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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 16.12.1914
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1914-12-16
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19141216029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1914121602
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1914121602
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1914
-
Monat
1914-12
- Tag 1914-12-16
-
Monat
1914-12
-
Jahr
1914
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Leipziger Tageblatt. veur 2. Nr. 638. Nbenü-Nusgabe. die preussische Arm«, »inen ihrer bedeutendsten Kriegvministrr verloren, dessen Tätigkeit trotz ihrer verhältniemähigen Kürze von bedeutender einschnei dender Wirkung für die Armee gewesen ist. Un trennbar ist sein Nam, mit der Reform des Militär- justizwescm» verbunden, dem es besonder» ein mo dernes, dem Zivtlverfahren möglichst angepatzte, Mtlitär-ltzerichtsversahren verdankt. Erleichterungen -er militärischen Uebe» wachungsbestimmungen gegen -luslän-er. (r.) Berlin, iti. Dezember. (Eigene Drahtnach richt.) Die Behörden Haden sür di« bisherigen strengen militärischen Ileberwachungs- besti m m ungen unterworfenen Staatsangehörigen der mit Deutschland und Desterreich-Ungarn im Krieg stehenden Staaten in den letzten Tagen in einer Mehrheit von Fällen die ersten Erleichte rungen zugelassen. Bisher sind in besonderen Fällen die Erleichterungen (Fortfall der täglicl>en polizeilichen Meldungen, des Verbots, den Polizei bezirk zu verlassen usw.) Russen finnischer und estnischer Nationalität gegen besondere Bürg schaftserklärungen zugcstanden worden. Opfer -cs Freiburger Zliegeranfchlages. lr.) Freiburg i. B., IN. Dezember. Bei dem letzten Angriff feindlicher Flieger auf Freiburg i. B. am vorigen Sonntag wurde der 22 Fahre alte Soldat Robert Maier durch einen Bombensplitter ge« troffen, der ihn tödlich verletzte. Ein fttchaltisches kriegsver-ienftkreuz. Herzog Friedrich von Anhalt hat ein Anhaltisches Kricgsoerdienstkreuz gestiftet, das nach ihm den Namen „F r i e d r i ch s k r eu z" führen soll. Die Auszeichnung ist bestimmt für Offiziere, Militär- beamte, Unteroffiziere und Mannschaften sowie für sonstige Personen ohne Unterschied des Ranges und Standes, die sich auf dem Kriegsschauplatz besonders ausgezeichnet oder während des Kri.'ges in der Hei mat hervorragend betätigt haben. Das Kreuz ist von Bronze und trägt auf der Vorderseite den Namens zug des Herzogs mit der Krone und die Jahreszahl 1011: aus der Rückseite sichen die Worte „Für Ver dienst im Kriege." Eine Rückgabe des Kreuzes nach dem Tode des Inhabers findet nicht statt. Awel Trägerinnen -rs Eisernen Kreuzes. Das Eiserne Kreuz zweiter Klasse erhielten, wie an dieser Stelle hervorgehobrn sei, die freiwil lige Krankenschwester Karoline Bührer aus Durlach sowie «ine aktive Kranken, sch wester, die gemeinsam bei Ppern die ganze Nacht hindurch unter listigstem (f-ranat- und lsse- wehrfeuer Verwundete aus den vordersten Schützen, graben holten. Eikerne Kreuze. Das Eisern« Kreuz erhielten ferner verliehen: der Leutnant im Infanterie-Regiment 179 Hans Hammel, der Wachtmeister im Reserve-Feld- artillerie-Regimcnt 23, sonst aktiv im Feldartillerie- Regiment 12 Ernst Hugo Starke aus llvetn- böhla (er erhielt ausserdem die Friedrich-August- Mcdaille in Silber), der Unteroffizier der Reserve Maschineningenieur Walter Schuster, der Feld webel im Reserve-Jnsanterie-Regiment 211 Georg Rothe, Expedient im Hauptmeldeamt der König!. Polizeidircktion Dresden, der Offizierstellvertreter "i Rcserve-Jägerbataillon 2ö Robert Zchömburg, Postsekretär beim Postamt Dresden 20, der Feld wedel im Reserve Jägerbataillon 25 Herrn. Max Leichsenring, Kassendiener bei der König!. Tech- nisclxn Hochschule in Dresden, der Leutnant der Re serve im Feldartillerte-Regtment 53 Stud. jur. Johannes Müller, Sohn des Korpsstaboeteri- närs im stellvertretenden Generalkommando XII Müller), der Unteroffizier der Landwehr im Grena dier-Regiment 190 Paul Krähmer, Lehrer an der 1. Städt. Fach- und Fortbildungsschule zu Dres den, der Sanitäts-Vizefelduxbel im Grenadier-Re serve-Regiment 100 Kurt Jung, der Unteroffizier im Infanterie-Regiment 103 Walter Streicher, der Hauptmann der Reserve im Infanterie-Regiment Nr. 105 Oberfinanzrat Dr. Hager, sämtlich au« Dresden, der Oberstleutnant und Kommandeur des Feldartillcrie-Reginrents 7« Hack« aus Wurzen (1. Klasse, nachdem ihm bereits früher die 2. Klasse und der Verdienstorden 1. Klass« mit Schwertern verliehen worden waren), der Unteroffizier der Land wehr in der '>3. Reserve-Kavallerie-Abteilung Oskar Benndorf, Herzogi. Domänenverwalter auf Wörlitz-Münsterberg (Bruder des Gemeindevor stands Benndorf in Kleinpötzschau, Amtshauptmann- schaft Borna bet Leipzig), der Hauptmann der Re serve im Futzartillerie-Rsgiment 19 Landgerichtsrat Dr. Heber aus Freiberg, der Leutnant der Reserve im Feldartillerie-Regiment 12 Eerichtsasscssor Dr. Bretschnetder aus Freiberg, der Oberjäger im Neseroe-Jägerbataillon 25 Richard Beer aus Pfaffroda i. E., Sohn des Waldwärters Beer daselbst (er erhielt auherdem den Albrechtsorden mit Schwer tern), der Leutnant und Kompanieführer im Re- scrve-Jnfanterie-Regiment 101 Willy Berge aus Limbach, der Leutnant und Beobachtungsoffizier im Reserve-Futzartillerie-Regiment 19 Karl Lotz aus Einsiedel bei Chemnitz, der Unteroffizier in der Land- wehr-Jnfanterie-Drtgade 17 Richard Zenker (unter gleichzeitiger Beförderung zum Feldwebel), der Soldat im Husaren-Regimcnt 17 Fritz Hübsch, der Unteroffizier im Reserve-Jnfanterie-Reqiment 101 Schutzmann Emil Ztlcher, alle aus Chemnitz. Set -en verwundeten am UerkL^ol. Die Feuertons«. Von Dr. P. M ohr. ....... November. f^) Immer w.'iter ging es auf der schönen brei ten Strasse in Richtung Gent. Zahlreich waren die Häuser mit dem Vermerk: „Gute Leute. Schonen!" oder: „Sehr freundliche Leute." Kein Haus war zer stört, nichts war verbrannt. Vor uns zog Infanterie, Freiwillig« von den neuen Korps, die nach kurzer Ausbildung nun schon an den Feind kamen. Junge Bürschchen sind darunter. Mancher wird futztrank, denn dieser Marsch war lang. Auch uns hängt der Magen, denn eine Feldküche — di: berühmte Gulasch kanone — haben wir nicht, obwohl gerade eine Sani- tätstompan!« sie am ehesten braucht, schon um di« zahlreichen Verwundeten nebst Begleitern zu speisen. Und noch immer von unserem Quärtierort keine Ah nung. Einen gutgelleidetcn Mann, der neben uns hergeht, frage ich aus. Er ist Glashändler, kennt Thüringen gut, woher :r seine Elaswaren bezieht. Auch sein Sohn ist mit, und schon verwundet. Als wir halten, kommt ein Arzt hinzu, und das Frage- und Ratespiel geht weiter. Vielleicht heisst der Ort anders, Herbriiggc oder Terbrügg«? Plötzlich les« ich im Befehl einen andern Ort der Aumarschstratze. die uns zugewicsen ist. Ja, d:r ist bei Gent. Und richtig, da liegt auch unser erstes Quartier, nördlich von Gent, nut der Lupe kaum erkennbar. Unterwegs hatten wir eine Fuhre requiriert, um einige Saä>en zu fahren. Angeblich wollte der Fuhr- » mann den Weg kennen. Es wurde Dämmerung, als ' wir nach Gent kamen. Der Mann bog links ab, als wir durch die ersten Strassen durch waren. Wir waren schon wied:r ein Stück weiter, als er noch einmal nach links wandte. Ich griff ein, anscheinend kannte der Mann den Weg nicht. Nun kehrten wir um, und durch ganz Gent ging es am Kanal hinauf nach Norden. Nacht wurde es, als wir endlich <ruf dem richtigen Wege waren. Endlich hatten wir das klein« Dörfchen; ein Kloster und ein Schloss sollten drinnen sein. In der Tat war es ein Mädchenpensionot, sauber und nett. Und wo di: kleinen Damen in ihren Holzvcrschlägen in einem grossen Schlafsaal sonst ruhten, lag jetzt preussisches Militär, und in den ver schiedenen Klosterräumen konnten wir fast die ganze Mannschaft unterbringen. Unsere Pferde sind im Schloss einquartiett, auch unsere Wagen sind dort aufgefahren. Es ist ein herr lich«! Park mit einem wohlgepflegten Obstgarten. D:r Schloßherr ist nach G. geflüchtet. Ein Freund von ihm erscheint, um nach dem Rechten zu sehen. Natürlich, vor Barbaren kann man sich nicht genug in acht nehmen. Nur der Jäger ist zurückgeblieben und ein treuer Diener, der vtein und Bein schwört, dass weder Butter noch Eier da sind. Wir erstehen vier Hühner sür 10 bar. Francois, der Dienrr, erzählt uns, am 15. sei Ostende gefallen. Jubelnd beorühen wir diese Nachricht, ist sie uns doch ein Zeichen, dass unser Nachbarkorps auch heranrückt. Wir müssen also den Feind vor uns hertreiben. Wir bilden die Mitt:. Und auch mit dem linken Korps haben wir schon Ver bindung. Auch die zweit« Nacht bleiben wir in unserem Nonnenkloster und laden uns zum Abend zu Gast im Schloh. Leider gab es noch immer nichts, und so mutzten zwei Enten und ein paar Hühner, diesmal gegen Gutschein, ihr Leben lassen. Im Esszimmer sind die Familienbilder aus den Rahmen genommen. Ja, wenn die Hunnen kommen, kann man nicht wissen! In dem Arbeitszimmer des Hausherrn liegen noch frische Zeitungen aus Brüssel und Gent, die allerlei Nachrichten über unsere heranziehenden Truppen bringen. Einige Aufrufe empfehlen Gründung eines „Souvenir belgc". Die ersten Häuser, die ich in Flammen aufgehen sah, sind wäh rend des Kampfes vor Beerst zerstört worden, als wir uns hinter Couckelare der Gefechtslinie näherten. Da sah man auch die Kirchtürme zerstört und Türen und Fenster zertrümmert. Der erste Hauptverbandplatz ist ein gerichtet, so gut oder so schlecht es geht. In einem Gehöft seitwärts der Strasse, die nach B. hincinfllhrt, haben wir uns häuslich niedergelassen. Zwischen Ärahe und Gehöft ist ein freier Platz, auf dem gerade unsere Wagen und die zehn aus Couckelare mitgenom menen Wagen Platz haben. Daneben aus einer Weide davor gleichfalls an der Strasse werden die Nermundetenzelte errichtet. Vor uns tobt die Schlacht. Es geht um den Pserkanal. Unsere Truppen stehen davor. Plötzlich erscheinen über den nahen Pappeln ein paar Wölkchen, so unschuldig und zart, dass man ihnen gar nichts Böses zutrauen möchte. Immer näher kommen sie, und plötzlich puffen sie auf dem Acker vor uns und ein paar Stücke fliegen auf den Verbandplatz. Eigentlich steht das nicht in un serem Programm, aber was nützt da Rotes Kreuz oder Rote-Kreuz-Binde'? Nach den Sprengstücken zu urteilen, müssen es Küstengeschütze sein. Und weiter geht der Tanz, bald rechts, bald links auf dem Acker neben unserem Platz schlägt es krachend ein, eine riesige braune Staubwolke aufwirbelnd. Unsere schweren Mörser, die hinter uns stehen, antworten, und bald ist das lieblichste Artillericduell im Gange. Und dazwischen dieses Kommen und Gehen. Bald rücken Munitionswagen vor, bald legen flinke Tele graphisten über Bäume ihren Telephondraht, bald wieder rücken einzelne Pioniere nach vorn, bald rattert ein Motorsahrer mit wichtigen Nachrichten zum Stabe der Division. Gegen Abend beginnt das Gefecht stärker zu werden, der ganze Horizont scheint Feuer zu speien, und schon wird es auch bei uns leben dig. Die ersten Leichtverwundeten werden an gebracht, es sind Jäger, die in vorderster Linie stehen. Und dann werden Schwerverwundete gebracht, unsere Zelte und die Scheune füllen sich. Die Trag bahren sind voll Blut. Fast alle haben schon ihren ersten Verband und ihre Wundtäfelchen. Sie wer den frisch verbunden, und bald ist vor der Tür ein Berg blutiger Wäsche und Lappen. Kaum einer stöhnt und klagt. Mancher bittet um ein Stückchen Mittwoch, iS. veremlrer 1Sl4. Brot. Und auch die Begleiter entwickeln einen ge- segneten Appetit. Die Sanitätskompante wird zur Verpflegungsstation. Es ist nur gut, dass unsere Mannschaft sich darauf allmählich eingerichtet hat. Gab es doch Tage, an denen 3—400 Verwundete zu verpflegen sind und dazu die Passanten. Und was für Verwundungen sieht man! Dem ist die Kugel durchs Auge gedrungen und durch den Hals in die Brust. Jenem hat ein Schuh die Stirn von rechts nach links durchbohrt, und diesem ein Schrapnellsplitter ein Stück aus dem rechten Ober arm herausgerissen. Diesem wieder hat ein Fünf markstück gnädig das Leben gerettet. Die Kugel ist im Fünfmarkstück stecken geblieben und hat ihm nur eine einen Zentimeter lange Wunde in der Brust gemacht. Ein anderer zittert wie Espenlaub trotz der Decken, die man auf ihn gelegt hat, er ist verwundet in einen der Gräben gefallen und hat fünf Stunden lang gewartet, bis man ihn herausziehen konnte. Und wieder einem ist das Fünfmarkstück, das er im Brustbeutel trug, zum Verhängnis geworden. Die Kugel ist daran abgeprallt und in den Bauch ge gangen. Seine Rettung war nicht mehr möglich. . . . Im heissen Bauernhause wollte ich die Nacht nicht schlafen, mir war die Luft zu schwer und ich ahnte, dass wir doch nicht Ruhe haben würden. Um Mittel- nacht wird es im Zelt lebendig, die Aerzte kommen einer nach dem andern, auf das Haus prasseln Schrapnellkugeln. Als ich des Morgens hinter die Scheune trete, liegen zwei schon auf dem Platz 5 (Platz für Ster bende). Der eine hat bereits die Farbe des Todes angenommen, der andere, ein kräftiger Dauern bursche mit roten Back m, schlägt ab und zu mit der Hand wie in schwerem Schlaf. Gegen Abend ist der eine hinausgetragen worden. Dicht an der Hecke, die bei der Scheune steht ist cin Friedhof angelegt. Dort ruhen die Toten von B . . . . * * * Heut«, am ... . haben wir unsere Feuertaufe be standen. Ich kann sagen, die war gut und gründlich. Als wir den Befehl beka nen, dass wir uns an einer Wegegabelung in „unserm" Dorfe B . . . aufstellen sollten, da wussten wir alle, dass wir ins Feuer kom men würden, und doch kam es uns vollkommen über raschend. Schon als wir kurz nach dem Essen von unserm Truppenverbandplatz abrückten, prasselte ein Schrapnell in den nahen Pappeln und neben meinem Pferde sehe ich etwas im Staube wirbeln. Erst später merkte ich, dass es am linken Vorderfusse eine kleine Wunde hatte. Im Dorf bogen wir von der Hauptstrasse ab und stellten uns in einem Seitenweg am Dorfrand auf. Die Wagen fuhren auf den Acker und die Mann schaften lagerten sich aus einem Felde, rings standen Häuser und auch ich hatte mich mit dem Pferde hinter einen Stall gestellt. Die Häuser waren von Bewoh nern verlassen. Rechts von uns feuerte eine Batterie, immerhin in einigen hundert Schritten Entfernung. Plötzlich ein Sausen in der Luft, ein ohrenbetäuben der Knall, eine Granate ist auf dem Wege zwischen uns krepiert. Und schon kommt die zweite und dritte an, die rechts von mir bei den Pferden einschlägt, ein Unteroffizier fällt mit seinem Pferde um und schon rasen einige der Wagen auf und davon, die Fahrer hinten nach. Und wieder dieses Sausen und ein Knall. Wir sind gut gefasst, es muh direkt bei uns eingejchlagen haben. „Herr Leutnant, ich bin ge troffen," schreit plötzlich ein Mann und läuft auf mich zu. „Hier liegt noch einer!" Und wieder sausen die Granaten, während wir den Mann mit uns ziehen und in einem Stalle Zuflucht suchen. Plötzlich sind wir von gelbem Nebel umhüllt. Wir rufen nach dem Truppenarzt und ich rufe den Leuten zu, rechts und links in Deckung zu gehen. Der Feind streut das ganze Gelände ab, ohne aber weiteren Schaden an- Svhroidmasvdinoil LöttMiiitz «. X»I»«Ii<»r. (li-lmmniüvk« 8tr. 24. 'I'sl. 12980. 8ei Vie tleulsede Flrt. 37s Ein Roman aus unseren grossen Tagen von Paul Burg. Nm das Du nicht noch zu drill hust Zim. meeu heissen wollen, das habe ich Dir noch nicht ganz vergeben. Aber wir sehen uns ja bald da oben Also prüfe mein Schlußprotokoll über die Fageinannsche Lebensrechnung nach! Euer Reinhardt lzatte Dir berichtet, die Fran des Löwener Bürgers, der Erhardt in der Pe- lerstirche bei der goldenen Madonna meuchlings erschoss, sei auch erschossen worden, ein -Lohn oou zwölf Jahren als Gefangener abgebracht. Bin ich recht berichtet, hat dieser Junge helfen müssen, als sie Erhard! das Grab nushoben. - Ich stellte fest, dass seine Eltern Rolland hiessen und nicht unbemittelt gewesen sind. Der Mann war nach Vorgefundenen Papieren 41 Jahre alt. ,n St. Quentin im späten Winter 1870 geboren und um 1900 nach Löwen zugezogen, wo er beiratete. Lein Baler ist in Löwen 1910 gestor ben, 60 Jahre alt, hat also 1871 ein Alter von S1 Jahren gehabt. Das soll ein besserer Mensch als die andern gewesen sein, gut und neu. Die Leute lmben mir erzählt, er hätte schon in seinen ganz jungen Jahren nxisses Haar gehabt und grosse, blaue Augen. Er hatte immer viel Acrger mit seinem Sohne, weil er gut von den Prnssieus sprach, die ihm in seiner Jugend das Leben schenkten. Auch seine Frau soll gut gewesen sein. Dieser brave Rolland stammt laut Grabstein, den ich gesucht und gefunden habe, aus einem kleinen Neste La Pinolle in Brabant and verheiratete sich Anfang 1870 nach St. Quentin, wohin er seinen Vater mitnahm. Dort ist aber sein Vater auf keinem Grabstein und in keinen« zhirchenbuchc als tot vermeldet, aber ein steinalter Mister hat mir erzählt, dass der alte Rolland — in den Fünfzigern muss er damals gewesen sein — im Kriege mit Preu ssen von einem Ulanen aufgchängt wurde, weil er einen Rittmeister erschossen hatte. Ich bin dann nach La Pinolle gefahren und habe den Rollands nachgefvrscht. Leicht war das nicht; draussen donnerten die Kanonen, und die alte Kirche war halb abgebrannt, der Turm von unS weggeschossen. In der Sakristei lagen zer- brochene Gewehre und zerrissene Tornister. Der Ortskommandant wollte nur zuerst gar keine Erlaubnis geben, aber ich habe es doch durch gesetzt und die alten .Kirchenbücher vorgcsucht. Ich hatte auS Deinen Briefen und Erzählungen wenigstens eine Spur . . . Hatte nicht der Jage- mannsche Reitknecht geschrieben, daß da ein Weib mit einem kleinen Kinde gewesen war, als im Juni 1815 Josias bei dem Versuche, ihn zu befreien aus der Gefangenschaft, erschossen wurde? — Dieses Kind habe ich im Kirchenbuchc unter dem Wcihnachtstage 1814 als geboren fest gestellt! Die Mutter ist genannt: Angele Fribeaux. Ihre Spur sand ich nicht mehr, denn wir muß ten die Kirchenbücher wieder abliefern und vor einem englischen Vorstoss auS dem Dorfe flüch ten Aber soviel steht fest: Du hast, meine gute, alte und getreue Grosssiegelbewahrerin, jenen zwölfjährigen belgischen Bengel Rolland, den man in Löwen festgesetzt und inzwischen wohl nach irgend einem deutschen Gcfangenlager ab gebracht hat, als den Urenkel des Josias Jage mann anzuselien. Besonders stolz brauchen wir ja auf diese Verwandtschaft nicht zu sein, und wenn cs nicht für Dich, Oma Exzellenr, wäre, wurde ich mich sehr ärgern, dass mich dieser Bengel und das Nachforschen seiner Abkunft ans Eurem Blute jetzt noch mein bisschen liebes, altes Leben kostet. Ja, es kam schlimm. Wir gerieten hart an den Feind und sind wie die Rasenden mit nnserm Automobil davongeprescht. Na, was soll ich sagen: Die Karre kippte natürlich um, und ich brach mir den linken Arm zweimal bei dem Sturz aus dem verfluchten Kasten. Kriegte oben drein noch zwei echte englische Gewehrschüsse — diesmal kein Dumdum — in den doch weiss Gott schon genug gestraften Arm. Daun kamen aber unsere braven Jungens heran und versohlten den meineidigen Vettern die Jacken. Der Generalarzt hier iin Lazarett hat ein ernstes Gesicht gemacht, dass ich alter Knack- stiebet mich noch so exponiert hätte. Gott, warum soll ich Dir denn was vorflnnkcrn, Oma; Du heiratest mich ja doch nickst mehr. Also der ganze Arm ist weg, abgenommen. ES ging nicht an ders. Nun haben sie mir eine Schreibunter lage gemacht, über die Du lächeln würdest, sähest Du sie. Ein Kistcndcckel hängt schräg von der Decke Iwrab, gerade vor meiner Nase, gegen das Bett gestemmt mit zwei Stöcken. Ich schreibe an diesem Brief auch schon den dritten Tag nnd fühle mich gar nicht recht wohl. — Also, wenn Du in den Verlustlisten meinen Namen stehst, da hinten im letzten Glreoe, wo die faulen Abgänge durch Krankheit stehen, freue Dich mit mir, liebe, alte Marianne, dass ich we- nigstens doch noch mein Grab im neuen Deutsch land abgekricgt habe. Und bleib hübsch gesund, solange Du noch magst! Ich kann nickt mehr schreiben, lieb«, liebe alte Freundin meine» Leben» ,. < Sei gegrüßt zum letzten Male — Das war der allerletzte Brief, den die Oma Grosssiegelbewahrerin ihrem treuen Schatzhilter anvertraute. Sie legte die Abschicdszeilen des' tapferen Zimmern zu den wellen Rosenblättern, die er ihr geschenkt hatte, ukid zu dem Briefe der heldenhaften Anna-Liese. Und dann hatte sie mit Prinzessin Bathil- dis eine lange Unterredung. Die Prinzessin machte sich selber auf und fuhr nach dem Gene ralkommando. Sie kam mit dem Bescheide wie der: Löwener Kriegsgefangene liegen auf dem Hellstadter Truppenübungsplätze. Jeden Tag wird eine Anzahl Schuldiger vom Kriegsgericht abgeurteilt und erschossen. — Da ließ es der alten Frau keine Ruhe mehr. Wenigstens mit ihren Augen sehen wollte sie das Kind des mörderischen Paares, den letzten lebenden Zweig der Jagcmanns aus dem ver- hassten Blut der Angele Fribeaux. Sic fass in ihrer Stube und besprach sich lange heimlich mit dem Geiste des Hans Martin und der Anna- Liese. Sie ging ins Schloss und erbat sich Pas sierschein und fürstlichen Schutz. Man versprach, ihr einen alten Hofbeamtcn mit auf die selt same Reise zu geben. Das Schwerste war, wie sie den Schritt vor Elena rechtfertigen sollte. Aber die junge Frau, versunken in ihre Trauer und in ihre gelehrten Studien, wunderte sich nickst einmal und fragte auch nicht viel. „Oma, du l-ast ja immer nach deinen eigenen Entschlüssen gehandelt, und cs war stets das Rechte. Ich weiss nicht, was du in Hellstaot willst nnd ob du deinen Zweck erreichen wirst... Fahre du nur und komme mir gut wieder!" „Kind, ich weiss einen Weg zum Grabe Er- hardts. Unter den Gefangenen von Löwen „So bitte ich dich darum, liebe, gute Oma! Ich müsste wohl selber reisen, denn du bist alt, aber ich kann nein — das kann ich nicht über mich gewinnen, jene Men schen zu scheu, die — — die — meinen Erhardt !" Weinend ging sie hinaus. Und die alte Exzellenz machte sich aus ihres Lebens letzte, ungewöhnliche Reise nach dem Blute des Jagemannschen Geschlechts. Nach stundenlanger, lähmender Fahrt stiegen sie bei einer kleinen Haltestelle auS dem rattern den Zuge. Weithin blühte die Heide im warmen Sonnenschein. Tic wanderten durch das Blüten- incer, die alte Exzellenz und der alt? Hoibeamte, wanderten und schwiegen.... Hohe Zäune stiegen vor ihnen auf. Gewehre blitzten im Anschlag. Ein Posten hielt sie an und wollte die beiden alten Leute wegweisen. Der wachtl-abende Unteroffizier kam nnd prüfte die Passierscheine. „Muss das denn sein? — ES ist streng ver boten, daß Frauen auch nur an das Gefangen lager heranlommcn. Wenn Sw nicht was ganz Besonderes herführt, kehren Sie doch lieber um! ES macht keinen guten Eindruck. Und unser Major wird furchtbar grob . . „Ich bin eine alte, alte Frau, mein guter Herr Unteroffizier, und bringe den Haß von hundert Jahren im Herzen mit." „So! Sie wollen eine Aussage machen . .." senkte der Soldat seinen forschenden Blick vor der Exzellenz. Zwei bärtige Landsturmmänner schulterten ihre Gewehre, nahmen die beiden Besucher in die Mitte nnd marschierten mit ihnen langsamen Schrittes vor die Kommandantur. Der Major strich grimmig seinen weissen Schnauzbart, als sie vor ihn kamen. Aber nach dem er die Pässe gelesen hatte, wurde er freund lich und höflich. „Ja, meine liebe, gnädige Frau! Wenn es nicht gerade der Junge wäre, hätten wir schwer suchen. Diese Belgier sind von allen Gefangenen, die ich habe, die schlimmste Bande. Ich bin froh, dass alle Tage welche ins Jenseits avmarschicrcn müssen. Da drin hält das Gericht seine Sitzungen. Die Herren prüfen jeden auf die letzte .Herz aser. Uud wer von ihnen einen deutschen Kameraden auf dem Gewissen hat. . . na, da gilst's keine großen Verteidigungsreden und BerusungS-Jn stanzen. Gott sei Tank nicht! An die Mauer! k!x e-st!" Sie wanderten durch die Lagergänge, die alte Exzellenz neben dem erzählenden Major, der hin und wieder in die Baracken zeigte. „Da Hausen meine Russen, sind aber aus Arbeit jetzt im Moor. Das sind mir noch die liebsten Gäste, dumm und gefräßig, einfache No turen. Na, ich habe ihnen das Arbeiten beige bracht. Ich glaube, das macht ihnen beinahe Spass, denn jeden Morgen fragen sie mich, ob sie hicrbleiben können, wenn der Krieg aus ist. sic wollten auch immer ganz fleissig sein. Ja, dieser Zar erfreut sich keiner grossen Liebe bei seinen Völkern. Da sehen Sie Engländer, Franzosen! Fau les Gesindel! Klapperte mit Geld und wollte hier sein Spielchen machen, raufen und borcn. Na, das gibt's nicht. Ich taffe sie Säcke flicken und Körbe flechten. Aber ein Dutzend von dem faulen Gesindel schafft an einem Tage nicht so viel, wie ein guter deutscher Zuchthäusler bis zmn Mittag. Na, sie find jetzt wenigstens höf lich —" (Schluss folgt in de, Morgenausgabe.)
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