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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 23.10.1914
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1914-10-23
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19141023017
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1914102301
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1914102301
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1914
-
Monat
1914-10
- Tag 1914-10-23
-
Monat
1914-10
-
Jahr
1914
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Leipziger Lagedlan. Seue 2. Nr. 540. Moryen-Nvsgsvr. sehr viele englische und franzäfische Uniformen. Sämt liche Hotel» sind itberküllt: man kann kaum noch Unterkunft finden Die belgische Regier »na t>at sich in Saint AndrL, einer Vorstadt Havre», niedergelassen. Die Vorstadt dehnt sich längs «ine» Hügels bi» zum Meere hinaus. Hier ist eine neue «tadt, di« nur im Sommer lebt und im Winter schlummert, entstanden. Um die belgisch« Regierung zu beherbergen, mußte man diese Sommerstadt aus ihrem schlummer wecken. Der Umzug nach Haare geschah unter der Aufsicht des französischen Gesandt en in Belgien, Herrn Klobukowfky, und des früheren Pa riser Polizeipräfekten Hennion. Es wurde ein Post büro eigens für die belgische Regierung eingerichtet. Die belgischen Freimarken sind gültig, und der Siegel des französischen Gesandten trägt den Vermerk: ..Französische Gesandtschaft bei der belgischen Regie rung in Havre." ,Vie Englän-er benehmen sich wie -le Herren von Frankreich." Wien, 22. Oktober. sEig. Drahtbericht.) Die „Reichspost" erklärt: Englands nächstes Ziel sei die Gewinnung einer Stellung an der Ostküste des Kanals, um diesen auf beiden Seiten zu beherrschen. Erst sei Antwerpen, der erste Konkurrenchasen, geopfert worden, damit man einen Grund habe. Laß Ostende für Englands Zwecke eingerichtet werde, seht sei Dünkirchen anstatt Ostende mm englischen Brückenkopf aus ersehen. Auch in Calais, Boulogne und Ha »re benehmen sich die Engländer wie die Herren des Landes. Ein englischer Schwur. Der „Rotterdanische Courant" vom 18. Oktober meldet aus London: Eine ebenso malerische wie rührende Szene spielte sich am 17. Oktober abends in dem Park von Wimbledon bei London ab. Eine tausendköpfigc Menge war dort zusammcngeströmt, um der bel gischen Fahne einen Gruß zu bringen und damit ihre Sympathie für Belgien auszu drücken. Mitten unter dieser Menge war eine Erhöhung mit einem Riast errichtet; dort erschienen der j)tzt in Wimbledon wohnende Herzog mit der Herzogin von Bendome, ihren Töch tern Marie Louise und Geneoieve und ttner Anzahl vornehmer Eingesessener der Grafschaft Surrey. Als die Herzogin, ein: Schwester des bel gischen Königs, die belgische Flagge aufzog, »an den Strahlen der untergehcnden Sonne be schienen, bliesen die in blendende, altertümliche Uni formen gekleideten Trompeter einen Tusch. Die Menge wehte mit Tausenden kleinen belgiscl-en Fähnchen, die Musik spielte, und ein Chor von 1öO Schulkindern sang die Brabanvonne. Danach er schienen Chaplin, einer der Führer der konser- nativen Partei, und O Connor. einer der Führer der nationalistischen irischen Partei, zum ersten Male auf dieser Erhöhung und hielten Ansprachen, dem belgischen Volke zum Lobe. Zum Schluß schwuren alle Anwesenden folgenden Schwur: „Es koste, was cs wolle an Geld und Blut, n i-: werden wir das Schwert ein st ecken, be vor Belgien befreit ist, bevor es Schaden- :rsatz bekommen hat, und bevor ein Vertrag ntcht mehr als bloßes Papier gilt, son dern als eine starke Festung, wohinter Millionen englischer Fäuste sich befinden, um sic bis zum Tode zu verteidigen." verwundete Inder in England. London. 22. Oktober. Rach einer Blättermcldung wird im Laufe dieser Woche der erste Transport verwundeter indischer Soldaten in England erwartet. Nach dem ursprünglichen Plan sollten die verwundeten und Kranken über Marseille nach Aegypten geschickt werden. Man ent schloß sich aber zu der kürzeren Reise nach England. Vie Auckersehnsucht der Engländer. . Kristiania, 22. Oktober. Zufolge einem tele graphischen Bericht des norwegischen Gesandten in London an das Ministerium des Auswärtigen hat die britische Regierung auf Anfrage erklärt, es stände nichts im Wege, daß Schiffe neutraler Länder mit Zucker von Deutschland nach Amerika in englischen Häfen Bunkerkohlen ein nehmen könnten. Zu deutsch also: Die Engländer haben Appetit aus deutghen Zucker. Lzernowitz frei von Rußen. Budapest, 22. Oktober. Nach Blattermel- S«ngen find di» österreichisch-ungarischen Truppen, nachdem sie die Nusfen ans Sereth vertrieben hatten, gegen Czernowitz vor- gedrnngen. Tie Nüssen haben Czernowitz Ver la ff en und find in nordwestlicher Richtung ab gezogen. Ruftisthe Verleumdungen. Sofia, 22. Oktober. lAgence Bulgare.) Kaum haben wir die Legende von der Entsendung von Banden nach Mazedonien widerlegt, und schon versuchen russische Zeitungen, eine unge heuerliche Verleumdung zu verbreiten, in dem sie behaupten, daß Geld und Waffen für dieie Banden von Wien und Berlin aus ge liefert werden. Ueberdies sollen öiterreichijche Oifi- ziere, die durch Sofia gekommen seien, sich an die Spitze der Banden gestellt haben. Wir ichen uns genötigt, diesen Erfindungen das formellste Dementi entgegenzusetzen. NuWzierung der deutschen Schulen in Petersburg. Wie dem „Berl. Lok.-Anz." mitgcteilt wird, sind in Petersburg die deutschen Schulen, die bis lang auch in der schlimmsten Zeit der Russifizierung unter Alexander III. die deutsche Unterrichtssprache hatten beibehalten dürfen, nunmehr zur Einfüh rung der russischen Unterrichtssprache gezwungen worden. Das beweist, wie ernst es den Russen in diesem Kriege um die Bekämpfung des Deutschtums in jeder Form ist. Wer vom „Vergleichen" mit Rußland redet, be sorgt die Geschäfte der russischen Diplomaten und setzt uns neuen Kriegen mit dem östlichen Nachbar aus. Die Lage in Südafrika. Düsseldorf, 22. Oktober. lE i g. Drahtbericht.) Das Neutersche Büro meldet laut der „Kölnisck>en Zeitung" über die Berichte des Generalgouverneurs von Südafrika, aus denen deutlich heroorgehe, daß die von Maritz angezetteltr Erhebung, aus die die Deutschen anscheinend so viel gebaut hätten, einen kräftigen Stoß erlitten hätte. Dieser sei .zunächst dem Auftreten Bothas ,zu verdanken, der den Plan enthüllte, um Maßnahmen dagegen zu ergreifen und dann selbst ins Feld zu ziehen. Zur Sefetzung der deutjchen Inselgruppen in Ozeanien schreibt die Wiener „Neue Freie Presse": Als die ersten deutschen Sücheeinseln von den Japanern besetzt würben, verkündigte man in Tokio, die Besitzergreifung sei nur aus milita ri > ch e n Gründen und nur vorübergehend erfolgt. Die nunmehr veröffentlichte Erklärung läßt aber die Zukunft der Besitznage völlig im dunkeln. Die Be setzung der drei Inselgruppen richtet sich in erster Linre gar nicht gegen Deutschland, sondern gegen die Vereinigten Staaten und Australien unb damit gegen England. Darin liegt da» Tragi komische an dem britisch-japanischen Bündnis, daß e» selbst 'n dem Falle, da England Nutzen daraus zu ziehen hoffte, seine Spitze gegen dieses selbst richtet. Rotterdam, 22. Oktober. Die japanische Ge sandtschaft im Haag veröffentlicht über die Besetzung der dcutsänn Südseeinseln folgende amt liche Mitteilung: Ein Teil des japanischen Ge schwaders, das in der Richtung der Insel Ialuit operierte, ist aus jenen Gewässern bis zum 14. Ok tober abwesend gewesen, um aus militärischen Rück sichten mehrere Inseln von strategischer Bedeutung, die zu der Mariannen, Marschall- und Ost- und Westtarolincngruppe gehören, zu besetzen. Während jener Operationen fand man drei deutsche Polizei schiffe, die in einem Versteck lagen. Eines dieser Boote versenkte sich selbst, während die anderen mit der Besatzung genommen würben. Amerikanischer Protest gegen britische Willkür. London, 22. Oktober. Die „Times" melden aus Washington vom 19. Oktober: Die Presse er örtert lebhaft die Beschlagnahme des Stan dard - O i l - S ch i f f e s „Brindilla" durch einen britischen Kreuzer. — Die New Parker Zeitung „American" spricht von der Wahrscheinlichkeit eines heftigen Protestes. — Die „Washington Post" schreibt: Die neutrale Schiffahrt der Unionstaaten, die Ladungen der neutralen Staaten übermittelt, ist nach dem Völkerrecht ein Recht der Neutralen und von der Untersuchung und Beschlagnahme befreit. Da die Unionstaaten mit allen National Freundschaft halten, werde man Geduld üben, wenn fremde Kriegsschiffe versehentlich amerikanische Rechte beein trächtigen: aber wir können nicht dulden, wenn irgendeine Nation das Recht beansprucht. Schiffe für neutrale Häfen ohne Verbindung M't den kriegführenden Nationen zu belästigen, zu durch suchen und zu beschlagnahmen. Die große öeüeutuvg -er Unterseeboote. Christiania, 22. Oktober. „Aftenposten" schreibt aus Anlaß der Versenkung des englischen Dampfers „Glitra" durch das deutsche Unterseeboot: Daß Unterseeboote Handelsdampfer kapern und versenken, ist die neueste Seite der Wirksamkeit dieser modernen Kriefls- wasfe. Die Zerstörung feindlicher Handelsschiffe war bisher allein Aufgabe der Kreuzer. Vor läufig kann die Episode mit der „Glitra" ein einzig dastehender Zufall genannt werden, er deutet aber an, welche Nolle die Untersee boote im Laufe der Zeit zu spielen berufen find. Vie -rutsche Arbeiterpartei Oesterreichs an General von Seseler. Berlin, 22. Oktober. Der Befehlshaber der Be- lcrgerungstruppen von Antwerpen. General der In fanterie von Beseler, erhielt folgendes Tele gramm: „Ein tausendfaches treudeutsches Heil dem ver bündeten Bezwinger Antwerpens! Für diedeutsche Arbeiterpartei Oester reichs Pulz. Lissin g." - General von BeseFer antwortete: „Herzlichen Ärnr für freundliche Glückwünsche und deutschen Gruß. Ich bin stolz auf die er folgreiche Mitwirkung tapferer öster reichischer Krieger beim Kampf um Ant werpen." Vie -eutjchen Gefangenen. Aus dem Haag wird gemeldet: Die deutschen l und österreichischen Gefangenen werden in FrrUsg, 23. vluolrer 19l4. Rußland beim Bau der Zentralastatischen und Altai-Lahn verwendet. In der „Times" empfiehlt ein dunkler Ehrenmann, alle in England befindlichen Deutschen nach St. Helena zu bringen. So, sagt er, könne die Insel uns wieder nützlich sein. Aufgebracht. LoaLo«, 22. Oktober. „Daily Telegraph" meldet, daß da» deutsche San itäts schiff „Ophelia" gestern von dem englischen Kreuzer „Yarmouth" ein- gebracht wurde: seine funkentelegraphische Anlage wurde abgenommen. worüber sich Herr Lerop-Seautteu -en Kopf zerbricht. Der bekannte Nationalökonom Leroy-Beaulieu hat in einem öffentlichen Vortrage die Ansicht geäußert, daß die Verbündeten dem DeutscyenReiche eine Kriegsentschädigung im Betrage von 20 bis 2b Milliarden auferlegen würden. Eine solche Kriegsentschädigung könne Deutschland tragen, da die öffentliche Schuld des Deutschen Reiches auch dann noch nicht größer sein würde, als die französische, und Deutschland die höhere Steuerlast durch stärkere Heranziehung des Alkohols und des Tabaks zur Versteuerung aufzubringen imstande sei. Herr Leroy-Beaulieu ist sonst ein sehr verständiger Mann. Sollte er sich nicht auch sagen, daß es richtiger wäre, auf entsprechende Steuerquellen für die Ver bündeten zu sinnen? Denn diese, nicht wir wer den, wie die Dinge nun einmal liegen, Kriegsentschä digung zu zahlen haben, und zwar recht gründlich. Stiftung für einen Chemnitzer Hilfslazarettzug. Chemnitz, 22. Oktober. (Eig Drahtm.) Eine hoch.,erzige Schenkung im Betrage von 10000 haben Arbeilerichast, Beamte und Chef der Firma William Janien in Chemnitz dem Chemnitzer Zweigverein vom Roten Kreuz zur Beifügung ge pellt mit der Bestimmung, nach den Borbitdern von Leipzig und Dresden einen Chemnitzer Hrlf». lazarettzug ausrüsten zu helfen. Fürs vateriaaü gefallen. Wie aus den Familiennachrichten der vorliegen den Ausgabe unseres Blattes ersichtlich ist, starben den Heldentod fürs Vaterland: der Gefreite im Ne > seroe-Znfanterie-Regiment 82 Paul Müller, der Landwehrmann im Infanterie-Regiment 10 t« Richard Liebing, Mitkämpfer von China, der Kaufmann Fritz Krause, Beamter der Firma Berger L Wirth in Schönefeld. Der ll. S. V. zu St. Pauli zeigt an, daß sein Alter Herr, Leutnant der Reserve im Infanterie-Regiment 103 Referendar Martin Neumann, auf dem Felde der Ehre fiel. Von der Landsmannschaft Cheruscia wird ihrem ak tiven Bundesbruder Einj.-Freiw.-Unteroffizier im Feldartillerie-Rcgiment 88 Stud. phil. et cam. Walther Tetzner, der sein Leben fürs Vater land hingab, ein Nachruf gewidmet. Ehre ihrem Andenken! Elferae Kreuze. Mit dem Eikernen Kreuz wurden ferner au» gezeichnet: der Gefreite im Reseroe-Infanterie-Re- giment 104 Illmann ll- Klasse), der Ober leutnant der Landwehr im Pionier-Bataillon 19 Dr. Kohlrausch, Professor an der Kgl. Berg akademie zu Freiberg, der Oberjäger der Reserv: im Jäger-Bataillon 12 Paul Hei nick«, der Arzt Dr. med. Langbein au» Neuhausen i. Erzgeb. (außerdem den Albvechtsorden mit Schwertern), der Unteroffizier der Reserve in einem bayrischen Pionier-Bataillon Zugführer Pichnick aus Apen- raüe, unter gleichzeitiger Beförderung zum Vizefeld webel, d«r sich besonders beim Brückenbauen und bei Sprengungen hervortat, der bekannte Turnier- Der Verzweiflungskampf um das Fort Sie-lif ka. Oesierrcichischev Kricgspressequartier, 19. Oktober 191!. FelLmarjchall-Leutnant Kusmanck hatte gestern die Licbcnswürdigleit, uns den Besuch des Forts Stedlista, Werk T, zu gestatten. Wir fuhren auf der Grodekcr Straße hinaus. Hier war cs interessant, zu scheu, wie auf dem Bereich wirksamer Gcwchr- Ichußdistanz das Borterrain gesäubert worden ist. Erbarmungslos waren alle Häuser niedergebrannt oder gesprengt. Eine ganze Fabrtt hatte dran glau ben müssen, nur ihr Schornstein ragt einsam in die Luft. Gärten mit jck-önsten Obstdäumcn sind schonungslos nicdcrgclcgt. Die Ortsck-aften weiter vor stairdcn unversehrt. Für den Fall, daß die Russen dis hierher gekommen wären, hätten ein paar Schrapnells aus die Däck>er genügt. Aber dank Kus- manct und der tapferen Besatzung ist dieser Fall nicht cingetrcten. Ununterbroä-en donnern noch die Geschütze an der Ostfront, wo Las Werk liegt, dem wir zu streben. Hier stehen die Forts noch .in Kampf gegen die starken Nackchuten der Entsatzarmeen und decken Grodeck. Je höher wir hinaufkommen, desto deutlicher wer den die Spuren der Verwüstung durch die russisclzen Granaten: zerrissene Telcgraphcnleitungen, geknickte 'Bäume, zertrümmerte Hütten. Hier und da im Ge hölz ein einfaches weißes Dirkenkreuz mit einem Täfelchen, auf dem die Namen der gefallenen Sol. daten stehen Seltsam ergreifend ist solch ein ein sames Kriegergrab! Oben auf dem Hügelgipjel siird mehrere Massengräber, in denen Russen und Oestcr- rcick>cr einträchtig begraben liegen. Die im furcht baren Nachtkampf um das Wert Gefallenen, Freund und Feind, liegen hier friedlich zusammen. Ein und derselbe Hügel deckt sie. Etwas abseits liegt ein russischer Sappeuroffizier, der gleichfalls in jener Höllennacht vom 7. aus den 8. Oktober siel. Vor dem Gehölz befindet sich das Werk, dessen Namen so rasch berühmt geworden ist. Jetzt liegt es ruhig da. Arbeiterabteilungen sind damit beschäf tigt, die Kampfspuren zu beseitigen. Die russischen Gewehre werden gesammelt, entladen und gereinigt. Große Gruben werden gegraben, wo mißgestaltet« Klumpen verscharrt werden. Und ein eigentümlicher b>eruch liegt über dem Ganzen: Es ist Verwesungs geruch, der vom Glacis herüberzieht, wo noch Hun derte unbegraben«r russischer Leichen liegen. Die Russen lassen nämlich nicht zu, daß unsere Leute sie beerdigen. Nach den Erfahrungen, die sie im Japan kriege gesammelt haben, lassen sie ihre Leute nicht begraben, um un» durch den furchtbaren Leichen geruch heran szu stänkern. Soball» sich die Arbeiter auf dem Glacis zeigen, lassen sie ihre Schrapnells los, so daß alles zurück muß. Nur mit größter Mühe und eigener Lebensgefahr gelang es der Besatzung, die Verwundeten in den Graben hereinzuziehcn. Ein Russe z. B. lag zwei Tage lang dort und konnte nicht hcreingeholt werden. Der arme Teufel durfte sich nicht rühren. Trotzdem wechselte er seinen Verband und sogar das Hemd. Ohne Essen und Trinken lag er da, dis man ihn endlich bergen konnte. Er hatte nicht weniger als drei Wunden. Aber kehren wir zurück zum Fort. Vor dem Tor empfing uns der Kommandant, ein Oberleutnant. Ein Kroate, ein bißchen fahl im Gesicht, das — schmal und nervös — noch von der überstandenen Auf regung zeugte. Er und seine braven Artilleristen haben schwere Stunden hinter sich. Hätten sie nicht ihr Fort gegen den Angriff einer fünffachen Mehrzahl siegreich gehalten, Stadt und Festung, im Osten von Przemysl, wären in größter Gefahr gewesen. Jetzt ist der junge Held, ebenso wie jein Leutnant Otto Altmann und alle Leute — es sind durchweg Re servisten und Landsturm — in gehobenster Sieges stellung. Lassen wir den Oberleutnant selbst erzählen: Vom b. Oktober an wurden wir 72 Stunden lang ununter brochen beschossen. Tie Russen schossen ausgezeichnet, jedoch der Schaden war gering. Zwei Volltreffer schlugen in die Brüstung. Die eine Bresche verstopften wir sofort mit russischen Gewehren, zwischen die wir Sandsäcke klemmten. An der zweiten Stelle durch schlug die Granate die dicke Brüstung und nahm fünf dahintcrstehcnde Infanteristen mit, von denen vier natürlich in Atome zerfetzt, in den Gaben hinaus flogen. Tonst hatte die Mannschaft zunächst nur wenig Verluste. Wir hatten einen Gefliigclstall mit 4 Gänsen und 8 Hühnern, außerdem ein Schwein. Die ganze Gesellschaft lief im Hof während der Be- ichicßung herum, ohne getroffen zu werden. Nur ein „Hendel" wurde leicht verletzt und fand ein ehren volles Grab in unserem Magen. Am Panzer unseres Forts selbst konnten die Zuckcrhütc der Nüssen nichts ansrichten, kaum daß leichte Eindrücke sichtbar sind. Aber die moralische Wirkung eines solchen Feuers ist nicht zu untersetzen. So auszuhalten in dem Höllenspektakel und namentlich in der von Erplosions- gasen vergifteten Lust ist nicht angenehm. Nichtsdestoweniger taten wir alles, um Len Russen das Herankommen zu erschweren. Unsere Senkpanzergeschütze waren unaufhörlich an der Arbeit. Aber wir konnten nicht hindern, daß di« Russen, die in solchem Festungsangriff ganz besonders ausgebildet waren, sick» doch un» durch Sappen näher- gruben, sie gingen mit unglaublicher Geschicklichkeit vor. Meistens krochen sie in der Nacht einzeln in Intervallen von 60—70 Schritt vor und gruben sich sofort ein. Links vom Fort befindet sich ein Wald, in dem die Russen etwa 10 Bataillone vorschoben. Wir wetter ten unermüdlich hinein mit Schrapnells, noch mehr mit Granaten. Das war in diesem Wald von be sonderer Wirkung durch die herumfliegenden Hölzer, aber wir konnten die Feiirde nicht vertreiben. Die russische Artillerie schoß nur bei Tag, um nicht in der Nacht durch ihr Feuer ihre Stellung zu verraten. Jedoch am 7. Oktober um 3 Uhr früh bekamen wir plötzlich ein furchtbares Schrapnellfeuer. Im selben Augenblick hören wir ein wütendes Gebrüll und Ge heul, und schon sehen wir, wie die Russen in dichtem Rudel in den Graben springen und den Wall herauf klettern. Sie hatten sich an das Drahthindernis auf dem rechten Flügel, dessen Böschung flacher ist, laut los hcrangeschlichcn, mit Drahtscheren, die sie auf ihrem Gewchrlauf hatten, das Hindernis durch schnitten, den Horchposten erschossen und brachen nun herein. Aber nur die Hälfte des Sturmbataillons kam herüber. Sofort traten unsere Maschinengewehre, die den Graben beherrschten, in Tätigkeit. Was im Graben war, blieb drin tot, zerfetzt, zerissen. Denn in den dichten Haufen prasselten die Kugeln der Ma schinengewehre hinein. Keiner konnte mehr herüber. Soviel ich weiß, waren hinter diesem Sturmbataillon zehn Bataillone in Reserve. Aber die ließen wir nl.-bt mehr heran. Diejenigen jedoch, die einmal herein waren, machten uns die Hölle heiß. Sie kämpften mit Todesverachtung, denn sie wußten, für sie gab es kein Zurück mehr. Wie die Gefangenen nachher erzählten, waren sie wie Schlachtvieh ange trieben worden. Hinter ihnen standen Maschinen gewehre, die in jede zurückdrängende Abteilung sofort hineinpfeffertcn. Die Offiziere, die beim Sturm selbst zurückblicbcn, trieben mit dickem Knüppel ihre Leute vorwärts, so daß diesen nichts übrigblieb als der Verzweislungskampf. Hinter ihnen der Tod, vor ihnen der Tod, so gab es r'ür sie nur eine Rettung: das Fort zu erobern und zu behaupten. Wie wilde Bestien kämpften sie. Unsere Infanteriebesatzung auf dem Wall wurde sofort niedergemetzelt. Die paar, die übrig blieben, wichen in den rückwärtigen Gang. Aber ich mußte sie opfern. Ich ließ sofort das Werk abspcrren, und nun haben wir mit den Russen drei und eine halbe Stunde gerauft. Nach dem unsere ganze Infantcriebesatzung bereits auf gerieben war, mußten wir Artilleristen — 70 Mann — die Sache allein austragen. Die Russen waren vom Wall auf das Dach gestiegen, verstopften die Kamine, um uns die Luft abzusperren. Zum Glück hatten sie keine Sprengladung mit. Wir schossen dnrcki die Schießscharten heraus, sie herein. Aber der fürchterlichste Kampf spielte sich im kleinen, rückwärtigen Gang ab. (Der Oberleutnant führt« uns zu der Stelle hin. Der Gang ist so schmal, daß kaum zwei Menschen nebeneinander stehen können.) Hier schlug man wie toll aufeinander los. Ein kleines Fensterchen, das mit Sandsäcken ver- barrikardiert war, und zwei Schießschatten hatte, wurde den Russen zum Verderben. Je ein RLann an einer Schießscharte schoß unaufhörlich in den Russenknäuel hinein. Hinter ihnen knieten Leute, die die Gewehre luden und reichten. Jeder Schuß wurde fast unmittelbar vor den Köpfen abgefeuert. Honveds stürmten heran und schossen zunächst die Russen auf dem Dache nieder. Da die Leute keine Munition mehr hatten, warfen die im Werk ihnen Patronen heraus. Damit unterstützten sie den An griff. Gleichzeitig kam Stabsfeldwebel Michaile! mit 20 Mann heran und alle zusammen stürmten auf die Russen ein. Auf dem Wall brach jetzt der Mut der Feinde nieder. Blitzschnell warfen sie Munition und Gewehre weg und hielten zum Zeichen der Unter werfung die Hände hoch. Das Fort war wieder unser. Von den cingedrungenen Russen entkam keiner. Hundertfünfzig lagen im Graben tot, vierzig im Hof, es gab achtzig verwundete und hundertneunund fünfzig unverwundete Gefangene. Von den heroischen Verteidigern waren fast alle Infanteristen mit ihrem Kommandanten, Reservcleutnant Bilek, tot oder ver wundet. Der Feind wurde jetzt durch die Flankte- > rungsgeschütze beschossen, und zwar mit solcher Wir-t kung, daß alle hingcmäht wurden und der Angriff vollkommen zusammcnbrach. So hat die Besatzung nicht nur ihr eigenes, sondern auch das Nachbarsort gerettet. Aber die Gefahr war am Morgen noch nicht vorüber. Im Glacis lag noch der Nest des Bataillons eingegraben. „Die konnten nicht vor, nicht zurück, aber hinaus mußten sie" — so erzählt der tapfere Offizier — „denn auf einmal habe ich Pochen und Hämmern gehört. Ich wußte, was das bedeutete. Die Kerle arbeiteten an der Sprengung des Werkes. Also hinaus mit ihnen! Am nächsten Tag wurden sie durch eine Kompanie von links her gestürmt, aber alle kriegten wir nicht heraus. Scchsunddreißig blieben zurück, die sich schließlich ergaben." Bei einem gefallenen russischen Offizier hat man einen Situationsplan gefunden, in dem die Russen stellung eingezeichnet war. Daraus ging hervor, daß ihr Hauptangriff mit großen Kräften gegen Siedliska und Borek ging, während gegen alle anderen Punkte nur schwächere Gruppen gerichtet waren. Dadurch, daß Siedliksa sich so heroisch gehalten hat, scheiterte der Angriffsplan der Russen, die nichts davon hatten, als ganz ungeheure Verluste. — Bei einbrechender Dunkelheit fuhren wir zurück. Die Scheinwerfer der Stadt begannen zu arbeiten, und ununterbrochen stiegen Leuchtkugeln empor. Ganz in der Ferne kam am Himmel immer stärkeres und stärkere» Rot herauf ein Zeichen dafür, daß dort Ortschaften brannten. Zn dieser Gegend tobt auch noch der Kampf gegen die Russen, die sich zäh ver teidigen. Aber wenn dieser Bericht bei Ihnen an langt, sind sie hoffentlich schon davongejagt. Ernst Klein, Kriegsberichterstatter.
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