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* Ein französisches Torpedoboot brachte in Mar seille den holländischen Frachtdampfer „Königin Emma" ein, der mit einer Ladung von Batavia nach Hamburg unterwegs war. * Die nationale Liga in Sofia protestiert bei der Negierung dagegen, dah der Heilige Synod durch seine Organe unter der Bevölkerung eine Zlaitation zugunsten Rußlands entfalte, wobei die Priester ibr geistliches Amt missbrauchten. * lieber Seekämpfe im Schwarzen Meere lag, nacb dem „Berl. Tagebl.", auf der Berliner türkischen Bat schast am Sonntag keine Nachricht vor. In Antwerpen. Die erste« (?i«driirke nach der Einttiihme Deutsches Gröhes Hauptquartier, 13 Oktober, l. Nus dem Wege in die eroberte Stadt. In den ersten Nachmittagsstunden des 9. Oktober traf an den Deutschen Kaiser im Grossen Hauptquartier die telegraphische Meldung des Gene rals v. Beseler ein, Lass Antwerpen in den Hän den der Deutschen sei. Wie ein Laufseuer ging es durch die Stadt' Antwerpen ist gefallen. Am nächsten Morgen sausten wir Kriegsberichterstatter im Auto mobil hinauf nach Belgien, über die vielfach kohlen staubreichen Strassen durch Philippeville und Charle- roi, über Genappe und das Schlachtfeld von Waterloo, immer nordwärts nach Brüssel und dann nach Antwerpen, wo Sonnabend früh die siegreicix'n Truppe», soweit sie zur Besetzung der Stadt notwen dig waren, einzogen. Auch ein Teil einer öster reichischen Molormörser Division, die an der Seite der deutschen schweren Artillerie die Forts Antwer pens bekämpft Hal, ist mit den deutschen Truppen in die eroberte Hafenstadt eingezogen. Die Fahrt war von einem eigentümlichen Gefühl begleitet: von einer ütnrinächtigen Sehnsucht, so rasch wie möglich in der eroberten Stadt zu fein, die in bezug aus ihre Befestigungen als Nivalin von Paris ausgetreten ist. Man achtet heute nicht aus den tllZeg. Bilvorde, Eppeghein und Sampst, ein Trio toter und mcnjchenoerlafsener Nuinenwälder. durch die die Kriegssurie gerasl ist, fliegen vorbei. Am Wege rechts und links zieht das Eros der Belagerungs armee ab. Alle Joris sind im Besitz der Deutschen, und aus den meisten von ihnen flattert die Kriegs flagge der üeuifch-en Marine. Denn neben den Land truppen haben vor Antwerpen bekanntlich auch Marine Infanterie und Malrosenartillerie Abteilun gen ihrem guten Nuse alle Ehre gemacht. In man chen Dörfern und Boronen Antwerpens haben die blauen Jungens l>ereits die Wa<be bezogen. In M echel n wurden eben grössere Trupps bel gischer Gefangener, die bei St. Nicolas, süd westlich von Antwerpen, den ausreissenden belgischen Besahungstruppen Antwerpens abgenommen wurden, von deutscher Landwehr eingebracht. Born mar schieren mehrere belgische Offiziere, unter ihnen ein Arz. Ihr Gesichtsausdruct kündet innere Zufrieden heit. Mehrere hundert Soldaten folge», zumeist ältere Iahroänge. Mehrere von ihnen mit ganz an sehnlichen Säcken versehen, aus denen Decken. Klei dungsstücke und ähnliches heroorsieht. Pcoviantwagen. Telcgraphentrain, bayrische Ka- v. llerie und Totenkopfhusaren ziehen langsam von Antwerpen ab. Imposant rollen die mächtigen ichwe-en Geschütze aus Kettenrädern die Strasse Ent lang. Auch auf dem Lokomobil steht ein junger See- soidat. Vor den ausgestorbcnen Häusern, einer kleinen Ortschaft lagert ein Regiment. Es ist Früh stückspause. Ein paar Zeitungen fliegen aus einem Auto, und sofort geht es im Ehor verlangend durch die Soldatenmassen: „Zeitungen! Zeitungen!" Eine kleine Strecke weiter begegnen uns Matroscnartille- risten, die lachend und lustig zwei Dutzend Kühe zum nächsten Vichdepot treiben. Die Photographen unter uns können es sich nicht entgehen lassen, dieses groteske Genrebild rasch zu knipsen. Wir passieren Fort Waelhem. das die Belgier nach ihrem Abzug noch selbst beschossen haben. Auf der Chaussee zur Linken steht das reichliche Gerät, mit dem die Pio niere den Uebcrgaug durch das Ueberschwemmnngs- gebiet forciert haben: Nicsenkarren, deren Nader grosse Tonnen oder Eiscnsässer find. Nicht weit da von liegt das Doik Waelhem — oder besser gesagt, dort lag das Dorf, denn die Manern der kleinen Häuser, die die deutschen und belgischen schweren Ge schütze zerrissen haben, verwandeln sich allstündlich immer mehr in einen Ziegelhaufen. Wir erreichen die Nethez die Brücke, die darüber führt, ist von Gra nalen schwer getroffen. Zu beiden Seiten der Brücke haben die Belgier den Damm für Maschinengewehr stellungen ausgebaut. Man kann sich diese Stel lungen nicht ungeschickter, das Schussfeld nicht 1 schlechter oorstellen. Sie müssen beim Ansturm der deutschen Truppen hier auch empfindliche Verluste er litten haben. Das Terrain zeigt Spuren des wilden Rückzugs, in den Deckungsgruben befindet sich Grab neben Grabs auf einem sind drei belgische Gewehre gekreuzt und ein grobes Holzkreuz sagt: „Hier ruhen drei belgische Soldaten, begraben von deutschen Ma trosen." Im Gelände liegen geöffnete Tornister um her, neben den meisten jlniformstücke. In einem Tornister fanden wir eine neue Zivilhose. Die guten Algier haben auch hier, wie an anderen Plätzen, ihre Uniform weggeworsen und mit Zivilileidung vertauscht. Die Menge der abziehenden Truppen bringt wiederholt jeden Verkehr zum Stocken. Die Wagen des Trains sind hochbeladen: die Spitze krönt ge wöhnlich ein neues Zweirad. Wir kommen nach Contich, eincm Ort vor dem südlichsten Fort der in neren Fortslinie. Hier haben die Belgier alle Häuser rasiert, und ein Gürtel von Wohnstätten, die dem Erdboden glcichgcmvcht wurden, zieht sich vor dem neuen Fortgürtel fast nm die ganze Stadt. Zwischen >t«'n neuen Forts und diesem Gürtel haben die Belgier init grossem Fleisz Zwischenstcllunaen ausgebaut, zu deren Ueberwindung die Deutschen überhaupt nicht mehr kamen: Wolfsgräben, kleine Gruben, in deren Mitte spitze Pfähle stecken, und Drahthindernisse fein verästelt wie Brabanter Spitzen — beides veraltet. Die Forts des inneren Fortsgürtels sind klein und wenig modern: ihre Panzertürme mussten aber auch an die deutschen Ge schosse glauben. Die alte Stadtumwallung war wohl kein besonderer Schutz. In Elleghem hat das Bombarde ment starken Schaden angerichtet. Der Vorort hat ländlichen Charakter, die Häuser sind kaum einstöckig. In die verlassenen Wohnstätten dieser stillen Strassen kehren auch bereits Flüchtlinge zurück. Ein Elend bild hinter dem andern. Alle Männer schleppen schwere Lasten in grossen Tüchern: auf kleinen Wagen, die ein ballwerhunrertes Pferd zieht, hocken Kinder und Weiber, kaum init dem Nötigsten bekleidet. Ver ängstigt sehen diese armen Niesen aus. Es gibt keine Worte, die den Jammer schildern können, der diese Gruppen in das verlassene Heim zurücksührt. Ihre Blicke irren an den eingeüscherten Mauern fremder Häuser vorbei. Sie suchen mit hohlen, ausgeweinten Augen; werden sie ihre Wohnung wiederfinden oder werden sie rauchende Trümmer antreffen? II. Der Einzug. Wir fahren durch Berchem, ein Villenviertel Ant werpens. Tot, ausgestorben. Die Balkons vieler eleganter Villen tragen die belgische Trikolore, vom Regen verwaschen. Hier haben die deutschen Geschosse tüchtig eingeschlagen. In der Avenue Charlotte zeigen viele Häuser klaffende Löcher. Der Wind treibt die gelben Blätter aus einem nahen Park über die Schutthaufen vor den Häusern. Deutscl-e Wacht posten an allen Strassenecken und -kreuzungen: hier und da taucht auch ein Antwerpener Polizist mit dem Feuerwehrhelm auf. Bisher hat man ihm den Säbel MAassen. Wir sind in einer Stadt von über >100 Wb Einwohnern und begegnet kaum einer Person auf einer Strecke von 500 Metern. Die Fenster sind verhängt, die Geschäfte geschlossen. Nur wenige Zi garrenladen haben furchtsam geöffnet. Auch die Hotels sind gesperrt. Das elegante Hotel Weber auf dem Kayzerboulevard macht eine Ausnahme. Der Besitzer, ein Deutscher, wurde beim Ausbruch des Krieges, als die Greueltaten an Deutschen und Oesterreichern in Belgien begannen, ermordet. Deutsche Offiziere Haven das Haus besetzt, zum Oessnen des Hotels Terminus gegenüber dem Zen- tralbabnliof musste der Portier bei unserer Ankunft erst sehr energisch aufgcfordert werde». Dann ent schuldigte er sich: das ganze Personal sei geflüchtet. „Ja, wo sind denn alle Leute?" Und er zeigt nach Norden, nach Holland. Es gibt kein Wasser im Hotel, die Leitung ist beschädigt, in der grossen Örestauratio» des Hauses ist nur ein junger Brasi lianer als Kellner zurückgeblieben. In den Strassen der grossen Stadt ist es stiller als Sonntags in einem kleinen Dorfe. Nur hier und da kriechen ein paar Leute ans den Häusern. Frauen und Mädchen. Männer und Kinder zeigen sich nicht. In ileinen Gruppen der Antwerpener treten deutsche Soldaten als Do .enten auf. Mit ein paar kräftigen Bemeriungen öffnen sie den Leuten die Augen. Die getäuschten Menschen kennen nur die Lügen der Ant werpener Presse. Ein Antwerpener Bürger, der nahe dein Rathaus eine Wäschevlätterei besitzt, führt mich auf einem weiräderigen Wagen durch die Stadt. Er war eben im Begriffe, mit einem Eeleitschein des deut schen Stadtkommandanten versehen, in die Umgebung zu fahren und Flüchtige wieder Heimzubringen. Der Mann spricht Flämisch, wir verständigen uns aber ganz glatt. Und während wir durch die stillen Gassen Holpern, erzählt er mir von den S ly r e cke n der Be lagerung. Vor mehr als 10 Tagen schon wurden Frauen und Kinder in einem Aufruf des Bürgermeisters de Vos aufgefordert, die verstärkten Stellungen von Ant werpen zu verlassen. „Da begann eine Völkerwan derung. mein lieber Herr", berichtete mein lSewährs- nrann. „Zwölf Tage hörten wir den Kanonendonner, und täglich kam er näher und näher. Abends durfte kein Licht brennen, die Gxist- und Kaffeehäuser wur den um 8 Uhr geschlossen. Unsere Zeitungen, die „Metropole" und der „Matin" berichteten nur über Stege unserer Truppen. Wir sind leider belogen wor den. Am Dienstag, am 6. Oktober, hat der Befehls haber Generalleutnant De Guts« einen Aufruf an die jungen Männer anschlagen lallen. Da an der Ecke können Eie einen solchen noch lesen. Die jungen Leute von 18—20 Jahren wurden darin aurgesordert. in Betätigung ihrer Vaterlandsliebe als Frei willige in den Festungswerken Dienst zu nehmen. „Junge Männer", schliesst der Aufruf, „das Vaterland hat euch nötig, folget dem Aufruf!" Diele Proklamation machte die Leute stutzig, und die Mastenflucht nach der holländilchen Grenze nahm zu. Unsere Zeitungen logen we'ter. Erst am 7. Oktober bezeichneten sie die Situation als ernst. Da konnten sie uns auch nichts mehr weismachen. Aus d.m Vor orten strömten Flüchtlinge durch die Stadt, Wahn sinnige, die Kinder jammernd, die Frauen kreischend: „Elleghem brennt!", „Wilryck steht in Flammen", eine Hiobspost folgte der andern, und Kanonendonner immer näher und näher bestätigte uns die traurige Wahrheit. Man sagte uns. Eng länder seien uns m Hilfe gekommen. Wir bekamen sie nicht zu sehen Wir sahen nur abends den Himmel rings um die Stadt vom Widerschein des Flammenmeeres bedeckt!" Julius Hirsch, Kriegsberichterstatter. Flur Leipzig und Umgebung Leipzig, 19. Oktober. Zamttlennachrichten. Verlobt: Frl. Lisa Brandes mit -Herrn Feldunterarzt Nndols Hacker in Leipzig- Frl. Frida cLrimm mit Herrn Paul Richter in Leipzig. — Frl. Gertrud Frauendorf in Leipzig- Lindenau mit Herrn Lber-Telegraphcn^Assistcnt Riclmrd Körting in Leipzig. Vermählt: Derr Paul Lölling und Lilly geb. Ebert in L.-^hlir. — Herr Richard Gruhle und Johanna geb. Weber in Leipzig. Gestorben r Frau verw. Lehrer Treb« geb. Mgler in L.-Eunulrnv, Himilöenstr. 4, 88 Jahre alt. Beerdigung Dienstag mittag V»1 Uhr vom Trauerhause. — Frau Antonie Stops- kuchen geb. Blitthner in L.-Thonbcrg, Reitzenhainer Str. 148, Beerdigung TienStag srüh 1l Uhr vom Trauerhause aus. — Frau oerw. Friedhossinspektor Will-elmine Berti« Köhler in L.-Lrn- denau, Merseburger Str. 127, 66 Jahre alt, Beerdigung Mittwoch vorm. ll Uhr Lindenaucr Friedhof. * Das Eiserne Kreuz erster Klasse wurde dem Landwehrmann Gustav Haufe aus Leipzig- Paunsdorf verliehen, nachdem er bereits früher mit dem Eisernen Kreuz zweiter Klasse ausge eichnet worden war. Haufe ist in einer Lampenfabrik als Klempner beschäftigt. Das Eiserne Kreuz zweiter Klasse erhielten: Stabs- und Regimentsarzt im 1. schweren Reiterregiment Dr. E r nst Hilbrig, Leipzig: Oberleutnant d. R. Herbert Frän kel /»ein, Generalstab des Ick. Reserve-Armeekorps. Mitinhaber der Fa. Fränkel L Viebahn in L.-Klem- zichocher: Referendar Rudolf Erlcr, Leutnant d. N. s im Reserve-Infanterieregiment Nr. 27. Sohn des Reichsgerichtsrats a. D. Erler, hier; Leutnant Rudolf Franz im Kaiser Ulanenregiment Nr. 21. Sohn des Kaufmanns Emil Franz in L.-Gohlis: Stud. theol. et hist. Waller Lenz, Offiziersstellvertreter im Re serve-Infanterieregiment Nr. 107, mrzeit schwer ver wundet hierselbst: Unteroffizier Kurt Riedel im Schützenregimcnt Nr. 108, zurzeit verwundet in Godes berg: Unteroffizier d. R. im Reserve-Infanterieregi ment Nr. 31 Franz Wachs muth, Sohn des im Ruhestande lebenden Prokuristen Franz Wacksmuth. * Die Fürstin Margarete von Thurn und Taxis, Erzherzogin von Oesterreich, ist in Leipzig einge troffen und hat im „Hotel Hausse" Wohnung ge nommen. * Schluss der Lausicker Anstalten. Am vergangenen Freitag kehrte die b. und letzte Abteilung der im B e t h l c h e m st i ft zu Bad Lausick verpflegten Kin der zurück. Der Gesundheitszustand aller der kleinen Gäste, in diesem Sommer 671 an der Zahl, hat sich in erfreulicher Weise gekellert. Das bewies auch die Zunahme des körperlichen Gewichts. — Im Ge nesungsheim war der Zugang seit Beginn des Krieges nur gering und liess Anfang September ganz nach, so dass die Anstalt bald darauf geschlossen wer den musste. * Der Kindertag zur Feier des 18. Oktober, den die vereinigten Helferkreise des Kindergottesdienstes im Zentraltheater veranstalteten, füllte den grossen Saal mit etwa 1000 jugendlichen Besuchern, denen sich auch Erwachsene anacschlossen hatten. Mit den Vorträgen, denen die Kinder aufmerksam zuhörten, waren Lichtbilder und Kinovorführungen verbunden, ein hervorragender Film von der Einweihung des Völkerschlachtdenkmals und ein solcher, der die kriege, rischen Vorgänge in Belgien und Ostpreussen vor stellt. Herr Rezitator Paul Flor erfreute die Zu hörer mit geeigneten zeitgemässen Gedichten und fand ein begeistertes, sehr beifällig sich äußerndes Publi kum. Am Mittwoch, den 21. d. M.. nachmittags ck llhr, soll die wohlgelungenc Veranstaltung an der selben Stelle wiederholt werden. Der Eintrittspreis beträgt 20 Pf., ein etwaioer Ertrag wird der Weih- nachtsbescherung armer Kinder, deren Vater im Felde steht, zugewendct werden. * Liebesgaben für die Eisenbahnertruppen. Für die Mannschaften der Etfenbahnbaukom- panie Nr. 29, in der sich aus den sächsischen Kom panien des Eifenbahnrcgiments Nr. 1 besonders viele Sachsen befinden, wird für den Winter um Liebes gaben in nachstehenden Artikeln dringend gebeten: 1. Wollsachen (Strümpfe, Unterwäsche, Puls wärmer, Kvpffchiitzer, Schläuche, Handschuhe): 2. Tee, Kakao, Schokolade, kondensierte oder trockene Milch, Kaffee- und Bouillonwürfel. Rum, Arrak oder dergleichen für Grog: 3. elektrische Taschen lampen mit Batterien, Zigarren, Tabak, Pfeifen, Mundharmonikas. Gaben die er Art nimmt die Re daktion dieser Zeitung gern entgegen. Direkte Sen dungen wolle man richten an: Eisenbnhnbaukompanie Nr. 29, p. Adr. Ersatzbataillon des E.-R. 1, Berlin- Schöneberg. * Bolksunterhaltungsabend in der Albertbnkle. Der am vergangenen Sonnabend in der Alberthalle abgehaltene erste grosse Volksunterhaltungs- abcnd in diesem Winterhalbjahr brachte erlesene Darbietungen der Kunst und Willenschaft. Das Pro gramm trug unserer Zeit Rechnung. Als Thema seines Vortrags hatte der Redner des Abends, Gym- nasialoberlohrer Prof. Dr. phil. W. Oehler, ge wählt: „Der Segen des Krieges." Wohl sei der Krieg, so führte er aus, ein gewaltiger Würger und Zerstörer. Die edelsten, besten, gesündesten deutsck'en Männer hätten sich ihm entgegengeworfen und blu teten auf den Schlachtfeldern. Ganze Landstriche seien bereits zerstört worden. Und trotzdem: Heil dem Kriege! Denn er ist der grosse Erzieher und Ver jünge! des Menschengeschlechts. Ehre und Vaterland. Einigkeit und Treue. Aufopferung und Gottvertrauen feien die unvergänglichen Werte die er uns schaffe. Wie ein reinigendes Gewitter fährt der Kriea über das krankgewordene Europa dahin. Der Redner schloss seinen mit allseitigem Beifall aufgenommenen Vortrag mit E. Geibels Worten: „Es mag an deut schem Wesen, einmal noch die Welt genesen." Von den Mitwirkenden des künstlerischen Teils sei zu nächst unser heimischer Kammersänger Alfred Käse erwähnt, der, wie schon so oft in diesen Wochen, wiederum seine Kunst in den Dienst der Wohltätig keit und Allgemeinheit stellte. Und dankbar spendete die vollbesetzte Halle für die mächtigen Liedergabcn rauschenden Beifall. Frau Monnard-Borstel erfreute durch den vollendeten Vortrag einer Reihe zeitgemässer Gedichte von Rudolf Herzog, Warncke, Friedrich Erbrecht u. a., auch der Prolog (gedichtet von Reinhold Fröbelj löste eine tiefe Wirkung aus. Vortrefflich fügten sich in den Kranz der Darbietun gen die fünf vaterländischen Lieder für Waldborn- olo und die beiden Mozartschcn Stücke für Wald horn: Romanze und Rondo, für deren tadellose Wie dergabe dem Mitglied des Eewandbausorchesters. Arno Rudolph, allseitige Anerkennung zuteil wurde. Und noch zwei hervorragende Kräfte, alte und beliebte Bekannte aus früheren Volksunterbal tungsetbenden, die Herren Amadeus Nestler (Kla vier) und Max Fest verschönten auch diesmal den Abend und ernteten dafür wohlverdienten Dank. I>. Tödlicker Unglücksfall. Ans der Eisenbahn brücke. die über die Karl-Heine-Strnss« führt, ver unglückte in vergangener Nacht ein Schirrmeister des Kal. Prenss Staatsbahnhofes Plaamitz-Lindenau. Der Verunglückte liess einen Eisenbahnwagen vom Hauptglcise nach eincm Nebengleise rangieren. Der SvkrvibmAsollioeil LkmMik n . Ci-tmnnUcielie 8tr. 24. l'oi. 12989. ssei Vie dunckert Lage. ckOj Rcman aus dem Jahre 18l5 von M. von Witten. Tn toin.o. cs leise, tvdmatl von Norden her die grosse Strasse entlang. Tas ist der Trommler, den General b-meiseuau, als er zu erlahmen drohte, auf ein Pferd hatte setzen lasse». Und nun schtveigt die Trommel Tas Sig- » nal: „Sammeln" schwirrt in lsellen, sroheil Töne» durch de» Morgen. Ulricti springt empor, ivirit sich anss Pserd, hält Umschatt. Tort, etwa tausend Meter gen Norden, sam meln sich die Ulanen. Etivas schwerfällig erhebt sich Gousried Schneider. „Reite voran! Ich komme sofort!" „Erst will ich dir anss Pferd helfen!" Ruf fliegendem Rosse jagt Ulrich dann davon. Langsam folgt der Unteroffizier. Nock, schmerzen die Glieder Aber ans seinem, dem Himmel zugewandten Antlitz liegt ein »vniider. iamcs Leuchten. — „Herr Rittmeister", ruft Gneisenan dem Herangaloppierenden entgegen, „waren Sie uns noch vorauf?" „Eine kurze Strecke, Exzellenz. Vom Feinde aber ist nirgends mehr eine Spur." „Taö will ich meinen? Diese Verfolgung hat Napoleon den Garaus gemacht. Sein Heer ist nicht mehr All d;e Schmach so vieler Jahre ist abgewaschen. Wie das wohltnt! Es war die herrlichste Nacht meines Lebens!" „Exzellenz, ich glaube die herrlichste Nacht eines jeden Preussen, der an dieser Verfolgung teilgenommen!" Ans Ulrichs einst so duster» Augen flammt ein Feuer erhabenster Bc. geinernng. * * * ,xur den Besiegten aber brachte der kom mende Tag keine Glücksmöglichkcitcn mehr. Ein Werkzeug' der Vorsehung war er ge- wesen i «ine Der Hel der Völker. Seine Sen dung ivar erfüllt. So hatte Gott das Werkzeug zerbrochen. — Kaum beachtet und von dem Erlebten und den Strapazen der Flucht gänzlich niedergebengt, war Napoleon in seiner Hauptstadt eingetrofien, lmntert Tage nach jenem Einzüge in Paris, ivo ihn das jubelnde Volt ans den Schultern in die Tuilerien getragen. Nur wenige Getreue «illen zu lhm. Er wusste nichts anderes als, anner sich, wie er war, sich in den heftigsten Anllagcu gegen Neu zu ergehen, dieses Ver räters, Ivie er ihn nannte, der ihn erst durch sein lässiges Verhalten bei Qnatrebras und Mont- St.-Iean, dann durch sein tolles Trausgänger- tnm bei Belle-Alliance zugrunde gerichtet habe. Und nnn fass er, nach heissen parlamentari schen Kämpfen einsam in einem stillen Zimmer des Elusee und diktierte seinem Bruder Lucian — die Äl'dantnngSttrkiinde. Tie Kammern, die er selbst ins Leben ge rufen, die hatten ihn dazu gezwungen. Vielleicht hätte ein Gewaltakt ihn noch reiten tonnen. Vielleicht. Aber der da gebeugt, vom Schicksal geschlagen, neben dem Stuhle seines Bruders stand, den düster» Blick auf das Papier, das Glanz und Thron ihm rauben sollte, ge richtet, der war der Mann deö 18. Brnmaire nicht mehr. Ter Gestürzte, im Glauben an sein Glück wankend geworden, fürchtete sich, den Bruderkrieg in Frankreichs sonnige Gefilde zu tragen, den Bruderkrieg, der ihn schliesslich doch enden lassen würde, Ivie einen Abenteurer. Ei' wollte retten, was noch zu retten war. Er dankte ab — zugunsten seines Sohnes. Tas war die .Hoffnung, an die er sich unter wilden Fieberschauern Nammertc, die Brücke, die er sich baute, um den Weg hinüber zu finden in den Verzicht. — lUid ald Napoleon Bonaparte am Abend desselben Tages in eincm matterienchteten Saale des Palaws aufrecht stellend, mit unbeweglicher Miene die Tcpntationen der Kammern empfangt, die ihm die Dankadressen der Volksvertretung für seine Abdankung überbringen, da ruht auf seiner fahlen, zerfurchten Stirne der Stempel eines Leidens, das den Gerichteten adelt, das allen Has; in Achtung vor dem Unglück ver wandelt, das selbst die Gottheit einst mit aller Schuld seines Trägers versöhnen wird. * V -je Indessen marschierten die Preussen in Eil märschen ans Frankreichs Hauptstadt zu. Blücher brennt vor Begierde, dem Blutver giessen ein Ende zu machen und in Paris den Frieden zu diktieren. Aber schon ist aus zurück kehrenden Versprengten und den völlig unbe rührt gebliebenen Truppen Marschall Gronchys, — die erst am Sclilachttage von Bclle-Alliance bei Wawre auf die Nachhut der Preussen gestossen waren und dieser bitter zu schaffen gemacht hatten, — eine neue, an siebzigtansend Mann zählende feindliche Armee erstanden. Und Mar schall Grouchn eilt mit diesem zusammengerassten Heere, uni der bedrohten Hauptstadt Frankreichs zu Hilfe zu kommen. Aber Blücher kommt ihm doch zuvor. Am 29. Juni trifft er mit den beiden Korps Zielen und Bülow vor der Nordfront von Paris ein. Tas Korps Thielemann, das Gronchi; bei Wawre vom Schlachtfeld Belle-Alliance zurück gehalten, folgt ihnen auf dem Fusse. Wellingtons Truppen aber sind noch um zwei Tagesmärsche zurück. — Nur zu bald aber überzeugt sich der greise Feldmarschall davon, dass Paris von der Nord seite her schwer zu nehmen ist. Um so schwerer zu nehmen ist, als Grvuchi; nun auch inzwischen mit seinem Heere in der Hauptstadt eingetrvffcn ist und ihre Befestigungen jetzt ausreichend be setzt werden können. Von eincm Waffenstillstand aber, den Ta- vout, der in Paris die oberste .Heeresleitung übernommen, imn anbieten lässt, null Blücher nichts wissen. Paris muss er haben. Tas ist nötig zu einem ehrenvollen Frieden! So bleibt nur eins: seine Preussen müssen auf das linke Scineuser hinüber, um von Süden her, wo die Stadt ungeschützt ist, die Einnahme von Paris zu erzwingen. Ein kühner Plan. Groß und kühn, des Marschalls Vorwärts würdig. Und dem Kühnen gehört die Welt! Ter Plan gelingt! Am Abend des ersten Juli ist die preussische Armee auf dem linken Scineuser km Süden der .Hauptstadt vereinigt. Am nächsten Tage wird der Angriff auf die Südseite eröffnet werden. — — — Eingctlcmmt zwischen kreideweissen, zwölf Fnst Hohen Mauern, die stundenweit Weinberge und Ortschaften einschliessen, ziehen die Ulanen auf schmalen Pfaden entlang. Glühend brennen die Strahlen der Juli- sonue ans Tschako und Uniform nieder und vrallcn, stechenden Pfeilen gleich, von den weissen Wänden ab und auf die Tahinziehcnden zurück. Gottfried Schneider reitet — den kleinen Fingerstumps der linken Hand noch immer in der Binde, so dass er die drei ersten Finger zum Gebrauch frei hat — hinter der Schwadron des Rittmeisters Erlen. Sein Gesicht ist bleich, trof; der drückenden Hitze. Ein qualvolles Angst gefühl, wie er es weder bei Lignh noch bei Belle-Alliance empfunden, betlemmt seine Seele. Es raubt ihm geradezu den Atem. Ta zur Rechten öffnet sich wieder die Mauer, der Blick fällt wieder in irgendeine der zahl losen Ortschaften, in ein unendliches Gewirr von Gassen und Gässchen hinein. Der Angst, schweiß brichl ihm aus allen Poren. Mit vor- gebeugtem Oberkörper, mit weitgcöfsneten Augen schaut und lauscht GvtUfricd Schneider. Eine kleine Anzahl von Schützen würde genügen, um in diesen Engpässen eine ganze Armee aufzu halten! Aber — Gott sei Dank! Auch an diesem Torfe kommen sie unbehelligt vorüber. Und doch vermag Gottfried Schneider nicht aufzu. atmen Es ist ihm zumute, als brüte ciu Unglück in dieser glühenden Atmosphäre, als weine seine Seele Ströme bitterster Tränen. (Fortsetzung in der Morgenausgabe.)