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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 13.10.1914
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1914-10-13
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19141013022
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1914101302
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1914101302
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1914
-
Monat
1914-10
- Tag 1914-10-13
-
Monat
1914-10
-
Jahr
1914
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haus. Ahr Kommandant begab sich zum Bürger» meister «nd zu den Schössen »nd befahl, das, a,f dem Rathaus die dratsche Ala-ge gehißt werde. Hierauf begab sich die kleine Abteilung, ge führt von den Schöffen, nach dem Post» und Lele- graphenamt, wo einige Befehle erteilt warben. Längs der holländischen Grenze bei Selzaete sind die Deutschen im Anmarsch. Eine österreichische Hrückwunschüepesche an -en Deutschen Kaiser. Wien, 1Z. Oktober. Der Oefterreichische Gewerbebund hat nach der Einnahme von Antwerpen eine Glüäwunschdepesche an Kaiser Wilhelm gesandt, die mit den Worten schloß: „Deutschlands Gröhe ist Oesterreichs Gröhe." Darauf lief an Kemeinderat Stein als Vorsitzende« des Bundes folgendes Antworttelegramm ein: Gröhes Armeehauptquartier, 12. Oktober. Der Deutsche Kaiser loht dem österreichischen Handels- und Gewerbe'oundc für seine freundlichen Glückwünsche zur Einnahme von Antwerpen bestens danken. Auf allerhöchsten Befehl: v. Valentin i, Geh. Kabinettsrat. Landung englischer Marinetruppen in Gsten-e. Berlin, 13. Oktober. Nach Amsterdamer Meldungen hätten die Engländer in Ost ende neue M a r i n e 1 r n p ?' e n gelandet und die Fran zosen Marincsoldatcn Ins dicht vor Gent hcraogcsiihrt, wo eine Schlacht zu erwarten sei. — Die Deut schen besetzten gestern morgen den Bahnhof von Gent. Vom österreichischen Kriegsschauplatz. Wien, 12. Oktober. Amtlich wird mitgeteilt: Unsere Offensive hat den San erreicht. Prze» mqsl ist entsetzt. Die Neste der feindlichen Ein, schliesjungsarmee werden angegriffen. Aaroslau und Lezajsk sind in unserem Besitz. An Russisch- Polen wurden alle Versuche der Russen, die Weichsel zu überschreiten, abgeschlagen. Der Stellvertreter des Chefs des Generalstabes v. Hoefer, Generalmajor. Schatzscheine für Sie Lan-esverte?Sigung in Zrankreich. Bordeaux, 13. Oktober. Am Ministcrrat wurde mitgcteilt, das; vom 15. September bis 5. Ok tober für 217 752 100 Franken Schatzschcinc für die Landesverteidigung ausgegeben wor den seien. Die Nachfrage nach Schatzschcincn, die in einem Jahre oder sechs Monaten rückzahlbar seien, sei ständig im Wachsen begriffen. Auckermangel in Frankreich. Bordeaux, 13. Oktober. Um dem drohenden Mangel an Zucker in Frankreich zu steuern, ersuchte die Handelskammer Bayonne die Regierung, den Einfuhrzoll auf Zucker aus Spanien aufzuheben. vergebliche ^agd auf -ie ^Karlsruhe". Der Kapitän des norwegischen Schiffes „Katie", der am Mittwoch in New Pork ankam, erzählte Einzelheiten über die Verfolgung des deutschen Kreuzers „Karlsruhe" durch einen großen britisck-en Kreuzer. An den kubanischen Gewässern sei der Deutsche von dem Engländer ge sichtet worden. Da der e n g l i s chc K r c u zc r eine bedeutend höhere Geschwindigkeit ent wickelte als die „Karlsruhe", wäre diese zweiscllos cingeholt worden, ivenn cs ihr nicht gelungen wäre, sich in einer Untiefe hinter e i n c m A n s e l ch c n in Sicherheit zu bringen, wobei sic allerdings Gefahr lief, auszulaufcn. Am Dunkel der Nacht ge lang cs dann dem deutschen Kreuzer, zu entkommen. Die Dardanellen bleiben geschlosten. * Aus Konstantinopel berichtet die „Diener Rcicbspost", das; die Ententeregierungcn für die Entfernung des englisch - franzö - fischen Geschwaders die Gegenforde rung stellten, das; die deutschen Offi ziere und Schiffsmannschaften zurück gesandt würden. Die Türkei geht darauf nicht ein und die Dardanellen bleiben ge schlossen. Ein Ukas -es Kaisers von Rußland. Petersburg, 13. Oktober. Ein kaiser licher Ukas ordnet, unabhängig von den gel tenden Gesetzen betreffend die Rechte fremder Untertanen rind den Erwerb von Grundeigentum in Rußland, an, den Untertanen feindlicher Staaten bis znm Erlas; eines neuen Ukases alle Transaktionen zu untersagen, die den Erwerb von unbeweglichem Eigentum, sowie dessen Ge nus; und Verwaltung znm Gegenstand haben. Der Ukas ist gegeben am 1. bzw. 14. August 1914. Sitzung der kriegshilfskommWon der Provinz Ostpreußen. Königsberg i. Pr., 13. Oktober. Die erste Sitzung der K r i e g s h i l f s k o m m i s s i on der Provinz Ostpreußen wurde von dem Oberpräsidenten v Batocki mit einer An sprache eröffnet, in der er u. a. die Hoffnung aussprach, daß nunmehr die Gciahr einer feind lichen Invasion beseitigt sei. Die Hauptarbeit des endgültigen Sieges werde darin bestehen, die Bevölkerung wieder zu stärken und zu festi gen, damit die Provinz 'ihre Aufgabe, ein Hort des Friedens zu sein, erfüllen könne. Mit der großzügigen staatlichen Unterstützung werde man der Schwierigkeiten Herr werden. Trockenheit in Australien. London, 13. Oktober. Die „Morningpost" meldet aus Sydney vom 9. Oktober: Der Krieg fällt mit einer ganz ernsten Trockenheit zusammen. Ganz Australien wird schwerlich einen Ueberschuß an Weizen für die Ausfuhr besitzen. Gleichzeitig erregt der Rückgang der Nachfrage nach Wolle und Metallen Besorgnis. Eiserne kreuze. Das Eiserne Kreuz wurde ferner verliehen: dem Regimentsfiihrer im Anfantcric-Negiment 181 Oberstleutnant Schack, dem Hauptmann und Kom- paniefühl'r im Rescive-Ansanteric-Regiment 133 Georg Klette, Sohn des Geheimen Forstrates Klette in Dresden (beiden das Eiserne Kreuz erster Klasses, dem Major im Reserve Infanteric-R«gi- ment l33 Kückens, dem Oberleutnant im Garde reiter Regiment Max Freiherr von Müller, Salm des Generals der Kavallerie und stellver tretenden Generaladjutantcn des Königs Freiherrn von Müller, dem Oberleutnant der Landwehr und Fabrikbesitzer Otto Mayer, dem Oberleutnant der Reserve und Kompanieführer im Reserve-An- fantcrie-Regimcnt 103 Staatsanwalt Dr. Aesch, dein Leutnant im Rescrvc-Feldartilleric-Regt. 23 A n d r c äs'Mo h r, jüngster Sohn des Geh. Rats Professor Mohr, Dresden, dem Fahnenjunker und Unteroffizier im Husaren Regiment 18 Dienert, Sohn des Geheimen Kommerzienrats Dienert, Dresden, dem Leutnant der Reserve in der 2. Stabs abteilung des Aeldartilleric-Negiments 12 Wal ter Bramsch, Direktor der Dresdener Prcßhcfe- unc> Ko nspiritus-Fabrik, dem Major und Batail lons Kommandeur im Schützen-Regiment 108 Kurt non der Pforte, dem Leutnant der Reserve, Ratsassessor Dr. jur. Rudolf P r i c tze l - Bautzen, dem Leutnant der Reserve, Negicrungsassessor A o - Hannes Brau tze aus Borna, Mitglied des Kgl. Stenographischen Landesamtcs, dem Gefreiten im Infanterie-Regiment 181 Martin Kötz-Geit hain, dem Vizefeldwebcl im Garde Fußartillcrie Re giment 2 Arthur Dietze - Bad Lausick, dem Leut nant Walter Brehmer, Sohn des Halleschen Stadtverordneten O. Brehmer, -cm Fähnrich im Anfauterie Regiment 137 Erich Grävinghoff- Hallc, dem Adjutant und Ordonnanzoffizier Ober leutnant Karl Ludwig Poland, dem Pionier Oberleutnant Theodor Vonwerden, Architekt und Reallehrcr am Technikum zu Nürnberg, dem Fürst!. Thurn- und Torischen Forstassistenten, Leut nant der Reserve im Referve-Anfanterie-Regt. 13 Christian P fasse nberger, dem Oberleut nant der Landwehr Dr. jur. et mcd. Göring, Privutdvzent an der Universität Gießen, dem Sol daten im Infanterie-Regiment 178 August Förster aus Taubenhcim (Lausitz), der bei einem Ueberfall die Fahne seines Truppenteils rettete. Vettere Meldungen. * Der Geschäftsausschutz des Hauptvorstandcs des Deutschen O st m a r k en ve r e i n s hat in seiner letzten regelmäßigen Wochensitzung beschloßen, in Be tätigung seiner iatzungsmäßigen Aufgabe, das ost märkische Deutschtum in jeder Weise zu fördern, der ostprcußischcn Landwirtschaftskammer 20-l Mark zur Beschaffung von Saatgctrcide zu überweisen. O * Wie gemeldet wird, haben die franzö sischen Behörden den deutschen Vorschlag auf Austausch der am Kriege unbeteilig ten Geiseln nicht angenommen. Vas Strafgericht über -ie serbischen Mörder. Am 28. Juni wurde in Scrajcwo die Bluttat verübt, die verhängnisvolle Folgen zeitigte. Ter junge Serbe Princip erschoß den österreichi schen Erzher og-TH onso'.ger Franz Ferdi nand und seine Gemahlin, die anläßlich der Manöver in Bosnien die Stadt Serajewo be sucht hatten. Die sofort fcstgestcllt wurde, Han. dclte cs sich um eine Verschwörung serbischer Nationalisten, an der eine ganze Anzahl Per- sonen, darunter serbische Offiziere, beteiligt wa ren. Tic Untersuchung nahm einen großen Um fang an und veranlaßte die österreichische Re gierung zu der Forderung, daß die serbische Regierung die Vornahme gerichtlicher Maß nahmen auf serbischem Boden gestatte. Auch wurde dann, wie bekannt, in dem österreichischen Ultimatum (23. Juli) eine Reihe weiterer For derungen zur Unterdrückung der großscrbischcn Bewegung in Serbien gestellt. Tie serbische Regierung lehnte ab, womit der Anstoß zu den weiteren Ereignissen, die die ganze Welt in Mitleidenschaft ziehen sollten, gegeben war. Tas Gericht über die Verschwörer ist nun, wie aus Serajewo gemeldet wird, dort eröffnet worden In der von der Staatsanwaltschaft verfaßten Anklageschrist wird Anklage gegen Princip und Ge nossen, insgesamt 22 Personen, wegen Hoch verrats erhoben, gegen weitere drei Personen wegen Verbrechens der Mitwisserschaft und Verheimlichung von Waffen, die für den Anschlag bestimmt waren. Die Anklageschrift behandelt ausführlich die Ent stehungsgeschichte der in Belgrad von Organen der No. rod na Obrana angezettclten Verschwörung, schildert eingehend die Reise der Verschwörer und die Einschmuggelung von Waffen und Bomben nach Bosnien, ferner, wie die Verschwörer in Serajewo ihr« Mittäter warben, wie sie die Waffen unter sich verteilten und sich zur Ausführung des Anschlages auf den Straßen aufstellten. Princip hat in der Untersuchung eingestandcn, daß er mit dem zweiten Schuß den Landeschef Potiorck töten wollte, je- doch die Gemahlin des Erzherzogs getroffen habe. Zum Schluß ergeht sich die Anklageschrift ausführ lich über die Beweggründe. Sie schildert das irre- dentistische Treiben der großscrbischcn Kreise in Bel grad, die bis zum Königlichen Hofe hinauf reichten und deren systematische Wühlarbeit gegen Oesterreich-Ungarn und die habsburgische Dynastie in Serbien, Kroatien und Bosnien den einzigen Zweck hatte, Kroatien, Dalmatien, Istrien, Bosnien und die Herzegowina sowie die von den Serben be wohnten südungarischcn Provinzen von der Mon orchie loszurcigen und Serbien anzuglicdern. Die Verschwörer Princip, Eracz und Eabrino- vics gestanden ein, daß sie in Belgrad ihren Haß gegen die Monarchie und ihre großserbische Ge sinnung eingcsogen hätten, die politisch« Vereini gung aller Südslawen im Sinne hatten und daß der Zerfall Oesterreich-Ungarns und da. Erstehen eines g r o ß se r b t sche n Reiche, ihr poli tisches Ideal gewesen sei. Im Dienste dieses Ideals hätten sie den Plan zu dem Mordanschlag geg«n den Erzherzog Franz Ferdinand gefaßt und schließlich verwirklicht. Vie nahe Schlacht. Au, dem Hauptquartier in» Osten. 10. Oktober. Es ist zu bewundern, wie alle Teile der un geheuren Kriegsmaschine: Truppen, Intendantur, Sanitätskorps und Eisenbahn, Zusammenarbeiten, um Ostpreußen, die Stirn unseres Landes, vom Feinde frcizuhalten. Ein russisches Heer ist vernichtet, ein zweites zerschlagen und zerstreut. Neue Massen kommen gleich Ameisenhaufen heran. Immer wieder werden sie zurllckgcworsen. Es ist, als wenn ein Riese breitbeinig im Lande stünde und bald hier und bald da mit eisernem Besen die lange Grenze fegte. Ein großer Schwarm bei Lyck. Ohne eine der schweren Kanonen stecken zu lassen, wird die Be schießung des brennenden Ossowietz aufgegeben, Truppen zusammengezogen, der Schwarm hinaus gejagt. Ein zweiter Schwarm bei Augustow--- Suwalki: die Sibirier und das finnländische Korps. Sie werden von vorn angegriffen; zugleich im Rücken umfaßt. Aber neuer Andrang vom Njemen her zwingt unsere umfaßenden Truppen, die Front zu ändern, so daß es zu einem neuen Tannen berg nicht kommen kann. Ein dritter Schwarm, viel mehr der rechte Flügel der langen russischen Angriffs linie. Auch hier wogt der Kampf. Wir fuhren vorgestern zu Wagen nach Stallu- pönen, sechs deutsche Meilen durch leere Ort schaften, zwischen Stoppelfeldern, die längst Winter saat tragen müßten, an Kartoffel- und Rllbenfeldern vorüber, die auf die Ernte warten, während die Rinder ohne Aufsicht sich in naßen und bereisten Klee feldern zu Tode weiden. Die letzte Meile vor Stallupönen hörten wir die Kanonen donnern, obwohl es schon finster war. Zn den Dorfhäusern am Wege hier und da Licht. Wenn man ins Fenster sieht, Soldaten um den Tisch. Am Himmel bricht das Mondlicht weiß zwischen dunklen Wolken hervor. Darunter am Horizont roter Flammenschcin von brennenden Dörfern und das Aufblitzen der Kanonen — alles jenseits der Grenze. Uebernachtct — ein Wunder, daß man es über haupt noch kann in Stallupönen — bei einem Ober lehrer, der als Strohwitwer auf den Trümmern seines Haushalts hcrumirrt. Zerbrochene Spiegel, zertrümmerte Schränke, durch die Decke tropfende lleberschwemmung des oberen Stockes, Staub und Schmutz in der ehemals schmucken Wohnung, unabae- waschene Teller und Töpfe. Der Brave teilt alles mit uns beiden: kalten Apfelreis, ein Stück kaltes Fleisch, einen Rest Zucker. Dazu steuern wir eine Büchse Spargel, Sardinen, Tee. Es ist nicht gerade ein kunstvolles Menü: aber es paßt so zu der Um gebung. Dann eine Matratze und ein altes Feldbett als Unterlage für unsere Schlafsäcke. Draußen ist es kalt; an Feuerung natürlich nicht zu denken. Aber ich brauche mich nur der zehn Mann zu erinnern, die - bei Lyck abends in den Sumpf gerieten und eine ganze Regennacht, auf die quergelegtcn Gewehre ge stützt, aushaltcn mußten, um meine Lage sogleich als eine paradiesische zu empfinden. Es ist alles relativ in diesem Leben. Andern Tags weiter. Die Straße ist schon auf geräumt von der letzten Schlacht. Nur Russen tornister und Lumpen liegen noch massenhaft an den Grabcnrändern. Zuletzt wird die Straße zum Sumpf, in dem die leeren Wagen kaum fortkommen. Dort bei der Windmühle sollen sie warten und abfllttcrn. Es ist schon nach eins. Wir gehen querfeldein über Kleefelder, Saaten, Sturzäcker, einen langen flachen Berg hinauf. Zunächst mußten wir im Gänsemarsch in einem Wicsenschlund hinauf schleichen, da wir schon im Bereich des feindlichen Feuers sind. Links vor einem Hügel die Pferde mit den Protzkastcn der weiter hinaus eingegrabenen Geschütze. Rechts davon, einem Eeländeeinschnitt folgend, Infanterie und Pioniere in Deckung. Wir fuchcn die tiefste Stelle, um in größeren Abständen einer nach dem andern dort hinein zu gelangen. Und dennoch sind wir der vielleicht 6 Kilometer ent fernten russischen Artillerie sichtbar geworden; und wir paar vereinzelten Menschen geben ihr Veran lassung, uns ein „warmes Abendbrot", wie cs die Soldaten nennen, herüberzuschicken. Man hört einige Sekunden das Sausen der ankommenden Era- naten. Unser militärischer Begleiter wirft sich hin, Vie duncken Lage. Os Roman aus dem Jahre 1813 von M. von Witten. In dieser Nacht gibt es weder Ruhe noch Schlummer. Tie Geister der Erschlagenen ziehen klagend durch die Luft, die Geister der Lebenden iindcn nicht Frieden. Ruhelos harren sie, neuen Kampfes gewärtig, oder sie flüchten von dannen. Ter Herzog.hat all die. tapsere» Angriffe der Franzosen unter Marschall Ney bei Onat're- bras abgeschlagen. Nun kehrt er als Lieger in fein Hauptquartier nach Genapve zurück. Als Lieger! Um alles in der Welt nur nicht den Briten in die Hände fallen, den Briten, den Todfeinden Napoleons, die in der Frühe des nächsten Morgens sicherlich von Onatrcbras her in Ge- nappe anfluten werden! Anf der großen kraße Genappc-Waterloo und dann bei Glabais direkt nach Norden ans biegend, fährt ein eleganter, vierspänniger Reise- wagen dahin, Ein alter, srumalaebautcr Herr mit dem engherzig-egoistischen Ausdruck eines vornehmen Junggesellen in den faltigen Zügen, aber mit schönen, müde-melancholischen Augen, lehnt im Vordersitz. Neben ihm zur Linken eine Tame mit müden, erschlafften Gliedern. Jung und schön. Weiches, goldblondes Haar bauscht unter dem seidenen Lchutcnhütchen hervor und umrahmt das feine gelbwciße Gesicht mit dein süßen, schwellenden Munde, das von irgendeinem Erdenleid wie von einem dunklen Schleier überschattet ist Die Lampe, die in einer Ecke des Wagens an der Rückwand brennt, beleuchtet hell genug die beiden. Sie sprechen kein Wort. Schon seit langem nicht. Jeder ist in seine Gedanken versunken. Endlich fährt der alte Herr, den Stock mit der Elfcnbcinkrückc gegen den Boden des Wagens stoßend, auf: „Wahnsinn! Nach Norden zu fahren! Der Kaiser steht «r Lüde» —", „Aber Oheim!" Tic ;unge Frau hebt ein wenig das Haupt. „Zwischen ihn und uns haben sich die Engländer geschoben. Uns bleibt doch keilte Wahl." Ter alte Herr brummt etwas in seinen vollen, weißen Spitzbart. Und außerdem, wo sollten wir hin, ivenn wir nicht in Genappe bleiben wollten?" „In Genappe? Jetzt in Genappe bleiben? Um alles in dec Welt nicht!" Mit drohenden Augen sprüht der Onkel die Nichte an. „Was hast du manchmal für Ideen, Toska!" Sic achtet des Vorwurfs nicht. „So ist Frischermont unsere einzigste Zu. flucht," fährt sie in müde-gleichmütigem Tonfall fort. „Deine Schwester wird uns mit Freuden empfangen — ihr Schlößchen ist test gebaut, so daß es uus in jedem Falle eine Zuflucht bieten kann —" „In jedem Falle?" fährt Eugen von Eure auf. „Toska, soll das etwa heißen, daß du. . . das; du kein Vertrauen mehr zu Napoleon hast?!" Er umklammerte unsanft ihr Handgelenk. „Diese deutsche Ehe hat dich mit einem Gift durch, sencht !" Lie zuckte kaum sichtbar zusammen. „Laß!" Mit einer erzwungenen Gelassen, hcit macht sie sich loS. „Du tust mir weh!" „Verzeih!" er verbeugt sich weltmännisch. „DaS wollte ich nicht. Aber du hast eine Art, einen um alle Rul^e zu bringen." „Weil du mir mißtraust!" Ihre Lippen zucken. „Ich dir mißtrauen?!" Mt grillig-zänki- schem Feuer sprühen seine Augen ihr ins Gesicht. „Sag. du mißtraust den Waffen Napoleons! Mißtraust seinem Genie, seinem Stern! Das ist daS Gift, mit dem dieser Preuße dich infiziert! Du bist nicht mehr fähig, unfern Herrlichen in reiner, schrankenloser Hingabe zu verehren. — Aber ich sage dir: er ist noch der alte! Der sonncnstredcndc Aar! Geschlagen wurde gestern Ney! Nicht Ncwoleon! Napoleon hat die Preu ßen gestern geschlagen! Und morgen wird er Sieger über die Briten sein. Dann ist Frankreich gerettet. Seine Feinde liegen ihm, von neuem bezwungen, zu Füßen! In alter Glorie steht das Vaterland da. — Oder?" er biegt das Haupt mit der scharfen Nase herunter und weit vor, so daß er von unten herauf in Toskas Antlitz blickt. „Oder?" Seine Augen bohren sich förm lich in die ihren. „Oder entspräche das den Wünschen meiner Frau Nichte etwa nicht?" Toska hält dem bohrenden Blick des Oheims stand. Aber nm ihre feinen Lippen zuckt cs von neuem, und ihre Augen füllen sich mit Tränen. „Das ist der Fluch, wenn man einmal seinen Uebcrzeugnngen untreu geworden, — ivenn man einmal Verrat geübt! Verrat kann nur Verdat gebären. Wie ein welkes Blatt, losgelöst von ihrem Hcimatbanm, taumelt solche arme Men- schensecle zwischen Himmel und Erde herum. Keinem wirklich zugehorend, von allen mit Argusaugen betrachtet. Und ist sie ehrlich genug, keinen weiteren Verrat zu üben, so wird er ihr — angcdichtet!" „Madame — hier ist die Frage, ob solch ein Wesen — in tausend Widersprüche verstrickt, — noch dieser Ehrlichkeit fähig wäre!" Ta fährt ToSka zusammen, wie einer, den inan inö tiefste .Herz getroffen. Ihr Gesicht ist sählings eingefallen und aschfahl. Aus ihren Augen, groß und weit geöffnet, starrt das Ent. setzen. Ihre trockenen Lippen bewegen sich und bringen doch keinen Ton hervor. Dem alten Herrn wird's unbehaglich zumute Er Zieht sich knurrend, und als fröstle er in dieser Sommer-Regennacht, in seinen Wagcnsitz zurück. „DaS ist auch so eine deiner dummen deutschen Angewohnheiten, alles auf die tragische Achsel zu nehmen. Sobald der Krieg beendet ist, läßt du dich eben scheiden. Tann ist alles wieder im Lote! Und jetzt will ich ruh'n! Versuch du auch zu schlafen! Hast cs nötig! Vom Grübeln und Grillenfangen wird keine Frau schöner." * » Noch c'nc Nacht. Eine stürmische, regennasse Sommernacht, — die folgende, die Nacht vom 17. auf den 18. Juni. Es ist um die zwölfte Stunde. Auf der großen Straße, die in fast gerader nördlicher Richtung von Charlervi üver Ouatrc- bras, Genappe, Belle-Alliance, Mont-St.-Jcan, Waterloo nach Brüssel führi, schreitet Napoleon Bonaparte dahin. Zu Fuß — dicht in seinen Mantel gehüllt. Neben ihm nur zwei seiner Getreuen, Graf Bertrand, der mit ihm die Ver bannung geteilt, und Philipp von Eure, der den Garden voraufeilend noch am vergangenen Abend beim Pachthofe La Eailou eingetroffen war, in dem der Kaiser sein Hauptquartier auf. gcscblagcn. Gegen Sturm und Wetter gehen sic an. Ab und zu wirft eiucr der Herren einen Blick in die rechts und tuns der Llraße trübe schwelen, den Biwakfeucr des französischen Heeres. „Warum konnte ich heute abend nicht wie Josua die Sonne anfhalten?!" bricht nun der Kaiser das Schweigen, indem sein Auge, gegen Norden schweifend, die Dunkelheit zu durch, dringen sucht. „Wir hätten schon heute die Eng länder vernichtet." „Tas steht außer allem Zweifel," bestätigt Philipp von Eure in seiner feurigen, gewinnen den Weise. Er wendet sich nur lebhaftem Gcstcn- und Mienenspiel seinem taiserlichcu Herrn zu. „Wenn man bedenkt: Wellington, der sonst so vorsichtige und kluge Wellington, zieht sich erst morgens gegen zehn Uhr aus seiner gestern behaupteten Ltellung bei Quatrebras zurück. Neh heftet sich an seine Fersen. An den Dyle- Brücken bei Genappe kommt es mit der Nach hut zum Gefecht! — Hätte der Marschall tapfer zugcgrifscn, wie cs sonst seine Art war — was wäre ans Wellingtons Armee geworden, da Eure Majestät Nep auf dem Fuße folgte?!" (Fortsetzung in der Morgenausgabe.^
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