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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 03.11.1914
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1914-11-03
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19141103015
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1914110301
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1914110301
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1914
-
Monat
1914-11
- Tag 1914-11-03
-
Monat
1914-11
-
Jahr
1914
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wird nur aus einer einzigen Sitzung be stehen, in d:r die finanziellen Forderungen der Re gierung erledigt werden sollen. Eia Armeebefehl -es König» von Württemberg. Stuttgart, 2. November. Im württembergischen Militäroerordnungsblatt wird folgende königliche Order veröffentlicht . An meine Truppen! Offiziere und Mannschaften! Ihr habt das Vertrauen und die Erwartungen, die ich und mit mir das württembergische Doll in Euch gesetzt haben, im bisherigen Erlaufe des Krie- ges glänzend gerechtfertigt. Durch Aus- dauer sondergleichen und unerschütterliche Tapfer keit seid ihr allen, auch den schwersten Auf gaben in vollstem Mage gerecht gewor den. Mit euch gedenke ich bewegten Herzens und auch mit Stolz der im Kampfe für unsere gerechte Sache heldenmütig gefallenen Kameraden. Ihnen und euch allen, Offiziere und Mannschaften, ge bührt die höchste Anerkennung, der ich auch äußern Ausdruck geben will, indem ich zunächst den Tapfer sten der Tapferen Auszeichnungen verleihe. Stuttgart, den 1. November 191 l. Wilhelm. das Elen- in Serbien. Aus Ni sch wird über Sofia berichtet: Koni« Peter ist schwer erkrankt. Angeblich hat er ein G e h i r n l e i d en. Sein Zustand ist kritisch. Ministerpräsident Pa fit sch ist so unpopulär ge worden, das, er sich kaum auf der Straße zu zeigen wagt. Das im Verkehr befindliche Geld ist russischen Ursprungs. Ueber Verluste wird niemals etwas bekanntgegeben. Auch l?aben die Serben noch keinen Bericht davon, das, Belgien von den Deutschen erobert worden ist. Aus wärtige. selbst russische Blätter dürfen nicht in bas Land hinein. NuMche Plumpheit. Berlin. 2. November. lE ig. Draht meld.) Ein Telegraphist der Berliner Feuerwehr, der auf dem östlichen Kriegsschauplätze steht, hat in einem Brief an seine Berliner Kameraden ein russisches Flugblatt geschickt, das offenbar von einem Flugzeug heradgeworfcn worden war. In diesem Flugblatt werden die deutschen Offiziere und Sol daten ausgesordert, klug zu sein und bei Nacht den Russen sich zu ergeben. Auf diese Weise würden sie glücklich und gesund den Kri'g überleben. Oesterreich sei vollständig zer stört. und Ungarn trenne sich von Oester reich und schließe Frieden. Engländer und Franzosen schlügen uns fortgesetzt. „Was wartet ihr? Wollt ihr wartrn, bis euer Vaterland ganz zerstört sein wird?" Wie -ie Zranzofen im eigenen Lan-e plünüern. Berlin, 2. November. Da'iir, das, die Fran- zofen im eigenen Lande p l ü n d e r n, ist unseren Truppen ein weiteres unwiderlegliches Zeug nis in die Hände gefallen. Am 11. Oktober wurde von einer Patrouille in Mogeville nordöstlich von Verdun ein gestempeltes Dien st schreiben des dortigen Bürgermeisters an den Untrrprä fetten gesunden, in dem genau die Truppenteile bezeichnet werden, die sich der Plünde rung an ihren Landsleuten schuldig gemacht haben. Das interessante Schriftstück lautet in deutscher Ueber- sctzung: „M ogeville, 29. August 1911. Geehrter Herr Unterpräfekt! Hestern befürchtete fast die ganze Bevölkerung eine Beschießung von den Deutschen und ist ge flohen, während tagsüber die französischen 59er Jäger zu Fuß sowie das 211. und 229. Regiment die Umgegend besetzten. Da seitens der Franzosen vor Ankunft der 220er unglaubliche Sachen vorgekommen sind, was der Kommandeur dieses letzten Regiments und Herr Dan'.rcmepuits, Leut nant der R. V. P. des Vieyoepots des VI. Korps bestätigen wollen — sie waren Augenzeugen jener unwürdigen Vorkommnisse —, so protestiere ich aufs energischste gegen die begangene Plünderung und Mißbräuche jeder Art. Heute will ich nur erwähnen, daß die Fahne zerfetzt und in eine Ecke geworfen wurde und daß der Pasten bedroht, daß die K e l l e r d u r ch w ü h l t, daß den Hühnern und Kaninchen der Hals umgedreht und sie sogar in die Gärten geworfen wurden, und daß Diebstähle und Verwüstungen an der Tagesordnung sind. Ich warte, bis die ganze Bevölkerung zuriickkchrt, um die Höhe der Schäden fcstzusetzen. Mitteilen möchte ich noch, daß der Bei geordnete. der Bürgermeisterei-Sekretär und ich gegen 7 Uhr abends zurückgekommen sind und daß alle diese Diebstähle und nichtswürdigen Vorkomm nisse bereits geschehen waren. Ich verlange daher, daß hierüber sobald als möglich eine Unter suchung angestellt wird. Die Bevölkerung ist darüber aufgeregt. Der Bürgermeister (gez.s Hurst." Eiserne Kreuze. Da» Eiserne Kreuz wurde ferner verliehen: Dem Stabsarzt Dr. Ernst Hoffmann aus Erfurt, dem Generalleutnant Fleck. Kommandeur der XIV. In fanteriedivision, Schwiegersohn des früheren Direktors der Bank für Handel und Industrie Richard Michelet sl. und 2. Klasse), dem Landwehrmann im In fanterieregiment 3<i Paul Weidling aus Weißen fels, dem Soldat Oswald Fischer aus Helfta, dem Vizefeldwcbel der Reserve im Rescrve-In santericregiment 39 Georg Pudor aus Halle, dem Gefreiten im Infanterieregiment 132 Otto Zacharias aus Wolferode, ferner folgenden Be amten der Bank für Handel und Industrie: Leutnant d. R. Alfred Ackermann. Vizewachtmeistrr Waller Best, Oberleutnant d. R. Ernst Blasius. Osfi- zierstellvertreter Gustav H. Buchholz. Leut nant d. R Karl Dienemann, dem Gefreiten d. L. Richard Doehler. Leutnant d. R. Dr. Georg Düring. Leutnant d. R Mar Kronnenberg, Leutnant d. R Siegfried Hasse, Offrzierstellvrr- treter Friedrich Hoz. Leutnant d R. Curt Juliusburger, Lizeseldwebel d. R. Erich Kalid e, Utffz. d. R. Hubert Leuker s. Ltnt. d. R. Malter Meisl. Ltnt. d. R. Earl Menken«, Leutnant d. R. Fritz M e ff e r fch in i d t. Offizirr- stelloertreter Fritz Mülle r, Unteroffizier R. Will, Müller. Leutnant d. ,R. Rob F. A. Müller. Leutnant d. R Adolf Ritsche, Leut nant d. R O. ERauten st rauch. Leutnant d. R. Hermann Reichert. Unteroffizier d. R. Herbert M«i»»»th, Leutuant h. R. S«»,ha«. vizewachtmeifier d. R Kurt Sigismund, Leut nant d. R. Carl Schommer. Oberleutnant d. R. Ferd. Schumann, Btzefeldwebel d. R. Alex Thi wissen. Unteroffizier d R. Fritz Tolks- dorf, Dizefeldwebel d. R. Waller Traute. Offi- rlerstellvertreter Julius D a h l d i e ct. Leutnant d. R. Bruno Wappenhans. Zürs valerlan- gefallen. Wie aus den Familiennachrichten der vorliegen den Ausgabe unseres Blattes ersichtlich ist, starben den Heldentod fürs Vaterland: der Leutnant im In fanterie-Regiment 179 Dr. Walter Meyer, Ritter des Eisernen Kreuzes, Oberlehrer am Schiller gymnasium; der Kommandeur im Schützen-Regiment Nr. 108 Oberstleutnant TheoWagner, Ritter des Eisernen Kreuzes: der Kriegsfreiwillige in einem Reserve Regiment Erich Wilcke; der Leutnant der Reserve im Infanterie-Regiment 106 Stadtbau- direktor Karl Trunlel aus Zittau. Der U. S. V. zu St. Pauli teilt mit, daß sein inaktiver Bursche Leutnant der Reserve im Infanterie-Regiment 107 Werner Pozzi, Inhaber des Eisernen Kreuzes, sein Leben fürs Vaterland opferte. Die Direktion der Bank für Handel und Industrie zeigt den Hel dentod folgender Beamter an: Leutnant der Reserve Fritz Abel. Berlin, Wehrmann Emil Beier, Leipzig, Unteroffizier der Reserve Max Brand, Berlin, der Ucrteroffizier der Land wehr Otto Czabainsky, Glatz, der Unteroffi zier der Reserve Leonhard Dimmlcr. Berlin, der Leutnant der Reserve Bernhard Eedat, Berlin, d:r Leutnant der Reserve Leo Gier ich, Breslau, der Vizcfeldwebcl und Lffizierstellvertrcter Ludwig Hoechst etter, Wiesbaden, der Vize- seldwebel der Reserve Emil Knipp er, Berlin, der Leutnant der Reserve Kurt von König, Berkin-Zehlendorf, der Musketier Josef Ko walski, Berlin, der Wehrmann Adam Kull- mann. Offenbach, der Unteroffizier der Reserve August Kraus, Mannheim, der Leutnant der Landwehr Kavallerie Dr. Kuno Theodosius von Lcvctzow. Krcuzburg. der Oberleutnant der Reserve Max Meyer. Berlin-Zehlendorf, der Wehrmann Albert Röple. Berlin, der Leut nant der Reserve Georg Albert v. Schimpfs. Berlin, der Hauptmann der Landwehr Friedrich von Simson, Breslau, der Dizeseldwebel der Reserve Wilhelm Verclas, Hannover, der Einj.-Freiw.-Unteroffizier Martin Voigt, Berlin. Der Oberleutnant der Landwehr im In fanterie-Regiment 101 iInhaber des Eisernen Kreuzes) Karl Frenkel. Mitinhaber der Lack fabrik Hermann Frenkel in Mölkau, starb den Heldentod fürs Vaterland. Ehre ihrem Andenken! Weitere Mel-ungen. * Amtlich wird bekanntgemacht: Dem Ver nehmen nach versuchen Händler Lastkraftwagen ausländischen Ursprungs zu verhältnismäßig hohen Preisen in Deutschland zu verkamen. Es wird da rauf hingewiesen, daß alle derartigen Wagen auf Grund des K r i e g s l e i st u n g s g e s e tz e s ausge- hoden und für Heereszwecke nutzbar gemacht werden können Der Abschätzung wird keinesfalls der gezahlte Preis, sondern lediglich der reine Zeitwert zugrunde gelegt. Senator von Bcrcnberg-Goßler in Hamburg hat sich freiwillig zum Kriegs dienst gemeldet und wird nach dem Westen ab reisen. um als Adjutant bei einer an der Front stelzenden Rcscrv: Division ein,zutreten. Senator v. Bcrcnbcrg-Goßler war früher Rittmeister der Reserve, legte aber seine militärische Charge nicd.'r, und zwar aus prinzipiellen Gründen aus Wunsch des Senates. Den Tod zur das Vaterland erlitt dieGräfi n Maria von Bissingen und Nippen b u r g, di« Tochter des Grafen Ferdinand von Bissingen und 'Nippenburg. Sie war als Rote Kreuz- Schwester rm Felde in der Verwnndctenpflrge tätig, zog sich dabei eine Infektion zu und starb am Wundlieber im AllerheiligcnNoster in Straßburg im 16. Lebensjahre. * Zum Adjutanten des Gouverneurs von West flandern ist der konzervativc Reichs und Landtagsa.igeordnete Major Nogal la non Biederste in ernannt worden. Ostpreußens Verteidigung. Aus dem Hauptquartier im Osten, 27. Oktober (Z.) Dieser Tage weilte eine Dome bei uns, die höchst erstaunt darüber war, wie anders dir Dinge hier ausjchen, als man :s sich in Berlin im allge meinen denkt. Dort, meinte sie, habe man die dunkle Vorstellung, daß Ostpreußen von den Russen überfallen und verwüstet wurde; danach habe Hin denburg sie hinausgejagt, und die Aufgabe sei eigentlich hier oben erledigt. In Wirklichkeit aber werde Tag für Tag erbittert gekämpft, auf einer Schlachtlinic und mit Truppenmassen, die alle Kriege Friedrichs des Großen übertreffen — hier in Ostpreußen, von dem man in Berlin kaum noch etwas hören will, weil Hindenburg doch schon Ord nung geschaffen hab: usw. Wie gerne möchte ich dem Leser diesen beruhigen den Gedanken bestätigen, ihm schreiben, die Posten stelzen mit der Flinte im Arm an der Grenze, und wir andern ziehen den Pelz über di? Ohren, um den Winterschlaf zu beginnen. Aber solche Beruhigungs taktik wäre unrecht und feige. Ruhebedürfnis und Friedenssehnsucht sind nicht am Platze, wenn die Kugeln pfeifen und das Volk einen Kämpf um S.'in oder Nichtsein führt. Dieser Kampf kann nicht ab gebrochen oder aufgcschoben werden; nichts als das Schwert kann ihn entscheiden. Kein anderer Wunsch darf noch in unserer Seele laut w.rdcn, als der eiserne Wille zu siegen — wäre es auch Monate "der Jahre, koste es Tausende oder Hundcrttausende von Menschenleben. Zu viel der Knechtschaft haben wir schon erduldet, zu oft sind uns.-re Aecker von fremden Hufen zerstampft, unsere Wohnstätten ver brannt. die Werke unserer Hände verwüstet worden. Nichts mehr davon, ihr Freunde! Wir wollen deutsch bleiben oder nicht mehr sein. Wir haft:n dem Erdball dafür, daß das wärmende Feuer deut schen Wesens nicht auslösche, jeder von uns mit seinem Leben. Dauerhaft und gründlich wollen wir dies Kapitel unseres Volksgesch ck:s aufzcichncn. wie cs uns der Himmel Wort für Wort in den blutigen Griffel diktiert. Denn nicht wrr sind es, die es in Uebermut und Willkür begannen. Ein frischer Herbsttag lag gestern über den w:i- tcn Bodenwellen, über See und Wald und dem kleinen russischen Städtchen Bakalarzewo. Don den Bäumen wehte goldenes Laub über das weiße Marienbild vor der kleinen Kirche. Durch die hohrn Fenster schien die Sonne in» Innere auf die gelben Strohlager, wo unser« Verwundeten vom Tage vor her lagen. Ab und zu holten die Krankenträger einen zum Operationsraum hinaus. Es waren nur w.nigc Russen rechts hinter den Bänken. Im Mittel gang? und vor dem Altar lagen die Deutschen. Sie froren in de« u»heizbaren Rau« und «artete» auf ihr Frühstück, das unten am Kirchberg t» der Feld küche bereitet wurde. Wieder hörte man keine Klage, kein Murre» von irgendeinem. Es hat für mich immer etwa» merkwürdig Anziehendes und Rührend:», diese jun gen Gesichter so ernst, geduldig und wortlo» zu sehen, als erschiene ihnen das Leben in einem neuen Lichte und sie müßten schwer darüber nachdenken. Wi: aus einer anderen Welt hallt der Kanonen donner heute zu ihnen herüber, drr gestern noch ihr Arbeitslied war und es vielleicht bald wieder sein wird. Sehr heftig war der Artilleriekampf wieder, als wir von Bakalarzewo zu Fuß nach den Höhen hinter Malinowka gingen. Hier halt: tags zuvor die Schlacht getobt. Der Boden war überall von Gra naten aufgcrissen, Sprengstücke und Schrapnell, kugeln lagen stellenweise wie gesät. In der Wiese sah man di« scharfen Risse der Flintenkugcln. Nie dergebrannte Höfe, die Schützengräben, in denen sich Hunderte von Russen gefangengaben, als sie sahen, wie ihre fliehenden Kameraden auf der deckungs losen Fläche dem Tod in die Arme liefen. Sie liegen noch überall verstreut, die meisten auf dem Rücken, wohl von den Krankenträgern herumgelegt, ob sic auch wirklich tot seien. Dor verschiedenen An- höhen sieht man unsere Geschütze eingegraben und unterscheidet bereits deutlich die Geräusche des Ab- seucrns der Feldgeschütze von dem der schweren Ar tillerie und beides von dem Einschlagen der feind lichen Era,raten und dem Platzen der Schrapnells. Während bei unseren Geschossen das langgezogene Heul.'n und Sausen dem Knall folgt, g«ht es dem Einschlagen der feindlichen voraus. Das Geräusch des Abschießens ist voll und laut hinballend, wäh rend dos Platzen hart und abgebrochen, wie ein starker Faustschlag auf die Tischplatte klingt. Dem Platzen der Schrapnells dagegen folgt stets das vielstimmige metallene Pfeifen der h.'rabsausenden Kugeln. Dazwischen klingt das Geknatter unserer Infanterie und russische Infanteriesalven, welche im Grund« unzweckmäßige Art des Feuerns den rus sischen Infanteristen an der unsinnigen Munitions verschwendung hindern soll, die er so liebt. Dann ertönt plötzlich das monotone tak-tak-tak-tak eines Maschinengewehres und das Singen einer Flinten kugel. Kein weithallendes Kommando, kein Hornsignal, gar keine Iugenderinnerung an die eigene Sol- datcnzeit. Der moderne Krieg ist etwas ganz an deres geworden. Und diesmal war das Schlacht feld ganz leer. Kein Eingeborener oder sonstiger Zivilist war zu bemerken. Man hat wohl endlich genug von der fortwährenden Verräterci. In den Wegebesserungen in Bakalarzewo waren Deutsche über die Grenze gekommen und gingen abends wie- der Uber di: Grenze zurück. Wir konnten hier nicht weiter vor und begaben uns auf den Rückweg, um weiter südlich nach Kamionka zu gelangen. Uebrr dem Horizont schwebte der gelblich-weiße Fesselballon, von dem aus durch ein scharfes Fern rohr Ausschau gehalten und Meldungen dem Eene- ralstab übermittelt werden. Er taucht ab und zu herunter und kommt wieder nach oben. Der Auf enthalt darin soll ganz schauderhaft sein; das Zer ren und Schlingern des gefesselten Lustriesen er zeugt Seekrankheit im höchsten Grade. Wir kamen wieder bei den gefallenen Russen vorüber, die mit halbgeöffneten Augen in den Himmel blicken. Hinter einem Eranitfindling, nicht weit von dem gedeckten Schützengraben lag einer auf der Seite, den Kops auf dem gelallten Mantel. Die Stiefel waren ihm, wie den meisten toten Russen, ausgezo^en; ein Fuß war verbunden, der andere barfuß. Ich trete auf die andere Seite, um sein Gesicht zu sehen. Er hatte einen Kopfschuß; das Gesicht war voll Blut. Als ich von ihm aufschaue noch dem rotdlättrigcn Kirsch baum neben einer Hausruine, habe ic^den seltsamen Eindruck, als bewege sich der Tote. Ich schaue noch einmal hin. Er bewegt sich wirklich; ganz ruhig und regelmäßig geht sein Atem. Seltsames Gefühl, das Leben in einem Totgeglaubten zu gewahren. Es ist, als verwandle sich ein ganz, ganz Fremder plötzlich in einen guten Bekannten. Du hier? Freund, ich glaubte, du seiest schon drüben, weit weit im sicheren Hajen: und noch kämpft dein Schifflein hier, auf dein „gedrängten Meer unzähliger Grüberwogen"? Seit dreißig stunden auf diesem Fleck, die eisig kalte Nacht hindurch und einen Tag fast? Noch «ine Nacht viel leicht, und du hast ausgelitten. Tu ich dir einen Ge fallen, da ich den Krankenträger Hinterm Weg an rufe? Ich weiß es nicht. Es ist so Sitte unter Men schen, daß einer den andern stützt und hält, daß er hier bleibt so lange als möglich. Ob Freund, ob Feind nach des Schicksals Geheiß — am Grenzpfahl des Lebens sind wir Brüder, sofern wir Menschen sind. Der Himmel sei mit dir! In Kamionka stand eine Frau, in ein Umschlag tuch gehüllt, vor einer Brandstätte und warf uns einen bösen Blick zu. Vielleicht hielt sie uns für die Urheber ihres Unglücks, oder doch mit dafür verant wortlich. Hinter einer Biegung lagen zwei deutsche Infanteristen tot an der Böschung. Links auf einer Feldkuppe tote Russen in den Schützengräben, ebenso rechts des Weges um ein verbranntes Gehöft herum, von dem aus sich eine steile Böschung tick zur Wies? hinab'enkte. Hinter der Wiese Wald, darin ein See eingebettet, dessen Buchten hinter den Kronen überall ocr'chwindcn. Hier oben standen gestern die Russen in den ausgebuddelten Sandlöchern, wo sie in auf rechter Stellung gerade das Gewehr auflegcn konnten. Rechts aus der Schonung mußten die Unfern ange rückt sein; man sieht cs an den Rinnen, die der anf- gelegte Gewehrlauf im Sande zurückgelassen. Einer mußte sorgfältig gezielt Haden; sein Gewehr hatte ein Dutzend verschiedene Auflagen zurückgelassen. Dann aber muß sie unsere Artillerie entdeckt und mit einem mörderischen Feuer überschüttet haben; denn sie liegen alle noch in ihren Löchern. Vornüber zusammengesunken, hintenüber geworfen, an dem ver brannten Gebäude entlang verkohlt oder zu Stummeln verbrannt. Auf dem See schwammen zwei Bote, von Soldaten gerudert, mit Munition oder Verwundeten. Auf einer Lichtung ging Infanterie unter feindlichem Schrapnellfeucr vor. Ein Bataillon marschierte die Dorfstraße entlang und ging ein Stück weiter in einer Bucht der steilen Wiescnbö chunq in Deckung. Eine Schwadron Reiter schlängelte sich in einem Gelände einschnitt nach dem Walde zu, hinter dem die Sonne untergtng. Und immer noch krachten die Geschütze von hüben und drüben. Auf dem Rückweg sahen wir den Generalstab auf einem steil ausragenden Hügel unter einigen Kiefern stehen. Der Kopf der kämpfenden Tauiend« dort unten wachte und dachte nach. Sein Wille schiebt Mann und Roß und Wagen vor, Schritt für Schritt; denn es ist ein hartes Kämpfen im Walde. Aber der Kampf ist nun auch hier in Feindesland getragen. Dor der Grenze durchfuhren wir noch ein« unter irdische kleine Stadt, von unseren Soldaten hier angelegt. Es ist so oft und viel davon geredet «vordem daß die Russen Meister in den Erdarbeiten sind Das muß den deutschen Soldaten gegen den Strich gegangen sein. Was die Russen können, kön nen wir auch' Nein, wir können es bester. Wahr haftig, wer dieses unterirdisch« Städtchen gesehen hat. di« sauber geglätteten Dächer, die gu' chließenden Ha»»tiiren. ja die sptegettde» Fensterscheibe» »ach der Straß« zu; die Straße selbst sauber gerecht- kein Strohhalm darauf, und da» mit den russischen Ünber- schluvfen vergleicht, der hat «in deutliches Bild der grundverschiedenen Dolkrcharaktere vor Augen. Di« russischen Unterbauten verfallen und verfaulen schon jetzt in unserem Lande. In diesen deutschen aber können di« Bewohner eines oder zweier russischer Dör fer überwintern. Wenn sie e» tun, mögen sie daran denken, wie viel deutsche Häuser ihre Soldaten ohne kriegerische Not verwüstet und verorannt haben, und daß nichts dergleichen von deutschen Soldaten in ihrem Lande geschieht. Rudolf von Koschützti, Kriegsber ichterstatter. Srügeler Abende. Die Straße. — Palace-Hotel. — Guillaume le Mignon. Von unserem belgischen Sonderberichterstatter Walther Nissen. Die Straße. (X.) Leben ist stärker als alles! — Das waren zuerst dumpie Wochen hier. Niemand wollte sich diese unerhörten deutschen Soldaten ansehn, di« in ihren umähligen Autos mit dem Kaiiersignal Ta—tü-ta—taä! durch die Stadt flogen, breit und freundlich in den Caf s und Wirt,chaiten saßen, oder, das Gewehr über der Schulter, zu dreien oder vieren überall mit sichtlichem Behagen spazieren gingen. „Das wird ein paar Tage dauern, dann sind sie weg. Diese Episode überspringt man am besten. Neue Uniformen? Nicjengeschiitze? Eiserne Kreuze? Wir sehen nichts! Wir gehen schnell und ge>chlftlg lwie- wohi wir weder Eile noch Geschäfte haben) und denlen - nein, wir denken nicht, wir phantasieren, delirieren, spinnen närriiche Fiebergerüchte aus, die überall m der Luft fliegen. Stumm, unbeweglich, fast leblos stehen wir vor den Straßenanschlagen der deutschen Regierung, lesen die Wölfischen Depeschen und glauben kein Steibcnswort — Kanonendonner? Ah! Jetzt bricht das englt che -Strafgericht von Ant werpen her los! — Antwerpen ist gefallen? Wir zucken die Achseln. Abwarten! —" Abwarten—! Das ist auch heute noch das Wort, in das sich alle Hoffnungen drängen, und mit dem sich täglich seltsame Vorstellungen verknüpfen. Aber die Starrheit der Maske fängt jetzt an zu schwinden. Leben ist stärker als alles. Die Sinne melden sich' die Augen sehen, die Ohren hören. Ilnmertlich iü. sich die Straße, unauffällig zieht ein Ladenbesitzer nach dem andern die eisernen Jalousien in die Höhe, ein Restaurant, ein Kino nach dem andern öffnet die Türen. Und wenn es gegen den Abend geht —. Ja, das ist sonderbar. Wenn es gegen den Abend geht, scheinen mit den verschwindenden Schatten auch die harten Konturen der feindlichen Gegensätze zu zerfließen. Das Eejühl „Herr, bleibe der mir, denn es will Abend werden" scheint Freund und Feind zu ergreifen. Eine große menschliche Bangigkeit zeugt die Sehnsucht nach Licht und Freude. Unabsehbare Menschenmassen ziehen über den Boulevard du Nord und Place Broucöre. Die geknebelte Erotzstadtseele zuckt unter den elektrischen Bogenlampen. Warme verbreitet sich. Alan begegnet sich, erkennt sich wieder, nickt sich zu; plötzlich punkt 9 belgische Zeit, liegt die Straße im Dunkel, die Rolläden aller Geschäfte, aller Kaffees und Restaurants rasseln vorschriftsmäßig nieder, über der langen schwarzen Straße stehen ein paar matte kalte Sterne. Nach Hause. Und jeder wieder allein mit seinen Gedanken —. Palace-Hotel. Mitten unter einem Heerlager feldgrauer Offiziere bcfinoen sich im Lichtsaal des Palace-Hotels auch ein paar Zivilisten. Es ist keiner unter ihnen, der sich nicht vorübergehend deklassiert vorkommt; die freiesten Geister sehnen sich, in dieser Umgebung, in dieser Stunde, nach einer Uniform. Der Korrespondent einer großen deutschen Zeitung schlief auch in der Tat so lange nicht, bis er sich ein jeldgraues Phantasie kostüm ausgedacht hatte, durch das er sich in einem losen Zusammenhang mir der Armee fühlen durste. Allerdings täuschte er damit niemanden als die Kondukteure der Brüsseler Elektrischen, die ihn, als deutschen Soldaten, frei fahren ließen. Schon da durch wurden ihm jedoch Minuten vollkommenen Gleichs. Eine große Rückgratsstärlung aber erlebten alle Zivilisten, als gestern ein Herr im schwarzen Rock auftauchle, das Eiserne Krein von 1914 on der Brust. Mehrere fingen an zu grübeln. Das Paiace- Hoiel ist das einzige Lokal in Brüssel, in welchem der 9-Uhr-Lchluß nicht oder nur scheinbar gehakten wird. Um 9 verlöschen nur die Lichter in dem an der Straße gelegenen Teile, weiter hinten kann man bis 1 oder 2 nachts sitzen, wenn man Lust hat. Und so leicht erhebt sich keiner, der einmal drin ist. Es gab hier ichon grojze Abenoe, an denen Siegesvotschaften zuerst belannt wurden, Abende, an denen von tollen Nekognoszierungsjahrlen und anderen Dingen erzählt wurde, die man später im Generalstabswerk über üen Krieg wiederfinden wird. Es gab auch Abende, an denen am Tisch gegenüber der General v. Veieler mit seinem Stab jag, am Ti ch nebenan der Reichs kanzler v. Vethmann Holl weg mit seinen Begleitern, und nicht weit davon Exzellenz Del brück, der Staatssekretär Wahnschafje und der Berliner Mintsterialvireltor Lewald, oder noch gestern der König v o n 2 a ch > e n sehr angeregt und aufgeräumt mit den Exzellenzen von der G o l tz und v. Sandt. Alle in feldgrauer Uniform. Guillaume le Mignon. Manchmal aber sitzen wir abends bei Guillaume le Mignon in der Nütze der Post. Guillaumes Ga> , zimmer enthält nur sechs oder sieben unendlich schmale Tischchen, die unter den Ellbogen deutscher Soldaten förmlich zu schlottern scheinen. Bei Guil laume verkehren nur gemeine -Soldaten und Unter- I offiziere. Selten, daß sich ein Feldwebel hierher venrrr. Der Fremde aber, der ahnungslos herein- tritt. wird sehr bald über das gesittete Benehmen und die merkwürdig geoildete Sprache dieser Lands knechte staunen, dis er bei näherer Bekanntschaft er fährt. daß der Musketier L Privatleben Mathe« matikprofessor an einer jüdöeuticheii Universität ist. der Füsilier P ein junger Geheimrat, der durch seine chemischen Forschungen einen Namen hat, und der Gefreite Z im Privatleben Mitglied der Äkgdemie der Künste. Diese Armen haben'? am schlechtesten. Ihre Kollegen, die anderen Musketiere, kommen über eine gewisse Befangenheit im Vcriehr mit ihnen nicht hinweg. So hat man sich bei Herrn Guillaume zusammen gefunden und erzählt sich Geschichten aus Schützen gräben und merkwürdigen Nachtlagern. Geistige Bedürfnisse? Ach, es gibt kein höheres geistiges Bedürfnis bei allen, die setzt mittun können, als die Größe der Stunde zu erfassen, sich das innere Ziel nicht verrücken zu lassen, in schweren, langen Tagen nicht unter vorüberziehenden Wolken den Glauben an die Sonne zu verlieren Geistige Kraft hat heute keine Aufgabe, die edler sein kann als: den Körper frisch und tüchtig zu erhalten, die Stimmung froh. Der kleine rabensthwarze Wirt macht sich kein Kopfzerbrechen Er ist glücklich, daß sein Lokal immer voll ist und spricht fortwährend in Ausdrücken plllhender Verehrung von der Kochkunst seiner Frau. Kurz vor Toresschluß tritt Madame, eine blond« lächelnde Westfalin, aus der Küche und nimmt ihren Ehrenfitz <u» Büfett «in. R»n steht Guiü«u»« I»
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