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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 20.10.1914
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1914-10-20
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19141020029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1914102002
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1914102002
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1914
-
Monat
1914-10
- Tag 1914-10-20
-
Monat
1914-10
-
Jahr
1914
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Sette 2. Nr. 535. Nvenü-Nosgave. Leipziger Tageblatt. vlensiss, 20. Vkwver lS14. Bundesge nosscn >nit Beschlag belegt^ un- bekümmert um die bereits au verschiedenen Stel len ausgebrocl)ene Hungersnot. Vie Deutschen aus -em Wege nach Dünkirchen. Rotterdam, 20. Oktober. Der Kriegskorrefpon- deut des „Nieuwe Rotterdamschcn Courant" meldet: Das deutsche H : e r, das Antwerpen be lagerte, bewegt sich auf verschiedenen Straßen in der Richtung auf Dünkirchen zu. das von den Franzosen besetzt und befestigt ist. Südlich Dün- lirch.-n befindet sich eine belgische Armee, deren Ueberblcibsrl am Sonnabend angekommcn sind. Ihr Abzug glich einer Flucht ohne jeden Zu sammenhalt mit dem Teil der Arme«, der vor B.setzung Antwerpens nach Ostrnde gekommen war und nach Boulogne verschisst wurde. Er sollte dort reorganisiert werden, um an den Kämpfen auf dem französischen linken Flügel teilzunehmen. Dixmui- den, wo sich französische S.'csoldaten zur Deckung des belgischen Abzuges befanoen, ist wahrscheinlich gestern geräumt worden. Südlich Dünkirchen und Boulogne stehen sehr starke französisch: T r u p p c na b t e i l u n g e n. (?) Honig Georg verzichtet auf -rutsche <Vr-rn. Dem „Manchester Guardian" zufolge haben der König von England, der Prinz von Wales und Lovd Roberts ihre deutschen Orden zurückgeschickt. Protest gegen -as Sombenwerfen. : Paris, 20. Oktober. Der Kardinal Amette veröffentlicht in der Zeitschrift „La Scmainc Rcligicuse" einen Protest dagegen, daß deutsche Luftschiffer Bomben auf die Rotre-Dame Kirche geworfen haben. Keine militärische Notwendigkeit entschuldige dieses Sakrileg. Rückreise -er Zranzojen nach ihrer Heimat. Berlin, 20. Ouober. Alle Französin neu und alle Franzosen unter 17 und über 60 Fahre tönneu jetzt über Schaffhausen in rhre Heimat abreisen. Die (Gegenseitigkeit ist gesichc r t. In B e r u erhalten die Durchreisen den Hilfe. Telegramm -es Kaisers zur Einweihung -er Universität Frankfurt. Frankfurt a. M., 20. Oktober. Den Vertretern der Universität Frankfurt ging gestern aus dem G r o s; e n Hauptquartier folgendes Telegramm zu: Ich danke herzlich für die Meldung, das; die dortige Universität ihre Arbeiten jetzt beginnen wird. Gern hätte ich nm heutigen bedeutungsvollen Gedenktage die hochherzige Stiftung Frankfurts und seiner opfer willigen Bürger selber eingeweiht. Die notwendig gewordene Verteidigung des Vaterlandes gegen ruch lose Angriffe unserer Feinde haben mir dringendere Pflichten aufcrlcgt Meine wärmsten Wünsche ge leiten die neue Pflanzstätte deutscher Bildung nnd Wissenschaft. Möge sie aus der ernsten Zeit ihrer Verteidigung heraus zum kräftigen Blühen in glück lichercn Tagen sich entwickeln. Möge die treue Arbeit der Lehrer und der Fleist der zu ihren Fügen sitzen den Jugend allezeit getragen sein von dem Geist der Einigkeit und Vaterlandsliebe, die jetzt das deutsche Volk so stark und unbesiegbar macht. Gott der Herr jcgne Frankfurt nnd feine Bürger. Wilhelm l. st. Vie Rote-Kreuz-Me-aiUe für -ie Großherzogin von Luxemburg. * Berlin, 20. Oktober. Der Kaiser Hal der Groschcrzogin Marie Adelheid von Luxe in bürg und ihrer Mutter die Rote Kreuz Medaille verliehen. Fünf Srü-er gefallen! I>. Dessau. 19. Oktober. Nachdem ihm seine samt- lichen vier Brüder im Heldentode auf dem Schlachtfeld« vorausgeaangcn waren, ist nunmehr auch der letzte der Brüder der Familie von König I in Zoernigall (Kreis Wittenberg) auf dem I Felde der Ehre gefallen. Gestern traf hier die Trauerkunde ein, daß der Hauptmann und Kom- panieführer im Anhaltischen Inf.-Regt. Nr. 93, Ernst von König, auf dem westlichen Kriegs schauplätze von einer tödlichen Kugel ereilt wurde. Alle fünf Brüder waren Offiziere. Eiferne Kreuze. Das Eiserne Kreuz erhielten ferner: der Kom mandeur des Iägerbataillons Nr. 13 Major Freiherr v U s l a r - G l e i ch e n (1. Klasse), der Leutnant bei der Mascknnengewehrkompanie im Infanterie-Regi ment Nr 177 Werner Reichel. Sohn des General arztes z. D. Dr. Reichel, Vlasewitz (erhielt bald darauf das Ritterkreuz 2. Klasse des Albrechts ordens mit Schwertern), der Reserveleutnant im Infanterie-Regiment Nr. 179 Buchhändler Ar- thur Wille in Firma von Zahn L Jaensch, Dresden.derOffizierstellvertreterimReservc-Grenadier- Regiment 1t)1 Max Stopf, der Oberleutnant und Regimentsadjutant im Reserve - Infanterie - Regi ment 101 Wahrburg aus Chemnitz, der Ober leutnant der Reserve im Infanterie-Regiment 104 Oberlehrer Ryssel aus Chemnitz, der Vizefeldwebel der Reserve im Reserve - Infanterie - Regiment 101 Assessor Kurt Dom sch aus Löbau, Sohn des Chemnitzer Oberjustizrats Domsch, der Vizeield- webel der Reserve im Reierve - Infanterie- Regiment 104 Rechtsanwalt Dr. Fritz Cohn aus Chemnitz, der Einjährig - Freiwillige - Gefreite Hugo Kunlich im Infanterie-Regiment 104, der Major im Infanterie - Regiment 106 von Metzsch-Reichend ach (I. und 2. Klasse), der Osfiziersstellvertieter im Grenadier - Regiment 100 von M e tz j ch - R e i ch e n b a ch, der Stabsarzt im Feldartillerie-Rcgiment 33 Dr. Fritz Hetmke, Sohn des Postmeisters a D. Helmte in Halle, der Leutnant Dr. Kä > e m odel aus Halle, der Leut nant G. Klausch, ein Sohn des Plauener Schul direktors Klausch, der Gefreite Kurt Nürn berger, Plauen, der gleichzeitig zum Unter offizier befördert wurde, der Reiervist Fritz Macht, Prokurist der Plauener Spitzenfilm« Max Herr mann, der Unteroffizier Paul L a i tz > ch, Lehrer in Rodewisch, der Unterosfizier Paul Stein müller aus Netzschkau (1. Klasse, nachdem er früher das Eiserne Kreuz 2. Klasse verliehen er halten hatte), der Bataillonskommandeur im Jn- fanterie-Reaimcnt 179 Hauptmann Buich- Wurzen (1. und 2 Klasse), der Feldwebel im Infanterie- Regiment 179 Hös e, die Bizefeldwebel im Infanterie- Regiment 107 Otto Leibnitz und Edmund Leibnitz, beide aus Wurzen, der Vizefeldwebel der Reierve Gustav Adolf Sämann lauster- dem die Friedrich-August-Medaille in Silber mit Schwertern). weitere Mel-ungen. Der Magistrat von Berlin bcschlost, die während des Krieges in Angriff genommenen und die zur Vollendung kommenden neuen Str asten der R e i chs h a u p t st a d t nach den Hauptorten der deutschen und österreichischen Siege und nach hervorragenden Heerführern Deutschlands und Oesterreich Ungarns zu benennen. Nach englisck>cn Meldungen sind 150 000 Belgier nach London und 600 000 nach Holland geflüchtet. Die deutschfeindlichen Unruhen in Deptford habe« sich verschlimmert. Laut „Berliner Tagebiatt" wur den viele Polizisten verwundet. Verwundete Sol daten sollen den Pöbel aufgcstachelt haben. * Das a m erik a n ische A nftl ä r n n g s- tvmitee in München macht in einer für die englisch-amerikanischen Zeitungen bestimmten Kundgebung England allein für den Krieg, für das Schicksal Belgiens und für die Verlängerung des Krieges verantwortlich. Mil tiefer Entrüstung werden die Entstellungen zurückgcwicscn. Das amerikanische Voll wird znm Protest gegen die durch England veranlasste Teilnahme Japans an dem enropäjschen Kriege aufgerufen. * Nach dem „Algemeen Handelsblad" in A n t - werpcn erzählten Kapitäne von Fischerdampfern, I die sich in der Nordsee befanden, ein Dampfer, ! dessen Nationalität nicht sestzusteUen gewesen fei, « habe in Hellen F l a m m c n g e st a n d e n. Kriegsbil-er aus (bsten. Von Paul Lindenberg, Kriegsberichterstatter. (Nachdruck verdoten ) XV. Koldap, 15. Oktober. Es wollte gar nicht recht Tag rondcn, gestern früh, als die Pferde anzogen zu weiter Fahrt. Graue Nebelschleier hüllten das stille Städtchen ein. Noch trauriger wie sonst berührte der aus kahlem Felde angelegte Soldatenkirchhos, auf dem nun friedlich nebeneinander so viele russische und deutsche Krieger schlummern. Recht lange hatten sich hier die Russen eingenistet, bis sie mit sturmisch.'m Hurra von thü ringischen Jägern und tapferen Sachsen vertrieben wurden. Aus Coldap hinaus, immer weiter und weiter zur Grenze! Denselben Weg hatte ich eingeschlagen. Nicht so hurtig wie sonst rollte das Geführt dahin, die trübe Witterung unter bleierner Himmelsdecke erschwerte die Uebersicht. Aber die an den Wegkreuzungen, wie an den teils zersprengt gewesenen, jedoch rasch wnderhcrgestelltcn Brücken ivachestehcnden Land- rvehrmünner gaben sofort genaue Auskunft, und wo diese fehlte, folgte man den dahinhastcckdcn Ulanen patrouillen und den gemächlicher entlangziehendm Munitions- und Verpflegungskolonnen wie den Bagagezügen der einzelnen Truppenteile, die zur Grenze vorgeschoben sind. Der letzteren strebte ja vieles, strebten viele zu! Das sah man erst, als sich der trübe Himmel etwas aurklärle, und die ersten flüchtigen Sonnenstrahlen herniedcrhuschten. Da zeigte sich mir auch die Heide in ihrem gewinnenden H.'rbstkleide mit dem leuch tenden Gelb der Eichen- und Buchenblatter, die sich sarbiq abhoben vom satten Grün der gewaltigen, stolz und kraftvoll sich emporreckmden Nadelbäume. Aber in der jetzt Hellen Beleuchtung erwiesen sich leider auch aufs eindringlichste die Spuren grenzm- loser Zerstörungswut, die auch hier die Russen hinter lassen: niedergebranntc Gehöfte, verwüstete Häuser, geplünderte Ortschaften, gefällte Bäume und Tcle- graphcnstongen, die Dörfer von Bewohnern fast leer. Für sic hatten unsere Soldaten von den Räumen Besitz ergriffen, die erst mit harter Arbeit von d.'in unbeschreiblichen Schmutz gesäubert werden mußten, den die Ruffen überall hinterlassen, wo sie auch nur ganz vorübergehend geweilt. Und, was so sehr für die Sinnesart unserer Truppen spricht, dort, wo es nur möglich gewesen, hatten die neu Eingezogenen ein paar Vasen erwischt und sie mit herbstlichen Blumen gefüllt, oft dazu auch Gläser und Töpfe wählend. Ie mehr man sich der Grenze näherte, desto mehr Militär lag in den einzelnen Ortschaften, desto reger ward das ganze kriegerische Getriebe auf der nach Rußland führenden Strast« wie zu beiden Sesten. Auf den Feidern, die mancherlei Zeichen der Ver teidigung wie der Flucht ausweisen, wiederum statt liche Munitions-, Proviant-, Bagagekolonnen, ver lassene Biwakplätze, einzelne tote Pferde, von den in die Flucht geschlagenen Gegnern fortgcworfene Klei dungsstücke und Ausrüstungsgegenstände, die durch den Dauerregen der letzten Tage völlig aufgeweicht wurden. Mit uns marschierend klein« und größere Infanteriezüge, überholt von ein einen Trupps Ka vallerie, während die schweren, mit Kommißbrot be ladenen Wagen und die noch schwereren mit Granaten nur langsam vorangclangten. Hurtig paddelten einige Gefreite, das Gewehr auf dem Rücken, auf ihren Fahrrädern dahin, sie teilten Briefschaften aus und landen überall ein frohes Willkommen, wie auch die Liebesgaben, die hier und da zur Verteilung ge langten, Hellen Jubel erweckten: sic bestanden aus kleinen, festpostmäßigcn Sendungen mit Zigarren, Tabak, warmen Sachen, Konserven, Wurst usw.*) Das Gatter des Kaiserlichen Wildparks in der ausgedehnten Romintcner Heide war weit geöffnet, ein Teil der anderen hölzernen Gehege zerschlagen oder umgeworfcn. Vom Forstpersonäl, vom Wild nichts zu sehen. Die russischen Offniere hatten gern die Eelcgenl)eit ergriffen, auf die Jagd zu gehen, manch' kapitaler Hirsch, mancher Rehbock mag ihren Kugeln zum Opfer gefallen sein. Und ihrem Beispiele folgten die nicht geflohenen Ein wohner der Hcidedörfer: die Wilddieberei stand in Blüte, hatten sich doch die meisten Förster, denen be kanntlich die Russen am wenigsten trauten, in Sicher *) Der Verfasser ist gern zur direkten persön lichen Verteilung von Sendungen bereit, falls ihm diese per Adresse des Armee-Oberkomman dos VIII, ohne Ortsbezeichnung, und mit dem Vcr merk, „nicht persönlich" zngehen. heit bringen müssen. Das Zagdschlostder Kai sers blieb unversehrt; nur einzeln« Sächel chen wurden als „Erinnerungen" mttgehen geheißen. Diese Schonung war vohl vom Oberkommandlerenden Großfürsten Nikolai Nikolajewitsch angeordnet wor den; „Wie ich dir, so du mir" mochte er denken und sich auf die wandelbare Gunst des Kriegsglücks be sinnen. Auch der in seinen oberen Teilen im norwegischen Holzstil — ähnlich wie das Jagdschloß — ausgeführte stattliche Bau des I o h a n n i t e r - H o s p i t a l s, an dessen Ballon die grgße Flagge mit dem geschweiften spitzen Kreuz herniederhängt, wies in seinem Aeuße- ren keinerlei Beschädigungen auf. Es muß für die Verwundeten und Erkrankten nicht ausreichen, denn auch etliche Häuser des sich anschließenden Dorfes Szittkehmen zeigten die Genfer Flagge. Hier sehr starke Einquartierung, die Häuser und Häuschen, in welche die Brandfackeln der Russen verschiedene Lücken gerissen, überfüllt, Heuböden und Scheunen müssen herhalten, um alle ovnunehmen, die Pferde sind aufs engste in den Stallungen untergebracht. "Nur wenige Tage hier m verweilen, muß. zumal bei der jüngsten schlechten Witterung, eine horte Gedulds probe darstellen. Aber nirgends ein Wort des Un mutes oder der Klage, des Verdrusses oder des Heim wehs; der soldatische Geist unseres Volkes und da mit die unbedingte Pflichtersülluna eigen sich auch hier wieder im schönsten Licht. muß sein, es geht nicht anders, basta!" Und da. : ..Die da vorn haben's ja noch schlimmer!" — Denen „da vorn" galt mein Besuch. S. ist in dieser Richtung nach Rußland zu der in Betracht kommende letzte deutsche Ort, die Grenze etwa 6 bis 7 Kilometer entfernt. Nur noch winzige Ansied lungen findet man bis zu ihr, aus wenigen, nicht ge schlossen zusammenliegenden Gehöften bestehend. Die Heide hat hier ihren Abschluß erreicht, von nun an erstreckt sich bis zum Nachbarreiche welliges Gelände. Ein Stück jenseits der Grenzpfähle ziehen sich be waldete Hügel hin, sie dienen dem Feinde zur guten Deckung und ermöglichen eine schwer zu beobachtende Vereinigung wie Auseinanderschiebung der Kräfte. Letztere streben auch hier einen neuen Einfall in ost preußisches Gebiet an, um, wie es bei Lyck vorübergehend gelungen, sich der nächsten Stadt, aslo Eoldaps zu bemächtigen. Diesem gilt es zu be gegnen durch unaufhörliche Wachsamkeit, durch Ein setzen aller vorhandenen Truppen, durch schnell auf geführte Befestigungen, an denen unsere emsigen Pioniere fleißig mitgewirkt. Etwa 2000 Meter von der Grenze entfernt liegen, in gut verborgenen Stellungen, unsere Batterien, ziehen sich die äußer st en Schützengräben hin, bald in gerader Richtung, bald in einzelnen Win dungen, mit sorgsamer Benutzung des Bodens, um den Feind zu täuschen. Auch hier mußte ich mich, einen seitlichen Graben als Deckung benutzend, vor sichtig zur äußersten Linie heranpirschen. Ein Zug der . . Jager hatte die Wache, ich fand liebens würdigste Aufnahme. Ein Teil der Mannschaften befand sich auf Ausguck und in Schußstellung, die Büchsen zwischen Gras und Gesträuch aufgelegt, ein anderer hielt sich in einer unmittelbar rückwärts an stoßenden kesselartigen Vertiefung auf, die Büchsen zusammengestellt, jedes Winkes gewärtig. „Durch das Glas können Sie genau die feind lichen Stellungen erkennen," meinte der Offizier: „Doch halt, vorsichtig, nicht den Kopf so hoch, die Kerls drüben passen höllisch auf und knallen sofort los. Diese Granatengrüße," und er zeigte auf ganz nahe, trichterartige Oeffnungen im Felde vorn, „er hielten wir gestern, andere gingen über uns hinweg und schlugen unweit des Gehöftes da hinter uns ein. — Also nehmen Sie als Richtung jenes Häuschen mit rotem Dach, weiter nach hinten, seitlich, sehen Sie die ersten russischen Schützengräben, denen zweite und dritte folgen. Das liefern diese Maulwürfe, darin sind sie groß. Aha. jetzt kommen einige heraus aus den Löchern — ist ihnen etwas kalt und unge mütlich drin." Richtig, man erkannte genau, wie sich etwa ein Dutzend bemühter Soldaten vom Erd boden loslöste, wie ihnen weitere folgten; längs des Waldes zog eine größere Schar hin. Auch in einer unserer nahen Batterien mußte es bemerkt worden sein, sie ballerte los, wie man auch schon den ganzen Tag über den Schall vereinzelten Geschützdonners vernommen. „Noch weiter nach rechts," bemerkte mein Erklä rer, „liegen d:e russischen Batterien. Feldqeichütze und ein weittragendes schweres Schiffsgcschiitz. Das zweite bl'.', im Sumpf stecken, man bekam es nicht mehr leraus. Das erzählten uns gestern Heber- Vie bunüert Tage. 121 Roman aus dem Iadre 1815 von M. von Witten Für ihn gab cs keine Hoffnung mehr. O, das; der Tod auf der Stelle cingetreten, das; ihm dies langsame Hiiisiecben erspart geblie ben wäre! Wieviel leichter ist doch der Tod ans dem Schlachtfeld, als der aus dem Krankenbett" TostaS Tränen flössen - still — ohne jeden Schluchzlaut — aber bitter — bitter! Sie verwandte kein Ange von dem lieben, lieben Gesicht deö Vaters, das selbst im Leiden noch so schon nnd edel n>ar. Das; sie seine Sckuncrzen hätte ans sich nehmen tonne»! Ach sie wußte cs ja nur zu gut! Auch seine Seele hatte schwer gelitten. In jenen ersten Rächten nach der Schlacht, da war das Fieber nicht von ihm pewichen. Sein glühender Mund hatte vor der angstvoll lauschenden Tochter das Bild der ganzen Schlacht entrollt Und immer von neuem waren seine wilden Schreie,seine flehenden Worte durch das einsame HanSgegellt: „Sire! Sire! Er barmen! Nehmen Äie miet) mit. Mein ganzes Leben habe ich Ihnen gelebt Stoßen Sie mied nicht zurück. Lassen Sie mich nicht in die Hände der Preußen fallen!" Toska schauerte in sich hiuem! Wann, wann zvürde sie den Ton dieser Worte nicht mehr in, Obr hören? Wann würde ihr Herz ihre abgrundtiefe Bedeutung über winden? Der, dein Philipp von Eure sein ganzes Leben gewidmet, der hatte ihn, alS er seiner nicht mehr bedurfte, iu eisigem Egoismus ab geschüttelt wie einen tollen Hund. Und sein Feind, der, dein er die Tochter genommen, der l?attc ihm großmütig den letzten Wunsch erfüllt ToSka stöhnte auf. Grelle Schlaglichter f,e len jäh in ihre Seele. Rich», daß sie diesem, nicht daß sie Otto von Jäger sich zu eigen ge. geben — nein! Daß sie Napoleon Bonaparte blindlings vergöttert, das war der große Irr tum ihres Lebens i Zu wahrer Größe fehlte diesem Titanen der Edelsinn, der in der Gottheit wurzelt, der den Menschen erst zum wahren Menschen macht. Er aber, aus sich selbst gestellt, der Gottheit trotzend, in schraukentosem Egoismus, nur sei nem Eigenwillen, nur den Gesetzen folgend, die ihm das eigene Ich gegeben, er brach zusammen, als der Sturm tiefer edler Menschlichkeit sich widm- ihn erhob. Eutgottert lag er nun vor chr im Stande. Und das Bild des Gatten, der kein Titan, der ein Mann wie tausend andere war, es stieg in seiner edlen Menschlichkeit vor ihrer Seele auf. Sie aber - sie hatte ihn verlassen! Und er? Rein, nein! Er liebte sie nicht mehr! Was er getan hatte, was sic im ersten Angenblick für Liebe gehalten, das war nur ein Ausfinß seines edlen Herzens gewesen! Er liebte sic nicht mehr! Er hielt sic am Ende gar für schlecht'?! Mit einem wehen Lant schlug sie die Hände vorS Gesicht. — Sie schrak erst wieder auf, als der Oheim mitten im Zimmer stand Ein nörgelnder, grilliger Ausdruck lag auf seinem unter den Aufregungen der letzten Tage oiiammengeschrumpstcn Ge icht. „Toska! Da ist ein Offizier!" stieß er mit halber Stimme hervor „Ein Gras Duboit. Er will dich sprechen." „Graf Duboit?" Tesla schnellte cmpor Mit einem ächzenden Lau, suhr der Lehnstuhl, aus dem sie gesessen, zurück Durch ihren Kopf wir- belle ein Sturmwind von Gedanken. Der, dem sie ihren Absckiiedsbriei für Otto milgcgebcu, dec suchte sie auf! Was mochte der ihr bringen? „Laß ihn ein!" Mit fliegenden Fingern strich sie das blonde, wellige Haar aus der Stirn zurück. Daun glitten die Hande glättend über das weiße Stickereiklcid. Der Oheim starrte sie mit mißtrauischen Blicken an. „Weißt du, was der wiu?" „Woher sollte ich?" gab sie ihm heftig zur Antwort. „Nasch! Nasch! Was stehst du noch. Ter Diener soll ihn in den Garten führen!" „Was? In den Garten? Warum nicht in den Salon?" „Da ist's so dumps! Wochenlang lein Fenster offen! Man erstickt darin!" Kaum daß sie noch einen flüchtigen Blick auf den Vater warf, eilte sie hinanS. Luft! Luft! Ihr war, als drohten die Wände über sie herznfallcn. In dem weiten Vestibül des Hauses riß sie einen breitrandigen Florentiner vom Wandhaken, stülpte den aufs vaupt, band die weiße schleife nntcr deut Kinn zusammen und warf einen bereilhängenden Sei- denschal nm die Schultern. Alles halb unbe wußt, das Auge forschend durch die bunten Glas scheiben der halbgeöffneten EingangStür gerich tet, durch die der Diener eben nach dem Por tale zu verschwunden Ivar. Dann eilte sie durch eine der beiden Glastüren, die rechts und links von der breiten, holzgcschnistten Frcitrepve ins Freie führten, hinaus. Der schmale Hof mit den Wirtsch den war bald überquert Sie flog Treppe hinaus, die zur Rechten und Linken von ein paar Marmorfphinxen flankiert, in den park- artigen Garten führte, der nach englischem Ge- schmack angelegt war. Um sich zur Ruhe zu zwin gen, schritt sie an den Rasendecken hinter den Sphinxen vorbei und um das große, dahinter liegende Rasenrondell lscrum. Immer langsamer wurde ihr Schritt. Als sie wieder bei den Rosen beeten angelangt war, verneigte sich Graf Duboit vor ihr. Mit vielsagendem Blick zog er ihre Hand an die Lippen Sie ueigie, keines Worics mächtig, das Hanvt. Schweigend schritt sie an seiner Seite tiefer in den Garten hinein. Busch, werke nahmen sie auf. Sein Wortschwall über, schüttete sic. Seine Augen umschlangen sie form, lich mit zärtlichen Flammen. Sie sah und hörte nichts vor dem wilden Klopfen ihres Herzens. Endlich blieb sic ruckartig stehen. „Haden Sie au Herrn von Jäger meinen Brief befördert'?"' „Ich gestand Ihnen ja eben, Madame," er- widerte er lächelnd, „daß der heiße Wunsch, Ihnen gefällig zu sein und jenen Brief ganz sicher an seine Adresse zu befördern, mitbestim- mcud war für meinen Entschluß, zu den Bour bonen überzugehcn." „Wie? Was?" Toska strich, als narre sie ein Spuk, sich mit ungläubig entsetzter Gebärde über die Stirn. „Mitgewirkt, Madame!" beeilte sich der Gras noch einmal zu betonen. „Ich halte den Sturz Napoleons vorausgeschen. Es war ja, wie die Verhältnisse nun einmal lagen, nur eine Frage der Zeit." Ein eitles Lächeln machte seine schönen Züge weibisch und kleinlich. „Die Er eignisse haben mir recht gegeben. — Aber mein Wunsch, Ihnen zu Diensten zu sein, ist bei meiner Entschließung doch schwer in die Wag schale ge fallen. Was tut man nicht, um . . Ec voll endete nicht. Toska schlug eine helle Rote der Scham ins Gesiebt. Sic raffte den Scidcnschal, der ihr von den Schultern geglitten, empor und zusammen. „lind — und — bringen Sic mir eine Antwort von Herrn von Jäger mit?" „Eine Antwort, wie wir sie uns nicht besser wünschen konnten," rief er triumphierend. „Der Herr Preuße wird die Scheidungsklage ein. reichen —" Ein dumpfer Laut, Tostas .Hand fuhr zum Herzen — „- sobald der Krieg beendet ist! lind Ma- dame, in wenigen Tagen wird er beendet sein! Sckwn stehen die Preußen vor den Mauern von Paris — jeden Augenblick kann der Frieden verkündigt werden! König Ludwig bereitet sich schon zur Rückkehr in seine Hauptstadt vor! — Run, Madame, bringe ich nicht gute Nachrichten die Fülle?! Wie werde ich dafür belohnt?!" Er ergriff ungestüm, in eitlem Siegerbewußtsein, ihre Rechte, führte sie an sein Herz und wollte, seinen linken Arm nm ihre Schultern schlin gend, sie an sich ziehen. Jäh stieß sic ihn von sich. Ihr Atem keuchte. (Fortsetzung in der MorgenauoqadeI stsgebäu die kur;
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