucht, und als unser Ziethen aus dem Busch Heiausführt unb mit seinen Leuten den Damm besetzt, schossen sie aus den Fenstern und von den Dächern herunter über den Flutz. Der Kater aber war mit seiner Kompanie ausmarschiert und sag zwischen den seuernden Leuten. Plötzlich rafft ihn eine Kugel hin, und er willst sich in seinem Blute. Seine Nebenleure werfen einen betrübten Blick auf den toten Kameraden, und während der eine die Hülse aus der Kammer springen lätzt und sich zum neuen Schuh vorbereitet, sagt er: „Nu seh mal, nu hebbe se unsern Pikatz dotgeschosse." v. L liegt mit in der Reihe: „Da rech.s der auf dem Mollereidach war's. Den holt mal runter." Die bärtigen Leute voll Grimm und Trauer über ihren schönen Pikatz, gehen in Anschlag, zielen be dächtig, nehmen Druckpuntt und lasten fliegen. Der Russe kommt ins Rollen, schlägt auf den Mauer vorsprung und fällt auf die Erde. Da sagt der Bärstae ebenso ruhig wie vordem: „Seh mal, fort? wie e Grufchke (säst wie eine Birne), wirst die Hülse raus, geht in Anschlag, nimmt Druckpunkt und schiegt. Im übrigen ist bas Verhältnis des „Enten schnabels" zum Russischen Reiche ein durchaus korrektes. Das einmal festgesetzte Zeremoniell wird unverbrüchlich respektiert. Einmal kommen die Russen herüber und verbrennen W . . .. Sofort lätzt der Gewaltige von Nord-Nord-Ost die Kanonen bespannen, fährt über die Grenze und donnert ein Stadtoier el von Nowoje Njasta in Brand. „Das ist für W. ..lägt er ihnen lagen und fährt ruhig nach Hause. Ein andermal werben ."> Pferde uno ein russischer Wärter eingevracht. Die Pferde sind drüben ausgerissen, der Wärter hinter drein. So hat man sie gelangen. Herr v. L. schreibt einen höflichen Brief an den Besitzer und schickt ihm die Pferde und den Wärter wieder zurück. Hier hast du dein Eigentum Pferdeoiebe sind wir nicht. Haben nur den Auftrag, un>ere Grenze zu verteidigen, was wir auch in Zukunft nach beiten Kräften tun wallen. Rudolf von Kofchützki, Kriegsberichterstatter. Aivilinteraierte in Zraakreich. Eino deutsche Dame, die fünfzehn Jahre lang in Frankreich lebte, bei Ausbruch des Krieges von Paris nach Dieppe kam und eine Zeitlang rn einem Depot untergebracht war. von wo sie später mit anderen Zivllinternierten an- die Grenze befördert wurde, stellt der „N. Z. Ztg." «inen Bericht zur Ver fügung, aus dem folgendes veröffentlicht wird: Als am 1. August die Kriegserklärung bekannt wurde, erschienen an allen Strassenecken von Pari- Plakate. die die Angehörigen der mit Frankreich im Kriege liegenden Staaten des Landes verwiesen unter Angabe der nach Züdosten fahrenden Züge. Nachdem ich das Nötigste zusammengcrafft hatte, eilt« ich an die Gare de Lyon, wo ich mich den Hunderten von wartenden Landsleuten anschlotz. Wir harrten gegen vier Stunden auf den Zug inmitten eine» feindseligen Publikum» und «chielttn schließ ltch den Befehl, uns unverzüglich zuriickzuziehen. Der Kriegsministcr hatte die Verfügung widerrufen. Es wurden neue Plakate angeschlagen des Inhalts, das Festungsgebiet von Paris sei zu verlosten und bis zum 5. August ein Aufenthaltsort im Westen des Landes wählen. Dieser Order konnten sich aber nur solche unterziehen, die ihren Unterhalt selbst zu bestreiten vermochten: alle anderen wurden in die Depots geschafft. Ich wurde von einer Leidens gefährtin veranlasst, nach Dieppe zu reisen, wo sie angeblich Bekannte hatte. Dort mutzten wir uns bei der Polizei melden und beim Bürgermeister eine Aufenthaltsbcwilligung holen, die ich auch mit einiger Mühe erhielt. Während meines dreimonatigen Aufenthaltes in Diev-x: erfuhr ich von der Familie, bei der ich Pension genommen hatte, nur Gutes. Es waren einfache Leute, Arbeiter. Sie gehörten zu jenen Franzosen, deren ehrliches Gemüt und unver fälschtes Urteilsvermögen ich oft habe schätzen lernen; ich empfand ihr taktvolles, edles Benehmen ungemein wohltuend und werde ihnen immer dafür Dank wissen. Leider wurde meine ganz erträgliche Situation infolge der Angebereien meiner Reise gefährtin, die mir missgünstig gesinnt war, gefährlich. Sie benachrichtigte die Polizei, bass ich einen Bruder in der Armee lxibe, der der Funkentelcgraphie zu geteilt sei. Dank der energischen Fürsprache meiner Wirte würbe meine Entfernung aus der Kricgszone aufgeschoben. Von nun an aber hatte ich keine ruhige Stunde mehr, denn ich war ganz allein, ohne jeden Schutz gegen böswillige Gehässigkeit. Trotzdem trug ich den Wunsch in Frankreich, wo es mir ge lungen war, eine einträgliche Stellung zu schassen und wo ich viele liebe Freunde kannte, während ich meiner Heimat durch 22jährige Abwesenheit leider fremd geworden war. bleiben zu können, nicht nur während der ganzen Dauer des Krieges, sondern auch nach dessen Beendigung. Ich wollte mich daher naturalisieren lassen Der Bürgermeister ron Dieppe gab mir einen Passierschein nach Paris, uno ich fuhr, umgeben von aufgeregten Passagieren, dorthin. Am Haus«, wo ich gewohnt hatte, fand ich die Leute, die ich als Freunde verlassen hatte, voller Frindje igkeil. Di« Mädchen des Pensionates, das sich unter meiner Wohnung befindet, belästigten mich auf das un angenehmste. und ich war froh, als ich nach Ein reichung des Naturalisierungsgesuches wieder nach Diepve zurück konnte. Unglücklicherweise kam ich auf den Gedanken, zur Ordnung meiner Geschäfte eine zweite Reise nach Paris zu unternehmen. Die Be- hörten von Dieppe erklärten mir, dass dies ohne weitere Ausweise geschehen könne. Als ich mich aber in Paris, um ja k-inen Verdacht zu erwecken, bei der Polizei meldete, wurde ich misstrauisch und äusserst unhöflich empfangen. Die Berufung auf die Er laubnis der Behörden von Dieppe nützte mir nichts, und ich konnte von Glück sagen, als ich in sö'leuv-ger Rückreise wohlbehalten in Dieppe anlangte. Dort hoffte ich, in Ruhe das Ende des Krieges abwarten zu können. Um diese Zeit bildete sich in der Schweiz das Bu reau zum Austausch Zivilinternierter, wovon mich meine Schwester in Zürich sofort benachrichtigte. Ich reklamierte meine Heimkehr nach München. Nach wenigen Tagen aber erhielt ich wiederum den Be such zweier Polizeibeamter, die mich auf die englische Polizei zitierten. Dort wurden mir meine beiden Reisen nach Paris, die mir ja von der Obrigkeit be willigt worden waren, in barscher Weise vorgewor fen und mir allerlei zur Last gelegt, dessen mich keine Schuld treffen konnte. Kurz, ich wurde ge zwungen, auf eigene Kosten die Reise in eine Stadt Westjrankreichs zu unternehmen, was bei Nacht und dem häufigen Umstergen keine angenehme Sache war. Nach fünfundzwanzigstündiger Fahrt kam ich ans Ziel, meldete mich bei der Polizei und legte dem Kommissär meine Lage dar. Mein Gepäck wurde einem Gendarm übergeben, ich musste diesem folgen und wurde in ein grosses Gebäude geführt. Ich war gefangen. Der Herr, der mich empfing, begriff meine Verzweiflung und war äuherst rücksichtsvoll. Er bereitete mich auf meine künftige Lage vor und versprach, mich mit gebildeten Leuten zusammenzu bringen, denn in dem Internierungslager, wo ich mich nun befand, waren alle Stände vertreten vom Bettler bid zum Millionär, vom Arbeiter bts zum Konsul. Nachdem ich mich ein wenig gefasst hatte, sühne mich der gutmütige, freundliche Direktor zu meinen Landsleuten. Hinter der ersten Türe schon standen Wackstsoldaten mit Gewehr und Bajonett In dem Saal, wohin ich geführt wurde, lagen acht Stroh säcke am Boden, sonst war weder Stuhl noch Tisch zu sehen. Nus weissen Holzbänken standen in den Fensternischen kleine, blecherne Waschbecken und mit Wasser gefüllte Weinflaschen: die Morgen- tcilette musste am Boden kniend bewerkstelligt werden. Meine Leidensgefährten unterrichteten mich von den Verhältnissen. Das Waschbecken musste in der Kantine bestellt werden; cs würde wohl acht Tage gehen, bis ich es bekäme. Um in den Besitz eines Trinkglases zu kommen, musst« ich in der Kantine Konfitüren kaufen und unter meine Genossen verteilen, damit das Glas leer wurde. Die Fenster unserer Behausung waren mit Papier über klebt, damit wir nicht zum Fenster hinausschauen konnten. Dabei geschah einmal ein trauriger Zwi schenfall. Ein junger Mann war gedankenlos ans Fenster getreten, um die Aussicht auf das Meer zu bewundern. Er wurde von ><er untenstehenden Wache dreimal angerufen: Rama^r-vaus! Der Unglück liche verstand das nicht— soviel ich weiss, ist es auch kein militärischer Ausdruck — und erhielt eine Kugel in den Kopf. Sie lief über den Schädel weg, ohne diesen zu durchbohren. Unier Direktor missbilligte das Verfahren des Soldaten, und der Verwundete wurde ins Spital geschafft. Die Wände unserer Be hausung waren in schlechtem Zustande. Bei Regen wetter lief das Wasser durch die Fensterspalten ins Zimmer, so dass unsere Strohsäcke oft ganz feucht waren. Die Türe schloss so schlecht, datz infolge des Durchzuges die meisten von uns bald an rheumati schen Schmerzen litten. Heizung mutzten wir trotz der grossen Kälte überhaupt entbehren. Wir waren eben Opfer des Krieges, wie man uns sagte. Datz wir unter diesen Umständen auf ordentliche Beleuch tung verzichten mutzten, wird nicht mehr verwun dern. So waren wir, da es schon um vier Uhr dunkel wurde, gezwungen, bis zur Essenszeit um sieben Uhr auf unsern Strohsäcken unbeschäftigt kerumzu- sitzen, wobei eine Stallaterne ihr kümmerliches Licht spendete. Morgens bekamen wir schwarzen, ungezuckrrten Kaffee mit Schwarzbrot; uns Damen wurde er auf Nachsuchen von Herren gebracht, denen das Passieren in die Damenabteilung gestattet war. Um 12 Uhr mussten alle in den Speiseraum, der im früheren Trockenraum der alten Seilerei eingerichtet war. die uns beherbergt. Er war unbeschrüblich kakt, zugig und mit Zement gepflastert. Eine 300 Meter lange Galerie führte dorthin. Bewaffnete Soldaten standen alle zehn Schritt, und im Speisesaal, der übrigen» nach der Galerie hin offen war. Auf der Stiege unserer Abteilung waren alle Wände mit Karikaturen d:s Deutschen Kaisers vollgeschmiert und mit feindseligen Inschriften bedeckt. Das Mittagessen bestand täglich aus gesottenen Kar toffeln; zweimal in der Woche gab es Fleischsuppc und ein Stückletn Rindfleisch, einmal eine vor Fett fast ungeniessbar, Blutwurst, einmal Stockfisch, am Sonntag ein« Art Kalbsragout. Zum Abendessen tekameu wir stets wasssrsupp« «mb Kartoffeln, ein mal in der Doch: gab es Reis. — Spazieren gehen dursten wir nur in der Galerie. Am bedauerns wertesten waren di« Männer, denn diese waren in einer 300 Nieter langen Galerie unter einem ganz durchlöcherten Dach« und hinter schadhaften Scheiben untergebracht. Sie mussten natürlich auf Stroh schlafen, aber viele ohn: Decken und in den leichten Eommeranzügen, wie sie eben bei Ausbruch des Krieges unvorbereitet verhaftet worden waren. Die meisten von ihnen waren zuerst in Gefängnissen, wie der „Tonciergerir" in Paris, gewesen. Nachts mutzten sie bei schlechter Witterung unter ihren aus gespannten Schirmen schlafen, wenn ihnen das nicht durch die Kälte unmöglich gemacht wurde. Einem jungen Manne, der von einer Insel, wo «r gefangen war, in unser Depot gebracht wurde, waren beide Beine, die :ben nachts unbedeckt blieben, erfroren. Endlich schlug für mich die Stunde der Rückkehr. Der Abschied von unseren Leidensgefährten war schmerzlich. Wir gingen also auf die Bahn. Nach verschiedenem Hin und Her und nachdem wir bis auf die Haut untersucht worden waren, erhielten wir .'in Abendessen und wurden ins Bett geschickt, d. h- auf Strohsäcke. Wir entkleideten uns hier nicht, was ich übrigens seit vierzehn Tagen — so lange war ich im Internierungslager gewesen — gewohnt war, froren entsetzlich auf dem Ziegelboden und standen von Zeit zu Zeit auf, um uns durch Auf- und Ab gehen zu erwärmen. Am nächsten Morgen um 5 Uhr war alles auf, um 8 Uhr Appell, um 9 Uhr Auf- bruch in kleinen Bauernwagen, um All Uhr Ab fahrt von dem Bahnhofe. Während der fünftägigen Reise durften wir die Wagen keinen Schritt verlassen; diele wurden bei fehlendem Anschluss während der Nacht ausgehänqt und auf tote Geleise geschoben, wobei wir des Lichtes und der Heizung entbehren muss-en. Genährt wurden wir mit kaltem Schweine braten (schrecklich fett) und Brot. Zweimal ver schaffte man uns für unser Geld warmen Kaffee, ein mal brachten uns die Soldaten der Babnhofsbesatzunq warme Fleischsuppe mitten in der Nacht. Es waren freundliche Leute, die dafür fü's Rote Kreuz sam melten. Eine Station vor der Grenze mussten wir nochmals auf Stroh übernachten. An« Morgen machte man oberflächlich Toilette am Brunnen, reinigte sich, so gut es ging, vom Stroh, und bekam dann warmen Milchkaffee, wie schon lange nicht mehr. Dann gingen wir auf die Bahn, waren aber der Erlösung immer noch nicht recht froh, denn die Polizeibeamten, die uns auf der Reise begleitet hatten, hatten uns allerlei Unangenehmes in Genf versprochen. Um so grösser war di: Freude und Ueberraschung, als wir in Genf mit so viel liebens- würdigem Entgegenkommen von den guten Schwei, zern empfangen wurden. Im Nu war alle Traurig keit abgeschüttelt, ein Gefühl unendlicher Dankbarkeit übermannte uns: aber wir mussten, weil wir in so grosser Zahl waren. Disziplin beobachten damit wir die Aufgabe der uns Empfangenden nicht noch er schwerten. Letzte Depeschen und Ferrrsprechmeldrrngen. Die wirtschaftlichen Seziehungen zwischen veutschlan- un- Ungarn. Budapest, 29. Dezember. Die ungarische Schwesteroereinigung der inittel europäischen Wirtschaftsoereinigung hielt unter dem Vorsitz des ehemaligen Minister präsidenten Dr. Wrkerle eine Sitzung ab, in der den Hauptgegenstand der Erörterungen die Frag: bildete, wie sich das handelspolrtische Ver hältnis zu Deutschland nach Beendigung des Krieges und nach Ablauf der gegenwärtig in Kraft stehenden Verträge gestalten wird. Geheimer Regicrungsrat Unioersitätsprofessor Dr. Wolf, geschäftsführendcr Vizepräsident der deutschen Schwestcrocreinigung, machte ausführliche Mittei lungen über die Auffassungen, die über die Frage in den deutschländischen Interessentenkreisen herr schen. Im Anschluss daran entspann sich ein Ge dankenaustausch. Sein Ergebnis fasste Dr. Wekerle schliesslich wie folgt zusammen: „Die Erfahrungen und Lehren des Krieges und die daraus sich ent wickelnde politische Lage, aber auch die gegenseitigen wirtschaftlichen Interessen erfordern, daß die Mon- archie und Deutschland festere wirt schaftliche Bande an streben und diese rechtzeirig vorbereiten, natürlich ohne Beeinträchtig gung der handelspolitischen Freiheit beider Ver tragsteile, deren Aufrechterhaltung für beide Teile erwünscht ist." Der Präsident dankte schliesslich dem Geheimen Regierungsrat Dr. Wolf für seine Mit- teilungen. Wetterlt uu- Konsorten. Paris, 29. Dezember. Das „Journal" schreibt: Ministerpräsident Viviani hat Wetterl 6. Weill, Langel, Helmer und Blumenthal damit beauftragt, festzustellen, welche von den in Frank- reich befindlichen Elsass-Lothringern echte Elsass- Lothringer und welche Reichsdeutsche seien. Ein österreichisches Rotbuch über -ie Vorgeschichte -es Krieges. Wien, 29. Dezembrr. Der „Neuen Freien Presse" zufolge beschloss der österreichisch-ungarische Minister des Aeussern, ein Rotbuch mit einer Sammlung diplomatischer Aktenstücke herauszugeben, die sich auf Ursache und Ausbruch des Krieges beziehen und dir darüber zwischen den Machten geführten Verhand lungen mitteilen. Amerikanische Pferde für Frankreich. Basel, 2d. Dezember. Die „Baseler Nach richten" melden: 3V 000 von der französischen Regierung in den Vereinigten Staaten an gekaufte Pferde sind nach französischen Häfen verladen worden. Harte Kritik am russischen Su-get. Kopenhagen, 29. Dezember. Der Führer der Kadetten Partei, Schingarew, kritisiert in der „Rjetsch" vom 8./19. Dezember das russische Budget für 1915. Er bezweifelt, dass der Erlass de, Budget» im Derordnungswege den russischen Grundgesetzen entsprech«. Wenn der Finanzminister sage, dass er sich nicht im Recht glaube, die wirk lichen Kriegsausgaben und die Quellen, au, denen sie gezahlt werden, anzugeben, sondern dass dies den späteren Angaben der Reichs kontrolle überlassen bleiben müsse, so werde die russische Gesellschaft wohl lange auf diese Angaben warten müssen, denn die Ausgaben für den japanischen Krieg seien erst zehn Jahre nach dessen Beendigung veröffentltcht worden. Abgesehen aber non don Kriegsausgäben, die im Budget nicht ent halten seien, seien die für die Staatsein nahmen angegebenen Zahlen nicht klar und selbst für das Ressort, das sie ausgearbeitet habe, unbeweisbar. Die in das Budget eingestellten Schätzungen seien schriftlich durch nichts be gründet, die Einzelheiten zweifelhaft und manchmal vielleicht auch fehlerhaft. Immer hin zeigten die allgemeinen Umrisse des Budgets, über welche reichen Hilfsquellen Russland verfüge. Sorgen -er schweizerischen Neutralität. Zürich, 29. Dezember. Wie die „Neu« Zürcher Zeitung" meldet, begegnen die Sendungen von Petroleum für die Schwflz grossen Schmie, rigkeiten und Hindernissen. Eine für Lausanne bestimmt« beträchtliche Fracht wurde in Le Havre auf Befehl der Militärbehörde auf gehalten. Eine andere Sendung wurde in Italirn zurückgehalten. die erschütterte Loge -es kabinettsGkuma. Kopenhagen, 29. Dezember. Die Petersburger Telegraphenagcntnr meldet aus Tokio: Auf eine Anfrage in der Budget-Kommission, ob die Negierung den gegenwärtigen Augenblick zur Lösung der Frage der Einwanderung in Austra lien benutzen werde, antwortete der Minister des Aeussern: Die Australier verhalten sich feindlich zu allen Einwanderern überhaupt, sogar zu den Eng ländern, daher ist ein gnnsttger Ausgang der Unterhandlungen über diese Frage nicht zu erwarten. Nach einer Korrespondenz der „Rjetsch" wird die Lage des Kabinetts Okrma immer schwankender. Parallel damit wächst das Ansehen des Fürsten Sajondzi, eines Mitgliedes der fort schrittlichen Partei und Ministerpräsident eines früheren Kabinetts, zugleich Herausgeber der Zei tung „Tajodifu-Limbun". Neue Truppeneinberufungen in Italien. Rom, 20. Dezember. Die „Gazetta Offi ziale" veröffentlicht ein Dekret, wonach im näch sten Jahr die zweite Kategorie des Jahrgangs 1895 für sechs Monate unter die Waffen ei »berufen wird. Englan- un- -er Vatikan. Rom, 29. Dezember. Der neuernannte englische Gesandte Howard hat dem Vatikan sein B e - glaubigungs schreiben überreicht, das von einer besonderen Mission, also nicht von einer dauernden, spricht. Oer Einzug -er Serfaglieri in valona. Balona, 29. Dezember. Die „Agenzia Stefani" meldet: Aus Anlass des Einzuges der Bersaglieri war die Stadt festlich geschmückt. Die Bersaglieri haben die Stellungen bezogen, die bisher von den Matrosen eingenommen worden waren. Sulgariens maze-onifche wünsche. Athen, 29. Dezember. Dem „Neon Asty" zu folge verlangt Bulgarien von Serbien auch jenen Teil Mazedoniens, der an Griechen land grenzt, so datz Bulgarien sich zwischen Serbien und Griechenland schieben würde. Sestrafter Zel-postmar-er. Berlin, 29. Dezember. Wegen Beraubung von Feldpostpaketen hatte sich der 16jährige Pcstaushelfer Paul Krause, der beim Postamt Frohnau mit einem Gehalt von 93 Mark monatlich angestellt war, und dessen Vater selbst im Felde steht, zu verant worten. Nach seinem eigenen Geständnis hat der Angeklagte zwölf Feldpostvakcte geöffnet und daraus Zigarren, Zigaretten. Schokolade, Feldbrillen, Taschenlampen und andere Liebesgaben entwendet. Der Antrag des Staatsanwaltes lautete auf 2s o Jahre Gefängnis. Das Gericht erkannte, mit Rücksicht auf die grosse Jugend des Krause, auf 1i/2 Jahre. Unterbrechung-es telegraphischen Verkehrs nach Holland infolge Sturmes. Köln a. Rh., 29. Dezember. Amtlich wird ge meldet: Die telegraphischen Verbindungen nach dem Nordwesten von Holland und nach Mitteldeutschland sind infolge von Sturm gestört. Der telegraphische Verkehr ist grösstenteils unterbrochen. Literarische Anzeigen. Beim Jahreswechsel empfehle ich meinen 2el reiiriften-Lererirkel der insbesondere auch ausführliche Berichte in Wort und Bild über die Kriegsereignisse bietet. Preise der Zeitschriften je nach Wahl. 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Verlag: veitztztOer »aaetzlatt, Gesellschaft mit beschränkter daflnng. dreckt sfischer ch tktz^Uu. »-- «mtli» B »hnltz.