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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 01.10.1914
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1914-10-01
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19141001018
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1914100101
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1914100101
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1914
-
Monat
1914-10
- Tag 1914-10-01
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Monat
1914-10
-
Jahr
1914
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veue §. Nr. 499. Moryen-nusysve. Donnerstag, 1. Oktober 1914. Leipziger Tageblatt Kunst- Wissenschaft und (Unterhaltung Thomas Tarlple über VeutschlanS und Zrankreich. Thomas Carlyle gehört zu jenen nicht eben zahl reichen Briten, die wirkliches Verständnis für deutsche Art gehabt haben. Und er hat das Seine versucht, um England für unferc Kultur die Augen zu öffnen. Die „Frks. Ztg." veröffentlicht verschiedene Briefe, die diese Gesinnung auch in dem Kriegsjahr 1870 lnndgabcn. Das wichtigste Schreiben, ein geschichtliches Doku ment ersten Ranges, ist der energische Bries, den der 75jährige Schriftsteller am 11. 'November 1870 an den Herausgeber der „Times" schrieb, um mit dem ganzen Gewicht seines großen Ansehens in England gegen die ungerechten Angriffe und groben Ent stellungen eines großen Teiles der Lvndoner Presse zu protestieren, um die deutsche Politik, die deutschen Staatsmänner und Soldaten zu verteidigen, um seinen verblendeten Landsleuten die Augen über Deutschland und Frankreich zu össnen und sie zu einer gerechteren Stellungnahme für Deutschland zu ver anlassen. Carlyle beginnt: „Wie mir scheint, ist ein liebenswürdiger Zug der menschlichen Natnr, mit dem gefallenen und be trübten Frankreich billiges Mitleid zu empfinden und in den Zeitungen in laute Klagen auszubrechen. Es scheint mir aber ein sehr törichtes, gefährliches und irregeleitetes Gefühl zu sein, dieses Mitleid an- zuwcnden aus die Frage der Abtretung von Elsafz- Lothringen an die deutschen Sieger. Bon England verrät es eine gründliche Unkenntnis der deutsch französischen Geschichte und des Verhaltens Frank reichs gegen Deutschland während vieler Jahr Hunderte. Für die Deutschen handelt es sich in diesem Falle nicht um „Großmut", „edles Mitleid" und „Verzeihen gegenüber einen, gefallenen Feind", sondern um wahre Klugheit und die praktische Er wägung, was dieser gefallene Feind höchstwahrschein lich tun wird, wenn er wieder zu Kräften gelangt ist. Deutschland hat in dieser Beziehung eine vier hundertjährige Erfahrung, die ihm in trauriger, aber lehrreicher Form ins Gedächtnis eingeprügt ist. Wenn davon jemals etwas in das Gedächtnis der Engländer gekommen ist, so sind jetzt kaum noch Spuren davon vorhanden." Carlyle zeigt nun, wie schon der schlaue und miß Iranische Ludwig XI. gegen Kaiser Maximilian ver fuhr, und wie cs ihm durch allerlei Ranke und Listen gelang, Burgund von Deutschland loszureistcn. Wie dann Karl V. von seinem erfolglosen Mitbewerber um die deutsche Kaiserkrone, dem König Franz l. von Frankreich, befehdet und betrogen wurde. Wie der eidbrüchige, aUcrchristlichsle König von Frankreich jo gar die Türken unter dem grausamen Sultan Soliman den Deutschen auf den Hals hetzte (genau wie Eng land heute uns die Javaner und andere erotische Völkerschaften). Wie Heinrich ll. sich die drei Bis tümer Metz, Toni und Verdun unrechtmäsziger- weise aneignete. Wie dann Richelieu alles tat, um Deutschland zu schwächen; im Dreißigjährigen Krieg sorgfältig die Asche am Weiterglimmcn erhielt, bis Deutschland gänzlich niedergebrannt war. Carlyle fährt fort, „kein französischer Herrscher, nicht einmal Napoleon t., war ein schlimmerer, grausamerer und schädlicherer Fr-'-c».'.' Deutschlands als Richelieu. Und doch hatte Deutschland ihm kein Leid angetan, als das; es neben Frankreich existieren wollte." Carlyle erinnert daran, wie Ludwig XIX'. in Deutschland rauben und sengen ließ, daß das Heidelberger Schloß verbrannt wurde und durch die Reunions-Kammern Meß und andere Städte Deutschland entrissen wur den, wie Straßburg mitten im Frieden durch Ver rat und Bestechung geraubt wurde. Was Deutschland während der französischen Revolution und unter Napoleon zu leiden hatte, seßt Carlyle auch bei seinen Landsleuten noch als bekannt voraus. Dann heißt es weiter: „Der gegenwärtige Hohen,,ollernlönig, ein be jcheidener und friedlicher Mann, hat nun einen Teil jener geraubten Gebiete zurülkerobert. Ich glaube, es wäre ganz gerecht, vernünftig und weise, wenn Deutschland diese Gebiete behielte und sich für kommende Zeiten gegen französische Besuche sicherte, indem es die Vogesen, den Hunsrück und jene drei Bistümer befestigte." Frankreich, meint er weiter, habe seinen Rachbarn die Fensterscheiben eingeworfen und beklage sich nun, daß es sie bezahlen solle. Er hoffe, daß Bismarck Elsaß Lothringen bekommen werde. Das anarchische Frankreich bekäme eine harte Lehre erteilt, aber es müsse daraus lernen, zum eigenen Rußen und dem der Welt. Wenn es aber nichts lernen wolle, so müsse es immer und immer wieder belehrt werden; einmal müsse cs doch begreifen. Auch über Bismarck herrsche noch eine ganz ver kehrte Vorstellung in England. Bismarck hege keine „Napoleonischen Gedanken", sondern ungleich höhere als Napoleon. Hier erklang also eine britische Stimme, die ge recht zu urteilen wußte. Aber wer würde sie heute in England hören'?! Kunst unö Wissenschaft. * Aus den städtischen Theater». In der für Sonnabend, den 3. Oktober, angesetzten Neuein studierung der Operette „Baron Trend" von Felix Albini sind in den Hauptpartien beschäftigt die Damen: Marg. Nößncr, Marie Seubert, Emmi Navarra und die Herren: Walter Grave, Oskar Wehle, Rudolf Haas. Die musikalische Leitung hat Kapellmeister Otto Findeisen, die Neueinstudierung leitet Obcrspielleitcr Josef Groß. Die Operette wurde besonders deshalb wieder in den Spielplan uttfgenommcn, weil ihr Inhalt und vor allem die Figur des Helden in seinem kernigen und tempera mentvollen Soldatentum der Stimmung der heu tigen Zeit entsprechen dürfte. Bei der hiesigen Ur aufführung „Baron Trend" vor mehreren Jahren wurde die Operette mit großem Beifall ausgenom men und erzielte viele Wiederholungen. — Auf Grund mehrfacher Anfragen teilt die Intendanz der städtischen Theater mit, daß Frau Anny Un- tucht-Sturmfels infolge Erkrankung auf Grund ärztlicher Atteste leider genötigt gewesen ist, die Intendanz um sofortige Lösung ihres Vertrages zu ersuchen und der Bühnentätigkeit endgültig zu entsagen. * August Prost, der in Leipzig hochgeschätzte Dar- pelier und Spielleiter, blickt am 1. Oktober 1911 aus eine 25jährige Tätigkeit als Lehrer der D a r st c! l u n g s k u n st am hiesigen König!. Kon servatorium der Musik zurück. Wir bringen ibm zu diesem Jubiläum unsere herzlichsten Wünsche! * Aus dem Städtischen Orchester. Die Mitglieder des Städtischen Orchesters (Theater und Ge wandhaus-Orchester) Herren Oswald Fritzsche. Richard Matt hi es und Karl Weber, welche auch als vorzügliche Lehrer ihrer Instrumente in weiten Kreisen unserer Stadt bestens bekannt sind, begehen am heutigen Tage die Feier ihrer 25jährigen Zu gehörigkeit zu genanntem Institut. * Dürfen die deutschen Theater Shakespeare spielen? Die Direktion des Berliner Deutschen Theaters hat eine A »frage an eine Reihe hervorragender Männer gerichtet, ob sie jetzt Shake speare spielen solle. Von den auf die Anfrage ein gegangenen Antworten, die, wie kaum anders zu erwarten, lebhaft für ein Weiterspielen Shakespeares gerade in dieser Zeit eintrctcn, geben wir die fol genden wieder: Der Reichskanzler Herr von Bethmann Hollweg schreibt: „Shake speare gehört der ganzen Welt." — Pro fessor Harn ad antwortet: „Wären nur alle Theaterfragen so leicht zu beantworten wie die von Ihnen mir vorgelegte! Selbstverständlich soll Shakespeare weitcrgcspielt und auch jetzt gespielt werden. Wir werden uns doch nicht von den holten Ahnen unserer deutsckien Kultur lossagcn." — Professor Max Liebermann ist folgender Ansicht: „Shakespeare gehört der Welt — undSie sollen ihn spiele n." — Auch Fürst Bülow antwortet bejahend: „GewH soll in diesen Tagen vaterländischen Bewußtwcrdcns das deutsche Theater seine nationale Aufgabe er füllen. Kleists „Hermannsschlacht" und „Prinz von Homburg", Hebbels „Nibelungen", Goethes „Götz" und Schillers „Wallenstein" haben freilich das erste Recht und spreckicn jetzt unserem Volk am unmittel barsten zum Herzen. Aber auch auf Shake speare wollen wir nicht verzichten. Er gehört zu den ältesten und schönsten Erinnerungen des deutschen Geistes, die wir wie unseren sonstigen geistigen und materiellen Besitz gegen alle Welt be haupten wollen. Wir haben Shakespeare längst an nektiert und geben ihn nicht wieder heraus. Ueber- lassen wir es unseren Gegnern, sich selbst zu ver armen und überdies lächerlich zu machen, indem sie Wagner und Goethe, Beethoven und Schiller aus ihren Ländern verbannen. — Aus demselben Stand punkt stehen die Professoren v. Wilamowitz- Möllendorff und Gustav Roethe. Maxi milian Harden aber tritt in seiner Antwort auf die Umfrage dafür ein, daß das Deutsche Theater gerade jetzt Shakespeare spielen möge. Nach „Hein rich IX'." „Heinrich X'.". Der heißeste Wunsch deut scher Mannheit klirre dann aus dem Ruf des liebenswürdigen Helden: „Aus! Nach Calais! Von dort geschwind nach England! — Nie nahten Froh're ihm von Frankreichs Strand." Der große Krieg auf der türkischen Bühne. Ueber ein türkisches Drama, das den großen Krieg zum Gegenstand hat und das dieser Tage in Kon- stantinopel unter ungeheurem Beifall zur Auf führung gelangte, berichtet Dr. Schrader im „Osmanischen Lloyd" : „Das türkische Theater" plaudert er, „bemüht sich, ein Spiegel der Ereignisse zu jein und die jeweilige Volksstimmung getreu wiederzugeben. In leichtgezimmerten Dramen werden Weltereignisse, soweit sie die Türkei be rühren. auf die Bühne gebracht. Was das türkische Volk hofft und fürchtet, findet in diesen bisweilen etwas unbeholfenen dramatischen Versuchen oft be redten Ausdruck. In einer vom türkischen Flotten verein veranstalteten Vorstellung hatten wir Gelegen heit, ein solches geschichtliches Volksstllck zu sehen. Der Dichter ist Aka Eündüs, der sich hier zum ersten Male als Dramatiker versuchte. Vorher hat er die türkische Zeitgeschichte in einer Reibe von Novellen und hymnenarligen Prosadichtungen poetisch ver klärt. Jetzt ist er zum Dichter der Rache an dem Erbfeind der Türkei geworden, der mit gewissen loser Verschlagenheit sein Ziel, die Vernich tung des Osmanischen Reiches, zu erreichen sucht. Aka Gündüs' Erülingsdrama heißt „ Miichtere m K a t i l ". Das tyrannische Rußland wurde von der Bühne herab als die Macht gekennzeichnet, die der Feind aller Mohammedaner sei. Und die Worte der Verwünschung, die von den Lippen der Personen des Stückes kamen, fanden einen donnernden Wider hall bei den vielen Hunderten von Türken, die das „Millet Theatrossy" füllten. * Hochschulnachrichten. An der Universität in Freiburg i. Br. hat sich, wie man uns mitteilt: Dr. rer. pol. Beckerath für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft habilitiert. — Der o. Pro fessor sür Augenheilkunde und Direktor der Augen klinik in Königsberg, Dr. Franz Schied ist in gleicher Eigenschaft nach Halle als Nachfolger von Professor Dr. E. v. Hippel versetzt worden. — Der ungarische Kulms- und Unterrichtsminister hat Bestimmungen über die Erwerbung des Dok torats der Pharmazie erlassen, das da- mit an den ungarischen Universitäten zur Einführung gelangt. — Den Tod auf dem Schlachtfeld fand der Privatdozent für Materialprüsungswejen an der Technischen Hochschule in Darmüadt, Dr.-Jng. Ernst Preusz. — Der ordentliche Professor der klassischen Philologie an der Universität Jena Geh. Hofrat Dr. jur. et phil. Rudolf Hirzel tritt am 1. Oktober d. I. in den Ruhestand. Geboren 1816 zu Leipzig, studierte er in Heidelberg. Göttingen und Berlin, besonders unter den Professoren Sauppe und Haupt, erwarb 1808 den Doktorgrad, habilitierte sich drei Jahre später in Leipzig für klassische Philo logie, wurde hier Extraordinarius und siedelte Ostern 1886 nach Jena über, wo er Februar 1888 zum Ordi ¬ narius ernannt wurde. Einen Ruf nach Gießen hat er abgelehnt. Der Gelehrte ist korrespondierendes Mitglied der bayerischen Akademie der Wissenjchaiten, Mitglied der füchsischen Gesellschaft der Wissenschaften und Dr. jur. hon. causa der Universität Leipzig. — Den Heltentod fürs Vaterland starb der Privat dozent für reine und angewandte Mathematik an der Technischen Hochschule zu MünchenDr Wilhelm Deimter, Leutnant der Reserve, im Alter von 30 Jahren vermischtes. Eine freiwillige Theologenlegion. Aus De- breczin in Ungarn wird dem Wiener „Fremden- Blart" berichtet: Ein erhebendes Beispiel patrio tischer Begeisterung haben in diesen Tagen vierzig absolvierte Seelsorger der reformierten Kirche gegeben. Sie erschienen bei dem Bischof Baltazar, welcher Schritte unternommen hatte, um die zum Militärdienst einderufenen Hilfsjeel- sorger vom Militärdienst befreien zu lagen, und dankten ihm für seine Mühe, erklärten aber, daß sie eine Befreiung angesichts der höchsten Interessen oes Vaterlandes und der Zukunft der Nation, um die es sich in diesem Kriege handele, nicht in Anspruch zu nehmen wünschten, sondern begeistert den Militärdienst antreten wollten, und zwar nicht als Mititärjeelsorger, son dern im Waffendienst bei der Truppe. Der Bischof danke den geistlichen Patrioten und teilte ihren schönen Beschluß mittels Rundschreibens den Presbyterien und ihren Lehrinstituten mit, indem er diese Seelsorger als Beispiel und Muster bezeichnete. Auf das Rundschreiben hin meldeten sich auch alsbald zahlreiche tat- vinistische und reformierte Theologen. Bischof Baltazar unternahm im Honvedministerium Schritte, damit die Ausbildung der freiwilligen Theologen legion vorgenommen werde und sie zum Waffendienst auf den Kriegsschauplatz gesendet werden könne. " Eine verständige Mahnung an alle, die An gehörige im Felde haben, finden wir im „Düssel dorfer Anzeiger". Das Blatt wendet sich gegen die Vielschreiber, die täglich eine Menge von Postkarten ins Feld schicken, auf denen für gewöhnlich nichts weiter vermerkt wird, als daß Krause, Schultze oder N. N. einen Gruß schickt. „Mil Bierkarten, Ansichts karten mw. sollte man die Feldpost doch in diesen Zeiten verschonen. Schreibt weniger und dann einen gehaltvollen Brief. Schreibt euren Männern und Söhnen vom Familienleben, mit allen Einzelheiten. Schreibt, wieviel Zähne das Jüngste hat und was es schon sprechen kann, wie fleißig der Aelteste ist, wie man daheim schon durchkommen wolle, wie sich alle freuen auf den Tag sieghafter Heimkehr, wie man des Abends miteinander bete für die Rettung des Vaterlandes, für die Bewahrung des Vaters und des Bruders. Schreibt auch ein herzliches Wort freundlicher Mahnung, daß man auch im Kriege der christlichen Liede und Gesittung nicht vergessen möge, damit die endliche Siegesireude auch nicht durch den leisesten Gewissensbiß getrübt wird. Antwort.*) Mit tiefem Schmerze hab' ich jüngst gelesen Ein schlimmes, mir gewidmetes Gedicht. Nein, Gott sei Dank! So häßlich bin ich nicht. Ist denn der Tod nur widriges Verwesen? Nicht zu vernichten bin ich auserlesen. Nein, göttliches Erbarmen ist mir Pflicht; Die Oual der Seele lös' ich, und zum Licht Schwebt sie empor, von allem Leid genesen. Nur feige Angst schafft klappernde Gebeine, Macht mich zum Schreckbild, das Vernichtung droht. Wie anders doch dem Helden ich erscheine! Ein lichter Engel, schön wie Morgenrot, Küßt ihm die Stirn, und über das Gemeine Trägt ihn empor zu ew'gem Ruhm der Tod. Der Tod. *) Auf das in der Abendausgabe des 25. Sep tember veröffentlichte Sonett an den Tod geht uns ? die folgende Antwort zu. vir dunüert Tage. 6s Roman aus dem Jahre 1815 von M. von Witten. Er drängte sie nun geradezu »arh der Tür, die ins Schlafzimmer führte. Auf der Schwelle blieb sie noch einmal stehen. Ein Schelm.nblick ans ihren Augen über sonnte ihn. „Du gönnst mir auch meine Rulsc? Gelt, störst mich nicht?!" „Bei den Penaten," rief er beinahe über mütig, von ihrem Zauber wie berauscht, „teilte Fliege soll deinen schlummer stören. Ich selber werde dein Zerberus sein und verbanne mich Yente nacht auf dieses Kanapee." „Gut, morgen denn!" „Ja, morgen!" Sie nickte noch einmal. Dann halte fick; die Tür hinter ihr geschlossen. Er aber blieb u>ic ein Knabe, dem eben eine Fee erschienen, von Märchenglück umsponnen zurück. Tor, der er gewesen, sich mit Grübeleien zu plagen! Mochte kommen, was tommen mußte! Sic ivar sein, uud — sic liebte ihn! So hatte er noch eine ganze Weile in glück seligen Gedanken versunken gesessen. Plötzlich klopfte es an die Tür. Hart und soldatisch. Er ging und öffnete, weit leiser, als es sonst seine Gewohnheit war, — um ToSkaS nullen. Eine Ordonnanz stand vor der Tür. Da sei noch ein Brief an den Herrn Leutnant, der durch das Regiment gegangen wäre. Die Ordonnanz halte sich wieder entfernt. Otio fast an dem Tjsch inmitten des Zimmers und drehte den Brief in den Händen. Er war ans Genappe. Aus Gcnappe'? Da hatte er doch kcmeu Belanntcu. Plötzlich schoß ihm, er wußte nicht weshalb, das Blut zu Herzen — er riß den Umschlag auf. Eine sauber gefaltete, aber nicht geschlossene Einlage fiel lxcrans und aus den Tisch. Der Brief selbst .— nur wenige Zeilen in französischer Sprache. „Mein Herr, ich ersuche Sie höflichst, beiliegendes Schrei- ben, das mir zur Weiterbeförderung über sandt worden, meiner Nichte Toska aushändi gen zu wollen. Mit Dank! Engen d'Eure." Eugen von Eure! Das war doch Toskas Onkel — der Bruder ihres Vaters! Ob er das schreiben seiner Frau gleich hinüberreichen sollte? Nicht doch! Sie wollte doch nicht gestört sein. Gewiß, — er bog den Oberkörper nach der Türe und lauschte mit gespannter Aufmerksamkeit hinüber — gewiß, sie schlief schon. Alles war mäuschenstill. Aber wenn es etwas Eiliges wäre? Etwas Wichtiges? Verwirrende Gedanken durchschossen sein Hirn. Dann hatte c r doch ein Recht, es an ihrer Stelle zu lesen. Zumal Herr von Eure ihm das Schreiben offen eingelegt. Vielleicht war es sogar die Absicht des Oheims gewesen, daß Tos- t'as Gatte zuerst von dem Inhalt des Briefes Kenntnis nähme. Vielleicht, daß er sie vor drohendem Unheil bewahren konnte, wenn er —! Vielleicht daß ! Plötzlich hatte er den Bries ausgenommen. Mit zitternden Händen. Er war gleichfalls in französischer Sprache abgesaßt. Mit hoch klopfendem Herzen las er: „Mein heißgeliebtes Weib! Nach martervoller Gefangenschaft kehre ich aus Rußland zurück. Vergib, daß ich nicht gleich zu Dir geeilt bin. Aber nachdem ich von der schrecklichen Wendung gehört, die das Schicksal unseres Kaisers genommen, trieb cs mich un widerstehlich zu ihm nach Elba. Gefährte seines Leidens wollte ich sein, wie ich Gefährte seines Glückes gewesen. Aber zuvor, ehe ich mich nach Elba einschifstc, begab ich mich, von meinem Instinkt getrieben, nach Wien. Ich sah und hörte von der Uneinigkeit der Mächte auf diesem Kon. grcß, der Europa eine neue Gestaltung geben sollte, sah und hörte, wie sie nahe daran waren, übereinander herzufallen, lind was meine Augen, meine Obren vernommen, das überbrachte ich meinem Kaiser. Meine Worte waren der Tropfen, der den Becher zum Ucbcrlaufen brachte. 'Sein Entschluß, der durch all das, was seine Freunde ihm aus Frankreich aus allen Ecken Europas zugctragen, schon lange in ihm gärte, reifte über Nacht. Am Schlüsse eines Balles bei seiner Schwester Pantine gab er Befehl, alles zur Ein. schjffung seiner achthundert Soldaten, die ihm in die Verbannung gefolgt, in Bereitschaft zu setzen. Und wir schifften uns wirklich ein. Das alte Glück war uns hold — mein Kaiser betrat wieder den Boden Frankreichs! Von den Landleuten wie ein Wunder ange- slaunt, von keinem Menschen anfgehaltcn, schlän gelte sich unsere kleine Schar auf schmalen, hals'- brcchcrischen Pfaden durch die Berge und Schluchten auf dem linken Ufer der Rhone. Un sere Kanonen hatten wir zurücklassen müssen, die Lanziers mußten zu Fuß marschieren und ihr Roß hinter sich herziehen. Der Kaiser, seinen Stab in der Hand, meist voran, dicht neben dem gähnenden A v g r u n d. So strebten wir aus Grenoble zu, auf diese herrliche Felsenfeste der Dauphine, dem ersten Ziel ans unserem Wege! So armselig und doch so gewaltig durch den einen Willen, der uns beherrschte! Ach, teure Frau, was mußte ich erleben! Unfern der Festung, am Ende eines Engpasses, der zwischen hohen Felsenwünden und spiegelnden Seen sich dahinzieht, erblickten wir ein Bataillon Franzosen, das erste, das uns ein feindliches „Hall" entgegensetzen wollte. Der Kaiser, der sich bereits zur Avantgarde begeben, eilte mit polnischen Reitern und Gardejägern voraus und machte dann einige hundert Meter vor dem in Schlachtordnung aufgestellten Gegner hall, um ihn mit seinem Fernglas zu mustern. Auf einen Wink von ihm flog ich zu dem kommandierenden bourbonischen Offizier und, meinen alten Kriegskameraden Delessart in ihm erkennend, entströmten meinen Lippen feurige Worte des Beschwörens unserm angc. beteten Kaiser nicht mit der Waffe in der Hand gegcnüberzntreten. Sie ließen ihn kalt. Be schämt kehrte ick, zu meiuem Kriegshelden zurück. Da stieg der Kaiser vom Pferde, lind indem er den treuen Gefährten seines Ruhmes, seines Lei. dens gebot, zurückzubleiben, schritt er allein über die Wiese, die ihn von den drolwnden Gegnern trennte, und gegen diese, seine einstigen Waffen, brüder, vor. Langsam, mit gesenktem Haupte, mit über der Brust gekreuzten Armen. Ich sah, wie ein Erzittern durch die Reihen der königlichen Truppen ging — ich hörte das Kommando des Bataillonskommandcurs, Feuer zu geben — — Ta, in diesem Augenblick erhebt Napoleon das Haupt, und seinen grauen Oberrock auf. reißend, unter dem die alte grüne Uniform sicht- bar wird, breitet er die Arme aus. „Soldaten!" ruft er mit eherner Stimme. „Gibt es einen unter euch, der aus seinen Kaiser schießen kann, der tue es! Hier bin ich!" Die schußbereiten Gewehre senken sich tiefer, gezwungen durch unsichtbare Macht und mit einem Male füllt der brausende Jubelruf: „Es lebe der Kaiser!" die Luft. Die Soldaten stürzen sich aus ihren Abgott, werfen sich ihm zu Füßen, jauchzen ihm zu, berühren seine Stiefel, seinen Degen, den Sanm seiner Kleider — — Der Kommandeur, im Innersten erschüttert, bricht in Tränen aus uud überreicht dem Herzensüberwinder seinen Degen. Und der — umarmt ihn. Teure Frau — es waren Augenblicke, wie keine Ewigkeit sie ergreifender gestalten kann! WaS brauche ich noch weiter zu erzählen?! Der Rausch, der dies eine Bataillon beim Anblick seines Kaisers erfaßt, er springt wie ein elektrischer Funken über auf das ganze übrige Regiment, das alsbald unter dem Schall der Trommeln die nahe Festung verläßt, um dein an gebeteten Feldherru cntgegenzueilen. Und als der Abend sich zur Erde neigt, da ist ganz Grenoble von dem Glücke über die Wiederkehr seines Kaisers trunken. Der Festungskomman dant und das winzige Häuflein seiner Getreuen erblickt das einzige Heil in rascher Flucht; die geschlossenen Tore wurden unter jauchzenden Hochrufen von innen wie von außen erbrochen — der Verbannte von Elba hält seinen Einzug wie ein Fürst! Morgen, nach kurzer Ruhe, geht es nach Lyon. Ick, bin gewiß, seine Adler werden von Kirchturm zu Kirchturm fliegen, bis sie sich aus der Spitze von Notre Dame nicderlassen, so wie er cs prophezeit. — Lebe wohl, meine teure Bertha, jauchze mit mir. Küsse unser geliebtes Kind, unsere Toska. Sag ihr, der Vater, den sie so heiß geliebt, er kehrt zurück. Sobald mein Kaiser in Paris ein gezogen, seht ihr mich wieder. Dein getreuer Gatte Philipp d'Eure." (Fortsetzung in der AbeiHausgabe.)
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