Volltext Seite (XML)
veur 2. Nr. S45.. Morgen-Ausgab lassen und Petersburg aufzusuchen, sobald das Heer der Verbündeten sich auf 30 Werst genähert habe. Auch die Bevölkerung wurde aufgefordert, Warschau zu verlassen. Ueber Rußland» Isolierung schreibt der englische Schriftstell:r Graham in der „Times": Rußland ist im Begriff, von dem übrigen Europa abgcschnitten zu werden. Li bau und Riga sowie die übrigen baltischen Häfen sind für di.' Kriegsschissahrt gestorben. Das Schwarze Meer ist geschlossen, und die Häfen von Odessa, Sebastopol, Noworossijsk und Batum liegen leblos danieder. Das nördliche Eismeer ist aller dings etwas b'lebtcr geworden. Dies wird aber bald ein Ende nehmen, denn in den letzten Tagen im Oktober friert das arktische Meer ein. Der euro päisch: Handel mit Rußland wird dann nur noch die schwierige Route des finnischen Meerbusens haben. Doch auch der Hinnische Meerbusen friert Anfang Dezember. Für Rußland bl.'ibt dann nur noch der Weg über Wladiwostok übrig. Die Folgen der Blockade haben sich bereits in Rußland fühlbar gemacht. Di? landwirtschaftlichen Produkte Rußlands können nicht mehr ausgeführt werden. Die Einfuhr der Fabrikate hat ein Ende genommen, und die Preise sind enorm gestiegen. Irlan- gegen Englan-. London, 25,. Oktober. Lord Dunraven teilt der „Morningpost" mit: Das in Irland weit ver breitete Gerücht, wonach die Regierung eine obliga torische Einziehung zum Heeresdienst plane, habe einen A u s w a n d e r u n g s st r o m nach Ame rika verursacht, während sonst in jetziger Jahreszeit keine Auswanderung stattzufinden pfleg«. Er er- rvähnt weiter das Gerücht, daß eine deutsche Propaganda in den Landbezirken Irlands im Gange sei. Italienische Angriffe auf Jules Lambon. Mailand, 25. Oktober. Die Mailänder „Italia" läßt sich von ihrem Berliner Korrespondenten schreiben: „Als in den letzten Tagen des verflossenen Juli die deutsche Regierung noch an die Möglichkeit glaubte, daß Frankreich sich nicht an die Seite Ruß lands stelle, fragte der Vertreter eines neutralen Staates den fran.zösischen Botschafter Jules Lam bo n, wie sich die Sache verhalte. Dieser gab in französischer Sprache folgende, durch Zeugen erweis liche Antwort: „Wir sind keine Italien« r." Es ist überflüssig zu sagen, daß diese uns verleum dende Antwort sich in den Berliner politischen und diplomatischen Kreisen herumsprach und einmütige Entrüstung und Proteste hervorrief. Herr Jules Lambon vertritt bekanntlich jetzt die fran zösische Republik in Rom." Sei -en Italienern beginnt's zu tagen. Rom, 25. Oktober. Die Florentiner Zeitschrift „Marzocco" bringt aus der Feder Luciano Zucco- kks eine Studie, die in vielfacher Hinsicht inter essant ist. Der Verfass:! tut zunächst dar, daß die gebildeten Klassen Italiens heute über die Dinge ganz anders urteilen, als in den erst.'n Wochen des Krieges, wo sie unter dem frischen Eindruck des Ententelügenfeldzuges standen. Heute verfangen die Lügen nicht mehr. Das Publikum sei kritisch geworden und miss:, was die Anklagen der „Barbarei" usw auf sich haben. Zuccoli schreibt dann weiter: „Es läßt sich nicht leugnen, daß die Geschichte dieser dr.'i Monate für Deutschland ausgezeichnet ist. Kein Feind hat deutsches Gebiet inne, dag?gcn hat Deutschland Belgien in Besitz genommen, dringt in Frankreich ei» und hat die russische Grenze über schritte». Was Englands Seemacht onbetrifft, so hat diese gar keine Gelegenheit, sich zu betätigen, aus Furcht vor Deutschlands Unterseebooten. England in Herr des Meeres nur auf d:r Oberfläche des Wasserspiegels, ein paar Meter tiefer ist der Herr Deutschland, und Deutschland handelt mit Ruh: und Methode, je nach Gelegenheit. Rückkehr -es entführten Unterseeboots nach Italien. Rach einer Meldung des Mailänder „Secolo" hat das seinerzeit nach Korsika entführte Unterseeboot am Freitag nachmittag unter Führung des Inge nieurs Vrini von der Werft Fiat-Sangiorgio seine Leipziger Rückfahrt von Ajaccio nach Spezia an getreten. Einführung der -eutschea Arbeiterschutz gesetze la öelglenr Berlin, 25. Oktober. Bei der deutschen Zioilver- waltung in Belgien wird erwogen, ob und wie w:it während der Dauer der Besetzung zugunsten der Arbeiterschaft dieses Industriestaates die deutschen sozialpolitischen Gesetze, ins- besonder: auf dem Gebiete des Arbeiterschutzes, ein geführt werden sollen und können. Ein nach außen erkennbarer erster Schritt ist dadurch geschehen, daß der Direktor des Großherzogl. Badischen Gewerbe- aufsichtsamtcs, Oberregierungsrat Dr. B i t t m a n n, und der Hilfsarbeiter im Reichsamt des Innern, Eewrrbe-Assessor Poerschke, nach Brüssel be rufen wurden, um durch Borarbeiten dem vor schwebenden Ziele näherzukommen und auch sonst bei den mannigfachen Anlässen, die in das Gebiet von Arbeiterschutz und Arbeitcrwohlfahrt hinüberspielen, dem Vcrwaltungschcf sachverständig zu beraten. sW. T. B.) Erfolgreiche Seschießung -er Satterlen auf -en Lovtschen. Triest, 25. Oktober. (Eig. Drahtbericht.j Die montenegrinischen Befestigungen auf dem Lovtschen werden von österreichischen Kriegs schissen in der Bucht von Cattaro beschossen, wo bei montenegrinische Batterien zerstört wurden. Unruhen in Aegppten. Kopenhagen, 25. Oktober. sE i g. Drahtmcl- d u n g.j Wie der P:tcrsburger „Rjctsch" meldet, sind die türkischen Blätter voll von Nachrichten über ernste Wirren in Aegypten. „Tanin" teilt mit, daß zwischen ägyptischen und englischen Truppen in Kairo und Alrxandrien Zusammen stöße stattfanden. Ein Teil der in Aegypten ein getroffenen indischen Truppen desertierte. 30 Mann der Desertierten wurden gefangen. Ein anderes Blatt meldet, die ägyptischen Offiziere hät ten sich geweigert, nach Malta zu gehen, mit der Erklärung, nur in Aegypten Dienst« zu tun. die Verhaftungen von veutjchen ln Lon-on. Haag, 25. Oktober. (Eigene Drahtmeld.) Die V e r ha f t u n g e n der im dienstpflichtigen Alter stehenden DeutscheninEngland werden fort gesetzt. Gleichzeitig werden die Ueberwachungen der übrigen verschärft. Im Londoner Polizei bezirk sind etwa 12 00Ü Deutsche und Oesterreicher ein gesperrt worden. Im Eastend von London sind die Verhaftungen nicht ganz widerstandslos verlaufen. Auch gibt es unter den Verhafteten zahlreiche Persön lichkeiten in bester Gesellfchaftsstcllung. Anträge auf Aufschub der Verhaftungen zur Regelung von Angelegenheiten wurden in keinem Falle bewilligt. Der Minister des Innern hatte noch jüngst alle über flüssigen Verhaftungen gegen angesehene, unverdäch tige Deutsche abgelehnt, aber jetzt ist die Regierung vor dem Lärm des Pöbels feige zurück gewichen. Selbst die Forderung des „Daily Thro- nicle", daß man zugunsten deutscher Gelehrter und Männer von Ruf Ausnahmen mache, fanden in der Presse keinen Anklang. Die Litykorporation von London beschloß, die bestehend«» Verträge mit zwei Asphaltfirmon als hinfällig zu betrachten, weil die Direktoren und Aktionäre durchweg Deutsche seien. In Northampton begegnete der Beschluß der Stadtverwaltung, den aus Hannover stammenden Verwalter der städtischen Straßenbahnen bei Zahlung eines Drittels des Gehaltes während des Krieges zu dispensieren, lebhaftem Widerspruch. Man verlangte, er solle sofort endgültig entlassen werden. Vas schwanken-e Portugal. Aus Paris wird der „Deutschen Tageszeitung" über Genf gemeldet, daß Portugal Ende No vember losschlagen werde. General Castro erhält das Kommando über 24 Batterien, 4 Regi menter und 2 Brigaden. Tageblatt. Im Sefaagenlager bei Möershot. Amsterdam, 24. Oktober. Der Londoner Korre spondent des „Telegraaf" hat einen ausführlichen Be richt über den Besuch erstattet, den er am 21. Ortober im Kriegsaefangenlager zu Frith Hill bei Aldershot gemacht hat. Gegenüber befindet sich das neue Sanatorium des Brampton-Hospitals. Die gesunde Gesichtsfarbe der Gefangenen Zeigte, daß das Leben aus der Heide und in frischer Luft gut bekommt. Das Lager umfaßt eine Fläche von 32 Hektar. Es wird von zwei Reihen von Stachcldrahtzäunen eingefaßt. Die Anzahl der Gefangenen beträgt jetzt 37tl. Vor einig«» Wochen waren es fast 6000, die zum Teil nach anderen Lagern geschickt worden Und. Frithhill diente ursprünglich als Uebungsfeld für die Territorialarmee. Die Stacheldrahtzäune und die elektrische Beleuchtung wurden neu hergestellt. Das Lager besteht ans zwei getrennten Abteilungen. Die eine beherbergt 1790 deutsche Zivilisten, die nach der Kriegserklärung verhaftet worden waren, so wie etwa 100 Matrosen von versenkten oder be schlagnahmten deutschen Schiffen. Hier brf nden sich auch die wegen angeblicher Spionage verhafteten Per sonen. Die zweite Hälft« des Lagers enthält nur deutsche kriegsgefangene Soldaten, zurzeit 1921 Personen. Jede Abteilung hat «inen besonderen Stacheldrahtzaun, deren oberste Drähte elek trisch geladen sind. Die Bewachung des Lagers be steht aus hundert Mann Infanterie mit acht Offi zieren. D«r Korrespondent besuchte zunächst die Abteilung für die Zivilisten. In langen Reihen standen hier geräumige Zelte, jedes für 12 Mann bestimmt. Die Gefangenen schlcrien wie die Soldaten im Felde, aber unter Decken. Die meisten hatten einen Koffer oder eine Kleiderkiste im Zelt. Die Gefangenen wählen sich selbst ihren An führer, der zweimal am Tage Musterung abhält, um die Präsenz festnntellen und Kranke zu melden Die ganze Abteilung des Lagers hat einen von allen Insassen gewählten Kommandanten, der für alle Zelte und Leute verantwortlich ist und eine gewisse Vergütung erhält. Der Kommandant der Zivilistenabteilung ist ein gebildeter Deut scher, der wegen Spionage verhaftet wurde. Der Korrespondent sprach mit Gefangenen, die ihm er klärten, daß sie mit der humanen Behandlung im Lager zufrieden seien. Das Essen und di« Mahl zeiten sind dieselben, wie die der englischen Soldaten. Ied« Abteilung des Lagers hat ein« Kantine, wo die Gefangenen sich für eigenes Geld Erfrischungen, Tabak und Zigaretten kaufen können. Geld, Bücher und Briefe können den Gefangenen zugcsandt werden. Die Gefangenen selbst dürfen zweimal in der Woche Bricfschaft senden. Die gefangenen Zivilisten, die in England wohnten, dürfen Besuche empfangen. Etwa hundert Zivilisten sind auf Parole und gegen Bürgschaft für gutes Verhalten freigelassen worden. Ein junger deutscher Geistlicher, der anfänglich im Lager gefangengehalten wurde, aber auf Parole freigelassen wurde, darf das Lager regelmäßig be suchen und hält dort Gottesdienste äb. Der Korrespondent besuchte auch die Abteilung der kriegsgefangenen Soldaten, di« gerade zu'r Nachmittagsparade antraten. Ihre vortreffliche Disziplin zeigte sich b«im Antreten, das unter dem Kommando eines Feldwebels geschah, der für die Ordnung in dieser Abteilung sorgt. Der Korrespondent sprach mit dem Feldwebel, der in der Schlacht bei Mons kämpfte und mit seiner Kompanie gegen eine große llebermacht Widerstand leistete. Don seiner Kompanie seien nur 47 Mann übriggeblicben, die sich ergeben mußten, als die Munition verschaffen war. Der Feldwebel erklärte, die Behandlung lasse nichs zu wünschen übrig. Das Essenseisehr gut. Sie unterhielten sich so gut, als es den Umständen nach möglich sei. Sie täten abwechselnd schwere Arbeit, einige verrichteten auch zeitweilig außerhalb der Umzäunung des Lagers Holz- hackeratbeit. In einem geräumigen Zelt befanden sich ein halbes Dutzend leichtverwundete Soldaten, einzelne lagen im Bett. Als der Korrespondent auf Deutsch nach ihrer Behandlung fragte, er klärten sie, sie seien sehr zufrieden. Den Ge fangenen werden Kleider, Unterkleider. Schuhe, Eß gerät, Kämme. Bürsten und Zahnbürsten geliefert. Die sanitäre Einrichtuna des Lagers lasse nichts zu wünschen übrig. Jede Abteilung besitze eine Anzahl Badewannen. Die Gefangenen dürfen nicht über Winter in dem Lager bleiben. Englische Erpreffungsversuche an HoUan-. Aus Stockholm wird der „Nat.-Ztg." gemeldet: Nach einem Londoner Telegramm' hat die eng. lische Presse in den letzten Tagen ihre Haltung gegen Montag, 26. vtuover l9l4. Holland teilweise geändert. Man klagt Holland jetzt an, daß es nur formell seine Neutra lität aufrechterhalte, während es faktisch über Rhrin und Schelde die ganze Zeit hindurch Deutschland mit Proviant versehe. Auch hätte man festgestellt, daß deutsche Fahrzeuge sich in holländischen Häfen ruhig mit Proviant versehen können. Es wäre daher jetzt Zeit, von Holland die Antwort auf Englands Frage zu erhalten, ob es sich für oder gegen Großbritannien ent schließen wolle. Es geht das Gerücht, daß von Groß britanniens Seit« eine energische diploma» tische Aktion gegen Holland unmittelbar bevor stehe. Cl>:menceau hat in seiner Zeitung eine bemerkenswerte Erklärung über Hollands Transit handel abgegeben. Er schreibt: „Unser britischer Bundesgenosse und dessen Alliierter, Japan, würden mit Freuden jede Ce- legenheit, die sich ihnen durch Hollands Auftreten bietet, ergreifen, um ein bewaffnetes Eingreifen in Niederländisch-Indien zu versuchen." Mangelhafte Me«-ung -er neuen Armee Kitcheners. London, 25. Oktober. „Daily Lhronicle" schreibt: Die Ausrüstung der neuen Armee Kü che ne rs hat das Kriegsamt wegen der Lieferung von Uniformen in eine schwierige Lage ge bracht. Die Khakilieferanten der Armee konnten oer Nachfrage nicht genügen. Das Kriegsamt kautte daher Kaki wo immer es diesen Stoff fand, mit dem Ergebnis, daß die neuen Uniformen aus Shoddy hergestellt sind, einem Stoff, der sich bald abnutzr und dem Wetter nicht standhält. 40-00S Verwun-ete in Frankreich. In einem Briefe aus Madrid vom 7. Oktober, der der „V. Z." zur Verfügung gestellt wird, wird mitgeteilt, datz es in Frankreich 400 000 Ver wundete und Kranke geben soll. Dabei herrsche ein kolossaler Mangel an medizinischem Material. Ein neuer Seweis für -as Marine- abkommen -es Vreiverban-es. Die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung" schreibt unter der Ueberschrift „Lin französischer Prophet": In Koffern, die der französische Prätendent Phi lipp von OrlSans bei seiner Abreise vor der Mobilmachung in Frankfurt zurückgelaffen hat, ist ein Bericht des Majors Dublaix an den Prä tendenten gefunden worden, der unter dem 29. Ja nuar 1914 die Mitteilung macht von russisch-franzö sischen Besprechungen über ein Zusammenwir ken der beiderseitigen Flotten im Mittel meer im Falle eines europäischen Krie ges. Major Dublaix hat in seinem Bericht richtig vorausgesehen, daß zwischen den französischen, eng lischen und russischen Armee- und Marinestäben mili tärische Abmachungen zustande gekommen sind für den Fall, daß das englische Parlament und die Regierung sich für eine Beteiligung am Kriege entscheiden, und ferner, daß England sich sicherlich die Gelegenheit zur Vernichtung oder Schwächung des einzigen ernstlichen Nebenbuhlers um die Seeherrschaft nicht entgehen lassen würde. Vie Seschlagnahme -er „vaterlan-" — eine Schikane. Zu der angeblichen Beschlagnahme des Dampfers „Vaterland" im Hafen von New Park bemerkt die Hamburg-Amerika-Linie: Es ist richtig, daß die Firma Waring and Eillow Arbeiten an der Einrichtung des Dampfers „Vaterland" ausgeführt hat, für welche die übliche Garantiesumme einbe halten worden war. Diese Garantiesumme betrug 40 000 ./<: und ist im Laufe dieses Monats Oktober fällig. Sollte die Firma, was kaum glaublich er scheint, tatsächlich den Dampfer wegen dieser For derung haben mit Beschlag belegen lassen, so könne hier nur eine Schikane niedrigster Art vor liegen. Vie Folgen -es Sombenwurfs auf -ie Vüffel-orfer LuftschifftzaUe. Bei der Beschießung der Luftschiffhalle in Düssel dorf durch einen englischen Flieger sanden, wie jetzt bekannt wird, fünf Soldaten den Tod: der Wehrmann Jakob Schn or-Köln, die Reservisten Karl Wendt-Remscheid und Ewald vom Bovert aus Urdenbach, Kreis Düffeldorf, der Reservist Wil- Der Kul ckrs Lebens. 2f Roma» von Karl Rosner. Anfangs war ihm das schrecklich gewesen, dann hatte er sich auch daran gewöhnt, und nun zog er eben von Kurort zu Knrori, ohne festes Zuhause. Und da lag er nun aus dem Sosa und sann vor sich hin und blickte zur Decke auf. Dann streckte er sich mit einem Seufzer und erhob sich. Als dumpfer Druck lag die Erinnerung aus ihm Er hob das Buch auf, das ihm vorhin entglitten Ivar, goß sich einen Schluck Wein m das Glas, trank, und trat dann an das Fenster Sinnend blickte er in den Garten hinaus. Regen, immer noch dieser ewige, graue Regen. Es war schon dunkel geworden in dem klei neu Zimmer: er läutete dem Mädchen, ließ sich die Lampe bringen und las noch eine WMW. Dann sah er nach der Uhr; es war halb sieben. 9tun wechselte er den Rock, löschte das Lickit aus und ging hinunter in den Speisesaal, denn das gemeinsame Abendesscy sollte heute wegen des ganzes schon früher eingenommen werden als sonst. Als er unten eintrat, setzte man sich eben zu Tisch. Die Reihen zeigten reichlich Lucken, denn viele Damen sehlten noch; sic hatten sich beim Ankleiden verspätet und gaben so den verschiede, uen Ehemännern und Vätern, die ungeduldig aufblickten, so oft die Tür geöffnet wurde, will- kommenen Anlaß zu den üblicksen Bemerkungen über wciblick)« Pünktlichkeit. Natürlich fanden im Anschluß hieran einige liebenswürdige Herren Gelegenheit, die wenigen Damen, die trotz der kleinen Tanzkleidung schon er. schienen waren, mit besonderem Ruhme zu nennen. Die erwartungsvolle Stimmung kam hinzu, und so entwickelte sich bald längs der ganzen Tasel eine lebhafte und launige Un. kerhaltung. Als letzte in der Reihe saßen zwei neu an gekommene Gäste — eine sehr feine ältere Dame mit weichem, tief gescknnteltem Haar, das leicht über die Schläfen fiel und beitrug zu dem Aus druck von vornehmer Ruhe, der diesem milden, wohlwollenden Kopse zu eigen war, und neben ihr ein junges Mädchen. Die alte Dame mußte einmal sehr schön gewesen sein — fetzt freilich war sie etwa sechzig Jahre alt, aber es war selt sam, ivic leicht man sich ihr gütiges Gesicht ver- jüngt denken konnte, wie, wenn sie lächelte, unter den matronenhaften Zügen das Antlitz des jun gen Mädclwns noch wie von fern hervorzuschim- ineru schien. Ihre Bewegungen hatten etwas Behutsames und Zartes. Das Mädchen, das zu ihrer linken Seite saß, und mit der sie zeit- weilig ivrach, mochte etwa fünfundzwanzig Jahre alt sein. Das Paar interessierte ihn. Er saß »eben dem kleinen Fräulein Liln, der jüngsten Tochter des Hofrates Das kleine Fräulein Lil» war ein sehr liebes Mädel von zwölf Jahren, wild, lustig und ausgelassen. Sie war „noch in Freihet', wie d'r H frat sagte, sie durste noch auf die Bäume tletl.rn und sich mit den Bauernjungen hernmbalgcn - die hohe Schule sollte für sie erst kommen. Für das heu tige Tanzfest hatte sie ihr Diandlg'wand an. ziehen dürfen, das kleideie das frische Geschöpf- chen ganz prächtig. Mau uaunle sie das „Fräu lein Lilh" — mehr im Scherz, denn in Wahrheit war sie noch ein Kind. Mit dem Doktor Eor. nelius hatte sic sich gleich „ach seiner Ankunft ganz besonders befreundet, sie hatte sich dann auch bei Tisch zu ihm gesetzt, und er freute sich über ihr kindliches Geplauder und unter, hielt sich gut mit ihr. Die Kleine wußte immer alles, und sie mußte auch jetzt herhalten und seine Neugierde befriedigen. Aber diesmal versagte ihr Wißen Nur so- viel konnte sic ihm sagen, daß die Damen am Vormittage angekommcn wären. Mittag auf ihren Zimmern gegessen batten, und daß sic im ersten Stocke wohnten. Tas Abendessen war bald zu Ende. Die Damen hatten Ballfieber und konnten es kaum erwarten, bis das Dessert vorüberging. Tann stand man von der Tafel auf. Die kleine Liln hing sich sofort an den Arm des Doktor Cornelius und wollte, daß er sie so hinübcrsährte in die zum Tanzsaal nmgewandclte Turn- und Massagehallc. Er zögerte, sein Blick ging wieder an das Ende des langen Tisches zu der feinen alten Dame und ihrer Begleiterin. Es drängte ihn, zu erfahren, wer sie wohl sein mochten, und er vertröstete die Kleine ein wenig und ging mit ihr auf Fräulein Ida, die ältere Tochter des Hauses, zu. Fräulein Ida nickte ihm bei seiner Frage lächelnd zu, und um ihre Augen lag dabei ein leise schalkhafter Zug. Sic hatte schon bei Tisch sein Interesse an den Neuangekommenen bemerkt und schrieb es weniger der alten Dame, als dem Eindrücke zu, den das junge Mädchen ans ihn gemacht haben mochte. „Kommen Sie —" sagte sie nun „ich will Sie den Damen vorstellen: Sie kennen ohne, bin noch niemand hier, und das Fräulein braucht einen Tänzer — Sic tanzen doch auch ein bisscrl?" Er wurde rot. „Wenn es der Herr Hosrat erlaubt " Sie gingen an das Ende der Tafel, wo die beiden Tamen sich soeben erhoben hatten, lind Fräulein Ida stellte vor: „Sie erlauben wohl, Frau Baronin, daß ich Sie mit einem unserer liebenswürdigsten Gäste bekannt mache: Herr Doktor Cornelius — Fran Baronin von Achenbach — Herr Doktor Cor nelius - Fräulein Elwcrt." Tic Baronin war sehr u.benswnrdig, so daß die kleine GZellschait rasch über die ersten Per- legenheitsiäjw hinweg zu wärmerer Unterhal. lung kam. Sie sprach von dem improvisierten Hansball und lobte das Diandlg'wand des Fräu lein Lilh. Dann erzählte sie, daß sic noch etwas milde wäre von der Reise, dajß sie. aber gewiß später noch ein wenig herunterkommen wollte, um das junge Volk tanzen zu sehen. Bei den letzten Worten sah sie ihre Begleiterin mit einem aufmuntcrnden Lächeln an, das biese jedoch nur mit einem dankbaren Nicken aufnahm. Der Doktor Cornelius begleitete die Damen bis zur Treppe und empfahl sich dort einstweilen von ihnen; das kleine Fräulein Lilh, der bas alles schon viel zu lange gedauert, hatte ihn schon wiederholt heimlich am Rocke gezupft. Als die beiden nach einer kleinen Weile in die Turnhalle traten, hatte der Tanz begonnen, und die ersten Paare drehten sich schon durch den Saal. Ter Raum selbst fügte sich seiner neuen Bestimmung als Tanzsaal besser, als zu vermuten gewesen wäre. Die heilgymnastischcn Apparate und Turngeräte hatte man hinaus, geschafft, in den Ecken standen ein Paar Olean. dcrbänme in weiten Kübeln und großblätterige Topfpflanzen. Tie Massagebänkc und Kissen wa ren aii die Wände gerückt worden, und auf ihnen thronte, was gerade nicht mittat im Tanze. Einer der Gäste saß vor dein Flügel, den man auS drin Musikzimmer herbeigeschafft hatte, und spielte — immer auswendig und mit den kühn, sten Ucbcrgängcn und Verbindungen — eine Walzcrmelobie in die andere hinein, während ihn andere tanzlustige Damen und Herren mit ihren besonderen Wünschen für die nächsten Nummern bedrängten. Tie klein' Lilh hatte sich gleich in Position gestellt, und nun mußte der Doktor Cornelius mit, er mocbtc wollen oder nicht, und erst als der Tanz zu Ende war, gab sie ihn wieder frei. Tein Walzer folgte eine Polka, und das kleine Fräulein hatte sich für diese einen alten Major engagiert, um den sie nun mutwillig herum, sprang, so daß der gute, alte und ein wenig asthmatische Herr, der seine Gicht mit Würde zu tragen liebte, die seltsamsten Grimassen zog. (Fortsetzung in der Abendausgabe^