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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 02.11.1914
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1914-11-02
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19141102012
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1914110201
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1914110201
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1914
-
Monat
1914-11
- Tag 1914-11-02
-
Monat
1914-11
-
Jahr
1914
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Seite 10. Nr. S56. Rmrgen-Nusyave. Leipziger Tageblatt. Montag, 2. nooemver 1914. Der Rektoratswechsel. Es war doch eine andere Stimmung -ei dem gestrigen Rektoratswechsel als sonst. Auch in dies« Feier leuchtete die grosse Zeit, G-«wih war das äutzere Bild diesmal minder farbenreich, keine Fahnenpracht, und viele junge Gesichter fehlten. Keine Menschen menge harrte auf dem Platze, um eine Ausfahrt der Verbindungen zu sehen. War also das Aeuhrre der Feier diesmal minder prunkvoll, so l,ott« ihr die grosse Zeit eine Vertiefung ins Innere gegeben. Mutzte sie doch ein Bekenntnis unserer Hochschule zu den schweren Fragen der Gegenwart werden! Und in der Tat, sie hatte Teil an dem Wunderbaren, das jetzt unser ganzes Leben im Feuer der Leiden und Freuden dieier Tage läuternd durchdrungen hat. Es waren viele gekommen. Reichs-, Staats- und städtiscl)e LelMden waren vertreten. Feldgraue Uni formen gemahnten an die Gegenwart. Und auch als die Pforten sich öffneten, als Rektor und Dekan in d«n festlichen Gewändern dahertamen und ihnen der lange Zug der Dozenten folgte, schimmerte manche Uniform zwischen dem Schwarz und bekannte, Latz deutscher Geist und deutsches Schwert sich wohl ver tragen und in innigem Bunde stehen. Da sahen wir u. a. den Kricgssreiwilligen Prof. Gregory. Sie zogen vorüber die ernsten, vielfach vertrauten Ge sichter, bei deren Anblick wir mancher köstlichen Sunde gedenken. Und im Eindruck solcher Augenblicke suhlen wir es, das; unser Volk heiligen Kampf kämpst für seine Kultur. Und es klang von oben: „Befiehl du deine Wege. . ." Unsere Univcrsitälssänger sangen es ergreifend. . . Der scheidende Rektor Dr. Magnifizenz Geheimrat M a y e r startete sodann den Jahresbericht ab. Er hatte im wesentlichen folgenden Wortlaut: „Hochansehnlrche Versammlung! 'Roch kleiner als gewöhnlich nehmen sich diesmal die Dinge aus, über welche der scheidende Rektor zu berichten hat. Das, was wirklich wertvoll an uns ist, unsere Geistesarbeit, verschweigt er. Sie ist gleichwohl getan wocoen, auch diesmal, glauben Sie mir. Ader nur von autzcruchen Erlebnissen der Universität soll hier die Red« sein. Wir haben auch in diesem Jahre wieder schöne Feste begehen dürfen. Als erstes nennen wir den Be such S r. M a j e st ä t des Königs, der am 2. Februar mehrere Institute besichtigte und eine Vor- lesunq anhörtc, dabei wurde auch der in der Wandel Halle aufgestellte Studentcnausichutz begrützt. Zu Königs Geburtstagsfeier am 25. Mai in der Aula hielt Herr Kollege Dr. Bruns die Festrede. Am 15. Oktober beging unser König sein 10 jähriges R e g i e r u n g s j u b i l ä u in. Mit Rücksicht aus den Ernst der Zeit sollten alle äusser lichen Veranstaltungen unterbleiben. Der Aka demische Senat Kat seine Glückwünsche schriftlich zum Ausdruck gebracht, die durch ein huldvolles Hand schreiben erwidert wurden. Am 15. Januar feierte der Kronprinz, der ja durch rite erfolgte Immatrikulation der Universität angehört di« Vollendung des 21. Lebens jahres. Eine Abordnungder Universität, bestehend aus dem Rektor und zwei Vertretern des Studenten ausschusses, den Studierenden Gottlebc und Renler, durfte ihre Glückwünsche darbringen. An Leipziger Festlichkeiten hatte die Universität mehrfach Anlass, teilzunehmcn, wie sich das ja auch gehört. Hcrvorgehoben sei nur das 150jährige Jubiläum der Königlichen Aka demie für graphische Künste und Buch gewerbe, mit der die Universität von Anfang an freundnachbarlich« Beziehungen unterhält. Dreimal bot sich auswärts den deutschen Rek toren Gelegenheit, als geschlossene Gruppe den Glanz bedeutsamer Feste zu erhöhen, wobei fcdesmal der Talar des Leipziger Rektors durch sein ehrfurchtgcbie- tendes Alter ausgezeichnet war. Am 22. März fand in Berlin die Einweihung des Neubaues der Königlichen Akademie der Wissenschaften und der Königlichen Bibliothek statt: die Anwesenheit Sr. Majestät des Kaisers gao dem Feste Mittelpunkt und Form. Im April feierten wir die Einweihung der Uni- versirätsbauten in Zürich, Ende Juni das OOOiährige Jubiläum der Universität Groningen. Die Schweizer wie die Holländer verstehen beide, solche Feste zu feiern, die Art ist nicht ganz die gleiche aber ge meinsam ist hier wie dort die herzliche Teilnahme des ganzen Volkes. Wir haben schöne Eindrücke mit genommen und werden uns der freundlichen Fest geber immer dankbar erinnern. Sehr angenehm war auch der Verkehr mit französischen und englischen Kollegen — wie viel ist .zerstört! Wird es wieder aufzubauen sein? Auf ein ganz besonders schönes Fest hatten wir uns schon gefreut und vorbereitet: die Eröffnung der Universität Frankfurt a. M. Es hat nicht sollen sein; in aller Stille hat sich das Ereignis vollzogen. In ruhigeren Tagen holen wir cs viel leicht nach. Unserer besten Wünsch« darf die junge Schwester sich versichert halten. Wenden wir nun den Blick zurück auf unieren engeren Kreis, so sei vor allem der schmerzlichen Lücken gedacht, die im vergangenen Jahre der Tod in unseren akademischen Lehrkörper ritz. Wir verloren den ordentlichen Professor der Theo logie Dr. Georg Rietschel, der einst unser Rektor, seit 1012 schon im Ruhestände. Er war ein vielseitiger Mann, eifrig und liebenswürdig in allem, was er unternahm, anregend und angeregt. Sodann den ordcntlickzen Honorarprofessor be: der juristischen Fakultät Dr. Georg Häpe, der sich mit anerkennens wertem Eriolg der schwierigen Aufgabe unterzogen hatte, praktisches Verwaltungsbcamtentum und aka demische Lehrtätigkeit zu vereinigen. Weiter unseren prächtigen Emil Strohal, ordentlichen Professor des deutschen bürgerlichen Rechts. Ein gründlicher Ar beiter, gescheit durch und durch und begabt mit einem klaren Blick für die Wirklichkeiten des Rechts, hat er als Lehrer und Schriftsteller seiner Wissenschaft arotze Dienste geleistet. Und dabei diese rührenoe Frohnatur, die sich nicht unterkriegen lietz. Sein Bild hat sich uns tief eingeprägt. Einen ehemaligen Rektor verloren wir auch in Dr. Carl Chun, ordent- 'ichen Professor der Zoologie. Wie sehr er unserer Universität durch seine wissenschaftlichen Leistungen zur Zierde gereicht hatte, haben wir Nichtfachgcnosien erst bei diesem Anlatz recht zum Dewutztsein gebracht bekommen. Seine durch und durch echte, vornehme Art hatten wir schon immer hoch geschätzt. Dr. Karl Kormann, Privatdozent der Berliner Universität, war für dieses Semester als ausserordentlicher Professor des Vcrwaltnnasrechts berufen, er war ein vielver sprechender Gelehrter, entschieden einer der besten unter unseren Jüngeren. In der Schlacht bei Tannen berg ist er als Leutnant d. R. beim Kampf um einen Schützengraben gefallen." Nachdem Rektor Mayer die übrigen Veränderungen des Lehrkörpers mitge teilt batte, fuhr er fort: „Wenden wir nun den Blick von dem Lehrkörper auf unseren Lernkörper, wie wir wohl sagen dürfen, so erweisen sich die Wirkungen des Krieges schon äutzerlich an den Zahlen: 5532 eingeschriebene Studierende, 931 Hörer, im ganzen 6163, konnte das vorige Wintersemester sein eigen nennen: das jetzige Kat es bis zu diesem Tage nur auf 1181 Studierende und 51 Hörer, im ganzen auf 1531, gebracht. Nur 321 wäre bis beute neu eingeschrieben. Durch den Tod hatten wir bis zum Kriege 12 verloren, dar unter «ine bedauerlich grotze Zahl durch Selbstmord. Es ist von diesen Jünglingen nicht genug bedacht worden, datz unser Leben nicht uns gehört. Soll es gegeben werden, so findet sich leicht glorreiche Ge legenheit dazu, und die haben unsere ärmsten Selbst mörder jetzt versäumt. — Die akademische Disziplin hat keinen Anlatz gehabt, die Zahl unserer Bürger zu verringern. Auch der Kar er, dessen Wert übrigens keineswegs über alle Kritik erhaben ist, wurde nur wenig in Anspruch genommen. Wir kommen auch so miteinander aus. Einen Augenblick schien die'es Verhältnis grösseren Störungen ausgesetzt, als die Studierenden der Zahnheilkunde das Institut des Streikes aus unseren Lehrbetrieb zu übertragen such ten. Die akademischen Behörden haben sich jedoch von vornherein nicht auf den Standvunkt der beleidigten Arbeitgeber oestellt, sondern als ihr Hanvtziel be trachtet. datz die beteiligten ciladewiichcn Bürocr sich nicht allzusehr selber schädigten. Inwieweit sich d'e anoestrebten Neuordnungen verwirklich >n lassen, hängt von den Verhandlungen der dcutlchen Regie rungen ab. Infolge des Krieges war die Streichung aller Angehörigen seindlicherStaatcn aus unseren Listen notwendig geworden. Auf der andern Seite ist auch gegenüber dein vorhin angegebenen Personal bestand eine bedeutsame Einschränkung zu machen: von jenen 1181 Studierenden steht ein beträchtlicher Teil im Felde: es ist rührend, wie sie daran halten, das als Leipziger Studenten zu tun, während der Ferien ist eine ganze Anrahl junger Männer im feld grauen Kleide vor dem Rektor erschienen, um sich noch rasch ausnehmen zu lassen. Diese alle werden von uns als ehrcnvoltst Beurlaubte behandelt. Nicht wenige auch sind jetzt schon den Tod fürs Vaterland gestorben. Wenn wir das erfahren, spricht jedesmal der Rektor den Angehörigen schrift lich die Mittraner der Universität aus um ihren lieben Kommilitonen. Die Antworten zeugen von dem hohen Sinn, der jetzt in unserem Volke lebt, und von dem alles erfüllenden Gefühl der Zusammen gehörigkeit. — Die vielen, die noch draussen im Kamvfe stehen, soll heute unser gemeinsamer Grutz und Segenswunsch umschweben. Don akademischen Preisaufgabcn hat die der theologischen Fakultät eine Bearbeitung gefunden, der die Fakultät eine Gratifikation von 200 -tt zu erkannt hat. Als Verfaucr ergab sich der Stud. theol. Fritz Teichgräber aus Leipzig. Er steht zurzeit im Felde. Die der juristischen Fakultät erhielt eine Be arbeitung, der der erste Preis zuerkannt wurde. Der eröffnete Umschlag erwies als Verfasser den Stud. jur. Herbert Bondi aus Dresden, der leider inzwischen seiner im Kampfe fürs Vaterland erhaltenen Wunde erlegen war. Für die Preisaufgaben der medizini schen und philosophischen Fakultät sind Bewerbungen nicht eingelaufen. Von freigebigen Zuwendungen, die der Universität zuteil wurden, sind zu erwähnen die folgenden: Der verstorbene Geheime Rat Professor Dr. Credner vermachte seine geologisch-paläontglo- gische Bibliothek unserem entsprechenden Institut nebst einer Barsumme von 500 -R für die Kosten der Aufstellung: der Obermedizinalrat Professor Dr. Näckc zu Colditz der Universitätsbibliothek seine Sammlung der psychiatrischen, neurologischen und psychologischen Literatur als Professor-Näcke-Stiftung. Professor Dr. Beer stiftete für die Hilfs- und Töchterpcnsionskassc zu den bisherigen 10 000 weitere 10 000 .tt. Die Witwe des Geheimen Rates Professor Dr. L e u ck a r t schenkte uns eine treffliche Marmorbüste ihres Gatten, die an geeigneter Stelle zur Aufstellung kommen wird. Der Alfred-Acker mann Teubner-Gedächtnispreis zur Förderung mathe matischer Wissenschaften wurde erstmalig durch Ver fügung des Stifters, Herrn Hofrat Dr. Ackermann- Teubner in Leipzig, dem ordentlichen Professor der Mathematik an der Universität Göttingen, Herrn Geheimem Regierungsrat Dr. Klein, verliehen. Mehr als in anderen Jahren ist das Leben der Universität bewegt worden von allerlei Plänen u n d U n t e r ne h m u n g e n, die zum Teil ins Werk gesetzt sind, zum Teil noch ihrer Durchführung harren. Bei meinem Amtsantritt stand im Vorder grund unserer Sorgen und Bestrebungen ein grosser Plan, der sich durch gänzliches Scheitern erledigt hat, die Dresdener Universität. Wir trauern ihr nicht nach, sondern sind gewiss, datz diese Lösung ein wahres Glück zu nennen ist für das ganze Sachsculand und seine Stellung in der Kulturwelt. Damit hing eine andere Frage zusammen: die Ver legung der Tierärztlichen Hochschule von Dresden nach Leipzig. Der Zusammenhang mit einer Universität ist für diese allerdings die Lebensfrage geworden. Deshalb mutzten, wenn sie in Dresden verblieb, die Bestrebungen rach einer Universitäts gründung, die so lebhaft an sie angcknüpft hatten, immer wieder auftauchen: die Leipziger Universität blieb unter einer fortdauernden höchst nachteiligen Bedrohung. Die Durchführung der von der Regie rung geplanten Verlegung bedeutet nicht bloss eine Förderung ihres eigenen wissenschaftlichen Betriebes, sondern mützte jetzt gefordert werden zur Erkaltung ihrer Stellung. Wir schulden dem Herrn Kultus minister Dank, dass er fest blieb und sich auf Halb heiten nicht einlietz. Die Kriegszeit hat ihrerseits eine ganze Reihe von neuen Einrichtungen und Unternehmungen hervor gerufen. Alles hatte ja von Anfang an den leb haften Drang, sich nützlich zu machen und zu be tätigen. Die zu den Waffen Gerufenen waren am besten dran. Die andern suchten oft vergebens, und nicht alles war glücklich, wozu da aufgcrufen wurde. Eine gute Sache find die vom Senat in Verein barung mit dem Schillervcrein veranstalteten öffent lichen Vorträge vaterländischen Sinnes. Sie werden den Winter hindurch fortgesetzt werden. — Neu eingerichtet ist die Offenhaltung der Pauliner- kirche bei zeitweiligem Orgelspiel. Die Unioersitätsgebäude wurden, soweit cs mit dem verringerten Unterrichtsbctrieb verein bar, dem Noten Kreuz angeboten. Unsere Studenten haben ihrerseits ihre Verbind nngohäuser zur Verfügung gestellt. Nach Beschluss des akademischen Senats sollte neben der Beteiligung der Mitglieder des Lehrkörpers an den allgemeinen Sanimlungen noch eine besondere Universitätsspende vorbereitet werden: diese Hot bisher 13190 .it ergeben. Der Senat hat die ersten und die zweiten 10 003 .« der Versorgung der Leipziger Regimenter mit Wollsachen gewidmet. Unsere Frauen »nd Töchter, die das besorgten, ge wannen dadurch gleich die Möglichkeit vielen Be dürftigen durch Zuwendung von Strickarbeit einen Verdienst zuzuwenden. 3115 Pakete sind abgegangen. Die Kisten sind gezeichnet „Grutz von Universität Leipzig." — Wir stehen vielleicht erst am Anfang des Krieges. Wir stehen auch erst am Anfang unserer Leistungswilligkeit." Hierauf erfolgte die feierliche Einkleidung des neuen Rektors, Geheimrats Professors Dr. Albert Küster. Er legte den Treueid ab in die Hand des scheidenden Rektors und dankte ihm im Namen der Hochschule insbesondere für das, was er in den letzten drei schweren Monaten geleistet habe. Dann begann er seine Ansprache. Sie atmete den hohen Ernst der Zeit und hatte in ihrem inneren Feuer etwas von jenen Reden, die 1813 auf deutschen Universitäten ausflcnnmten: die Leidenschaft deutscher Vaterlands liebe, gebändigt von der sittlichen Strenge deutschen Geistes! Vie Ansprache -es neuen Rektors lautete in ihren wesentlichen Stellen: Wenn sonst ein neuer Rektor an die Spitze de: Universität tritt, dann sind Sie gewohnt, von ihm in erster Stunde eine Ansprache zu hören, in der er, sei es tiefgründig erörternd, sei es heiter plaudernd. Einblicke gewährt in das Sondcrgebiet seiner For schung, in neue Probleme, Methoden oder Ergebnisse seiner besonderen Wissenschaft. Heut werden Sie ein Gleiches von mir nicht erwarten. Denn schwer und ungern würde sich Ihre Aufmerksamkeit zu Betrach tungen sammeln, die uns zeitweilig klein erscheinen angesichts des einen ungeheuren Erlebnisses, das nun schon seit drei Monaten der unablässige Gedanke all unsrer Tage und der Traum unsrer Nächte ist. Und auch mir selbst würde es schwer fallen, in der Stunde meines Amtsantrittes die Blicke von der nächsten Vergangenheit und der nächsten Zukunft abzuwenden. Ohne kleinmütig zu sein, frag« ich mich doch beim Beginn dieser neuen Pflichten, welche ungewöhn lichen Aufgaben das kommende Jahr stellen wird. Denn auf das Tiefste ist auch di« Universität von dem allgemeinen Schicksal des Vaterlandes, von dem Kriege mit betroffen. Jedes Bangen, jede Sorge, jede Erwartung und Hoffnung, jeden Dank und Jubel erlebt sie als ihre eigenste Angelegenheit mit. Das war nicht immer so. Nicht immer hat ein so triegsbegables und doch so friedliebendes Volk, wie die Deutschen, eine solche Hingabe an den Krieg gezeigt wie heute: und nicht immer haben die Universitäten diesen scl>einbar so widerspruchsvollen und doch so geschlossenen Enthusiasmus begriffen. EsgabeineZeit, -sie liegt noch gar nicht so fern — da standen die Hochschulen abseits von beinahe jeglichem kriegerischen Interesse. Wir brauchen nicht einmal ganz zweihundert Jahre zu rückzugehen, bis in die erste Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts. Wenn damals oder in noch früheren Zeiten ein Krieg ausbrach, kam er über das Land unvorhergesehen und unbegreiflich, wie ein elemen tares Ereignis, wie Wasserflut oder Erdbeben. Und Verständnis- und wehrlos, fatalistisch, zur Willen losigkeit verdammt mutzte der deutsche Kleinbürger die Heimsuchung über sich ergehen lasten. Wie der Wille der Diplomaten und die Willkür der Sold truppen cs fügten, so geschahs. Denn mit Sold truppen. wie es die Heere der italienischen Con dottieri, die Fähnlein der Landsknechte, die Schweizerscharen in vieler Herren Diensten gewesen, wurde der Krieg geführt. . . . Bei solchem Stand der Dinge wundern wir uns nicht, datz auch der Professor und der Student nicht anders empfanden als der Pfahlbürger. Was man in altklassischer Epik und Lyrik von der Herrlichkeit und Grötze Les Krieges las, das war jenem Geschlecht nur Gegen st and der Deklamation, nicht lebendige Ueberzeugung. Der Krieg war damals für die Universitäten nur eine Störung des wissenschaftlichen Unterrichtes, ein Vernichter von Kulturwerten, im übrigen aber eine Sacks«, die vor der Vernunft nicht zu rechtfertigen war. über die man wehklagte und dir man sich nebst ihren Folgen möglichst vom Leibe zu halten strebt«. . . . Das Eesamtverhatten des Bürgertums änderte sich erst langsam, als einerseits die Art der Aushebung und Kriegführung sich wandelte, anderseits das Volk sich zu einer höheren Stufe geistig«! und sittlicher Kultur hinaufarbeitete. Und auch die inner« Anteil nahme der Universitäten am Kriege hielt in Deutsch land Schritt mit der Entwickelung der Heevesorgani- sation und mit der Zunahme einer freien Eeistos- un!d Charakterbildung. Die ersten Anzeichen dafür sind in den Kriegen Friedrichs des Grossen zu erkennen. Der geniale Monarch befehligte allerdings noch gewor bene Truppen: aber grotze Teile seines Heeres setzte er. nicht aus freiem Willen, sondern vornehmlich unter dem Zwange der Verhältnisse, doch schon aus Landeskindern zusammen, allerdings nicht gerade aus den Kreisen der höheren sozialen Stellung und Bil dung. Und so haben die Untertanen des grotzen Königs und haben auch die Universitäten des Landes die Kriege, die er führte, mit tieferem persönlichen Anteil und Verständnis begleitet, als es in früheren Zeiten der Fall gewesen war. Allgemein bekannt sind ja die tausend Beweise dafür, datz mit diesem von ungeheurer Uebermacht bedrängten Herrscher und Heerführer wirklich sein ganzes Volk bangte und datz seine Siege Herzensangelegenheit jedes seiner Landeskinder waren. Don dem Geist jener herrlichen grotzen Zeit klingt es noch vernehmlich genug aus Gleims Grenadierlredern und Lessrngs „M inna von Barnhelm" zu uns herüber. Und doch heftet sich ein Aber an diese Erkennt nis. Es waren doch immer nur die einzelnen Waffrntaten. die unvergesslichen Schlachtepisoden, die man bejubelt«: und der Enthusiasmus war an die Person des Königs, an seine glänzendsten Heerführer, an die Helden einzelner Kriegsanekdoten gebunden. Der Krieg als Ganzes aber, als Notwendigkeit war nicht populär, er war nicht aus dem Ge samtwunsche des Volkes hervorgsgangen. Die Kleinbürger von damals waren noch nicht reif, um das Ethos des Krieges mitzuerleben und dies Erlebnis als ein Glück, als eine Erhöhung des eige nen Wertes aufzufasten. Die Mehrzahl der gewor benen Soldaten sah den Felddienst als ein Handwerk an. wie Lessings prachtvoller Wachtmeister Werner, der, wenn der König von Preutzen keine Truppen mehr braucht, einfach in die Dienste des Prinzen Heraklius tritt. Die grotze Moste der Untertanen aber, auch der männlichen Jugend des Landes, war zum tatlosen Zuschauen verurteilt. . . . Wenn man misten will, wie sich die Edelsten der Nation, um mit dem Kriege sympathisieren zu können, das Heer der Zukunft dachten und wünschten, dann mutz man die Dichter unsres Volkes be fragen. Das mag beim ersten Anhören widersinnig erscheinen: denn leicht kann man cinwenden: was verstehen dir Poeten von der Heeresorganisation? Aber ganz so ungereimt ist es nicht. Ueber die realen Tatsachen und die einzelnen Massnahmen können sie 'reilich nicht sachkundja mitsprechen, aber für die zu Grunde liegenden Volksstimmungen, die tiefsten An lagen und die Hoffnung, die Sehnsucht der Nation haben dir Bedeutendsten unter ihnen — und nur sie kommen in Betracht — oft ein seherisches Gefühl. Freilich der Grösste unter ihnen bleibt uns die Antwort schuldig: Goethe, der durchaus unkriegerische Lyriker, versagt hier völlig. Er hatte durch die militärischen Eindrücke seiner Kindheit und durch die Leitung des Werbewesens in dem kleinen thüringischen Herzogtum Vorstellungen gewonnen, die auch durch die Campagne in Frankreich und durch die ganz neuen Voraussetzungen der napoleonischen Kriege nicht mehr geändert werden konnten. Dachte er an ein Heer. >o erschien vor seiner Vorstellung ein einzelner und sein Wille, und unter ihm eine blind gehorchende Menge. Den Befehlenden, also auch einen Napoleon, verstand Goethe seiner ganzen An lage nach, er, der selbst geboren war zum Organisie ren und Befehlen. Aber die Maste verstand er nicht: sich in sie einzuordnen, wär« ihm unmöglich gewesen, wie er später auch seinen Sohn nicht in sic einglie dern wollte. Auch in seinen Dichtungen, im „Götz", im „Egmont", in den Revolutionsdramen, im zweiten Teil des „Faust", hat er immer nur den Wagemut und die Kriegslust einzelner schildern können. Mit dem Krieg als Problem hat er sich zwar abzufinden oder auseinanderzusetzen gesucht: aber als notwendig empfunden oder gar mit leidenschaftlichem Verlangen begehrt hat er ihn nie. Da müssen wir uns schon an die Künstler wenden, die entweder selbst Soldatensöhne waren oder in deren Elternhaus kriegerische Gesinnung doch wenig stens als selbstverständlich galt: an Klopft ock. Schiller und Heinrich von Kleist. In Klopstocks, des frommen Mefsiassängers, Gedichten tönt es freilich meist von Hallelujah- gesängcn: aber an vielen Stellen bricht doch auch die waffcnfrohe Art seines Vaters durch. . . . Den modernen Krieg freilich, den eigennützigen Angriffs krieg zum Zweck des Ländergewinnes, den Krieg, der mit bezahlten Söldnertruppen geführt wird, den ver steht er nicht und verwirft ihn unbedingt. Aber datz er daneben einen berechtigten Waffenruhm, ein not wendiges Blutvergiessen anerkennt, beweist er durch seinen Bardiet „Hermanns Schlacht". sDer Redner führte dies des näheren aus.) Bei Schiller ist das Verlangen nach unmittel barer Einwirkung auf die Zeitgenosten und auf Söhne und Enkel schon deutlicher. Langsam rückt auch er in seiner Dichtung dem gleichen Ideal näher, das Klopstock verkörpert hat. In den Jugendwerken des schwäbischen Obristwachtmeisterssohnes spielt auf fälligerweise das Waffenwerk nur eine ganz geringe Rolle. Erst mit dem Wallensteindrama schreitet er in das Getümmel hinaus. Und von da ab zieht nicht nur die Darstellung, sondern auch das Problem des Krieges ihn immer wieder an. . . . Stärker ist seine innere Beteiligung schon in der Tragödie von dem Mädchen von Orleans zu spüren. Aber erst im „Teil" ist er ganz mit dem Herzen bei der Sache. Denn hier galt es nicht zu schildern, wie ein Monarch oder Feldherr für seine Zwecke bewaffnete Menschen auf bringt, wie persönlicher Mut zum Kaufobjekt wird, sondern wie höchste Landesnot mit einem Schlage ein friedliches Volk in ein Heer verwandelt. Noch ist es nicht das ganze Volk: die Landleute handeln zunächst ohne Mitwisserschaft des Adels. Aber man sieht für eine nahe Zukunft schon einen Zusammenschluss der Edelleute und der Bauernschaft zu wechselseitigem Schutz voraus. Und ein hohes Derantwortlichkeits gefühl wohnt in diesem Dolksheer, wie es Schiller darstellt. lÄuch dies erörtert der Redner eingehend.) Und auch Heinrichvon Kleist scheint sich mit seiner Auffassung von einem künftigen Dolksheer und einem Volkskrieg der Zukunft Schulter an Schulter neben die beiden älteren Dichter zu stellen. Es scheint so: denn völlig klar spricht er sich nicht aus. Die beiden wundervollen vaterländischen Kricgsdramen, die er uns geschenkt hat, so wesensverschieden sie auch sind: in dem Einen erscheinen si« doch gleich, Latz sic beide die Maste der Solldatenscharen unfern Blicken verbergen und uns nur die Beratungen und Schick sale der Heerführer vor Augen stellen. Aber auch ohne ausdrückliche Schilderung fühlt man es doch heraus, Latz der Dichter in jedem Falle hinter den Befehlshabern eine ganz eigenartige Armee deutlich geschaut hat. . . . Auch Kleist über, so ungebändigt auch der Hatz gegen den Feind und die Vernichtungs lust durch seine Dichtung braust, lässt den Krieg nur als ultima, ratto gelten. Die Barden singen bei ihm, di« „sützen Alten", jenen unendlich milden Gesang, dessen Klänge des Hörers Ohr nie wieder verlassen wollen: Wir litten menschlich fett dem Tage. Da jener Fremdling eingerllckt: Wir rächten nicht die erste Plage, Mit Hohn auf uns herabgeschickt; Wir übten, nach der Götter Lehre, Uns durch viel Jahre im Verzeih'n: Doch endlich drückt des Joches Schwere, Und abgeschüttelt will es sein! So sind diese drei Dichter, die ihrerseits wieder als Wortführer für hundert andere gelten dürfen, in ihrer Gesinnung wie in dem ehernen Klang ihrer Stimme einander nah verwandt und fast identisch.. Weder Klopstock, noch Schiller, noch Kleist haben die Erfüllung ihrer Sehnsucht erlebt. Aber, als drr jüngste unter ihnen 1811 die Augen schlotz, stand sie nahe bevor. 1813 hat Deutschland die Träume seiner Dichter verwirklicht. Das ganze zersplitterte und zer klüftete Volk fand sich einmütig, leidenschaftlich be wegt in jenem Geiste zusammen, der als die Voraus setzung eines gerechten Krieges gelten mutzte. Und wie mit innerer Notwendigkeit wurde um dieselbe Zeit auch die deutscheste Heeresorganisa- tion, die allgemeine Wehrpflicht, vor bereitet durch den Mann, der Vertreter Les Adels zu Mitarbeitern hatte, selbst aber ein Mann aus dmr Volke war, ein Taktiker und Gelehrter zugleich: Gerhard Scharnhorst. . . . Auch in seiner moralischen Haltung recht fertigte das deutsche Volk damals alle Erwartungen, die seine LHrer und Erzieher, seine Dichter und Denker gehegt hatten. Der Krieg von 1813 und 15 hat wohl seit althellenischen Zeilen zum ersten Male wieder eine Wahrheit offenbart, die unbeachtet natürlich immer wirksam gewesen war. die aber nun jählinas in die volle BewutztseinShelle trat: datz nämlich im Kriege die Ensrgi« nicht nur durch die grössere Truppenzahl und di« höhere Feldherrnkunst wächst, sondern vorzüglich auch durch die sittliche Kraft, von der das kämpfende Volk befeuert wird. Für j«ne grotze nationale Bewegung von 1813 wurde zum erstenmal das seitdem viel zu oft aus gesprochene, vor allem aber auch von andern Völkern entwertete Wort von dem heiligen Kriege all gemein gebraucht. Aber jene Zeit durfte dieses Wort „heilig" aussprechen, denn sie war beherrscht von einem Gefühl, das dem religiösen aufs tiefstc ver wandt ist. Wie der wahrhaft fromme Mensch seinen Eigenwillen demütig eins werden lässt mit dem Welt willen. so ging auch in der grotzen Volkserhebung von 1813 der Sonderwill« jedes Patrioten restlos aus in dem allaemeinen Dolkswillen. Wo sich aber das jemals wiederholt, wo all« Volksgenossen sich je und j« zu solcher hohen sittlichen Gemeinschaft zufamm«n- schlietzen und für den heimatlichen Boden, für Haus, und Hof, für Weib und Kind und für des Lebens höchste Güter reinen Sinnes, ohne Eigensucht, nur in bitterer Notwehr streiten da liegt ein« Weihs
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